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Sonja vom Brocke
Kunde
Das Doktorphantom auf der Terrasse. Wenn du jetzt deine Slipper ausziehst beschützt dich die Schlange oder greift sie dich an? Und was jetzt. Nein du hast keine Ahnung. Zahlst die Pommes und taumelst bläst in den Pan-Hals, knackst und denkst an Gregor, Saskia oder Ev mit dem dicken, sichtlich erschöpfenden Haar. Sie trägt ihr Kind wie angeboren, dazu ein Broschenaccessoire. Ihr weht eine Brise von Malven und Stepptanz und der Typ (Typ Sporttyp) hat kräftige Zehen und beißt in einen Apfel. Während du reinkriechst, mal wieder die Brüste verspielst (beheben) und zur Büste versteinst. In der ein zäher Nerv, ein – holder – ein – hohler – geräumiges Kulthaus der Abelam. Jetzt beschützt dich die Schlange oder greift sie dich an?
Michael Braun Auf der Suche nach einer angemessenen Sprache der Liebe landet die Poesie immer wieder bei der biblischen Geschichte vom Sündenfall. Auch im Gedicht von Sonja vom Brocke, das – nach einer ersten, oberflächlichen Lektüre – auf einem ganz anderen Schauplatz situiert scheint. Alles deutet zunächst auf eine saturierte Lebenswelt hin, auf zerstreute Gegenwärtigkeit. Die „Slipper“, mit denen man sich auf der „Terrasse“ bewegt, die „Pommes“, das „Broschenaccessoire“ und der „Sporttyp“: Das gehört zum Inventar unserer Alltagsroutinen. Die Details werden eher beiläufig ins Bild gerückt, in flüchtiger Wahrnehmung gestreift. Aber schon zu Beginn stört da etwas die Idylle, ein mythisch überdeterminiertes Tier taucht auf, die Schlange, ein poetisches Sinnbild voller Ambivalenzen. Und auch die lyrische Rede ist voller Unruhe. Die Stimme, die uns von einem „Du“ berichtet, wechselt nervös die Register, schwankt zwischen der lässigen Beiläufigkeit der Alltagsrede und intermittierenden Signalen aus mythischen Kontexten. Je intensiver man sich mit den Bildwelten des Gedichts beschäftigt, desto unabweisbarer drängen sich religiöse Konnotationen auf. In sprunghafter Assoziation und nervöser Innenschau lässt die Sprecherin des Gedichts die Geschehnisse eines ereignisarmen Alltags Revue passieren. Aber da ist immer wieder die Schlange als zentraler Topos, der alle Aufmerksamkeit einfordert. In das Räsonnement des lyrischen Subjekts hat die Dichterin Sonja vom Brocke sehr subtil religiöse Zeichen und Motive der biblischen Schöpfungserzählung eingewoben. Die ersten beiden Menschen, so berichtet die Genesis, vermögen im Garten Eden die Prüfungen des Lebens nicht zu bestehen. Denn im Garten, „verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ (Genesis, 2,9) befindet sich „der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“, der tabu ist. Die Schlange, die „schlauer (ist) als alle Tiere des Feldes“, verleitet Eva dazu, von den Früchten des Baums zu essen, ein fataler Biss in den Apfel, der zur Vertreibung aus dem Paradies führt. Diese biblischen Zeichen sind alle in Sonja vom Brockes Gedicht präsent. Die omnipräsente Schlange, von der nicht klar ist, ob sie als Beschützerin oder als Bedrohung zu gelten hat, ebenso wie die um einen Vokal reduzierte „Eva“ und der Apfel, in den in aufschlussreicher Rollenvertauschung der Mann, der attraktive „Sporttyp“ hineinbeißt. Die Fatalitäten der Liebe beginnen auch in diesem Gedicht mit der unglücklichen Geschichte von Adam und Eva; ihr Scheitern ist das Modell der alten und neuen Liebesunordnung, die sich bis ins Gedicht „Kunde“ fortpflanzt. Sonja vom Brocke schreibt Gedichte, die mit dem alten Inventar und der Ikonografie der klassischen und romantischer Dichtung ebenso zu spielen vermögen wie mit den digitalen Zeichen und Allegorien des informationstechnischen Zeitalters. Eine Zentralgestalt ihrer stark mit Gemälden und visuellen Motiven arbeitenden Gedichte ist Amor, der als Allegorie gleich mehrfach in vom Brockes Debütband „Venice singt“ (Berlin 2015) aufgerufen wird. Im Kapitel „Gemäldegalerie“ finden wir beispielsweise ein Gedicht, in dem Amor als Honigdieb dargestellt wird, der Schmerzen erleidet, weil er selbst anderen Schmerzen zugefügt bzw. Pfeile in den Körper geschossen hat. Im vorliegenden Gedicht bleibt vieles offen und rätselhaft. Bereits der Titel oszilliert ja zwischen der Bedeutung des Wortes „Kunde“ als Empfänger eines Produkts, dem „Kunden“ sexueller Dienstleistungen und dem Verb „künden“, dem Verkünden einer Heilsbotschaft. Ans Ende, bevor das Gedicht noch einmal die ambivalente Erscheinung der Schlange beschwört, wird neben den Genesis-Motiven auch ein mythischer Kraftort aus dem fernen Neuguinea aufgerufen, das „Kulthaus der Abelam“. Für eine winzige Bevölkerungsgruppe in Papua-Neuguinea ist dieses „Kulthaus“ der Ort einer mystischen Kommunikation mit den Ahnen. Und auch dieses Gedicht von Sonja vom Brocke ist ein Versammlungsort für religiöse Mythen und traditionelle Codierungen von Liebe und Verlockung. Sonja vom Brocke, geboren 1980 in Hagen, studierte Philosophie, Germanistik und Anglistik in Köln, Hamburg und Paris. Sie lebt in Berlin und hat mit bildenden Künstlern im In- und Ausland zusammengearbeitet. Ihr Gedicht Kunde ist ihrem Debütband Venice singt (Kookbooks, Berlin 2015) entnommen. Druckansicht
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