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Carolin Callies
wackersteine im wams (aufbewahrungsverhältnisse)
das tieferreingraben & das härterrauswachsen: der leib war ein brett & ist plötzlich ein wams & ich nähe mir drahtkörbe ein oder schubladen: ist das dein gefäß für den letzten rest froschlaich, den du hast auftreiben können? was ich dich in tüten trüge (als trüge ich kastanien), ist als arbeit anzusehen. ich trag ab jetzt pferdewagen im bauch & bin ein behältnis & füll mich mit steinen & schäle die rinden & wühle in mägen anderer rum.
Michael Braun Der Körper des modernen Menschen ist ein Schlachtfeld. Wir modellieren und optimieren den Leib nach Belieben, unterziehen ihn unterschiedlichsten Verfahren der Tätowierung, der kosmetischen Operation oder Transplantation oder gar der geschlechtlichen Transformation. Die Dichterin Carolin Callies zeigt uns in ihrem Debütbuch „fünf sinne & nur ein besteckkasten“ den Körper als fremdes Objekt, das sich in unablässiger Verwandlung befindet und manipuliert wird. „der körper ist ein geschichtenband“, heißt das allererste Gedicht des Buches – und in den folgenden Gedichten schaut das lyrische Subjekt meist auf eine versehrte Körperlichkeit, auf den malträtierten Leib. Und wenn dann die Geschichten vom Körper erzählt werden, dann sind es oft unerfreuliche Geschichten. Denn der Körper erscheint nicht in schöner Proportion, in Ganzheit oder Harmonie, sondern im Stadium des Zerfalls. Im ersten Teil ihres Buches dominieren die sarkastischen Beschreibungen somatischen Unheils. Die werden in einem burlesken Ton vorgetragen, so dass die Bilder beschädigter Leiblichkeit nicht als finsteres Endspiel, sondern als groteske Komödie daherkommen. Viele Gedichte oszillieren zwischen harter Desillusionierungs-Poesie und frivoler Leichtigkeit und leisten sich die kalauernde Verabschiedung erotischer Illusionen. Die Bilder nicht nur von romantischer Liebe, sondern auch von körperlicher Unversehrtheit werden lässig weggewischt; was bleibt, sind Verunsicherungen. Callies´ Gedichte auf ein ästhetisches Schockprinzip festlegen zu wollen, wäre jedoch verfehlt. Die motivisch weniger spektakulären Texte des Bandes greifen die alten Themen, Motive und Stillagen der Poesie auf. An versteckten Stellen kommt auch eine religiöse Dimension ins Spiel – nämlich der grausam traktierte, mit Nägeln malträtierte Leib des Gekreuzigten. Eine Reihe von Gedichten integriert und verwandelt einschlägige Märchen-Motive. „wackersteine im wams“ erscheint in diesem Zusammenhang als eine verstörende Körpergeschichte, in der Phantasien der Inkorporation durchgespielt werden. Die unerhörten Begebenheiten und Teile des vokabulären Materials („wackersteine“, „wams“) referieren auf Grimms Märchen vom „Wolf und die sieben jungen Geißlein“. Im Märchen ist es die Geißenmutter, die dem bösen Wolf, der sechs Geißlein verschlungen hat, mit Nähzeug den Bauch öffnet und den Geißlein damit das Leben rettet. Daraufhin werden Steine in den Bauch des Wolfs eingenäht. Diese schlichte Dichotomie von Gut und Böse wird von Carolin Callies aufgehoben. Denn in ihrem Gedicht ist es das Subjekt selbst, das mit großer Entschlossenheit den Leib in ein „behältnis“ verwandelt und dem Körper Phantasien der Einverleibung und Deformation widmet. All diese Prozesse der Inkorporation können auch als verspiegelte Reflexionen auf schmerzhafte Geburtsvorgänge gelesen werden. Der „froschlaich“, der ein bestimmtes Stadium der Metamorphose durchläuft, und die drastischen Zeichen der Verhärtung und Strapazierung des Bauches, verweisen auf elementare Transformationen, die sich im Körper des Subjekts vollziehen. Am Ende erlangt das Ich, das zuvor der Schauplatz schmerzhafter Körperprozesse war, wieder die Herrschaft über das eigene Handeln. Und es folgt die trotzige Ankündigung, nun selbst „in mägen anderer herumzuwühlen“. Eine aggressiver Befreiungsakt – der das fortgesetzte Traktieren des Körpers mit einschließt. Das dezidierte Interesse an „aufbewahrungsverhältnissen“ und am Sortieren von Gegenständen in „schachteln“ und anderen „behältnissen“ ist auch in anderen Gedichten von Callies zu beobachten. Das ist auch ein Resultat ihrer literaturwissenschaftlichen Studien zu Fragen des Sortierens und Verwahrens von Dingen. Diese burleske, mit Obszönitäten kokettierende Poesie – sie torpediert unsere Hoffnungen auf körperliche Unversehrtheit. Carolin Callies, geboren 1980 in Mannheim, durchlief eine Ausbildung zur Verlagsbuchhändlerin beim Suhrkamp Verlag und studierte anschließend Germanistik und Medienwissenschaften in Mannheim. Sie arbeitet als Literaturveranstalterin und als Lesungsorganisatorin beim Verlag Schöffling & Co. Das Gedicht ist ihrem Debüt „fünf sinne & nur ein besteckkasten“ (Schöffling & Co, 2015) entnommen. Druckansicht
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