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Katharina Schultens
die möglichkeit einer verwechslung bestünde jederzeit
wenn man die konjunktive gegens licht hielte: es gäbe verläufe darin feine spalten ein epidermismuster in sternen die über den knöcheln stünden: die konjunktive sind nicht irgendwelche sondern sehnig innen teils vernarbt vor allem wo sie ansetzen. sie betreiben synthesen ohne genehmigung. die konjunktive – das ist das problem - greifen parallel auf vieles zu. in ihren flächen laufen keine linien auf ein ziel stattdessen – schnitte ohne konsequenzen. jedoch nicht absehbar daß sie so zärtlich würgen würden. war überhaupt nicht bös gemeint. sie sind noch klein.
Michael Braun Der Konjunktiv spielt eine Möglichkeit durch. Oder er verweist als Irrealis auf verpasste Gelegenheiten, nicht realisierte Handlungen oder unerfüllte Wünsche. Bei der jungen Dichterin Katharina Schultens (Jg. 1980) erhält das grammatische Phänomen eine seltsame Stofflichkeit und wird auf seine Materialität und Struktur akribisch überprüft. Wie hier der Konjunktiv gegen das Licht gehalten wird, um seine Durchlässigkeit oder Opazität zu untersuchen, ist prototypisch für den Habitus der Sachlichkeit, mit der sich diese Dichterin ihren Gegenständen nähert. Es geht Katharina Schultens ganz offenkundig nicht mehr um die Entbindung des romantischen Zauberworts, sondern um die kühle Beobachtung von Strukturen. „Das künstlerische Material muss kalt gehalten werden“, hat einst Gottfried Benn dekretiert. Katharina Schultens hat diese Devise beherzigt. Wir lesen die Gedichte einer Autorin, die ihrem Gedichtband demonstrativ den Titel „gierstabil“ gibt – und damit auf einen Terminus aus der Kinematik und Fahrzeugtechnik zurückgreift, der bestimmte Steuerungstendenzen diverser Land- und Luft-Fahrzeuge bezeichnet. Und natürlich schwingt in dem rein technischen Begriff „gierstabil“ auch noch die assoziation zu „gier“ und damit die Konnotation eines heftigen emotionellen Geschehens mit. Aber just diese Verbindung von multiplen technoiden Strukturen und Körperelementen, von physikalisch-biomechanischen Modi und traditionellen Natur- und Nähe-Metaphern gehört zu den Eigenheiten von Katharina Schultens' Dichtkunst. Ihr Debütband „Aufbrüche“ hatte 2004 noch auf die Mobilisierung einer expressionistischen Sprache und die Evokation einer traditionellen Stimmungslyrik vertraut. In „gierstabil“ kommt nun ein ganz anderes Ich zu Wort, ein un-sentimentales, analytisch beobachtendes, ganz in die prozesshaften Abläufe und technisch-wissenschaftlichen Komplexitäten unserer Gegenwart vertieftes und sachlich registrierendes Ich. Das in der Poesie berühmte „lyrische Ich“ wird von Katharina Schultens entzaubert – durch ein Verfahren der Ent-Sentimentalisierung: „ich verrate: ich bin ein gespinst man kann mir jederzeit / noch eine silbe wegnehmen eine bestimmte anhängen / wie schuld.....ich wispere ach /wissen sie – vielleicht bin ich das innere / des aktenschrankes wenn er schließt“. Die tastenden Denkbewegungen dieser Gedichte zielen darauf ab, die Wahrnehmungen zu überprüfen, mit denen wir uns die Welt erschließen. In einer Art „Vergleichswerkstatt“ werden die Ordnungsmuster, auf denen unser Weltverständnis beruht, auf ihre Tauglichkeit untersucht. „Ich kann in Matrixstrukturen denken... “, hat Schultens einmal notiert. Das Denken in „Matrixstrukturen“ hat die Autorin auch durch ihre Arbeit als Referentin im Wissenschaftsmanagement gelernt. Über ihre literarische Arbeit hat sie in einem Essay geschrieben: „es geht grade immer um flexible sortierung, um eine bewegung, die sich entzieht. also diese holzkästen, in die man einsortieren konnte, nur eben sind jetzt die wände durchlässig und die glitzerdinger beweglich. so was wie rudel gut erzogener libellen, die keinen krach machen, aber einmal quer durch die struktur fliegen.“ Durch diese entschlossene Durchquerung der Strukturen, durch die kleinen Verschiebungen in den Gedichten werden Innen- und Außenwelt, Technik und Seele durchlässig und werden in Schwebezustände versetzt – eine seltsam flirrende wie faszinierende Wahrnehmung von Welt. Katharina Schultens, 1980 geboren in Rheinland-Pfalz, studierte Kulturwissenschaften in Hildesheim, St. Louis und Bologna. Seit 2006 arbeitet sie als Referentin im Bereich Forschungsverwaltung der Humboldt-Universität in Berlin. Das vorliegende Gedicht ist ihrem Band gierstabil (luxbooks 2011) entnommen. 02.09.2011 |
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