14.08.17

Trolle & Barstukken

Die Erinnerung ist aus den Gegenständen herausgeblasen, ihre Be­deutung leer. Es scheint für alles einen Zwilling zu geben, jeder real existierende Gegenstand ist gleichzeitig das Requisit eines Traumes. Diese Regale hier unten sind müde Bretter, aus einem toten Forst gebrochen, verwandelt, unseren Knochen so ähnlich, wenn sie zerstoßen, zermahlen, genagelt oder verschraubt die Flaschen Wein umkrallen, im Kellerstaub auf Nachschub warten, denn es sind noch Plätze frei.

Der Mond leuchtet den Wichteln, Trollen, Barstukken, leuchtet je­nen, die selbst nicht glühen und in ihrer hölzernen Hand keine La­terne mitspazieren lassen. Stock und Stein, Wurzeln, Farne: leuch­tet der Prozession hinunter ins Dorf! Wölfe küssen feucht.

»Was ist mit den Räubern?« Sie lercht, lächelt nicht in ihren Gum­mistiefeln, die ihr bis knapp unter die Knie reichen; sie bie­gen sich noch kaum, starren um ihr schmales Gesöck herum, stempeln die halbtrockene (halbnasse) Erde, ritzen Dagewesenes hinein.

Und dann gibt die Erde nach; sie stampft noch etwas tiefer, blickt mit gemarterten Augen auf zu den Gesichtswipfeln, die vor einem aschfahlen Himmel wippen, Bärte daran gekauert.

In der Nacht wollte sie die Erinnerungen zähmen. Am Tage, sagte sie, gelänge ihr das nicht, weil sie ständig in die Einsamkeit hin­einsehen müsse, die sie zwischen zwei Menschen entdecke. Sie sagte, sie suche gern Dinge oder Orte, mit denen sie einen Pakt zur Animation ihres persönlichen Dramas geschlossen habe, wieder auf.

»Ich spiele Vergänglichkeit. Ich mache sie mir bewusst und ge­nieße ihren süßen Schmerz. Derselbe Bahnhof, immer wieder der gleiche Abschied. Oft sitze ich nur auf einer Bank und starre auf die Geleise, sauge die eigentümlich lauten Geräusche in mich. Ein Bahnhof könnte gar nicht ohne diese makaberen Hallen, ohne die zurückgeworfenen Echos auskommen. Ich rauche eine Zigarette, aus der sich auch zwei machen lassen. Ich schlendere die Wege noch einmal entlang, die ich mit jemand spazierte, der etwas in mir auslösen konnte. Ich bin ganz verschoben in der Zeit. Es stört mich, wenn etwas verändert wird, ein Haus nicht mehr steht oder in einer anderen Farbe angestrichen wurde; wenn es einen be­stimmten Laden nicht mehr gibt.«

Den Pakt mit den Dingen, von denen sie sprach, kennen wir alle. Gerüche, Lieder – diese unvergesslichen Begleiter.

Landfluchten, Fassaden, manchmal auch nur das Licht in ei­nem bestimmten Winkel. Das ist die Liebe zur Kulisse. Man stellt sich gerne ein zweites Mal auf die Bühne und blickt auf den leeren Zuschauersaal. Hier kann man sich einige Aussetzer leisten, zum Beispiel die Hälfte des Textes vergessen, sich ungehobelt kratzen. Hier kann man Sätze halblaut nachsprechen – und niemand hält einen für zu lang an der Sonne spaziert.

Ich komme aus den Städten der Menschen. Alles brennt, sie sind verrückt geworden in ihrer globalen Entwurzelung, Techno­kraten sie alle. Ich frage euch: wohin können wir fliehen? Die Zivi­lisation fällt, und sie fällt weit. Ihr Schatten bedroht bereits die ganze Welt. Kein Geist ist mehr unter ihnen zu finden. Sie sterben le­bend, und was wir alle gemeinsam wussten verödet in den Hirn­kammern. Ihr Herz ist eine Ölpumpe.

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