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Gregor Laschen
Drüben, im ›Winkel von Hardt‹ für Ingo Wilhelm Aufgestiegen aus der Edenkobener Textur, im Gegenüber der Sprachen alle, aus den Augenwinkeln grad zwei Jahrhunderte gewischt, die tragen wir mit wie all die abgestürzten Wälder, die abgeblühten Gründe in uns und der andere Sinn, die eingerollte Fremde da drüben ist uns vertraut.
Michael Buselmeier Das vorliegende Gedicht „Drüben, im ›Winkel von Hardt‹“ stammt aus den 1990er Jahren. Sein Autor Gregor Laschen zitiert, variiert, „überschreibt“ passagenweise ein anderes, knapp zwei Jahrhunderte älteres Gedicht Friedrich Hölderlins, das einen fast identischen Titel, „Der Winkel von Hahrdt“, trägt. Beide Gedichte sind in freien Rhythmen geschrieben, auf den ersten Blick befremdend dunkel und von ähnlichem Umfang, nur neun beziehungsweise zehn Verse lang. Hölderlins „lyrisches Fragment“ (so nennt es D. E. Sattler, der wagemutige Editor der Historisch-Kritischen Frankfurter Ausgabe) ist das letzte von neun Gedichten eines Zyklus, den er selbst als „Nachtgesänge“ bezeichnet hat, und entstand wohl 1803 in Nürtingen. In einer Felsspalte, also einem Schlupf-Winkel bei dem Dorf Hardt, heute ein Stadtteil von Nürtingen, soll sich 1519 Herzog Ulrich von Württemberg vor den Spähern des Schwäbischen Bundes verborgen haben. Hölderlin liebte den Ort schon in der Jugend, hat ihn auch später wiederholt aufgesucht und gepriesen: „Hinunter sinket der Wald, / Und Knospen ähnlich, hängen / Einwärts die Blätter, denen / Blüht unten auf ein Grund ...“ Auf diese einleitenden Verse bezieht sich Laschen im zweiten Teil seines Gedichts, das er dem ehemaligen Leiter des Künstlerhauses Edenkoben, Ingo Wilhelm gewidmet hat. In beiden Texten wird ein Natur-, genauer ein Herbstbild des im Fallen begriffenen Laubs entworfen; bei Laschen sind es „die abgestürzten Wälder, die / abgeblühten Gründe“ und „die eingerollte Fremde“ der absterbenden Blätter. Doch während sich bei Hölderlin der Waldboden durch sie bunt färbt („Blüht unten auf ein Grund“), dieser Herbst also zugleich Züge des Frühlings und des Aufbruchs in sich birgt („Knospen ähnlich“), herrscht bei Laschen eine uns nur allzu vertraute graue „Fremde da / drüben“. Von ihr ist auch die eingangs genannte „Edenkobener Textur“ nicht frei. Gemeint ist die Reihe „Poesie der Nachbarn“, die Laschen im dortigen Künstlerhaus im Herbst 1988 begründet und bis 2003 selbst geleitet hat. Einmal im Jahr übersetzen dort sechs deutsche Lyriker eine Woche lang die Texte ebenso vieler Dichter aus einem anderen europäischen Land, „im Gegenüber der Sprachen“ – ein großzügiges, von Publikationen begleitetes Zusammentreffen in einer vom Wein geprägten Ideallandschaft am Rand des Haardt-Gebirges, aber auch eine Art Vorleistung, da die Verse der deutschen Dichter in aller Regel nicht übertragen werden. Doch die vergangenen „zwei Jahrhunderte“, also die lyrische Tradition seit Hölderlin, „die tragen wir mit“ und „in uns“. Laschen, der in Bonn bei Beda Allemann Germanistik studiert und in dessen Seminaren Paul Celan und Ernst Meister noch persönlich kennengelernt hat, ist ein bedeutender Anreger, ein Poesie-Vermittler, besonders gegenüber den Niederlanden (viele Jahre lang hat er in Utrecht Deutsche Literatur gelehrt). Als Dichter bevorzugt er die großen fremden Wörter und scheut auch die feierlichen Gesten einer sprachmagischen Frühzeit nicht. Der verrotteten Sprache der Medien und dem Gerede der Politiker begegnet er mit einem poetischen Selbstbewusstsein, das der deutschen Lyrik seit Rilke und George immer mehr abhanden gekommen zu sein scheint. Doch da die Welt aus den Fugen und zweckfreie Schönheit kaum mehr möglich ist, bleibt ihm nur „das schöne Andere“, das bittere Fragment, die „splitternde Sprache“ des „gestotterten“ Gedichts; es bleiben hart gefügte Bilder und schroffe Metaphern. Nur wenige gegenwärtige Lyriker sind dem späten Hölderlin, auch in Schmerz und Einsamkeit, so eng verbunden wie Gregor Laschen. In seinem 1983 erschienenen Gedichtband „Die andere Geschichte der Wolken“ findet sich das Kapitel „Hölderlin in Deutschland“. Der hermetische Gestus dieser zwischen Bild und Abstraktion balancierenden Poeme erhebt noch einmal den Anspruch einer Geschichts- und Lebensdeutung, um deren Aporie der Dichter weiß. Gregor Laschen wurde 1941 in Ückermünde (Vorpommern) geboren und starb 2018 in Lingen (Ems). Er lehrte von 1972 bis 2002 an der Universität Utrecht, zog anschließend nach Bremen und lebte zuletzt in einem Pflegeheim an der deutsch-holländischen Grenze. Das vorgestellte Gedicht stammt aus dem Band „Jammerbugt-Notate“, Wunderhorn Verlag 1995. Für dieses Buch wurde Laschen 1996 der Peter Huchel-Preis verliehen. Druckansicht
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