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Wilhelm Lehmann
Auf sommerlichem Friedhof (1944)
In memoriam Oskar Loerke Der Fliegenschnäpper steinauf, steinab. Der Rosenduft begräbt dein Grab. Es könnte nirgend stiller sein. Der darin liegt, erschein, erschein! Der Eisenhut blitzt blaues Licht. Komm, wisch den Schweiß mir vom Gesicht. Der Tag ist süß und ladet ein, Noch einmal säßen wir zu zwein. Sirene heult, Geschützmaul bellt. Sie morden sich: es ist die Welt. Komm nicht! Komm nicht! Laß mich allein, Der Erdentag lädt nicht mehr ein. Ins Qualenlose flohest du, O Grab, halt deine Tür fest zu!
Michael Buselmeier Die sich fortschrittlich wähnenden Intellektuellen der 60er Jahre sind mit Wilhelm Lehmann, Oskar Loerke, Elisabeth Langgässer und anderen „Naturmystikern“ nicht eben zart umgegangen. Man warf ihnen, sehr von oben herab, „falsches Bewusstsein“ vor. Sie hätten auf die Katastrophe des Dritten Reichs nicht „angemessen“ reagiert, vielmehr – so Peter Hamm im Nachwort seiner Anthologie Aussichten (1966) – Trost „beim Zeitlosen, bei Baum und Wolke, Fluss und Fels“, bei „Nieswurz und Beifuß“ gesucht. Heute wissen manche der einstigen Kritiker die besondere Qualität der Arbeiten des von Gottfried Benn als „Nüssebewisperer“ geschmähten Wilhelm Lehmann zu schätzen. Andererseits ist es mehr als 40 Jahre nach seinem Tod (1968) um Lehmann still geworden, stiller als um seine Antipoden Benn und Brecht. Schon seiner Naturkenntnisse wegen verdient er dauerhafte Bewunderung. Sein Bukolisches Tagebuch (1949) etwa stellt uns die heimische Landschaft (Heide, Sand, das Meer und das Dorf) unmittelbar vor Augen. Fast sein ganzes Berufsleben über war Lehmann als Studienrat für neuere Sprachen an der Schleswig-Holsteinischen Ostseeküste tätig. Er veröffentlichte Romane und Erzählungen, wofür er 1923 den Kleist-Preis erhielt. Seine eigentliche Bedeutung liegt jedoch in seiner Lyrik, an die er sich erst in reiferem Alter wagte. Mit seinem Freund Oskar Loerke zählt er zu den Meistern der „naturmagischen Dichtung“. Für beide war die quasi religiös begriffene Natur ein Ort überzeitlicher Gesetze, die sich, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, insistierender Beobachtung erschließen. Zwar changieren die Dinge weiterhin rätselhaft, aber sie erhalten durch Lehmanns Kunstsinn eine unverwechselbare Form. Sein geübter Blick veranlasst auch den Leser, sich umzusehen in der Tier- und Menschenwelt. Der Dichter feiert den Augenblick, spielt auf Literarisches und Mythologisches an, will aber das Bestehende nicht umstürzen. Doch er weiß um den „Riss“ in der Welt, wenn er schreibt: „Dichten muß ich um zu leben.“ Nicht alles ist ihm gelungen, manches klingt harmlos, doch die fünf, sechs großen Gedichte, die angeblich überdauern, findet man auch bei Lehmann. Das vorliegende Gedicht bezeugt Lehmanns langjährige und fruchtbare Freundschaft mit Loerke und ist eine Art Denkmal für den 1941 Gestorbenen. Rotkehlchen (es gehört zur Familie der „Fliegenschnäpper“) und Rosenduft, der blaue Eisenhut und die sommerliche Süße des Tages lassen den Freund für einen Moment wieder erscheinen; ein vertraulicher Ton, wie nebenbei gesprochen und vom Paarreim begünstigt, trägt dazu bei: „Der Eisenhut blitzt blaues Licht. / Komm, wisch den Schweiß mir vom Gesicht.“ Die dritte Strophe jedoch verkündet eine Absage an die Welt des Terrors, deren Entschiedenheit, zumal bei diesem Autor, erstaunt: „Komm nicht! Komm nicht! Laß mich allein…“ Zwar taucht die Furcht vor den Schrecken des Kriegs auch in anderen Gedichten Lehmanns auf, doch niemals mit solcher Härte, die Flucht ins Erdloch als letzten Ausweg anpreisend: „O Grab, halt deine Tür fest zu!“ Es existiert noch ein weiteres Gedicht Lehmanns auf Loerkes letzte Ruhestätte, ein spätes und schwächeres mit dem Titel Grab eines Dichters, entstanden im Jahr 1965. Und vermutlich hatte Lehmann, als er 1944 Auf sommerlichem Friedhof schrieb, auch Loerkes subtiles Poem Grab des Dichters (1917) im Kopf, dessen dritte und letzte Strophe lautet: „Wenn die uralte Traube, / Die schwarze, wiederkehrt staubig und warm, / Weckt mich immer der Glaube: / Du sollst nicht schluchzen, der Gott wird nicht arm.“ Wilhelm Lehmann wurde 1882 in Venezuela geboren. Er starb 1968 in Eckernförde, wo er seit 1923 lebte. Das vorgestellte Gedicht entstammt dem Band: Wilhelm Lehmann, Ein Lesebuch, Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 02.04.2012 |
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