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Uwe Kolbe
HEIDELBERG, DEN 14TEN AUGUST
für Michael Buselmeier
Michael Buselmeier Ein bewegendes und bewegtes, zugleich streng geformtes Gedicht, das auch Kenner Heidelbergs überraschen dürfte. Denn die Hohe Zeit der Heidelberg feiernden Lyrik war das 19. Jahrhundert und speziell die Periode der Volkslieder sammelnden Romantik, die den Mythos dieser Stadt erst eigentlich schuf – eine Ideallandschaft mit den Glanzpunkten Burg, Fluss und Alte Brücke. In den kommenden Jahrzehnten ging die Zahl der Heidelberg gewidmeten Gedichte sowie deren Qualität stetig zurück; nach 1945 ist kaum noch eines von Bedeutung entstanden, so als hätten zentrale Motive wie der an den Bergen entlang in die Ebene hinausströmende Neckar im zunehmend touristisch geprägten Alltag ihre literarische Anziehungskraft eingebüßt. Doch Uwe Kolbes Gedicht lässt das durch massiven Missbrauch fast unsichtbar gemachte Stadtbild wieder aufscheinen, wobei seine verborgene Schönheit hervortritt. Es imaginiert einen besonderen Tag in Heidelberg, einen heiteren Sommerausflug und einen außergewöhnlichen Lebensmoment, der sich auf diese Art wohl nur dort erfahren lässt. Ein poetisch gestimmtes „Wir“ bewegt sich auf Hölderlins Spuren und im Versmaß von Hölderlins „Heidelberg“-Ode („Lange lieb ich dich schon, möchte dich, mir zur Lust, / Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied …“) „über den Tag“, durch die „uralte Stadt“, in einer leichten, schwebenden Bewegung, einem ganz eigenen Rhythmus alle vier Strophen entlang. Nur die den „Traum“ direkt ansprechende Schlusszeile ist etwas abgesetzt. Mindestens zwei Engel treten auf, Tote begleiten heiter die Wanderer über die Brücke des Tages. Ein rätselhafter Baum mit „zweierlei Blatt“ wird bestaunt. Wie Hölderlin, Goethe oder Eichendorff, die bleibende Texte über Heidelberg hinterlassen haben, war auch Uwe Kolbe nur für kurze Zeit vor Ort, ein Durchreisender, der hier etwas Ungewohntes – den Einbruch des Metaphysischen – erlebte, auf Besuch gleichsam, der Alltagswelt, die es in Heidelberg auch gibt, entzogen. Dies Leben hier ist „ein Traum, was sonst?“ (so heißt es am Ende von Kleists „Prinz von Homburg“), ja es ist ein Shakespeare’scher „Sommernachtstraum“, der im Schlossgarten zur Aufführung kommt. Es soll und kann nicht verschwiegen werden, dass Uwe Kolbes Gedicht mir gewidmet ist und dass ich sogar als eine Art „leitender Engel“ darin vorkomme. Am 14. August (so der Titel) des Jahres 2001, einem prächtigen Sommertag, führte ich eine Gruppe von Stipendiaten des Künstlerhauses Edenkoben, darunter Uwe Kolbe, auf opulenten Umwegen und mit vielen Abschweifungen etwa acht Stunden lang durch die Gassen der Altstadt und auf das einst vom Hortus Palatinus umgebene Schloss. Dort, unterhalb der Scheffelterrasse, hielten wir vor einem mächtigen Baum inne, dessen Zweige „zweierlei“ Blätter trugen, neben solchen der (dominanten) Hainbuche auch solche der Eiche – Ergebnis einer Mutation oder eines früheren gärtnerischen Eingriffs? Wir waren irritiert, und eine der Fragen, die sich einstellten, war, ob der Wunderbaum wohl auch zweierlei Früchte produzierte … Ein Fremder in heller Sommerkleidung, mit Strohhut, trat plötzlich zwischen uns; er behauptete, ein Gärtner zu sein, sprach in Zauberformeln von goldenen Früchten und verschwand wieder so leise, wie er gekommen war. Wir mussten ihn für einen Boten „des Himmels“ halten, einen Heilsbringer im Sinn Hölderlins, für einen Splitter jener historischen „Aura“ der Stadt, die – längst untergegangen in nüchterner Aufklärung – in diesem poetischen Augenblick vor und für uns als Traumbild auferstanden war. Uwe Kolbe wurde 1959 im Osten Berlins geboren. Er lebt derzeit in Hamburg. Nach zahlreichen Lyrikbänden erschien 2014 sein Vater-Sohn-Roman Die Lüge. Das vorgestellte Gedicht entstammt seinem Gedichtband Heimliche Feste, der 2008 im Suhrkamp Verlag herauskam. Wir danken für die Wiedergabe im Rahmen dieses Gedichtkommentars. Druckansicht
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