Cari vicini
Giorgio Orelli
Letzten November ist der Tessiner Dichter Giorgio Orelli im Alter von 92 Jahren verstorben. Er gehörte zu den grossen Stimmen der italienischen Lyrik, auch als Literaturkritiker und Übersetzer (u.a. von Goethe) war er ein Meister. «Bücher macht man mit dem Leben», sagte Orelli einmal in einem Interview. Seine Gedichte kamen mitten aus diesem Leben, sie nahmen es ernst und waren dennoch nicht zu schwer: «von Heiligen / beobachtet, die zuoberst / auf den Kirchtürmen einen Fuss / heben, als wollten sie losfliegen.»
Dass Giorgio Orelli auch Erzählungen schrieb, war nur wenigen bekannt. 1960 hatte er in dem Erzählband «Un giorno della vita» die ab den späten 1940er Jahren erschienenen Prosastücke gesammelt. Mehr als 50 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung erscheint jetzt dieser Band in einer zweisprachigen Ausgabe im Limmat Verlag.
Giorgio Orellis Prosa zeichnet vieles aus, was auch seine Poesie so bestechend macht. Kleine Szenen des Alltags leuchten in sinnlicher Sprache und gleichnishafter Tiefe, eine freundliche Ironie taucht sie in ein humanes Licht. Diese Erzählungen, die bis heute nichts von ihrer Frische verloren haben, spielen im dörflich-ländlichen Tessin und im Italien der Fünfzigerjahre. Meist sind junge Männer unterwegs, mit dem Auto, dem Fahrrad, zu Fuss. Sie sitzen am Fluss, gehen durch Quartiere, baden im See. Alte Frauen finden, sie sollten heiraten, und wissen manchmal bereits, wen. Sie aber fliehen mit ihrer Liebsten vor den Augen hinter den Fenstern.
Bei der Buchpräsentation heute im Literaturhaus Zürich lesen Freunde und Weggefährten von Giorgo Orelli – Julia Dengg, Anna Felder, Franz Hohler, Antonella Pilotto, Fabio Pusterla und Anna Ruchat – ausgewählte Gedichte und Erzählungen. Durch den Abend führt Pietro De Marchi. Auf Italienisch und Deutsch.
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