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Joachim Zünder
DIE FINNISCHE BIBLIOTHEK
I Mir scheint, ich will hinausgelangen über den bald schäumenden bald ausgedorrten rand dieser sekunde in der großes lesen großes stühlerücken ist aber es ist auch das süchtige irritierende weiß das von den höfen der worte fortzuschwimmen verlangt ich will hinausgelangen in den raum eines spiegels der sich einmal mehr als winter als zauber zu erkennen gibt als fuchsschlauer bleistift als bräutigam vor verschlossenen fenstern
Michael Braun Der Lockstoff, mit dem uns das Gedichtbuch Joachim Zünders in Bann schlägt, ist – zunächst – ein visueller Zauber. Er geht von einem rätselhaften Tier auf dem Umschlag des Buches aus, eine fluoreszierende Meduse der Tiefsee vielleicht, mit schimmernden Tentakeln. Der Corpus des geheimnisvollen Tieres scheint aber nicht von gallertartiger Beschaffenheit zu sein, wie bei einer Qualle, sondern eher fest, hartschalig. So könnte es sich auch um einen Trilobiten handeln, die tentakelartig ausgreifenden Beine des prähistorischen Gliederfüßers bewegen sich offenbar in einer fluiden Sphäre. Ein Glimmen geht von diesem Tier aus, ein Glimmen wie von einem faszinierenden Organismus in dunkler Meerestiefe. Sicher ist: Auf dem von Friedrich Forssman mit großer Sorgfalt gestalteten Umschlag des Gedichtbands „Rauchgeister“ konfrontiert uns Joachim Zünder mit einem mythischen Objekt. Dieses Bild, das Joachim Zünder als Emblem seiner Poesie gewählt hat, stammt von dem finnischen Maler und Videokünstler Osmo Rauhala, für den die urbanen Reizzonen Manhattans ebenso Quellgrund seiner Kunst sind wie die einsamen Wälder in seiner finnischen Heimat. Mythische Tiere, Pflanzen und Organismen sind in diese Bilder eingegangen, ebenso allegorische Darstellungen elementarer Interaktionen zwischen Mensch und Natur. Das enigmatische Bild des dunkel leuchtenden Trilobiten darf man wohl auch als Signatur der Poesie entziffern, die der 1956 in Troisdorf im Rheinland geborene und in Berlin lebende Joachim Zünder schreibt. Dieser Dichter hat sich bislang am Rande des Literaturbetriebs aufgehalten, seine ersten beiden Gedichtbände („Die Neigung der Nacht ins Gegenverständnis“, 1985; „Skizzen von einer Reise durch den Schlauch“, 1996) fanden nur wenig Aufmerksamkeit. Seine poetologischen Aufzeichnungen in Heft 196 der Zeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter“, essentielle Fragmente zu einer Poetik der Dunkelheit, zeigen die außerordentliche Sprachkraft dieses Dichters. Im Sommer 2011 gründete Zünder mit Sandra Schaab den Independent-Verlag „Kaamos Press“, in dem auch sein Band „Rauchgeister“ erschienen ist. In „Rauchgeister“ finden wir eine Poesie, die in weiten Teilen in der nordeuropäischen „Winterzone“ entstanden ist. Die zentralen Kapitel des Bandes verdanken sich längeren Aufenthalten im Baltikum und in der Abgeschiedenheit der finnischen Peripherie. Joachim Zünder hat dort auch die funkelnden Notate des titelgebenden Zyklus verfasst, in dem Kältemetaphern eine ebenso prägende Rolle spielen wie Motive der Dunkelheit. An einigen Stellen ist davon die Rede, dass der Dichter „Freundschaft mit dem Dunkel“ geschlossen hat und im Winter und im Schnee „die Geisteskräfte kommen“. Die Stille in diesen frostigen Meditationsbezirken ist gewissermaßen das Fluidum dieser Poetik, die das dunkle Leuchten zum Lebenselixier macht. „Das poetische Wort lebt von seiner Ungenauigkeit, seinem Nichtwissen, seiner Dunkelheit, die im Innersten leuchtet“: Das ist eins jener geschliffenen Notate, in denen die Umrisse von Zünders poetischem Kosmos sichtbar werden. Eine andere Notiz spricht von dem kontrastiven Wechselspiel zwischen der Weiße des Schnees und dem Dunkel der Schrift. Dabei entstehen Paradoxien: „Abends, sehr hell im Wald, der Schnee trägt das Licht, auch in der Dunkelheit. Der Schnee reflektiert die Aufmerksamkeit. Hier kannst du im Dunkeln schreiben, weil das Dunkel nicht dunkel ist. Der Mond – in einer blauen Lagune, verschwindet.“ Aus der Vereinzelung in der „Winterzone“ arbeitet sich Joachim Zünders Gedicht heraus – dieses sich Frei-Sprechen ist der poetische Prozess selber: „Poesie – ein von allen Beschränkungen und Auflagen sich freisprechendes Bewusstsein.“ Auch der erste Teil seines Poems „Die Finnische Bibliothek“ bildet diesen Vorgang ab: Wie ein Dichter zur Sprache kommt, „hinausgelangt“ aus einem Schweigen, das sein Leben bestimmt. Vom „süchtigen irritierenden Weiß“ der Buchseiten kommt er ebenso wenig los wie von dem Weiß des Winters, das ihn zum Sprechen und zum Schreiben bringt. Joachim Zünder, geboren 1956, lebt in Berlin. Das Gedicht Die Finnische Bibliothek ist seinem Band Rauchgeister (Kaamos Press, 2011) entnommen. 02.03.2012 |
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