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Rainer René Mueller
Da ist es
: zerschlissen, dieses / ... was zählst du; du / ich : um vier Uhr früh. / Früh wird's abgetschilpt. Es überdauert dich, was vom Grün pfeift, von den Firsten : Antennen „Firstendach“ : Worten / tön ..., so oben ein Schönes ist, ist's Tönen, so. Haben zu sehen, so zu hören. So, zu tönen. Es ist hör'n wie einer / denkt's : Stille
Michael Braun „Wahr spricht, wer Schatten spricht“: Diese Direktive, die das lyrische Subjekt in Paul Celans Gedicht „Sprich auch du“ an sich selbst adressiert, könnte auch dem poetischen Werk des Dichters Rainer René Mueller voranstehen. Die stockende, stotternde Sprache, die sich mit einem Heer von Satzzeichen gegen die Laufrichtung der geläufigen Sprache stemmt, ist sein Markenzeichen. Hier agiert wie in der Dichtung Celans ein „unter dem besonderen Neigungswinkel seiner Existenz sprechendes Ich“, das gegen den verführerischen „Wohlklang“ der Poesie die Härte kristalliner Sprachpartikel setzt, zersprengte Verse, die immer wieder das einzelne Wort fühlbar machen, seine Fragwürdigkeit, seine bedrohte Wahrheitsfähigkeit ins Bild rücken. Rainer René Mueller, 1949 in Würzburg geboren, erschien 1981 auf den Bühnen des Literaturbetriebs, sein Debüt „Lieddeutsch“ wurde als Geheimtipp herumgereicht. 1983 erhielt er einen Förderpreis beim Leonce-und-Lena-Preis, kurz darauf verschwand er wieder aus der kleinen Lyrik-Öffentlichkeit. Seine Erscheinung sorgte für größere Irritationen in einem auf Kumpanei und Lässigkeit bedachten Betrieb. Er wirkte in seinem distinkten Habitus mitunter wie ein verspäteter Jünger Stefan Georges, immer im tadellosen Anzug, so unnahbar wie seine verschwiegenen Gedichte. Im Heidelberg der frühen 1980er Jahre galt er als lyrischer Solitär, der den Kontakt mit den Repräsentanten der „Neuen Subjektivität“, Autoren wie Jürgen Theobaldy, Jörg Burkhard oder Michael Buselmeier, demonstrativ vermied. Seine Gedichte erschienen von 1981 bis 1986 als Künstlerbücher, stets mit Bildender Kunst verknüpft. Von 1983 bis 1989 arbeitete er als Leiter der Städtischen Galerie in Schwäbisch Hall, anschließend als Gründungsdirektor des Neuen Kunstmuseums in Heidenheim. Nach 1994 nannte er sich als Dichter Ellis Eliescher, um nicht nur in den Gedichten, sondern auch in seinem Namen seine jüdische Identität zu markieren.
„Ich bin über die mutterlinie jude, ich identifiziere mich nicht nur“, schreibt er im Dezember 2013 an seinen Dichterkollegen Dieter M. Gräf, der jetzt eine beeindruckende Auswahl von Mueller-Gedichten bei Urs Engelers „roughbooks“ vorgelegt hat. Die Gedichtbände der 1980er Jahre sind hier um wenige neue Texte, „Sybilleana“, ergänzt, die immer radikaler den Weg in die kryptische Chiffrierung und das Schweigen suchen. Ins Zentrum der Gedichte rückt immer wieder das Motiv faschistischer Gewalt, die barbarische Praxis der Peiniger im NS-Vernichtungslager Buchenwald, Lampenschirme aus Menschenhaut herzustellen. Die Wörter „Haut“, „Lampen“ oder „brennt“ werden in unterschiedlichsten Konstellationen aufgerufen und als starke Intensitäten in den Text gestellt. Das „Munch-Stück“ artikuliert – wie in der Bildvorlage Edvard Munchs – einen Schrei des Entsetzens. Das Gedicht zeigt die Ordnung des Terrors und zieht das grauenhafte Geschehen in wenigen fragmentierten Signalwörtern zusammen: „kyrie-heh.../eintreten Hirnen. Eins- / zweidrei / „Liegen in der Mitten“: / Lampenschein und Haut/ draufschreiben ...“ Über extreme Verdichtung und Verknappung werden die Wörter in Spannungszustände versetzt; einzelne Wörter-Scherben bleiben zurück, die wie bedeutungsstrahlende Elementarteilchen wirken. „Sprich auch du, / sprich als letzter, / sag deinen Spruch.“ So beginnt das erwähnte Gedicht Celans – und Rainer René Mueller hat Celans Poesie weitergesprochen, auch seine Dichtung hat etwas Finales, hier spricht einer als letzter – und doch findet sein Sprechen den Weg zu einem Du. So wie im vorliegenden Gedicht, das Anfang der 1990er Jahre im Kontext des Zyklus „Aus. Polenland. Aus“ entstand. Ein Augenblick in der Morgenfrühe wird vergegenwärtigt, in dem der Schreibende seiner Vergänglichkeit gewahr wird. Im Gesang der Vögel, in ihrer Tonkunst, findet das Ich das letzte Refugium des Schönen. Ein Augenblick reinen Hörens – das „Tönen“ und die Stille fallen am Ende zusammen. Rainer René Mueller, geboren 1949 in Würzburg, studierte Theologie, Germanistik, Französisch und Kunstgeschichte, arbeitet seit den 1970er Jahren als Schriftsteller und Kurator. Er lebt in einem Dorf in Lothringen und in Heidelberg. Das vorliegende Gedicht ist dem Auswahlband POÈMES – POÉTRA entnommen, den Dieter M. Gräf als roughbook 34 (CH-4325 Schupfart, 2015) herausgegeben hat. Druckansicht
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