31.08.17

Die Gilde der pechschwarzen Liebe, Part 5


Gaia

Nymphentag 57

Nur die Lyrik ist dazu imstande, uns zu befreien. Daß wir überhaupt befreit werden müssen, daran ist ein Phänomen schuld, das wir "modern" nennen. In Wirklichkeit meinen wir jedes Mal, wenn wir dieses Wort benutzen "Entfremdung", und doch läßt sich mit dieser Entfremdung hervorragend arbeiten, vor allem, wenn wir akzeptieren, daß wir niemals irgendwohin zurückkehren können. Wir alle sind den Orten unserer Vergangenheit fremd. Indem wir über Vergangenes nachdenken, verfremden wir die Vergangenheit, bedienen uns eines Stilmittels, das im Gedicht sein Königreich erfährt. Das ist ein Vorgang der Evokation, unser Gedächtnis ist ein Schuttgedächtnis, und wir rufen uns in Erinnerung, was wir längst nicht mehr parat haben, das aber unsere Träume beeinflußt, die wiederum ein Gefühl in uns zurücklassen, als hätten wir etwas Bedeutsames vergessen. Wir erinnern uns an die Lücken des Gewesenen, treffen also mit der Gabel nie das Fleisch, das uns stets entwischt, obwohl der Teller endlich scheint. Natürlich: auch das ist immer nur Schein. Wir preschen in die Spuren, die wir selbst nicht angelegt haben.

Fleischsoße am Haken

Gäbe es eine Disziplin der Unmöglichkeiten, wäre Fleischsoße am Haken ein Dauerbrenner. Kempten hat noch sehr viele echte Fleischer, Haudegen am Hackebeil, am Viehschußgerät und am Rippenzieher. Die Auswahl fällt schwer, ein Qualitätsproblem gibt es hier nicht, die umgebundenen Schürzen der Metzger sehen besser aus als die im Klinikum, hygienischer auch, schließlich ist es beim Tier nicht egal, wie es verreckt. Natürlich gibt es auch hier Veganer, Modeerscheinungen machen auch vor den Toren des Südens nicht Halt. Aber diese eßgestörten Yuppies sind eher die Ausnahme, hüpfen in ihrer Lichtgestalt durch den Äther, schweben fast (zum Laufen sind sie zu schwach), die Mädels führen sich Mohrrüben ein, die Buben schauen neidisch zu;  wobei nicht gesagt werden soll, daß ein wenig Salat dem Tellerrand nicht ein angenehmes Flair verleiht und einem rosaroten Steak nicht erst zur vollen Blüte verhilft. In der Innenstadt gibt es einen Vinzenz Murr,
den ich häufig konsultiere, allein, um den Treiben beizuwohnen, das die Angestellten dort veranstalten, oder die Veranstalter anstellen. Ich bin dort in aller Regelmäßigkeit, beobachte als kundiger Kunden, wie sie ihr Geschäft abschließen - und wenn es erst um die Wurst geht, hat jeder seine Eigenheiten. Der eine will den Zipfel abgeschnitten, bei andern erinnert sich die Fleischfachverkäuferin daran, selbst den Zipfel abzuschneiden (oder hätte es beim ersten auch schon getan, hätte dieser nicht, weil er vermutlich schon einmal über den Zipfel, oder um den Zipfel herum, betrogen wurde, darauf hingewiesen : Zipfel ab). In der Küche schmort bereits das Hirschgollasch, dem ich probeweise schon einmal beipflichten konnte, während ich vermischt Putenschnetzel und Schweineschnetzel auf dem Teller habe - die Entscheidungskraft wurde mir gestern von einer Friseuse aus den Haaren geschnettert.

30.08.17

Nymphentag 56

Es ist ein diffuses Unverständnis in allen Bereichen der Kommunikation, als wären alle Chiffren nicht klar und deutlich, als wären alle Rätsel rätselhaft und als wären wir nicht selbst in der Dunkelheit willkommen, denn nur durch Licht vergeht sie nicht, und so druckte ich zwei Tage lang und war erstaunt, was Tinte bei denen heute kostet, wie raffgierig alle sind, wie Riff Raff ging auf Powerage, wie die Gesichter schmelzen vor Raffgier, wie sie stinken, die Raffgierigen, nach Öl und verdorbener Sahne, scheißen aus das Geld und schmieren es sich ins Gesicht, tragen ihre Scheiße in der Fresse, die Kinder alles Klone, unser Kastensystem greift gut.

Pastos von der Nachbarin




Vielleicht schafft einer ein Gedicht
in einem Jahr, schreibt es so nieder,
wie er sitzt, und hat dann Worte gemacht,

über die er nachdenken muß, früh und spät
(nur mittags ruht er sich aus),
nach zwei Wochen hat er bereits ein Wort verändert,

nichts, von dem er weiß, vielleicht
ist er nicht verantwortlich für sein Gedicht,
vielleicht sind seine Spuren nicht so wichtig,

seine Gestalten im Laternenlicht,
zum Gruß erhobne Hand, die Mittelstreifen
existieren noch, die Häuserschluchten,

die ihn verlachen, weil er
Buchstaben ohne Statik bildet,
wenn er zur U-Bahn wechselt,

die Straße unterquert, alle Warnungen
im Schutt der Stadt entdeckt, wie sie
Karten spielen, sich wie kleine Köter balgen,

wenn einer auftaucht, den sie vorher noch
nie gesehn. Am Abend berichtigt er das Wort,
um am nächsten Tag jene Dinge vorzufinden,

die er zum Leben benötigt, als da wären :
zwei Koteletts vom selben Schwein wie immer
und eine Kaffeepflanze, die ihren Samen Namen gibt,

so daß er sich über ein entgangenes Zwiegespräch
nur dann ärgern muß, wenn seine Nachbarin
klingelt, um ihr Porzellangeschirr

für einen langen Nachmittag abzugeben.
Nie kommt sie über die Schwelle, sagt nur :
"Sie haben nicht vergessen, Ihr Wort zu ändern",

während er bereits den Kopf schüttelt.
Sie überwacht ihn, weiß, wann er eine
schwache Minute aus dem Schrank holt,

aber mit ihrem Nachschlüssel gelangt sie nur
bis zur Miniatur einer Toilette in Antwerpen,
was sie ängstigt. Was wäre denn, wenn er das schriebe?

Ihren Kopf ist sie ohnehin bereits los,
aber sie würde gerne ihre Hände behalten,
um ihm weiter das Geschirr zu bringen.

Was wüßte sie sonst von der Welt - allein
und ohne Türspion? Gedichte sind nun genau jene
Partikel, aus denen sich die Welt zusammensetzt.


Balzacs Kaffee

"Sie müssen nicht so viel Kaffee trinken, Sie sind doch kein Balzac, der jeden Tag dreißig Tassen trank", sagte er und ich wunderte mich.
"Sie lesen Balzac?"
"Nein, ich kenne ihn nur vom Hörensagen", sagte er. "Ist es deshalb? "
"Nein", sagte ich, "ich kann Balzac nicht ausstehen, außerdem trank er bis zu achtzig Tassen am Tag. Auch war es kein ordinärer Kaffee, sondern ein persönliches Gemisch, bestehend aus Yellow Bourbon, recht fruchtig und süß, Blue Mountain, sozusagen der König aller Kaffeesorten, den man auch Martinique nennt, und Mokka – nicht das Getränk, sondern die Kaffeesorte Mokka, was ja nicht dasselbe ist. Wenn Sie das mal probiert haben, schnappen Sie über, denn schon Martinique oder Bourbon einzeln zubereitet sind ein Erlebnis. Das ist Balzacs Vermächtnis, von dem kaum einer etwas weiß."
"Und woher wissen Sie das?"
"Ich sage es Ihnen: von Léon Gozlan und seinem Buch Balzac en pantoufles."
"Ich dachte, Sie mögen Balzac nicht."
"Nicht, was er so geschrieben hat", sagte ich, "aber ich mag seinen Kaffee, die Art, wie er seine Sucht zelebrierte und sie mit den Mühen des Genusses verband. Sie können, wenn Sie Kaffee mögen, doch nicht ernsthaft in ein deutsches Geschäft gehen und sich eine Tüte von irgendeinem Zeug kaufen. Das ist ja beinahe so schlimm, wie das, was die Italiener saufen!"
"Ich dachte immer …"
"Ja, ja, denken Sie nur! Jetzt wissen Sie es besser! Italiener haben keine Ahnung von Kaffee, die trinken jeden Dreck, der völlig verbrannt und schwarz ist."
"Aber sie haben guten Wein!"
"Mag vorkommen. Was sie aber wirklich haben sind schöne Erdbeben."

29.08.17

Nymphentag 55

„Wenn nun ein höherer Mensch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einsicht gewinnt, so reicht seine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein solches von menschlichen Dingen durchaus Fernliegendes auszudrücken. Es müßte ihm die Sprache der Geister zu Gebote stehen ...“ (Goethe)

Als ich ansetzen wollte zu einem Hohelied der Geistersprache, gerate ich an Heinz Schlaffers ebenso benanntes Buch, 2012 bei Hanser, gerate dann wieder in die Situation, erst einmal widersprechen zu wollen, mäßige mich aber, weil dem Lyriker bewußt sein muß, daß er sich einer archaischen und vollkommen autonomen Form anheimgibt, indem er auf Kommunikation mit seiner Umwelt pfeift und pfeifen muß, indem er davon profitiert, was ein jahrhundertelanger Kampf war, Herr (und Dame) über sein Kunstwerk zu sein, zum ersten Mal wirklich frei (nun jetzt schon etwas länger), aber auch nicht zu lang, wo messen wir schließlich, wir messen 1 am Kosmos, wir messen 2 dann erst am pille-palle-existierenden Menschen(ge)schlecht. & wenn die Götter das hören, werden sie dachsteufelslustig, denn sie haben’s ja schon immer gesagt, wo sind denn ihre Schamanen hin, ihr Joghurtesser und Baumhöhlenbewohner, wo sind die denn hin in ihren Betongsiedlungen. & wem hören sie da zu. & wollen zu allem Abfluß auch noch gelesen werden. Das Sangesfeuer ist die Inspiration, Begeisterung hört sich da nicht schön an, Besessenheit ist besser, herausgefallen aus dem Geniekult, der aber im Kleinen weiterschlüpft, herausschlüpft aus dem Kescher, dämonisches Werden, ganz anders sein, weil da zu trennen ist zwischen dem wie ich sein könnte und dem wie ich werde. Befreiung von Zweck, aufatmen : sooooog; ausatmen : faaaach!

Worauf du achten wirst




I,

Wenn wir wirklich sehr vorsichtig sind mit
Der Wahrheit, dürfen wir unsere Laster behalten,
Zumindest behaupten das die alten Bücher,

Die hinter der Kommode in der Küche
Deiner Mutter sitzen, ihre Flügel strecken, flattern.
Aufmerksam wurde ich durch ein knarzendes

Dielenbrett. Worauf spielt es an? Im
Universum geht Energie nur dann verloren,
Wenn wir nicht mehr sind.

II,

Der gespannte Gummi wäre lieber die Saite
Einer Konzertguitarre, erträgt das Spiel
Der hüpfenden Beine jedoch klaglos, denn

In der Vergangenheit gab es einige Vorkommnisse,
Von denen die Mädchen wußten. Wer in einem
Solchen Ausmaß Bescheid weiß, ist längst

Kein Gegner mehr, sondern jemand, der
Die weite Reise tun muß, und ahnt,
Daß er selbst viele künstliche Stoffe enthält.

III,

Ich springe nicht gern in dieses Wasser hinein,
Das vor Entengrütze steht; verloren
Geglaubt das Schmuckstück, eine Vermutung nur.

Könnte man hineinsehen, hätte man
Überhaupt Augen, um Vergessenes zu betrachten,
Stünde ich nicht hier im Regen, um darauf

Zu warten, bis das Geschmeide mir
Auf den Kopf fällt. Jetzt reichst du mir
Meine Badehose und sagst, es wäre besser so.


Montsegur (Fußnote)

Der Teer des Harzbaumes, die Pechtröge der Hölle entsprangen hier. Aufgrund der wenigen Zeit, die den Verteidigern zur Verfü­gung stand, war es noch stark terpentinhaltig und somit dünnflüs­sig, auch ging das Brennholz zur Neige. Man schaffte bereits die Linnenkleidung heran, zunächst das, was man nicht am Leibe trug. Als aller Brennstoff verbraucht war, legte man schließlich Hand an sich und rieb, da man nun nackt zu kämpfen bereit war, die Muskeln aber in der Kälte nicht starr werden durften, den Kör­per mit den nicht mehr wehrfähigen, bereits in den Gießpfannen angetrockneten Resten des Pechs ein. Auch deshalb ging das Ge­rücht durch die Jahrhunderte, die Mohren hätten den Heiligen Gral entführt. Wahr ist hingegen, daß er an diesem denkwürdigen Tag, dem 16. März 1244, das Castrum Montsegur verließ und nie mehr gefunden werden konnte. Sechs von pechschwarzer Gestalt wagten sich hinaus in die Mördergrube aus Piken, Schwertern, Rammböcken, den Katapulten der königlichen Armee, entkamen ungesehen, weil die Nacht sie als die ihren erkannte, ihnen anbot, von nun an Schatten zu sein, aber Schatten bleiben zu müssen. Tief ins Blut taucht ein Zahn, betrinkt sich, gerinnt Blut im Castrum. Aus dem Burggraben kriecht ein schwarzes Reptil, nimmt die legendäre Schale für immer in seinen Magen, während die Katharer brennen.

28.08.17

Nymphentag 54

Man müßte da sich konsequent/Zellen, müßte sich konsequent/sellen (Dort stellen/TortenStelen), dorthin wo dann alles abzuleiten/abzspreiten ist, was gemein man meint mitten in der Nacht, aber auch sonst, wenn. Es ist immerhin zweifuffzehn kaum zu denken an Schlaf. Es ist immerhin zwosechzehn, ich will aber morgen wieder ins WortGebürg stapfen,

Die Gespräche tummeln sich um viele Bretter zu bohren; nach wie vor: Die Sprache der Geister, wildes GrammaTau. Nymphenbad ein Literatratzensine? Das wäre denkbar in neuf.

Wenn zu dokumentieren ist, was man tut: um jetzt sechzehnfuffzich habe ich begonnen, mir die Hitze auszuziehen. Die matte Ratze (Nympenbad ein Literatraztensine?), die Arte-Atze.


Vor den Löchern muß die Maus ihren klitzekleinen Kopftod sterben.


Wer den Wahnsinn kennen lernen will, kommt.

Das Labyrinth

Das Labyrinth ist ein Zeichen, das viele verschiedene Zeichen in sich birgt. In einer Fülle komplexer Darstellungen und Deutungsmöglichkeiten führt es hin und her, biegt immer wieder ab und führt schließlich zur Mitte. Eine der Bedeutungen des Labyrinths ist, daß alles, was existiert, sich niemals schlußendlich festlegen läßt.

Das frühgeschichtliche Labyrinth, das man bei Ausgrabungen eines Palastes in Pylos in Griechenland fand, hat einen kreuzungsfreien und vorgegebenen Weg, der auf verschlungenen Pfaden sicher zum Ziel und wieder hinaus führt. Man kann durchaus davon ausgehen, daß das Labyrinth mit Initiationsriten, erotischen Hochzeitsspielen und Tod-Wiederkehr-Mysterien in engem Zusammenhang steht, denn die ältesten Zeichnungen sind nahe an Kultanlagen plaziert.

In der Ilias wird ein Pendeltanz im Zusammenhang mit einem Herbstritual beschrieben. Tanzvorstellungen sind auch auf alten Tonkrügen zu sehen, die hier einen Kranich- oder Jungferntanz abbilden.

Schlegel führte 1798 die Arabeske in die Literatur ein und verband damit die Vorstellung märchenhafter Phantastik, ironischer Leichtigkeit und überquellender Fülle, von Poe wissen wir, daß er in seinen Geschichten vom Arabesken den Akzent auf eine groteske Verzerrung der Welt zum Dämonischen legte. Besehen wir uns die Ornamentik einer arabesken Darstellung, fällt es uns sehr leicht, darin ein Labyrinth zu erkennen. Denken wir uns ebenfalls eine Wüste als Labyrinth und: eine Bibliothek. Die besten Dichter waren labyrinthische Schreiber, die stets mehr wagten, als bornierte Beschreibungen in die Welt der Unterhaltung zu liefern. Ein Labyrinth unterhält nicht, sondern bietet nicht weniger als den Zusammenhang des ganzen Universums.

Und es wird erzählt von einem Weibe, das sich hat ihre Schamlippen ritzen lassen, so daß darauf, auf ihrer zarten Haut, ein Schmetterling zu sehen war und dieses Weib wohnt im Hause der Labrys, das umgeben von schweren Steinpfeilern die Doppelaxt in ihren Händen hält. Das Haus ist in der ganzen Welt als Labrynthios bekannt.

entfernt

Am Bahnsteig flattert ein Schirm.
Lehnt am silbernen Mülleimer
der blaue Himmel
entfernt Wolken.
Der Zug ist schnell.
Vergessen.

Montsegur




Vortex-Reise, hinaus aus schalen Wassern kriecht
Das bildhafte Reptil, das Lungen
Überall an seinem Körper verteilt, damit atmet,
Brennt, Kiemen wandelt. Auskeimend,
Bringend weiches Leder zu den Tälern ins Stroh,
Ins sonnenlose Gras,
Zahnrascheln, in den Nacken stürzen,
Tief ins Blut taucht ein Zahn,
Betrinkt sich, gerinnt Blut im Castrum Montsegur.


27.08.17

Nymphentag 53

Das Epische interessiert mich nicht, weil es das Fragmentierte der kosmischen Umgebung gar nicht abbilden kann, in der ewigen Lüge verharrt (die hier nicht Spiel meint), in einer Lüge nämlich, die einen naiven Realismus hochhält. Das ist auch und gerade auf phantastische Literatur anwendbar, deren phantastischer Kern dadurch obsolet wird, indem der der Poetik des Realismus folgt. Eine ganze Generation versteht ihr Metier völlig falsch - und kann wohl auch gar nicht anders, als die völlig inakzeptablen Muster ständig zu wiederholen. Vor allem mangelt es an Sprache.

Wer sagt nun seinen Namen?




: und dann pfählen wir
die Nacht vielleicht
ihren Schmetterling. Laß

es fahren, wir wissen es doch
ohnehin niemals genau! Kannst
du dich erinnern?

Das Feuer sang, es sang 
atonale Giguen
auf dem Rücken des Holzes,
die Glut eine Stadt im Fluge. Je

mand spielte die Grasflöte memorierend, tat
Klänge hinein, einer Flüssigkeit entnommen,
die durch Dachleisten nieselt. Sonderbare

Keimlinge, nabelfrei, trugen
Schlachtplatten durch ein
Gewirr tiefer Stimmen, lose,
majestätisch, kühn. Ach,

der Luftzug einer Seele, ein
fünfter Wind im Würfel einer Kluft. Die
Augenzahl wie die Tage unbekannt.


Wie ich eine fürdreißig bekam

Wie ich dann vor der Theke stehe, überkommt mich das Verlangen nach einer Kaisersemmel. Ich frage, wie viel sie kostet und sie kostet 36 Cent. Das ist ungeheuerlich genug, ich sage, daß ich eine für 30 nehme - und das wäre schon außerordentlich.

"Aber sie kostet 36", will mir das Backwarengör weismachen.

"Das habe ich vernommen, ich werde aber nur 30 Cent dafür bezahlen. Ich muß so eine Semmel haben, jetzt. Womöglich würde ich auf diesen Unsinn sogar eingehen, aber ich habe nur noch 30 Cent. Sie erkennen die Problematik?"

"Dann können Sie eben keine kaufen."

Ich sage ihr, wenn sie mir nicht umgehend eine dieser Semmeln reicht, werde ich mich an einen der Tische ketten. Natürlich lacht sie zunächst, humorlos, wie ich finde, fast schon theatralisch. Als ich in meiner Tasche krame und ihr ein Fahrradschloß zeige - aus der Zeit, als ich noch ein Fahrrad besaß, quasi bevor man es mir gestohlen hatte, und das, obwohl ich es stets mit dem Wasserschlauch bespritz draußen Wind und Wetter ausgesetzt stehen ließ, so daß es von oben bis unten mit Rost den Rost anzog und höllisch quietschte, ganz zu schweigen davon, daß, wenn ein Wind kam, überall Rostpartikel durch die Gegend schwebten -, nimmt sie einen doch erstaunlichen Gesichtsausdruck an, aber ihr ist klar, daß ich mich mit diesem Fahrradschloß nirgends anbinden kann. Deshalb wiederholt sie: "Eine Semmel kostet 36 Cent."

Es ist wohl der Schlange, die sich langsam hinter mir bildet, zu verdanken, daß ihre Chefin ruft. "Geben Sie ihm die Semmel, um Himmels Willen!"

Die eigene Marmelade auf einer Kaisersemmel für dreißig

26.08.17

radsfatz

Heute sind wir das erste Mal auf unseren Böcken den Berg hinunter zum Feneberg gezickelt. Um uns wasserlösliche Feennuggets zu kaufen, die so gut wie immer auf unseren Neonpostitz notiert sind, die wir uns in der Hoffnung eines in die Zukunft reichenden Weitblicks schreiben. Einer, der uns im Hier und Jetzt die Aura der Lebensmittel wahrzunehmen vermöge macht, die bald durch ihr Nichtmehrvorhandensein in unserer Kemenate glänzen werden. Klappt aber nicht immer. Hinzu kam noch ein Sack Kartoffln, zwei kleine ovale Bassins mit eingelegten Heringsfilets & ein O-Saft (o o). Wir waren schnell, radsfatz! Wie auch du es die letzten Wochen mit der SANDSTEINBURG warst. Wir haben nun über 800.000 Zeichen, wir sind jetzt bei Seite ..., vermeldest du immer am Ende der verrichteten Arbeit eines Tages (manchmal auch einer Nacht) an ihr. Wir ...: als ob ich sie mitgeschrieben hätte. Klammheimlich womöglich. Was ja feuchtversteckt bedeutet, denke ich über dieses Wort nach, das sowohl vom Wetter als auch von einer tiefen, engen Gebirgsschlucht erzählt, in der ein Wildbach fließt oder reißt. Die heimliche Nässe im Stoff und den Dingen. Denn: Vor allem aus Wasser bestehen wir. Sehr falsch dagegen, wie du erst kürzlich anmerktest, ist der Ausspruch: Bedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst. Asche zu Asche usw.. Wieder zu Erde zu werden ist mir ja nachvollziehbar, jedoch ein Nymphenbad in ein Marienstaubbad zu verwandeln, würde aus uns ganz andere Wesen machen. Sehr trockene und flüchtige im Angesicht des Windes. Stets Verwehte wären wir, die nichts hält, solange kein Regen, kein Wasser uns bindet. Ähnlich den Orten und Wesen der SANDSTEINBURG. Wabernde, fragmentarische und doch ineinander verwobene Welten eines Kosmos, der sie ermöglicht und doch nicht inne hat. Faszinierende Erscheinungs- und Formenreichtümer, wie wir sie vom Mandelbrotmännchen kennen, die sich stetig wandeln und neuern. Welten, wie wir sie in der Welt vorfinden können, können wir es noch, wie es unserem eigentlichen Wahrnehmungsvermögen entspricht / entsprechen könnte, unterlägen wir nicht auch der Fähigkeit dieses Vermögen unseres Bewusstseins eichen und formen zu lassen.

Nymphentag 52

Sandsteinburg: Exakt 90 Kapitel in 13 Abteilungen. Es sind noch Abgleichungen zu machen mit älteren Ausdrucken, dann ist eine zwölfjährige Arbeit beendet. Begonnen wurde sie 2005 (wenn ich die ersten Fragmente und Notizen gelten lasse), in Zürich. Der Arbeitstitel lautete: Die Tafeln des Symbalousa. Seitdem habe ich etwa 9 Fassungen in unterschiedlichen Stilen entworfen, die mir alle das Labyrinth nicht angemessen wiederzugeben vermochten. Das Buch ist gar nicht so sehr kompliziert, erfordert aber naturgemäß eine gewisse Leseerfahrung und ein wenig Flexibilität im Umgang mit moderner Literatur. Was ich damit mache, wenn es denn wirklich beendet ist - was, wie ich vermute in den kommenden Tagen soweit sein wird - weiß ich nicht. Zumindest kenne ich augenblicklich keinen Verlag, der das leisten könnte, was das Buch erfordert und einfordert. Früher wäre für mich Suhrkamp interessant gewesen, aber das ist längst auch nicht mehr der Fall. Haffmanns ist noch zu nennen, den es nicht mehr gibt. Ich werde nachdenken, völlig unaufgeregt, weil ich - das Werk betreffend - nie auch nur eine Erwartung hegte (und auch gar nicht damit rechnen konnte, es jemals zu beenden; das ist wieder einmal Albera zu verdanken, die keine Ruhe gab).

Besorgungen um zehn

Ich gehe auf der Straße und gebe vor, ein Auto zu sein, was man mir scheinbar nicht abnimmt, sonst wäre kein Hupkonzert aufgekommen. Unbeeindruckt blinke ich (hat man kein recht auf Langsamfahrt?) nach alter Herren Sitte mit dem linken Arm. Ich muß gar nicht aussteigen, um den Laden zu betreten, bin bereits das Ausgestiegene höchstselbt. Heute bedient wieder die blonde, feiste Nachbarin, die nach ihrer Schwangerschaft vor über zehn Jahren nie wieder in eine gewisse Windschnittigkeit zurückfand. Außerdem gibt es ja noch das zweite, das jüngere Kind. Oft höre ich sie über den Hof plärren, ihre Kinder mit einer die Gehörmuschel zersetzenden Eifrigkeit zur Ordnung rufen. Als sie mich einmal zum Kaffee bei sich einladen wollte, bekam ich Panik, denn wie hätte ich ihr Dauergespräch ertragen können? Heute klagte sie über die schmerzhafte Unbeweglichkeit ihres Nackens, entstanden durch die Schlepperei des neues Schlafzimmers. Ich empfahl ihr in meiner stets hilfsbereiten Art eine Salbe, von der ich selbst, wenn ich wieder einmal vor der Schreibmaschine auf dem Stuhl eingeschlafen war, gute Dienste zu vermelden hatte. Dummerweise wollt sie nun, daß ich ihr, wenn ich so eine Salbe hätte, ihr diese in den Briefkasten werfen sollte. Ich tat es nicht, denn es ist meine Salbe. Die Tube weist Druckstellen von meinen Händen auf, ein Muster meines Nackenschmerzes ist entstanden, ein Code, eine Sprache, eine regelrechte Historie! Ich merke erneut, wie ich mit Kommunikationsschwierigkeiten zu kämpfen habe.

Der Tanner

Aus der Borke der Zeit, einer Ewigtanne, schnitzte sich vor vielen vielen Jahren und Abermyriaden von Blüten und Bienenstaaten, die vergingen, ein Herbergsvater. Der Tanner eines Hauses, das stets versank, sobald die Sonne den Mond ablöste. Er tat es mit jenem Messer, das bis dahin fortdauernd den Broten überlassen war, die die Bewohner dieses von Eulen bewachten Hauses, in dem sie das Licht der Welt erblickten, zu ihren Lebzeiten buken, doch niemals von ihnen aßen.

Er, der Wirt dieser Seelen, die an das Haus gebunden, ihrem Hunger ergeben waren, wie es Vogelküken im Nest der ersten Lichtstrahlen sind, die sie wachläuten, trug sie des Nachts, nachdem er sie durch seinen Mund in sich aufgenommen hatte, durch das Dorf, um Wirbellose für sie zu sammeln. Nacktschnecken und Würmer, die er ihnen in ihre Münder gab, die sich trotz des Schlafes, der sie barg, weit in seinem Holzrücken öffneten. Er selbst aß niemals etwas. Aß nichts außer ihnen. Und er tat es auch nur, sobald sie der Müdigkeit anheimfielen, die sie tagtäglich ereilte. Was an ihren sich langsam schließenden Augen zu bemerken war, die den Möbeln und Wänden übergeben waren. 

So musste er sich beeilen, geschwinde sein, da es bis zum Morgengrauen nicht mehr lange dauern würde und er rechtzeitig mit ihnen wieder im Haus, in der Küche, an selber Stelle sein müsse, um fest und stämmig, gar vierbeinig zu werden, damit sie in jenem Moment zurück wären, in dem Aurorah mit einem ihrer Finger die Oberfläche des Tanners berühren würde, auf dass ihre Geister abermals und neuert aus ihren Mündern in seinem Rücken in die Augen des Hauses entweichen könnten, die sich ihm in seinem Schlaf dann öffnen würden.

25.08.17

Im Stolperschritt durchs Elysium

Ich versuche der gescheckten Realitität aus dem Weg zu gehen, was mir vormittags, wenn mein Schritt noch beschwingt ist, nicht allzu schwer fällt. Sie stellt sich mir nur dort in den Weg, wo die Sonnenstrahlen feindselig durch die Baumkronen der Allee stechen. Ich umschiffe diese hell flimmernden Flecken geschickt. Melvin ist das egal. Er wandert einfach hindurch, immer die große Wiese vor den Augen, die für ihn das Elysium ist. Nicht, dass er zwischen hier und dort groß unterscheiden würde – zwischen dem Glück und dem Pfad dorthin. Er verliert seine Vorsätze diesbezüglich niemals aus den Augen. Wenn es also stimmt, dass der Weg das Ziel ist, dann ist er schon längst angekommen. Darum beneide ich ihn. Dafür liebe ich ihn.

Wie so häufig in letzer Zeit, kann ich schreiben, dass meine Tage voller Geschichten sind. So betrachtet ist dies eine glückliche Phase, die nicht zu vergehen scheint. Hin und wieder frage ich mich, womit ich das verdient habe. Aber es wird schon berechtig sein, ich werde schon irgendetwas richtig gemacht haben. Wenn ich morgens aufwache und meinen Polster ausschüttle fallen sie bereits heraus – Fragmente vieler unterschiedlicher Leben, in ihre Bestandteile zerlegte Träume, übermittelte Gedanken fremder Personen, die mich bitten, dass ich dem großen Monomythos von ihnen erzähle. Neben dem Frühstück sortiere ich sie nach Größe und Farbe, um sie später griffbereit zu haben, wenn ich durch die Welt wandere, die ich momentan zusammenleime.

Ich befinde mich wieder im Nachtspiel, im Morgengrauen bereits schreibe ich an der Geschichte über Attila und Herkules und den Mönch, dem sie das ewige Leben so schwer gemacht haben. Es ist der Eingang zu Teil zwei meiner Trilogie, die jetzt tatsächlich bald erscheint. Das offizielle Werbesujet auf der Verlagsseite bestätigt das. Die ersten Leute lesen bereits das Probekapitel, das zur Verfügung steht. Es hat begonnen. Ich sollte mich ab hier an Melvin halten, und nicht unterscheiden, zwischen dem Glück und dem Weg dorthin. Aber mein ewig ratternder Geist behindert mich dabei. Das, und die flackernde Realität, die spätestens ab Mittag sengend mit den Sonnenstrahlen auf den Boden knallt und dort heimtückisch herumwandert. Ich muss höllisch achtgeben, dass ich nicht über meine eigenen Füße stolpere, während ich ihr ausweiche. Das, was momentan meine Geschichten begünstigt, begrenzt meine Weitsicht, wenn es um persönliche Dinge geht. Es kommt eben nichts ohne Preis.

Nymphentag 51

Gestern und heute intensiv an der Sandsteinburg, die jetzt voraussichtlich 532MS ergeben wird, für ein "absolutes Buch" ist das passabel. Ich tröste mich bei der schweren Arbeit damit, daß dies ein einzigartiges Buch bleiben wird, denn ich werde das weder wiederholen können, noch wollen. Das Problem, wenn man sich aus dem Kosmos aller existierenden Schreiberlinge herausschreibt, ist offenbar. Zusätzlich erschwert wird das durch die Tatsache eines sprachlosen - oder spracharmen -Landes, in dem ich nun einmal zugange bin. Und daß ich die Sprache der Geister beherrsche, was im Grunde zu erläutern wäre. Nicht als Medium bin ich zugange, nicht als jemand, der Zaubersprüchlein aufsagt, sondern als jemand, der in Zungen spricht. Meine Winkel sind alle ungesehen.

Die Geschwister Grimm in Kempten

"Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. DAS ist doch merkwürdig!" (Zitat von "Die-mit-dem-Dichter-spricht")

Das Allgäu ist übervoll mit Menschen, an denen der Nonsense der heutigen Zeit zwar nicht abprallt, aber hier und da dann doch für das genommen wird, was er ist: eine vorübergehende Erscheinung. Gerade in den Bergen und in den Randbezirken gibt es noch eine Menge Zauber.
"Ich würde Sie niemals als Hexe bezeichnen!"
"Ich mich aber schon!"

Naturheilkundige finden hier ihr Mekka. 1775 wurde die letzte Hexe in Kempten zum Tode verurteilt, aber nicht verbrannt. Sie starb eines natürlichen Todes. Vielleicht geht es Kempten deshalb so gut. Wer im schöpferischen Element tätig ist, der weiß, daß diese Kraft weiblich ist, auch wenn es Männer gibt, die das leugnen. Ich selbst wäre ohne die weibliche Urkraft seelisch wie körperlich bankrott. Deshalb die Große Mutter, deshalb Hexen. Aber mir geht es hier nicht um Elementarkräfte und deren Herkunft. Es ist ziemlich erstaunlich, daß sich Kräuterfrauen und solche, die sich selbst "Hexen" nennen nicht nur in den Allgäuer Dörfern finden, sondern mitten in der Mall, die gesichtslosen Konsum über ihre Jünger schüttet, die jeden Tag erneut anbranden, um dem Abfall der Industrie anheischig zu werden.

Der Weg, der unvermeidlich zu einem Ziel führt heißt: Offenbarung; und daß es nicht nötig ist, seine Schönheiten zu deklarieren, versteht sich von selbst. Nur jener, der im heimlichen Licht seine Warzen sehen läßt, seine Schuppen, seine Hexenhaare (die sich unter die Makellosigkeit mischen und die, trotz der Folterbank, auf der sie ausgerissen werden, mit Hohngelächter immer wieder kehren), kann eines Tages von sich behaupten: Ich wurde geliebt. (M. Perkampus / Die Laubfrau)


Bild: Albera Anders

Daß wir beide zufällig aussehen wie die Geschwister Grimm (nehmen wir einmal an, es wären keine Brüder gewesen), muß für viele Kemptener eine witzige Erscheinung gewesen sein. Zwar kann man nicht davon sprechen, daß wir etwas mit Schwefel veranstaltet hätten oder sonstwie mit der Welt ins Gericht gegangen, aber so eine geballte Ladung Kosmos sieht man auch nicht alle Tage. "Ich lese trotzdem ab und zu in der Bibel",sagte sie und kicherte dabei. "Im Johannesevangelium. Vor allem den Anfang finde ich interessant." Sie mustert mich aufmerksam, fragt dann: "Haben Sie's vor sich?" Ich nicke. Das hören wir Dichter gern: Im Anfang war das Wort. Die kleine Dame fand das merkwürdig. Ich nicht. Alles, was existiert, habe ich durch mein Wort geschaffen.

Kaskade (Bildsturm hypnotischer Interferenz)



Bildsturm hypnotischer Interferenz, aufgenommen und gemischt im Erdton-Studio, Maierhöfen. Mix: Fafnir Fiedler

24.08.17

Gegen Klärung und Reinheit

Das Bewußtsein um die Aspekte des Nächtlichen, Abseitigen und Unheimlichen reicht weit ins 18. und 19. Jahrhundert hinein und wurde in der Epoche der Romantik, man möchte fast sagen, geboren als eine antiaufklärerische und schwärmerische Suche. Soweit die Klischees. In Wahrheit formulierte diese literarische Bewegung aber keinen radikalen Bruch mit der Aufklärung, sondern bereicherte diese noch um den Zusatz produktiver Zweifel an einer vollständig rationalen-diskursiven Durchdringung der Welt.

Der Allwissenheitsanspruch der Aufklärung verwandelte sich in der Romantik in eine fragmentierte Realität gegenüber des sinnvollen Ganzen. Mit einer umfassenden Ästhetisierung der porös gewordenen Welt begegnet das romantische Ich der so entstandenen Kluft zwischen Wirklichkeit und Subjekt, das im Kunstwerk nicht zu einer bruchlosen Einheit zurückfindet, sondern in der Sehnsucht nach Einswerdung von den nicht rückgängig zu machenden Rissen im fragil gewordenen Gesellschaftsgefüge kündet. Die Ironie zwischen dem zugleich Ganzheits-Streben und der Erfahrung eines fortschreitenden Auseinanderfallens von Welt und Ich unterstreicht den Charakter einer Epoche, die den Übergang zur Moderne markiert. Dieser in sich gebrochene Blick auf das eigene Selbst und die als Entfremdung empfundene Realität generiert als Subtext des Romantischen eine Atmosphäre latenter Bedrohung und Abgründigkeit. Das Romantische verbindet sich mit dem Unheimlichen durch das Moment der Widersprüchlichkeit.

Sigmund Freud, dem wir den Aufsatz „Das Unheimliche“ verdanken, führt dazu aus:

„Heimlich ist ein Wort, das seiner Bedeutung nach einer Ambivalenz hin entwickelt, bis es endlich mit seinem Gegensatz unheimlich zusammenfällt.“ 

Freud hatte in seiner psychologische Ausdeutung E.T.A Hoffmanns „Der Sandmann“ Regression, Ich-Spaltung, Narzißmus und den Kastrationskomplex als Triebfedern für das Unheimliche ausgemacht und dieses dezidiert auf das Ästhetische bezogen. Selten wurde dieser Zusammenhang in der Kunst konsequenter diskutiert, und das, obwohl sich allein im 20. Jahrhundert eine Fülle von Beispielen einer solchen Lesart anbietet: Max Ernst, Salvadore Dali, Hans Bellmer, Edward Hopper bis hin zu Cindy Sherman, Jeff Wall oder Robert Gober, um nur einige wenige zu nennen. Die eindrucksvolle Traditionslinie des Abgründigen und Alptraumhaften zieht sich durch unser vermeintlich so aufgeklärtes und rationales Zeitalter wie ein roter Faden. Daß diese bislang eher marginalisiert wurde, liegt nicht zuletzt am Kunstbetrieb, welcher die Moderne gerne als einen Prozeß der Purifizierung begreift, an dessen Ende das autonome, rein selbstreferenzielle Kunstwerk steht. Erst mit dem Surrealismus geraten Strömungen in den Blick, die emotionale Affekte, Traumhaftes, Unbewußtes, Metaphorik und suggestive Narration zum Ausgangspunkt einer komplexen künstlerischen Strategie machen, die nicht auf Klärung und Reinheit, sondern auf Verwirrung und Widersprüchlichkeit zielt. Von besonderer Bedeutung ist dabei eine künstlerische Haltung, die ein somatisches Wahrnehmen gegenüber der intellektuellen Rezeption Raum gibt.

Dieser körperlich erfahrbare Raum, der Suggestion und Irritation verbindet, erfüllte sich in beispielhafter Weise in der vierten Pariser Surrealistenausstellung, die am 17. Februar 1938 in der Galerie Beaux Arts eröffnet wurde. Die Einladungskarte ist voller Hinweise auf phantastische Ereignisse und ungewöhnliche Orte. Das auf 22 Uhr eingeladene Publikum erlebte einen ebenso bizarren wie verführerischen Raum-Traum, der radikal mit allen bisherigen Prinzipien von Ausstellung brach, bereits eingestimmt durch das Versprechen auf Androiden, die während der Geisterstunde, aus falschem Fleisch und falschen Knochen zusammengesetzt, die Ausstellung besuchen würden. Empfangen von einem alten, efeuumrankten „Regentaxi“ und danach durch einen von künstlichen Mannequins flankierten Korridor geführt, gelangte man in den Hauptraum. Hier schwamm das Wunderbare sozusagen auf der Oberfläche des Humors, war der Raum verfremdet, in den der Besucher, ob er es wollte oder nicht, hineingezogen wurde: eine riesige gewölbte Grotte aus zwölfhundert aufgehängter Kohlesäcke; der sanft gewellte Boden war mit einem dicken Teppich welker Blätter bedeckt, und in einer Bodenfalte schimmerte ein Teich mit Seerosen und Schilf. Inmitten dieser unterirdischen Lichtung, einer Synthese der inneren und äußeren Welt, thronte auf einem kleinen Podest als Zeichen der Freundschaft ein Brasero, eines dieser eisernen Glutbecken vor den Terrassen der Pariser Cafés. Als synästhetisches Gesamtkunstwerk zielte diese Inszenierung darauf, das klassische Verhältnis von Betrachter und Kunstwerk aufzulösen und so gewissermaßen die Werke zu Akteuren zu machen, die, unterstützt durch eine von Man Ray verantwortete raffinierte Lichtregie, Eigenmächtigkeit gegenüber ihrer Betrachter entwickeln. Die Überzeugungskraft der Szenerie wurde am Eröffnungsabend noch durch den Einsatz von Taschenlampen gesteigert, mit denen sich die Besucher durch die Ausstellung tasteten.

Dorn Kischote

Du wirst mit deinen Mühlen besser beschienen, Kischote,
Wenn du dich von Mittag näherst.
Dann zeugen die Lupinen von deinen Taten
Und die Brunnen haben Heimweh.
Dann wird sich der Boden erheben
Und Berge auf den Gesang lauschen,
Der hinter einem einsamen Duschvorhang ertönt.
Auf einem geschnitzten Abfallhaufen landet deine Lanze, Kischote,
Wenn du dich von Abend näherst
Auf einem nur gemalten Gaul, die Rotoren,
Angetrieben von Mückenflug und Atemfluch,
Den Zehnt zermalmen, den Müller gleich mit,
Und seine Schurze hängt da noch
Wenn du dich von Morgen näherst,
Der Mill den Hintern zu versohlen, aufgetuntet
Mit Rost und Federhelm und reichlich Irrglaube.
Du wirst mit deinen Mühlen besser beschienen, Kischote,
Wenn du dich von Mittag näherst.

23.08.17

Nymphentag 49

Weil wir uns aus zwei Kammern speisen (wobei die andere nur durch einen öffentlichen 800m-Flur zu erreichen ist), mussten wir heute - ich nenne das einen Großputztag, justamente als ich die ersten Teile von "Mumpenzimmer" einsprechen wollte - gerade genannten einleiten, weil es um jeden Quadratzentimeter zwischen Büchern, Pflanzen und Heidschnucken geht. Da trabten wir erneut maultierisch bepackt gen Bergrunter (Albera verschwindet meist hinter den Utensilien, ich glaube, wir sehen aus wie mittelalterliche Narren.). Nüchtern betrachtet planen wir, unsere Dokumentation auszubauen, indem wir auch Gespräche mitschneiden.



Schmetterding

Die Cartoon-FotoGrafen wollen wir natürlich ebenfalls erweitern, aber auch dazu kamen wir heute nicht

Die Gilde der pechschwarzen Liebe, Part 4



Elflock / Hinter tagtrüber Sicht

Das Zementfaß der Hieroglyphenbeine

Die ganze Nacht polterte das Kettengespinst
Auf den ausgedehnten Treppenstufen, ging auf, flog
Mit Stufenberührung ab, harrte -
Ob sich etwas außer ihm bewegte - (Atem
Wie ein Unimogmotor bei Seilwinde in Betrieb) -
Und begann von vorne bei einer violetten Stunde.
Es wollte eine Ruhe nicht ohne sein Gesäß an einer Tafel,
Die ausgeschmückt zur winterlichen Zeit
Mit Kuchen um Kuchen aus der Küche schellte.
Da dies nicht infrage kam, besann es sich auf seine Nachttöpfe -
In der richtigen Reihenfolge aufgestellt
Ergaben sie die Skyline einer Blechstadt,
In der die Fassaden die einzigen Fluchten waren,
Die es sich entlangzuflanieren lohnte.
So einen schönen Glühbirnenaufgang am Abend,
Eingewickelte Bonbons in den Backentaschen,
Rotz am Ärmel, die Gemeinheiten einer Schlagzeile
In den vorgeblichen Schaufenstern einer Besserungsanstalt:
Herr Mutter erschlägt Frau Vater; da überkam den Flaneur
Der eigene Brechreiz von oben, der sich rotmeerisch spreizte,
Um die Ziehwägen zu locken und mit Brocken dann -
Die Geschichte ist ein Kreis - in den Schlampampel zu stoßen.
Die lautere Absicht zu leugnen hieße, alles zu leugnen.
Alles zu leugnen wiederum beträfe auch den eigenen Schlaf
Zwischen den Scharten ausgewählter Zinnen.

Rumor alle Jahre wieder

bundesfuckwahl

 Hier geht es um anerkennung
 Was ist das für eine wahl
Wenn ich wählen muss
 Warum wählen müssen
Anstatt wählen zu wollen
 Warum arbeiten müssen
Anstatt arbeiten zu wollen
 (für) etwas wofür es sich lohnt
 Warum sprechen wir nicht mehr von obrigkeit
Als ob es sie nicht mehr gäbe
 Warum sprechen wir nicht mehr über untertanen
Als ob es sie nicht mehr gäbe
 Warum nennen wir es recht und nicht gewalt
Was es eigentlich ist
 Jeder freie ist ein f9ind des staates
 Spongebob lebt die wahre anarchie vor
Weil er einfach gerne arbeitet
 So würde unser system nicht funktionieren
 Was muss geschehen
Damit wir gerne teil haben
 Ohne andere auszubeuten
Und ohne manipuliert zu werden
 Was ist da für ein unterschied zwischen eurem realismus und opportunismus
 Natürlich kann man in einem einzelnen ein bedürfnis wecken
 Natürlich kann man einzelne inhaftieren
 Man kann das auch mit vielen einzelnen tun
 Aber kontrollieren im großen kann keiner
Warum also weiter so tun
 Geben wir doch einfach zu dass die gesellschaft
Ein einziges großes experimentierfeld ist
 Und kümmern uns nicht weiter
So verbissen
Um die erhaltung des status quo
 Warum also
Nicht einmal utopie
 Einzelne wollen einzelnen helfen
 Die gesellschaft will der gesellschaft helfen
 Alles ist zwang
 Freiheit darf nicht sein
 Denn solange du nur das innere des käfigs siehst
Kannst du dir keine alternative denken
 Die limitierung des menschen
 Was heißt es denn
Etwas zu akzeptieren
 Heißt das keinen gedanken mehr daran zu verschwenden
Es als selbstverständlich hinzunehmen
 Das bewusstsein entscheidet

 (c) aes/rumor

22.08.17

Rumor: Poetik

eine etwas ältere poetik - immer noch gültig


 Brevitas: keine silbe zu viel aber auch keine zu wenig

 Rhythmus: prosa wie lyrik immer entlang der bassline

 Metapher: tropen nicht nur herum stehen lassen sondern in bewegung setzen - das literarische kommt zum eigenen sein 

 Wendung: worte wenden - ausloten wozu die worte noch gut sein können

 Performanz: in den text stürzen - ihn durch mich sprechen lassen

 Obskuranz: es muss nicht alles verständlich sein - das verständliche soll aus sich selbst verstanden werden


schwarzaufweißmagie

Phantastische elemente sollen kein zeichenhaftes werkzeug eines textwesentlichen literarischen willens sein. Literarizität soll, um der verflachung zu entgehen, mit phantastischen elementen amalgamieren zu einem hyperwesen, darin keine gerichtete absicht, sondern eine traum- und schicksalhafte folgerichtigkeit den takt der ereignisse schlagen  (c)meta4/rumor/venom&claw/...

Originalpost auf >schwarzweißliteratur<

Tschu Tschu

Vor einem Jahr

Kempten leuchtet heute wie von einer Zweitsonne beschienen. 1023 meter bis zum Bahnhof (wenn man den Ring anders kreuzt, kann man die Distanz sogar unter 1000 drücken). Im Biergarten daneben und davor starren mich die Leute an. Was ist denn jetzt schon wieder? Ich bin mit dem Rad da, Herrschaften, völlig unauffällig. Also, entweder stimmt mit mir wirklich etwas nicht oder ich werde meiner Paranoia nicht mehr Herr. Daß ich meinen Regenschirm, ich weiß nicht wo in einem Café, habe liegen lassen, könnte mir durchaus eine Aura des höchsten Kummers verpasst haben - es war ein englischer, ein Regenschirm nach alter Sitte, nicht nur, um den Regen abzuhalten - überhaupt nutze ich einen Schirm eher bei Sonne; er war ein Accessoire von unschätzbarem Wert. Wieder einmal bin ich nicht komplett, aber wann bin ich das schon? Nächsten Montag versuche ich mich wieder einmal mit der Eisenbahn, die Dame im Reisezentrum erklärt mir ganz Geduldig den ganzen Preis-Wust, ob ich umsteigen wolle? Nö, bin ich ja gerade, von der Zigarette zum Dampfer ... wenn ich mich also an Zug (Lokomotive?) und Uhrzeit (wäh?) binden kann, dann käme ich direkt ... gut, machen wir das. Sie fragt dann noch nach Platzreservierung und ich antworte, nur wenn es einen Schlafwagen gibt. Meine Witze sind dämlich, ich weiß, aber ich komme ja eh kaum zurecht da draußen. Nun, die Dame hat mir dennoch sehr geholfen, die meisten Leute verstehen schon gar nicht, was ich sage. Im Zigarettengeschäft (das für mich jetzt ein Dampfgeschäft ist) kann ich endlich mit zwei weißen Südafrikanern englisch sprechen; sie wollen etwas dampfen, das es bei ihnen nicht gibt, und haben ausgerechnet ein Fläschchen "Marihuana" in der Hand. Na, das gibt's bei euch aber schon! Sie wollen wissen, ob ich es schon probiert hätte und ob der Geschmack authentisch sei. Naja. Nehmt lieber Waldbeeren, Freunde; und das machen sie dann auch, sie nehmen Heidelbeere.

21.08.17

Nymphentag 47

Was wollte ich heute nicht alles Löcher in die Wand bohren. Was wollte ich heute nicht alles einkaufen, wegwerfen eh teh zeh, bis die Tür aufging und Albera zur Freude meiner Nerven hereinspaziert kam und ich einen ZehnstundenTextTag hinter mir fühlte. Ich konnte nichts anderes tun als zu sitzen und an der Sandsteinburg zu arbeiten, denn mein Gegripp hat sich wieder etwas erholt und führt wie Wallenstein eine gestaffelte Flanke.

Ich würde an dieser Stelle gerne behaupten, dass alle 84 Figuren erfunden sind, aber das entspräche nicht der Wahrheit, auch wenn ich mir sämtliche Freiheiten gestattet habe,was ihr Tun und Denken betrifft. Über ihre Motivation lässt sich kaum etwas sagen, und selbstverständlich sind sie literarisch verfremdet. Man müsste das nicht eigens erwähnen, aber es hält sich auch heute noch der Aberglaube, Literatur sei in manchen Fällen etwas anderes als ein Sprachkkunstwerk, in dem es nur einen einzigen Helden gibt: die Sprache selbst, möglichst in all ihren Formen. Tatsächlich wäre ich vollkommen ohne die Impressionen, die ich von den lebenden Vorbilder hatte, ausgekommen, um aber die Wahrnehmung zu konkretisieren, bietet es sich an, Figuren als eine Art Leiter einzusetzen. So habe ich es gemacht. Wer nicht am rechten Platz war, den habe ich erschaffen, manche Eindrücke habe ich auf verschiedene Figuren verteilt. So kann man leicht feststellen, dass Adam Pikid und Willi Kreutzmann Ähnlichkeiten aufweisen, auch wenn Adam eine völlig andere Perspektive einnimmt. Noch anmerken möchte ich, dass sich die Figuren und die Dinge nicht unterscheiden. Der Mensch ist nichts Besonderes und hebt sich weder von Granitgestein noch von Hühnern oder gar Fliegen ab. Die Gemeinsamkeit allen Seins ist das Sein. Und nur darum ging es mir.

Tobias Reckermann habe ich heute die Halloween-Lesung zusagen können, und wie er mir versicherte, gibt es dazu bald einen Flieger (dummdeutsch: Fleier).

Steve Earle - Meet Me in The Alleyway

Vor einem Jahr

Ich habe gestern in mir herumgestochert und herumgeforscht, aber nichts gefunden. Der Bahnhof, an den ich dachte, ist mir oft ein flüchtiges Thema, in meiner Erzählung Martraum (Sandsteinburg) sogar ein großes Symbol, das mir aber auch keine andere Wahl lässt. Mit einem Bahnhof beginnt die Geschichte, die sich nicht schließen lässt, mit einem Bahnhof beginnt die Geschichte in der Mitte.

Die Furcht, so lange schon gewesen zu sein, ein Gleichnis zu finden, ein Gleiches, ein Entsetzen dieser Ferne, die näher rückt, oder die Nähe, die hinaus führt, fragil über die Weichen schleicht, über donnerndes Eisen. Ein anderes Ankommen ist kein Ritual. Sarina Mira erinnerte mich gestern indirekt an das große Feuerwerk der Lärmenden Akademie vor zehn Jahren. Es ist kaum fasslich, aber vielleicht war mir gestern so greinerlich zu Mute, weil sich etwas längst Vergessenes gejährt hat. Ich vermute, dass ich mich vor zehn Jahren hier habe sitzen sehen, ein erbärmliches Schauspiel, und mein emotionaler Beinahezusammenbruch der von vor zehn Jahren war und nicht der gestrige. Ich hatte noch versucht, mich wieder etwas in den Griff zu bekommen, indem ich mir Milch (die aus war) und - natürlich - Haferflocken (wären wohl heute aus gegangen) besorgen ging. Das Forum (es ist ja eigentlich eine Mall hier um die Ecke) war voller Menschen, die Mädchen im Dirndl, die Burschen in allen möglichen Lederhosen (es ist ja auch noch Festwoche in Kempten), und ich, verwildert wie ein Zeitgenosse Dürers, torkelte durch die Hallen (ich finde in ganz Kempten kein gelbes Hemd, aber ich brauche unbedingt ein gelbes Hemd!). Irgendwas war mit meinen Augen nicht in Ordnung, meine Brille übertrug stellenweise nicht die richtigen Informationen. Im Markt dann gelang es mir kaum, auf den Beinen zu bleiben, nicht aus Schwäche, ganz und gar nicht, mein Kreislauf war nur etwas durcheinander. Wenn man mich sieht, will man ohnehin gleich den Sicherheitsdienst rufen, entspannt sich aber, wenn ich Milch und Haferflocken aufs Band lege. Gut.

Dann heute Steve Earle; eine völlig andere Atmosphäre als etwa der Train Song. Aber auch diese Wahl als Soundtrack zur Sandsteinburg ist nicht unbegründet.




I had a melancholy malady
 Went to see the doctor and the doctor say
 Too bad, nothin' he could do
 He knew a man in Louisiana if I’m willin' to pay
 Laid my money on the barrelhead

Man behind the bar began to shimmy and shake
 Can't lie, I reckoned I was dead
 When he picked my money up and I heard him say
 Meet me in the alleyway minute to midnight
 Don't be late, meet me in the alleyway
 Better come runnin' the spirits won't wait
 Thirteen tiger teeth in my talisman
 St. John the Conqueror and a black cat bone
 Been seen walkin' with the guardians
 Now I’m in the alley and I’m all alone
 Can't run, can't hide from destiny
 Knew this day was callin' nearly all of my life
 Been done ain't the only boy from Tennessee
 To carve his name in cypress with a jawbone knife

So you wanna be the king of America
 Say you wanna know the oracle's mind
 Say you wanna see the Marquesses of Mardi Gras
 dancin' with the devil at the end of the line

"Money on the Barrelhead" (in der ersten Zeile) bedeutet hier Barzahlung. Der Song strotzt vor Anspielungen auf den New Orleans-Kult, Mardi Gras (offiziell als Karneval gehandelt) und das teuflische Treiben. Und auch hier transportiert die musikalisch geschaffene Atmosphäre perfekt den Text. Earle lässt mir hier die Möglichkeit, eines meiner Lieblingsthemen zu verfolgen, das Faustische Prinzip.

20.08.17

Ohne Schrank(en)

Wir wissen jetzt verlässlich, wer hinein ging,
jetzt aber wissen wir auch, was DRIN ist.

Wer der Zeit will widerstehen ...

Wer der Zeit will widerstehen,
muss durch eine Schrankwand gehen ...

Albera Anders: Fotographie
Figur & Bearbeitung: Michael Perkampus

Bei Dichters

M: Liebholdeste, würde es dir etwas Unmögliches bedeuten, mir Hinweise darauf zu geben, wo ich meine Schtrumfhose hingetan habe? Du weißt, meine Nächte. Du weißt, meine Tage ...

A: War es nicht meine Bubenblaue, die du dir tagein tagaus, zum Memorieren von Weite, über deine Puttenbeine streiftest? An der du zogst und zupftest, bis sie dir wie ein zweites Schlangenhäutlein passte?

M: Es war doch eher die Violettisierte, die sich manchmal wie von selbst durch unsere Kemenate bewegt, als wären tausend Geister drin, die über den Rücken dann, nachdem sie das Ärschelein passiert, ins Stammhirn vordringen. Ja, ich bin mir sicher: diese war's!

A: Ach ... so war das! Du hast wieder zu tief in meine Schublade geschaut, dich vom Spuk der Stöffchen bezirzen lassen. Da siehst du's! Software is tight. Wahrscheinlich waren's deine Blutgeister. Die heilig sanguinischen, die dir durch die Kompression deiner Venen, beschleunigt ins Stammhirn schossen, um dort ihr Unwesen zu treiben. Denn ziehst du über deine Blaustrümpfigkeit eine Rote, ergibt das ein violettes Unterleibstreiben.

M: Schnuckel=Bunny, deine Weisheit treibt mir von dir hergeleitete Farbe ins Gesicht, das sich gar nicht aufhellen will, wenn ich weiterhin hier über den Fußboden schnorchle, weiterhin nicht weiß, wo ich noch suchen soll, denn alle Staubwinkel, Maikäferschubladen, Wurzelschränke habe ich schon durchforstet, aber außer viel Tinte nichts gefunden, das meine Nacktheit adäquat vor den Augen der Ungeheuerlichen verdeckt.

A: Soso, mein Puttchen! Du seelstrippst, schnorchelst durch den Lyrenteppich der Muse, die dich küsst, durchmisst bei Tag das Licht der Sonne im Raum, durchmisst das der Mondin bei Nacht, forderst von Panoptes deinen Pfauentanz zu erblicken. Du ergießt dich in diese und jene Ecke unserer Kemenate, bis du nicht mehr weißt, wohin du noch spritzsprießen sollst. Und wunderst dich, dass nun in unserem Gemach so viele Augäpfel schweben? Du kannst dir all meine Stöffchen, Gewänder und Kleider zu deinem Pelz werden lassen. Doch bleibst du den Ungeheuern, die du riefst, immer nackt. Los, trau dich und pfaue! Darin bist du mir bloß und liebend.

Kunsthaus ohne Künstler

Als ich weiland der Eröffnung des Künstlerhauses beiwohnte, floss der Schampus derart in Strömen, dass ich die Installationen im Oberstock nicht mehr von der Wirklichkeit unterscheiden konnte. Ich war der Meinung, die Gliedmaßen in Ketten, die begipsten Luftballons oder der 'gemartete Stuhl in
der Zelle 808' wären just das Ergebnis meiner Existenz. Es waren dies Zeiten des Aufbruchs, ich als Dichter freilich ein phonetischer Freigeist, der vielleicht noch zu den Musikern passte. Bildende Künstler stolperten über meine sagenhafte Zunge, die bereits nass genug war, um selbst nicht über die Mörtelanlagen zu fallen. Das Gehäuse befindet sich - wie passend - in der Beethovenstraße und blickt auf eine 140jährige Geschichte zurück, Stadtvilla und Villenäußeres, war leider auch mal Sitz einer Verbrecherbande, sprich: einer Bank. Aber diesen Schmutz vergessen wir schnell, das ist mit 1929 lange her. 2003 lud mich besagte Eröffnung mit dem Thema "Abbruchkunst im Abbruchhaus" hierher ein. Seitdem hat sich viel verändert, der geplante Abbruch erfolgte nicht, mit Kunst und Kempten ist das so eine Sache, aber ich bin da kein guter Maßstab. Immerhin trägt man Hut und spielt Schach. Auf den sofanen Sofas sitzt sich's wie der Schah von Persien und das Essen strotzt vor geheimen Zutaten.


Das ist kein schlechter Satz, um einen Burger anzupreisen. Wir sitzen am Tisch, der reserviert ist für
die Waschbärenfreunde Kempten Ost e.V.. Aber die kommen erst um 19 Uhr durch die Tür, vielleicht haben sie sogar einen der munteren pelzigen Gesellen dabei, aber davon ist nicht auszugehen. Was aber feststeht: man spielt Schach, liebt das Wörtchen Gambit ... und trägt Hut.



Zumindest ich:


Warten auf Godot

19.08.17

Der Schrank in eine andere Welt

Ankunft: Heute
Verwendung: Zeit=Tor
Albera überschwamm den Styx und holte das Familienmitglied nach Hause

Schlangenbauchsprung

Heute in einer fremden Stadt. Dieser Gedanke begleitet mich bereits frühmorgens zum Sport. Aber es ist ein geruhsam vor sich hintröpfelnder Tag und es gehen sich keine zwei Kilometer im ungewohnten Becken aus. Vor allem, weil ich keine Lust dazu habe, mich über die Motivation hinaus zu schinden. Das ist sowieso ein Spiel, das man nur mit Bedacht treiben sollte.

Mittags wende ich der Welt auf dem Sofa meine verletzliche Vorderseite zu und besuche den erhebenden Ort zwischen den Träumen, an dem man überall zugleich sein kann. An dem sich die Wirklichkeiten treffen. Von wo ich auch Material für meine Geschichten mitbringe.

Nachmittags dann in einem unbekannten Café mit Begleitung. Meine Blicke schlängeln sich unwillig durch das graue Gegenlicht, begleitet vom einschläfernden Klingeln Dutzender Löffel, die gleichmäßig über Keramik kratzen. Dem Gespräch, das eigentlich an mich gerichtet ist, folge ich nur mit einem halben Ohr. Alles, was ich daraus mitnehme ist die Erzählung über jemanden, der auf eine Südseeinsel fuhr, um sich dort für teures Geld selber zu finden. „Nicht alle, die verloren sind, wandern.“, erwidere ich darauf. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Es schien in diesem Augenblick einfach nur passend.

So wunderschön schauerhaft. Der Stunden sind langsam und feucht und farblos. Das hinterlässt ein angenehm taubes Gefühl. Manchmal verlaufen wir uns unversehens im Ort und in der Zeit. Manchmal ist es pures Glück. Auch wenn wir die Reise eigentlich akribisch planten, sind wir unterwegs an einer Kreuzung willkürlich falsch abgebogen. Und ich spreche hier nicht vom Weg.

Ich habe mich beim Absprung vom Fünfmeterbrett am Morgen (mir war irgendwie danach, den neuen Turm zu erklimmen) zur Abwechslung entschieden, nicht Richtung Wasser zu fallen. Stattdessen landete ich wie auf Daunen, in einem der blassgrauen Wolkenberge. 

dahin

Straßenblick siebenter Stock
von Giebeln läuft Schnee
in die Regenrinnen
man schmeckt die Stille
dem letzten Nachtbus folgen
die Angst sitzt mir im Genick

Die Gilde der pechschwarzen Liebe, Part 3



Bei Pflasterlicht posierlich / Das erste meiner Rätsel

Nymphentag 45 & Vashti Bunyan / Train Song

Tatsächlich ist die Frühe ein Schauspiel eiter-entzündlicher Wolken, tiefliegender Bewässerung, die gestern begann und mit einem rasanten Trommelfeuer eisiger Kleinbrocken die Straße kurz in einen Bach verwandelte. Nichts gegenüber den überschwemmten Tälern, die es im Sommer in anderen Regionen gab, aber ich dachte kurz an meine Bücher im Keller. Der ist über der Waschküche jedoch höher gelegen, ungefährlich, so lange nicht das völlige Szenario einer Kapitalisten=(statt "Sint=")Flut ausbricht. Der Sommer, der dieses Jahr ekelhaft war, neigt sich dem Ende, das ist bereits anhand von Kleinigkeiten zu spüren. Kein Freund der klimatischen Massenunterhaltung bin ich. Wollte mir um 6 nur das Wasser abschlagen, da war Albera schon auf die Gleise konzentriert -gen Klondike in der Falz - Goldmeuble abzuholen. Blieb dann aber wach, nachdem ich gestern vor lauter Hitzemigräne nicht an die Sandsteinburg konnte. Nun, es wird spät in den letzten Wochen, spät wie jahrelang nicht (ich bin doch meist zwischen 8 und 9 gestartet; jetzt wird es öfter auch 10 oder 11 weil nachts 2 oder 3). Nachher aber Flohmarkt (und Paket vom DHL, der gestern wieder mal nur einen Zettel hinterließ ... ich brauche dem Post=Diener wohl zu lange, bis ich aus meiner Kemenate heruntergestiegen komme).

Zum Sandsteinburg-Soundtrack:

Die Kraft einer an sich einfachen Aussage, die ihre Wucht durch die Repetitio bekommt, wie sie ja in solchen Beispielen nicht gerade selten ist. Der Text aber wäre banal, wenn ihn nicht dieser ferne Gesang zu einem atmosphärischen Ungeheuer machen würde, ihm einen emotionalen Schub verpassen würde. Der Vortrag gibt perfekt das wieder, was der Text bedeutet, und zwar in seiner nackten Vollendung.


Travelling north, travelling north to find you
Train wheels beating, the wind in my eyes
Don't even know what I'll say when I find you
Call out your name, love, don't be surprised

It's so many miles and so long since I've met you
Don't even know what I'll find when I get to you
But suddenly now, I know where I belong
It's many hundred miles and it won't be long

Nothing at all in my head, to say to you
Only the beat of the train I'm on
Nothing I've learned all my life on my way to you
One day our love it's over and gone

It's so many miles and so long since I've met you
Don't even know what I'll find when I get to you
But suddenly now, I know where I belong
It's many hundred miles and it won't be long

18.08.17

Im dunklen Trüb

Früher eine Schänke, Quellen aus Mondlicht, ein Splitter der Ver­gangenheit. Hier wurde weder Licht noch die Luft selbst gelüftet, die Gäste sprachen Double Dutch, flüsterten laut, hatten sich nichts zu sagen und sagten sich nichts zum tausendsten Mal. Das Strand­gut eines Sommerplatzes: den Elenden gab man gastfrei. Sie stand in der Ecke und sah mich früher als ich sie, stand in meinem Rücken, die­ser weiten Fläche, ein Fächer für Blicke, weder die Kleidung, die man trägt, noch die Haut widersteht dem Stechen eines in Gedanken arrangierten Blickes. Sie stand da und stand verborgen, karge Mauern hüllten sie ein, Gedanken ohne Gestalt, ohne ein Wort, ein Bild. In der Mitte flackerte ein entsetzlich fun­zeliges Licht, das sich für eine Sonne hielt. Im Keller siechte das Wasser eines Brun­nens, darin keimte die Erinnerung wie in einem Aquarium Escheri­cha Coli, geisterhaft tauchte aus der Tiefe all das empor, was man längst kannte: sich selbst zu fassen bekam man sich nicht.

Ascension & Co

Vor einem Jahr

Eigentlich müsste man ja mal Klartext reden, so geht es doch nicht weiter, oder komme ich etwa zurecht, komme ich etwa zurecht, kann ich mir vielleicht endlich eine Antwort geben? Ich weiß nicht, die Pflanzen haben Durst, Eric Dolphy, Lee Morgan, Horace Silver, Oliver Nelson und wieder und wieder Trane, der Train, der Tschu Tschu der spirituellen Ekstase, Ex-Tasse. Gestern zum ersten Mal sein Ascension gehört, das hat mir ordentlich den Helm verdreht, und weil der Helm gut und gerne völlig rotieren darf, Crescent und Meditations hinterher, so dass ich beim Götterwerk A Love Supreme fast schon wieder runterkomme. Das ist schon der absolute Irrwitz, Herrschaften. Man möchte fast wieder rauchen und einen Liter Wodka trinken, aber das verträgt sich nicht mit den scheiß Haferflocken, die ich tagein, tagaus fresse. Ich muss schon fast kotzen, wenn ich etwas anderes rieche, außer Waschpulver, Waschpulver geht. Fuentes' Hautwechsel ist endlich da, schiebe ich zwischen die Wiederlektüre des Der obszöne Vogel der Nacht ("des Der", das ist doch ungeheurlich!) und darf nicht vergessen, an meiner eigenen Nacht weiterzumachen. Und das wunderbare Cover von Bill Evans & Jim Hall vom Album Undercurrent:


Viel ruhiger quasi als diese Arschlochstraße, in der ich lebe, aber gibt es in Städten überhaupt irgendwo keine Arschlochstraßen, Lärmidioten,  die mir auf die Nerven gehen mit ihren bekloppten Blechkarren. Das gälte es zu fliehen. Nur wohin fliehen? Wo bliebe ich verschont von diesem Ekel, der mich überall umgibt? Wenn ich jetzt stürbe, wer würde meine Leiche auf den Müll werfen? Zu all den Blechdosen und Plastikwindeln, Astronomy von Blue Öyster Cult als Begleitmusik, mein Göttinner, bin ich drauf, ich komme selbst fast auf den Gedanken, ich hätte was Schlechtes im Sprudel gehabt. Schlaftablette und raus aus dem Tag.

17.08.17

Unübersehn

O Umzug. O nein. (Es musste so kommen.)

So kam es. Und nun ist es soweit. Weiß ich doch seit Wochen. Mit der Tschu Tschu geht's in die Pfalz. Mit nem großen grünen Stegosaurier zurück. Den Stego vermute ich mal, da ich nur die 'kleinen' Busse kenne, von dem, der ihn mir zur Verfügung stellt und wohl auch fährt. Obwohl ich das auch machen würde. Ich fahre ja hin und wieder der Arbeit wegen einen Bus. Hey Busfahrerin! Aber eben einen 'kleinen', der maximal 10-15 Personen fasst. Das wollte ich mal zu meinem Beruf machen. Ist noch gar nicht so lange her, da stand das zur Debatte.

Hab' uns heute auf dem Viehmarkt nen 2-kg-Sack Zwetschgen gekauft. Zum Frühstück gab's Debreziner mit Kaisersemmeln und Senf. Die Zwetschgen brauchen noch, sind noch recht fest und sauer. Bis sie zart und süß sind, bin ich wieder da. Mit Fahrrad. Um in irgendeiner Weise wieder mobil zu sein. Das Fahrrad, mit dem ich, bevor ich zu dir kam, die letzten Tage zu meiner alten Arbeitsstelle geradelt bin, vorbei an Felder, Felder und noch mehr Felder. Du hast mich zu dir geholt. Bist Tschu Tschu gefahrn. Kamst an auf Gleis 2. Mich am Ohr.

Wir übernachteten im Mannheimer Maritim-Hotel, in dessen Korridore wir uns immer wieder verliefen, das uns stark an das Overlook-Hotel erinnerte. Es schien auch genauso leer, wir beide waren um kurz vor Mitternacht die einzigen, die noch die Bar aufsuchten. Es war uns ein Haus mit einem ganz eigenem Willen, das einen vergessen macht, in welcher Stadt man ist, zu welcher Jahreszeit, zu welcher Zeit überhaupt. Solche Häuser wirken auf mich wie Uterushäuser. Die Welt herum versinkt ins Dunkel, ist nicht mehr existent, wandelt man durch solche Gänge, schläft und isst in ihnen. Abnabelung durch eine totale In-sich-Aufnahme. Wir spürten, dass wir absorbiert wurden. Waren wie in einer dickwandig ausgekleideten Blase, die die Welt nur als ein Innen kennt. Keine Sinne der Gewohnheit. Es war mir als ob ich ständig meinen eigenen Puls schlagen hörte. Meine Ohren waren wie nach innen gestülpt. Die Farben teilten sich in einer ganz anderen somatischen Sprache mit. Die Klänge hatten etwas Gedämpftes. Ähnlich: sich in eine Badewanne zu legen und die Ohren unter Wasser zu halten. Noch immer hört man etwas, aber es scheint ein Klang, eine Akkustik einer anderen Welt zu sein. Und wie Wasser mir hierfür ein Medium ist, war es auch dieses Haus, das wir beide vielleicht irgendwann in der Zukunft noch einmal besuchen werden. Doch dann mit einer Kamera.

Hinter den Aufbauten der Welt

Das Leben eines Geschichtenerzählers ist voller Eingänge, Durchgänge, Abgänge, geschlossener Türen und offener. Fenster, durch die man einsteigen kann, wenn man sich nur ein Herz nimmt. Manchmal auch Schaufensterfronten, auf denen fingerdick der Dreck von Jahren klebt. Dahinter stieren, zerlegt und durcheinandergeworfen, Kleiderpuppen mit leeren Gesichtern, auf denen schon vor langer Zeit die Beschichtung gerissen und abgebröckelt ist, direkt durch einen durch. Sie waren einmal weiß, aber mittlerweile hat die Sonne sie gilb gemacht.

Es ist eine Passage, die man nur durchqueren kann, wenn man den verborgenen Zugang kennt. Oder durch Zufall entdeckt. Direkt neben der lebendigen Touristenhauptschlagader einer blühenden Weltstadt.  Wenn einem das Ambiente gefällt, kann man sich zu den ausrangierten Plastikkörpern in der Auslage gesellen und leer auf die Straße starren. So tun, als gehörte man dazu. Zu allem.

Das tausendstimmige Murmeln von draußen schwirrt durch die Stille dieses abgelegten Orts. Es kann etwas Befreiendes haben, ganz nahe an der Welt zu sein, und trotzdem unbemerkt. Man kann die Umgebung völlig ungeniert beobachten. Dabei den sommertäglich flirrenden Staub tief in den Brustkorb inhalieren und sich bewusst darüber sein, dass es die Reminiszenzen längst vergessener Tage sind, was einem da in der Lunge kratzt. Kleingerieben von unaufhaltsamen Äonen. Das anschließende Husten befreit. Macht den Moment nur umso wertvoller.

An Tagen wie diesen, auf Stimmungsjagd, beim Pflücken von Hintergründen für seine Geschichten, beim Fremdsein in Geborgenheit, weiß man, was man daran hat, ein Mitteiler sein zu dürfen. Man wandert auf leisen Sohlen durch die Aufbauten und Verstrebungen hinter den Alltagskulissen und sucht sich geeignete Gucklöcher, um die Dinge aus ungewohnten Perspektiven wahrnehmen zu können. Man trägt den farbenprächtigen Strauß an Eindrucksblumen, den man sich in liebevoller Kleinarbeit zusammensucht, stets mit sich herum, um ihn bei jedem gegebenen Anlass hervorzuholen und stolz der Welt zu präsentierten.

Nun gut, vielleicht nicht der ganzen Welt. Halt jedem, der ihn sehen will. Aber immerhin.

Uglier Joyce


Joyce: Alle meine Babys, sagte sie. Den Löffelvoll Brei in den Mund, bevor sie die kleinen Würmer fütterte. Ah, das ist aber njmmnjmm. Hat sich die Hand gequetscht beim alten Tom Wall seinem Sohn. Seine erste Verbeugung vor dem Publikum. Einen Kopf hatte der, wie ein Preiskürbis. -- Ulysses
Perkampus: Trippel trappel Mäuse klackern in den Ecken (Josefine, die Sängerin) hinterm Spülstein, Katzen wetzen schlanke Messer (vom Fressen auf den Schlachtfeldern: die Speisekarte - das blu­tigste Blatt das wir schreiben) schneller Marmortopf; Filme vom Fressen: der Projektor malt stümpernde Kochweisen an die Kü­chenwand. -- Sandsteinburg

Bruno Schulz

Bruno Schulz drückt die Sache so aus:
Das Unwirkliche ist das, was man untereinander nicht teilen kann. Was auch immer aus dieser Gemeinsamkeit herausfällt, das fällt aus dem Kreis menschlicher Angelegenheiten, geht über die Grenzen des menschlichen Theaters, über die Grenzen der Literatur hinaus. 

Das Problem mit Bruno Schulz ist: jeder weiß, dass er ein Genie ist, jeder spricht über seinen enormen Einfluss, kommt es aber hart auf hart, bleiben diese Aussagen auf Banalitäten beschränkt, als wäre das Maß dichterischer Größe abhängig von einer Gemeinschaft populärer Entscheidungen. Auf der anderen Seite ist das auch nicht sonderlich überraschend.

Schulz überfällt den Leser von der ersten Seite an und erlaubt ihm nicht, ein einziges Mal innezuhalten, erlaubt ihm nicht, seine Gedanken zu sammeln. Seine Niederträchtigkeit liegt in der Tatsache, dass er jeder Übersetzung widersteht, uns aber dazu ermutigt, zu imitieren, zu paraphrasieren und zu fälschen. Es ist einfacher in Schulz‘ Sprache zu sprechen als über Schulz zu sprechen. Lesen wir einen einzelnen Absatz, wissen wir sofort, das ist Schulz, obwohl wir nicht wissen, was wir über den gelesenen Absatz sonst noch sagen könnten.

Bruno Schulz ist ein Magier, der mit der Exaktheit einer Traumsprache hantiert, ein geistiger Bruder Kafkas, mit dem er überraschende Lebensmomente teilt. Kafkas Texte sind Bleikristalle, während Schulz eine lyrische Phantastik schreibt, die dem Surrealismus und dem Expressionismus noch näher kommt. Die Vernichtung des Individuums aufgrund der Gleichschaltung durch die Massenindustrie sah er voraus. Ein Entkommen durch den Traum ist, wie wir heute wissen, unmöglich. Aber es gibt eine Schönheit des Zerfalls, die tröstlich ist. Scheitern, Vergeblichkeit – sind schließlich die Dinge, die wir haben.

Bruno Schulz wurde in Drohobycz, das heute in der Ukraine liegt, in eine jüdische Familie hineingeboren. Die Gegend war damals Teil des österreichischen Kaiserreichs. Sein Vater besaß ein Stoff- und Kleidergeschäft, überließ die Leitung aber seiner Frau, weil es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten stand.

Schulz studierte Architektur an der Universität Lemberg und Bildende Kunst in Wien, spezialisiert auf Lithohraphie und Zeichnung. Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt arbeitete er von 1924 bis 1939 als Kunstlehrer in der lokalen Turnhalle. Einer seiner Schüler erinnerte sich später daran, dass Schulz eine sehr merkwürdige Erscheinung besaß und man hinter seinem Rücken über ihn lachte. Er trug stets eine Flanell-Jacke und einen Schal um den Hals. Nachdem sein Freund Wladyslaw Riff an Tuberkulose starb, hörte er über Jahre hinaus auf, Prosa zu schreiben. Als die Kammer von Riff desinfiziert wurde, verbrannte man auch gleich alle Manuskripte und Briefe von Schulz, die dort gelagert waren.

Schulz startete seine literarische Karriere erst in den 1930ern. Seine Rezensionen erschienen in der Literaturzeitschrift „Wiadomosci Literackie“ und er korrespondierte mit den polnischen Avantgardisten Witold Gombrowicz und Stanislaw Ignacy Witkiewicz, begab sich aber nie in literarische Kreise. Mitte der 30er verbrachte er Zeit in Warschau und Paris, stand in regem Kontakt mit der Dichterin Deboah Vogel und anderen Frauen, heiratete aber nie. 1939 erhielt er den Goldenen Lorbeer der polnischen Akademie für Literatur. Als 1939 Deutschland Polen überfiel und der Rest des Landes von der Sowjetunion besetzt wurde, lebte Schulz im von der Roten Armee okkupierten Gebiet, bis die Nazis auch die UdSSR angriffen und der braune Fäzes Drohobycz besetzte.

1942 wurde Schulz auf offener Straße von den Nazis erschossen.

Die Kurzgeschichtensammlung „Die Zimtläden“ (1934), gefolgt von „Das Sanatorium zur Sanduhr“ (1937) begründeten den Ruhm, den Schulz bis heute weltweit genießt.

In seinen Geschichten entwirft Schulz eine mystische Kindheit, gepaart mit autobiographischen und fantastischen Elementen. Das Artifizielle dieser Prosa ist außerordentlich und spielt mit dem Ungesagten. Eine herkömmliche Entwicklung von Handlung und dergleichen gibt es nicht. Die Welt des Bruno Schulz folgt ihrer eigenen Logik, die Metamorphose ist ihr großes Thema.

16.08.17

Erstes surreales Märchen (als Dialog)

M: Würdest du von goldnem Mottenstaub mich umringt wissen - wie wäre dann dein Vorschlag, unter rettende Trauben zu eilen? Oh, und start müsste es außerdem sein.

A: Du würdest nicht wissen, wie dir geschieht! Es wär' dir, als bekämst du die Motten.

M: Die mir, wie gehabt, unter den Biberpelz fahren, um die Kissen zu kitzeln, die ich einst unter meiner Haut versteckte? Aber kannst du mir nichts Bessres raten, als tatenlos die Falle zuschnappen zu lassen?

A: Nein, von solchen Motten kann die Rede nicht sein! Ich sag dir, wenn ich's täte, du schnapptest nach mir, schnapptest mit den Händen hier und dort, schnapptest als wolltest du sie, die Motten, fangen, die dich streifen mit wimpernem Aug', hie und da, hie und da dich kitzeln, denn du sähest mich nicht. Doch ich nähme von dir das goldene Puder und knetete draus dir zwei Schuh, die dich windgeschwind ins Tal der Zwölfmittagsuhr bringen, zu den Wölflingswiesen und Käfermarien. Dort, wo der Schleierbaum steht. Denn nur unter diesem kann ich dir erscheinen.

M: Dann ist Windeseile geboten, das Mopezoid aus dem Kerker zu holen und mit ihm - fusch - hinweg gerast, durchs Tal der drei Glocken (wo man einst eine Jungfrau hat Jungfrau sein lassen, bis sie dann als Jungfer starb), über die Hügel der glorreichen Witzschänke (die heute keinen Wirt mehr findet, des maroden Kellers wegen), und hin zum Schleierbaum, den ich mit dir zusammen doch in meiner Kindheit ersann (als ich noch nicht der Körper war, sondern nur ein Raunen unter Liebesfenstern.). Du wartest, ja?

A: Ja hört's denn nicht zu?! Was will es faul die Räder mühen, der Stadt eine Küss-meinen-Staub-Wolke zu hinterlassen. Nein, der Staub muss zu Teig, der Teig zu deinen Schuhen werden, die dich zu mir bringen. Von meiner Hand zu deinen Füßen. Denn ohne das, bleibt Staub nur immer Staub. Und sei er noch so golden. Es vermengt sich nichts.

M: Aber ich hatte doch nur geschwinde Winde im Sinn. Da muss ich gleich gestehen, wie mir die Sockpocken erst jüngst kuriert wurden, so dass ich vielleicht ignoriert habe, was da Gutes unter mich zu bringen sei. Aber ich will es noch einmal versuchen: trompete die Füße an und bewedel' sie dann mit Eukalyptuslikör. Und dann eile ich. Per pedes, versteht sich, so nämlich, wie mir geheißen! Ja.

Nacht und Hegemon

das letzte Licht geht aus
die Stadt entkleidet sich
trägt nur den Staub der dürren Tage
Nylon reibt an Stein ein Stöhnen
blinde Fenster blinzeln
irritiert
Hitze hält die dunklen Kreaturen
in den finstren Ecken
isoliert

(2009)

Nymphentag 42

Noch habe ich den Katarrh und bin im Verzug mit den Sandsteinburg-Lesungen, das Manusprickt bearbeite ich jedoch ausgiebig. Der Beiname "Possenspiel" ist jetzt das offizielle Element dieser multiplen Dampframme. Ich muss gestehen, dass ich die Sandsteinburg nie fertig zu machen beabsichtigt hätte, wenn nicht Albera seit einem Jahr die Weichen stellte. Oft hatte ich den Text in seine nahezu 1000 Einzelteile zerlegt, selbst überzeugt von der Unmöglichkeit dieses "absoluten Buches", manchmal ertappte ich mich dabei, dass ich an einen idealen Leser dachte, überhaut an Leser, was ich mir jedoch erfolgreich wieder austreiben konnte. Es geht um Kunst und nicht um Leser. Zwei Begriffe also, die sich beißen. Man darf nicht feige sein, wenn man sein Leben ausschließlich der Literatur widmet, wenn man selbst ein Kunstwerk ist und man jegliche Grenzen schon vor Jahrzehnten überschritten hat. Aber es ist die Eger mein Rubikon. Und es ist die Sandsteinburg meine Nemesis.

Vor uns der Kickertisch

hinten im Eck beim Kickertisch –

1 Spiel in der Spiel=Lunke, rotierende Stangen mit ›Manneken Pis‹ hinter dem Kachelofen, Geruch nach friedlich ausgelaufenem Bier, schlecht weggelappt, das Licht im Spiegel oder im Fensterglas humpelt, die Wirtin Erna uns zu Diensten, stapft uns Geld zu wechseln, humpelt uns Flasche um Flasche in den Nebenraum (Schaumbart x Schaumbart : laut juveniles Gedorf); pengt der Ball an die Kant Kantaten Kanten. Jetzt tickt die Tür, geht auf und es läuten alle Korken, jetzt sitzen wir bey Tisch, jetzt jetzt und sprechen : nichts Gehörtes. Im Erdenwall dort nebenan, dem Graben, den wir schufen (Nacht für Nacht) mit Spaten Schaufeln Kufen. Erdschlitten & der Ostermann (fanden die Leiche einer Kickermaschine neben 1 leeren Haus, neben puzzelierten Scheiben). Sekunden triefen von den Bäumen, aber wo sie auf die Erde fallen –

1 trübes Bild : Stangen & Federn, 1 zugehäuftes Äschchen, 1 Münz­ monument, zwölf Bälle (für jeden Mond) : Halb=Ball, Voll=Ball, Neu=Ball, gingen wieder rein, verplemperten die Zeit der Wirtin im Keller, die 1 Fass zapft, wir in der Stube Fußzapfen sammelten, Fußzapfen vorzeigten und aus der Flasche tranken, auf gespannt die Gesichter an den Scheiben, die wir mieden / rieben (die es in den Träumen trieben mit Spucke als Ersatz), festgepint am Schaukelpferdchen, hübsch und vor=zurück verschwammen. Mal Mond mal nicht mal Mond mal Licht mal völlig ist die Dunkelheit. Wirtin piepst aus einem Wangenloch, schlägt den Schaum mit einem Schläger westwärts wo schon Kacheln quadern, Netz um Netz sich dadurch spinnt, dass sie nie trifft den Siphon. Eines Tages war der Kickertisch verschwunden–