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Elisabeth Borchers
Zukünftiges
Michael Braun „Vorbei! Ein dummes Wort“, hat Goethe im „Faust“ seinen Mephistopheles sagen lassen. Die Behauptung des unwiderruflichen Endes, die diesem „Vorbei“ innewohnt, ist für ein poetisches Bewusstsein nicht zu akzeptieren. In einem ihrer asketischen Gedichte spricht denn auch Elisabeth Borchers von der Gewissheit, dass nichts „vorbei“ ist, auch wenn alles zu Ende geht. Und auch wenn die Dichterin in ihren lakonischen Versen das Verschwinden der Welt registriert, schimmert noch die Verheißung von Zukunft durch. Die Wunder der Schöpfung sind perdu und alle raumzeitlichen Dimensionen lösen sich auf. Und dennoch gibt es weiterhin die Erwartung auf „Zukünftiges“. Und so verharrt denn auch das Kollektivsubjekt des Gedichts in einer gelassenen Warteposition: „Als alles vorbei war / Krieg und Frieden / Mann und Frau / Form und Inhalt .../ Setzten wir uns / und warteten / auf das / was kommt“. Solche subtilen Denkbilder machen den Reiz der stillen Gedichte von Elisabeth Borchers aus, sehr konzentrierte, auf das Elementare reduzierte Gedichte, die sich aller auftrumpfenden Metaphorik enthalten.
Es sind natürlich auch die Erfahrungen der Lektorin Elisabeth Borchers und ihr langer intimer Umgang mit Kunst und Poesie, die sie zur äußersten Skepsis gegenüber jedwedem metaphorischen Dekor geführt haben. Von 1961 an hat sie vier Jahrzehnte lang als Verlagslektorin, zunächst bei Luchterhand und später im Suhrkamp Verlag die Entstehung der maßgeblichen Werke der deutschen Gegenwartsliteratur begleitet. Die 1926 im niederrheinischen Homberg geborene Autorin war mit ihrer Familie vor dem beginnenden Bombenkrieg ins Haus der Großeltern im elsässischen Niederbronn geflohen und landete nach dem Krieg in Oberschwaben. Dort lernte sie in den 1950er Jahren im „Ravensburger Kreis“ den jungen, genialischen Peter Hamm kennen, der sie zum Schreiben von Gedichten ermutigte. Man muss es zu den tragikomischen Sensationen des Literaturbetriebs rechnen, dass dann ausgerechnet ein Gedicht der diskreten Elisabeth Borchers den ersten großen Lyrik-Skandal der Nachkriegszeit auslöste. Am 20. Juli 1960 veröffentlichte die FAZ das zart-surrealistische Wiegenlied „eia wasser regnet schlaf“ – und löste damit einen mittleren Volksaufstand aus. Das traumverlorene Poem der Elisabeth Borchers, das die Begegnung mit einem „ertrunkenen Matrosen“ imaginiert, hatte die aggressiven kunstfeindlichen Instinkte der Nachkriegsdeutschen geweckt. Wochenlang tobte sich auf den Leserbriefseiten der FAZ ein bedenklich „gesunder Menschenverstand“ aus und schwadronierte über „Leichenfledderei“, „entartete Kunst“ und das „schizophrene Gestammle“ einer „volltrunkenen Dichterin“. Wer das Gedicht mit seinen magischen Anklängen an die Sphäre des Traums und des Märchens heute wieder liest, kann sich nur wundern über das Stammtischgebrüll der damaligen Diskutanten. In den folgenden Jahren erlaubte sich Borchers jedoch kaum mehr den spielerischen Übermut und Märchenton ihres 1961 veröffentlichten Debütbandes „Gedichte“, sondern zog sich zurück in eine emphatische Beiläufigkeit, in stille, meditative Verse, in denen die Metapher nur sehr sparsam eingesetzt wird. In den Bänden „Wer lebt“(1986), „Von der Grammatik des heutigen Tages“ (1992) und zuletzt „Zeit Zeit“ (2006) dominiert die radikale Verknappung, die Konzentration auf ebenso einfache wie elementare Bilder. So heißt es programmatisch im Gedicht „Rückschritte“: „Wir halten Einkehr/ in den kleineren Wörtern/ in den älteren Bildern ....“. Resultate dieser melancholischen „Einkehr“ sind Gedichte, in die sich die Erfahrung von Sterblichkeit und Vergänglichkeit eingeschrieben haben. Gedichte auch, die die Innigkeit von Gebeten haben, deren Heilsgewissheit jedoch ins Negative kehren: „Trauer, mein Text/ ich übe dich täglich.“ Auf der Höhe dieser Gedichte, so hat Arnold Stadler einmal geschrieben, „ist nicht alles verloren, wenn alles verloren ist.“ Elisabeth Borchers, geboren 1926 in Homberg am Niederrhein, starb am 25. September 2013 in Frankfurt. Neben ihren sieben Gedichtbänden veröffentlichte sie zahlreiche Kinderbücher. Das vorliegende Gedicht wurde erstmals 1992 publiziert (im Band „Von der Grammatik des heutigen Tages“) und ist dem von Arnold Stadler herausgegebenen Auswahlband „Alles redet, schweigt und ruft“ (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001) entnommen. Wir danken dem Verlag für die Wiedergabe des Gedichts im Kontext des Gedichtkommentars. Druckansicht
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