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Harald Gerlach
Gründe, linkselbisch
für Wulf Kirsten Die Muster der Landschaft, rhythmisch, auf Schusters Rappen abgegrast, im Hin- und Widerlicht zwischen Batzdorf und Gauernitz. Verdrahtete Plantagenflur, zaunüber zu erwandern durch festgefahrne Arbeitsgassen, umnebelt vom Herbizidsegen – gehopft wie gesprungen. DURCHFAHRT, BEGEHEN UND REITEN VERBOTEN! DER VERWALTER. Die Regenzeit wäscht dem Verschleiß ein grünes Gesicht, zaubert Dornröschens Nesseldickicht in die Gäwernitze. Im Miltitzschen Teehaus Novalis' Schatten, kunstgewerblich vergittert. Kirschpflückerbuden im Datschenornat. Scharfenberg: schloßdurch irrwandeln bleichfüßig Romantiker auf zu Schutt gestürzten Balkendecken, reiben die Hände vorm kalten Kamin, geschoßhoch über unsern Köpfen. An der Harthe fällt der Trockenmauer ein Stein aus der Krone: inmitten letzter Vorpostengefechte gegen den Kahlfraß im Saubachgrund. Ausgewandert der Vogelruf, das Herz der Talung auf unsichtbaren Wegen.
Michael Buselmeier
Der Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Essayist Harald Gerlach stammte aus Bunzlau in Schlesien. 1945 musste er als Fünfjähriger mit seinen Eltern nach Südthüringen fliehen und wuchs in der Kleinstadt Römhild im Schatten der Gleichberge als „hergelaufener Flüchtling“ auf. Schon früh ein Wanderer und Abenteurer, beschloss er im Alter von zwanzig Jahren, Dichter zu werden. Er verließ 1961 illegal die DDR und brach zu einer Bildungsreise auf, die ihn trampend durch Norditalien und nach Südfrankreich führte. Anschließend kehrte er wieder nach Römhild zurück und wurde erst einmal eingesperrt.
Auf Spurensuche ist Gerlach auch fortan unterwegs gewesen. Vor allem den Lebensläufen von Dichtern und Künstlern ist er von Ort zu Ort nachgegangen, meist zu Fuß, da man auf diese altmodische Fortbewegungsweise viel mehr vom Geschehen wahrnimmt und tiefer in sein Gegenüber hineinsieht. Das Gehen bei jedem Wetter war die ihm gemäße Art der Auseinandersetzung mit dem, was man Wirklichkeit nennt, zumal es ihm Möglichkeiten der Selbsterforschung und Selbsterkenntnis bot. Der Wanderer Gerlach spiegelte sich im Wanderer Hölderlin wie im jungen, aus Württemberg vertriebenen Rebellen Schiller. Dem Stürmer und Dränger Jakob Michael Reinhold Lenz ist er im elsässischen Steintal nachgelaufen. 1999 verfolgte er die weitgehend verwischte Spur des jungen Goethe von Straßburg aus zwischen Rhein, Saar und Mosel, bei Dauerregen die Autostraßen entlang. Daraus sind eine Sendereihe für den Saarländischen Rundfunk und sein letztes Buch „Die völlig paradiesische Gegend“ (2001) entstanden. Die zahlreichen Porträtgedichte Gerlachs über historische wie aktuelle Personen, auch über poetische Landschaften, in die die Geschichten der Menschen, die hier wirkten, eingegraben sind, zeichnen sich durch Nähe, Dichte und Genauigkeit der Formulierungen aus und verraten immer auch etwas über ihren Verfasser, dessen besonderes Interesse Autoren galt, die es nicht leicht im Leben hatten, oftmals scheiterten oder auch untergingen wie der schlesische Vagant Johann Christian Günther, Jakob van Hoddis oder Georg Trakl. Das hier vorgestellte, auf das Jahr 1989 datierte Gedicht ist Wulf Kirsten gewidmet, der ein enger Wanderfreund und zeitweise auch Mentor Gerlachs war. Auch wenn Kirstens Gestalt im Gedicht kaum sichtbar wird, entsteht doch unverkennbar seine „linkselbische“ Herkunftslandschaft um Meißen vor unseren Augen und somit auch das Städtchen Klipphausen, wo der Dichter 1934 geboren wurde. Protokolliert wird eine Wanderung im Elbtal, im Zickzack mal hier-, mal dorthin, ein Nebentälchen – die titelgebenden „Gründe“ – dicht ans folgende gereiht. „Zwischen Batzdorf und Gauernitz“ geht man durch eine „verdrahtete Plantagenflur, zaunüber“, und zwar „gehopft wie / gesprungen“. Was auf den ersten Blick an eine gängige Redeweise („gehupft wie gesprungen“) erinnert, verweist tatsächlich wohl („gehopft“) auf den regionalen Hopfenanbau in der „verdrahteten Plantagenflur“. „Gäwernitze“ heißt einer der Talgründe, durch den sich ein Gewässer zur Elbe hinunter schlängelt. Das „Miltitzsche Teehaus“, hoch über dem Fluss, gehört zu Batzdorf; Novalis soll sich hier 1798 aufgehalten haben. „Scharfenberg“ schließlich ist ein verfallenes Schloss mit „zu Schutt gestürzten Balkendecken“, „Harthe“ ein Weiler, der ursprünglich aus zwei Wehrbauernhöfen gegen die Sorben bestand; und der „Saubachgrund“ ist laut Kirsten nur zu Fuß erreichbar. Die Sprache Gerlachs erweist sich als dicht, präzis und körnig, einschließlich der sperrigen Ortsnamen, die Satzstummel sind schroff verkeilt, mit ungewohnten Wortbildungen wie „zaunüber“, „schloßdurch“, „geschoßhoch“ versehen. Das Gedicht ist angefüllt mit Regionalgeschichte und insofern mit den lyrischen Arbeiten Wulf Kirstens (etwa dem Band „Die Erde bei Meißen“, 1986) eng verbunden. Bald nach der Wende hat Harald Gerlach Thüringen verlassen und in Leimen bei Heidelberg ein Winzerhaus bezogen, nicht weit von meiner Wohngegend entfernt. Hier hat er seine Spurensuche fortgesetzt, zum Beispiel auf Eichendorffs Wegen. Zu mir hat er keinen Kontakt gesucht. 2001 starb er an einem Gehirntumor, erst 61 Jahre alt. Harald Gerlach wurde 1940 im schlesischen Bunzlau geboren und wuchs im südlichen Thüringen auf. Zeitweise arbeitete er am Erfurter Theater und für den Hörfunk. Er starb 2001 in Leimen. Das vorgestellte Gedicht entstammt Gerlachs Band „aber du der ich war“, 100 Porträtgedichte aus drei Jahrzehnten, Wartburg Verlag, Weimar 2010. Druckansicht
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