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Maren Kames
Findest dich, Sonntagmorgen halb acht, bei den Haubentauchern an den
Gestaden stierst in die Schlieren säufst die Aussicht bis blindlings stehst knietief im Siel rings schluckst Wasser vom Rand ab haust schlaff auf die Planken liegst aus da wie Pfandgut – gestrandet auf deiner halbtauben Haut gelandet im halbgaren Licht hier genadelt gerendert dirty verplempert im Tau und halb Taube halb Pfau halt das mal aus so ste(h)ts
Michael Braun
Zu den wirkungsmächtigsten Bildideen in der Kunst der Avantgarde gehört seit je die Verehrung der Farbe Weiß als Inkarnation des Absoluten. Eins der berühmtesten Gedichte der modernen Poesie, das 1897 von Stéphane Mallarmé kurz vor seinem Tod veröffentlichte Gedicht „Un coup de dés – Ein Würfelwurf“, hat die Grundlage geschaffen für die Stilisierung des Weißen zum Wesensgrund des Dichterischen. Die freie Verteilung nur weniger Buchstaben und Wörter auf der Buchseite, die Mallarmé darin zelebrierte, war damals ein unerhörtes Ereignis. Das Weiß des Papiers bzw. der Weißraum zwischen den spärlich gesetzten Wörtern und Metaphern wurde zum aktiven Bestandteil des Textes. Das Schweigen, die Leere, sollte so eine eigene Stimme in der Textsymphonie bekommen. Wenn nun 120 Jahre nach Mallarmé die Dichterin und Performerin Maren Kames einen hoch artifiziell gestalteten Gedichtband mit viel Weißraum vorlegt darf man darin auch eine Huldigung an das alte avantgardistische Muster erkennen. Die 1984 in Überlingen geborene Autorin, die 2013 den Open Mike-Wettbewerb gewann, hat mit ihrem Debütbuch „Halb Taube Halb Pfau“ (2016) die literarische Welt in helle Aufregung versetzt. Prompt wurde sie in der FAZ zum „neuen deutschen Lyrikleitstern“ ausgerufen. Diese Nobilitierung zur neuen Poetessa verdankt sich der Fähigkeit der Autorin, mithilfe einer subtilen Klang- und Satzkombinatorik ihre Textfelder in einen suggestiven Bewusstseinsstrom zu verwandeln. Hinzu kommt die Auratisierung des Textes durch die bildkünstlerische Ausstattung des Buches. Das Weiß ist in diesem Buch ein sakrales Kraftfeld, das die Sprachzeichen mit ungeheurer Erhabenheit auflädt. Auf etwa der Hälfte der 150 Seiten ist das Weiß des Papiers die Dominante des Textes, mitunter sind nur Satzfragmente oder Partikel darauf gestreut, die dann in diskreten Variationen auf den folgenden Seiten wiederkehren: „Ich möchte etwas, das unter Einsatz aller Register zustande kommt.“ Das ist der programmatische Kernsatz in diesem Buch, weil er die anderen Dimensionen dieser poetischen Fließbewegungen aufruft. Auf einigen Seiten sind nämlich noch Videoclips mit Klangcollagen und Tanzszenen in die Textur eingefügt, die über die ins Buch integrierten QR-Codes mithilfe eines Smartphones abrufbar sind. „Halb Taube Halb Pfau“ versteht sich eben als ein nicht nur textuelles, sondern auch akustisches und haptisches Gesamtkunstwerk.
Das Eröffnungsgedicht von „Halb Taube Halb Pfau“ scheint zunächst eine Naturszenerie zu entwerfen: Ein Gewässer mit Wasservögeln, ein Flussufer und ein beobachtendes Subjekt, dicht unter diese fluide Struktur gemischt. Es geht jedoch nicht nur um Naturstoff und eine Flusslandschaft, die hier mit erhabenen Topoi („Gestade“) aufgerufen werden, sondern primär um eine Sprachbewegung, die um den Vokal „a“ und um den Diphtong „au“ gruppiert ist und sich ständig verwandelt. Die Fügung des Buchtitels „Halb Taube Halb Pfau“ ist aus dieser metamorphotischen Bewegung geboren: Ein Hybridwesen, das hier als „halb Taube“ und „halb Pfau“ exponiert wird, entsteht beim Durchgang durch das Vokabularium der „a“- und „au“-Laute, so dass bei der Anwendung derselben Laute und Doppellaute verschiedene Semantiken generiert werden. So entsteht eine assoziative, an Homophonien sich orientierende Versrede, die in jeder Zeile der Spur der Laute („a“) und Doppellaute („au“) folgt: „Haubentaucher“ – „Aussicht“ – „haust“ – „auf“ – „aus“ – „auf“ – „halbtauben“ – „Haut“ – „Tau“ – „Taube“ – „Pfau“. Eine Motivkette, die aus Assonanzen geflochten ist. Das lyrische Ich von Maren Kames, das wechselnde Gestalten annimmt, tastet sich hier wie in anderen Gedichten in Landschaften des Bewusstseins hinein und imaginiert Begegnungen mit Natur und Erinnerungsstoff. Phantasien von Liebesakten, Kindheitsbilder, sinnliche Wahrnehmungen und Sprachfaszinationen fließen ineinander. „Zu gleichen Teilen“, heißt es an einer Stelle, „bin ich der Landschaft ausgesetzt wie die Landschaft mir. Ich bin dem Weiß überlassen, wie das Weiß mir überlassen ist. Hier bin ich der Angst ausgesetzt, hier ist die Angst ausgesetzt.“ Im blendenden Weiß dieser Landschaft der poetischen Unbestimmtheit darf sich der Leser verlieren. Man folgt gerne diesem Abenteuer poetischer Entgrenzung, auch wenn das Motiv-Repertoire und der Vokabelvorrat, aus dem die Gedichte geschöpft werden, schmal sind. Maren Kames, geboren 1984 in Überlingen am Bodensee, studierte Kulturwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaft in Tübingen und Leipzig, danach Literarisches Schreiben in Hildesheim. 2013 gewann sie mit Auszügen aus „Halb Taube Halb Pfau“ den Lyrik-Preis des Open Mike. 20176/2017 war sie die erste Kooperationsstipendiatin des Literaturhauses Stuttgart und der Akademie Schloss Solitude, im November 2017 wurde sie mit dem Anna Seghers-Preis der Mainzer Akademie der Wissenschaften und Künste ausgezeichnet. Ihr Debüt „Halb Taube Halb Pfau“ erschien 2016 im Secession Verlag, Zürich. Das vorliegende Gedicht ist diesem Band entnommen. Druckansicht
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