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Oleg Jurjew
Zum Andenken an den Kater Nero. Edenkoben, August 2017
Der schwarze Kater Nero – freilich eine pleonastische Nennung – ist gestorben. Er wurde am entfernten Ende des Gartens begraben – da liegt er unter einem kleinen Holzkreuz mit schiefem Kreuzarm. Das hätte man nicht machen dürfen – das vermenschlicht das Tier (dazu noch war Nero gegen Ende seines Lebens fast bis zum Geht-nicht-Mehr vermenschlicht) und es kommt zurück, in der einen oder anderen Gestalt. Aber jetzt saßen auf dem Kreuz zwei kleine Weinbergvögelchen und zwitscherten freudig. Unter dem Kreuz tanzten glückliche Mäuschen. Durchs Gartentor fuhr ein Autotransporter herein, aus welchem dicht gedrängt Zigeuner herausfielen und anfingen, Musikinstrumente für das morgige Sommerfest auszuladen. Ein Zigeunerbaron mit einem kleinen Wachshut, auf den Hinterkopf geschoben, und mit einer Zigarre zwischen den braunen goldberingten Fingern ging knicksend zum Kreuz. Die Vögelchen bäumten erschrocken. Die Mäuschen verdrückten sich ins Wirrwarr der Gräser.
Michael Buselmeier
Der im Juli 2018 in Frankfurt am Main kurz vor seinem 59. Geburtstag gestorbene Oleg Jurjew war ein russischer Schriftsteller und ein deutscher Dichter. Sein Werk umfasst Veröffentlichungen in verschiedenen literarischen Genres: Gedichte, Prosa, Theaterstücke, Essays, Übersetzungen, Herausgaben. Er war ein Autor, der es verstand, spielerisch-ernst und ironisch mit dem, was aus vergangenen Epochen übrig geblieben war, umzugehen. 2017 kam sein eigenwilliger Roman „Unbekannte Briefe“ heraus, der erfahrbar macht, was es bedeutet, aus der gewohnten Sicherheit zu fallen. Jurjew, der aus einer assimilierten jüdischen Familie stammte, verließ 1991 mit seiner Frau Olga Martynova und Sohn Daniel die Sowjetunion und lebte seither in Frankfurt.
Die beiden 2010 beziehungsweise 2018 im dortigen Gutleut Verlag erschienenen, reizvoll ausgestatteten Gedichtsammlungen „Von Orten“ und „Von Arten und Weisen“, in jeweils sechs „Gesängen“ im Ablauf des Jahres zum „Poem“ angeordnet, hängen eng zusammen. Vom Autor auf Deutsch geschrieben, bilden sie eine Art lyrisches Tagebuch, das über wiederholt aufgesuchte Orte, oft mit Datierung versehen, berichtet: etwa über pfälzische Weinberge im Schnee, die Schillerhöhe bei Stuttgart, das phantastische Frankfurter „Nachtmeer“. Das Leningrad der siebziger Jahre wird erinnert, die Krim; dürre Katzen in Jerusalem. Man könnte diese Aufzeichnungen auch als poetische Prosastücke lesen – eine ganz eigene, eigenartige Sprach- und Erzählform, die Wahrnehmung mit Erfindung, dichte Naturbeschreibung mit grotesken Einfällen verbindet. Originell, mit überraschenden Bildern weiß Jurjew von Tieren, Bäumen, Pflanzen, von Gerüchen und Stimmungen zu erzählen. Auf Bahnhöfen und in Zügen trifft der Flaneur auf betrunkene Russen und Polen „mit ihren weißlichen Augen“, sieht aus dem Zugfenster Gartenzwerge und Grabsteine. In Wien begegnet ihm „ein zerwühltes Hündchen mit habsburgisch abstehender Unterlippe“. Er denkt über den Krieg der Tauben mit den Spatzen nach, über Marder, Igel, Hamster und Pfaue. Ein Weinort, den Oleg Jurjew mit seiner Familie gern und häufig aufgesucht hat, nicht nur des dort angesiedelten Künstlerhauses wegen, war Edenkoben in der Südpfalz. Ihm hat er eine Reihe liebevoll-versponnener Texte gewidmet. Wo gibt es schon Mäuse, die lachen? Und wo „Weinschiffe für einen blinden Passagier“? „Hochrote Tränchen des Hagedorns, platte Steine des Mandelbaums“ unter den „brennenden“ Pfälzer Sternen – all das findet man, in leicht verfremdeter Form, nur im Garten Eden oder eben in guten Landschaftsgedichten. Das vorgestellte Prosapoem „Zum Andenken an Kater Nero“ gehört in diesen poetischen Rahmen. Der „vermenschlichte“ Nero ist gestorben und wurde mit allen Ehren unter einem schiefen Holzkreuz begraben. Vielleicht ist er ja in verwandelter Gestalt zurück gekommen? „Kleine Weinbergvögelchen“ und „glückliche Mäuschen“ umtanzen jedenfalls das Kreuz und ein „Zigeunerbaron“ knickst vor ihm, worauf die Vögelchen erschrocken „bäumen“ – ein Neologismus für „auf die Bäume fliegen.“ Dem kohlschwarzen Dienstkater des Künstlerhauses hat Jurjew bereits im Jahr 2009 eine „Festschrift“ mit einem launigen Vor- und Nachwort zum siebten Geburtstag gewidmet. „Das Buch Nero“ erschien mit Beiträgen von 26 Verehrern, darunter Elke Erb, Ludwig Harig und Jan Wagner, im Verlag Das Wunderhorn. Ich habe diese Festschrift mit angeregt, vom Tod des verehrten Katers aber erst 2017 aus Jurjews spätem Gedicht erfahren. „Epilog“ heißt das den Band „Von Arten und Weisen“ stilvoll abschließende Gedicht; möglicherweise war es Jurjews letztes. Er spricht darin von „Freunden aus deiner Jugendzeit“, die „einer nach dem anderen“ sterben, und es „scheint dir, dass du hinter ihnen auf einer Rolltreppe fährst.“ Eine bittere Vorahnung des Todes? Hören die Toten es, fragt der Dichter, „wenn man sich an sie erinnert?“ Das wüsste ich auch gern, lieber Oleg. Oleg Jurjew wurde 1959 in Leningrad geboren, er starb 2018 in Frankfurt am Main. Das vorgestellte Gedicht stammt aus dem schmalen Band „Von Arten und Weisen. Ein Poem“, der 2018 im Gutleut Verlag in Frankfurt erschien. Jurjews zwischen 1984 und 2011 entstandene Gedichte kamen unter dem Titel „In zwei Spiegeln“ in einer zweisprachigen Ausgabe im Verlag Jung und Jung heraus. Kommentar, 01.02.2019
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