Besucherzahlen und die Gründe, prinzipiell. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 5. März 2011. Hildegard Behrens' frühe Salomé. Und schließlich Abel Ferrara.
7.53 Uhr:
[Vagn Holmboe, Achte Sinfonie.]
Na., wirklich voll war es >>>> gestern abend nicht, und nach der Veranstaltung gab es dann wieder eines jener unseligen Gespräche über die Gründe, warum die Leute wegbleiben; ich bin dann immer in einer sehr ungewollten Verteidigungssituation, die ich aber sofort auch einnehme, weil ich keine Lust habe und auch zu stolz bin, um solche Fährnisse zu beklagen; zu klagen steht Dichtern nicht gut zu Gesicht, prinzipiell. Und wirklich lassen sich ja immer und alle nur erdenklichen Gründe finden. Unterm Strich stehen aber alleine das rohe „kein Interesse” und dahinter ein Punkt. Etwa fünfundzwanzig Leute waren im Raum, von denen zwei während der Lesung aufstanden und gingen, weil sie, wie >>>> Brsma mutmaßte, Gefälligeres erwartet hatten. Immerhin haben sie sich nicht das Eintrittsgeld zurückgeben lassen und es wurden Bücher verkauft; und dafür, daß ich nur zehn Minuten zum Burger hinradeln muß, waren auch die hundert Euro nett, die ich von der Tür einstreichen konnte. Also so what?
Wahr ist, daß es unterdessen bessere Veranstaltungsorte gibt; die Szene surft. Man hat es eh nicht im Griff, was passiert. Als ich im Restaurant des Frankfurter Hauptbahnhofs las, vor anderthalb Jahren, waren um die 200 Leute da und standen Schlange. Es ist schlichtweg eine Frage des Pops; da ich seine Gesetze nicht befolge und überdies nicht mehr zu den jungen Autoren gehöre, die überdacht unter der Flagge von Slam und Open Mike segeln können, muß ich mich nicht wundern. Außerdem hat Brossmann wohl recht, wenn er sagt, ich gäbe den Leuten kein Identifikationsangebot, auch und gerade nicht in einer auf den ersten Blick reißerischen Story wie Azreds Buch, die aber eben, obwohl aus der Ich-Perspektive erzählt, quasi faktisch-objektiviert in kalter, fast grausamer Konsequenz abläuft; das muß aber erzählerisch so sein, um schon sehr früh das Ende der Erzählung vorzubereiten, ja um es überhaupt zu begründen. - Aber hoffen, daß sich der Zuspruch mal ändert, tue ich doch. Also einfach konsequent bleiben und strikt weitermachen, was ich angefangen habe. Schopenhauer, übrigens, soll nie mehr als sieben Hörer in seinen Vorlesungen sitzen gehabt haben; da ist mein Schnitt besser.
Außerdem habe ich jetzt die Aufnahme, also den Mitschnitt, der Lesung hier. Ich werde die Datei bearbeiten und eine Art Hörbuch daraus herstellen, die Sie und andere dann über >>>> die Website der Kulturmaschinen, sowie über Die Dschungel bestellen können. Ich denke mal, wir werden fünf Euro dafür nehmen. - Ein bißchen enttäuscht bin ich aber doch.
Bin also etwas desolat jetzt. Saß mit Brossmann noch auf zwei oder drei Bier, das weiß ich nicht mehr, im Soupanova, weil man da rauchen darf, während mich der Betreiber des Burgerkaffees immer wieder anraunzte, weil ich an meiner Pfeife nuckelte. Er stand kurz davor, mich hinauszuwerfen. Dabei war gar niemand mehr im Raum als wir letztverblieben Sprechenden am runden Tisch in der Ecke. Füllen tat sich der Raum erst gegen Mitternacht.
Bin also etwas desolat jetzt, weil ich erst um kurz nach sieben aufgestanden und, wie oft nach Lesungen, aus der Routine gefallen bin. Womit fange ich den Tag an? - Am besten, ich beantworte die Fragen Ralf Diesels zuende. Damit erst mal das vom Tisch ist. Und meine Enttäuschung wasche ich mir mit Großer Musik aus der Seele - wie seit jeher, seit ich ein Kind war:
[Richard Strauss, Salomé.]
Die ungeheuerlichste alle Salomé-Aufnahmen, die ich kenne. Karajan und die blutjunge Hildegard Behrens, die diese Partie zu früh sang und deshalb, weil sie die Stimme damals hatte, genial sang; es gibt rein gar kein Vibrato, alles ist jugendlicher Stahl, gekälteter Stahl. Karajan wußte, was er tat, auch wenn Behrens’ Stimme, die danach berühmt war und es bis heute geblieben ist, für diese Aufnahme letztlich geopfert wurde. Doch niemand, nicht vorher, nicht danach, ist jemals an >>>> diese Salomé herangekommen; ich habe die Aufnahme noch als Doppel-LP, indes mein Link auf eine CD-Pressung geht, von der ich nicht sagen kann, ob sie auch nur ungefähr die kalte, böse, rauschhafte Klangpracht der Schallplatte hat.
10.03 Uhr:
Allein, was tut’s? Was tut’s?
Ich habe deinen Mund geküßt, Jochanaan!
(Noch einmal die letzte halbe Stunde dieser Oper hören.
Ich höre nichts.
Warum schreit er nicht, der Mann?)

Immerhin die Antworten auf den Fragekatalog fertiggekriegt, ansonsten nur matschig rumgesessen; sogar den Sport habe ich heute vor Antriebsschwäche ausfallen lassen. Dafür ist mein bestellter >>>> Talisker gekommen; ich nehme gerade das erste Glas. Und die Reste der Ente von vorgestern stehen auf dem Feuer. Weggehen werde ich heute abend nicht mehr. Vielleicht lasse ich mich einfach weiter treiben, bzw. folge einem Rat Brossmanns und sehe mir Filme von >>>> Abel Ferrara an.