Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Cuban Island.

“Sie glauben also, daß es da ist, dieses Kuba?” Er war nicht sehr groß, schmal, ein überaus dunkelhäutiger Weißer, von dem man vor zweihundert Jahren angenommen hätte, daß er zur See gefahren sei; heutzutage lag sicher ein Sonnenstudio näher. Seine Augen wasserblau in einem zerknitterten Gesicht. Jeans-Anzug aus den 60ern, Espandrille an den Füßen. „Das glauben Sie wirklich?“ „Ähem“, machte ich. „Wie meinen?“ „Der wievielte ist das jetzt?“ Er nickte auf mein perlendes Glas. „Der dritte. Ich warte auf jemanden.“ Er rückte mir ein bißchen zu nahe. „Na“, sagte er, „dann werden Sie sicher bald auch glauben, daß es Fidel Castro noch gibt.“ „Ich hatte bisher keinen Anlaß zu zweifeln.“ „Wissen Sie, ich weiß genau, was Sie einwenden wollen: Daß es immer wieder Reisegruppen und sogar Einzelne gibt, die hinreisen und Zeugnis ablegen können.“ „Genau.“ „Ich war lange Pilot“, erzählte er. „Ich weiß, wovon ich spreche. Wenn Sie mir auch einen solchen Cocktail spendieren, dann erzähle ich Ihnen die Wahrheit.“ „Teure Wahrheit“, sagte ich. Aber weshalb nicht? Müde winkte ich dem Barkeeper, der sah mich an. Ich sah den Mann neben mir an. „Ja“, sagte der, „Cuban Island“, und er fügte nach dem ersten Schluck, indem er sich mit der Unterlippe die hängengebliebene Feuchtigkeit von der Oberlippe leckte, fast nahtlos an: „Es gibt Kuba nicht. Nicht mehr.“ „Bitte?“ „Seit genau neununddreißig Jahren.“ Er nickte. „Bumm“, sagte er und kippte sein Glas. „Bumm?“ „Krieg ich noch einen?“ Ich winkte dem Barkeeper. „Bumm?“ „Atomschlag, ja. Alles weggeputzt. Hat nicht länger als fünf Minuten gedauert. Kennedy, Sie wissen schon. Schweinebucht und so.“ „Hören Sie, was ein Unsinn! Die Russen hätten aber was protestiert!“ „Nein. Es war ein Deal. Im Gegenzug durften die den ersten bemannten Raumflug starten.“ Er nickte vor sich hin. „Und die vielen Urlauber, die Journalisten?“ „Die Urlauber... das ist es ja gerade. Ich bin immer wieder nach Kuba geflogen mit Reisegruppen. Zum letzten Mal vor 34 Jahren. Ich war nämlich Pilot. Lufthansa. Die Leute haben immer gedacht, es sei Kuba.“ „Das war es nicht?“ Er schüttelte den Kopf. „Südsee“, sagte er. „Eine Hollywood-Insel. Man hat da ganz Havanna neu aufgebaut, künstlich. Und einen Schauspieler für Fidel Castro eingesetzt. Und Tausende Statisten, die hinmüssen, wenn sie in Hollywood grad nichts zu tun haben.“ „Bitte?“ „Zur Bewährung, sozusagen. Alle auf der payroll des CIA. Wahrscheinlich wollten die USA ausprobieren, ob der Kommunismus nicht doch funktioniert. Jetzt können sie natürlich nicht mehr zurück, wenn sie sich nicht blamieren wollen. Außerdem, wenn das mit der Bombe herauskäme... Deshalb haben die Journalisten ja auch alle mitgemacht. Ich sag Ihnen, es gibt keine korruptere Bande. Glauben Sie keinem Reporter jemals ein Wort!“ „Es hat wirklich niemand gemerkt, daß das gar nicht Kuba ist?“ „Keiner. Natürlich wurden wir zur völligen Verschwiegenheit verpflichtet. Doppeltes Gehalt, verstehen Sie?“ „Wir?“ „Die Piloten. Alle Piloten für Kuba. Wären Sie auch drauf eingegangen, glauben Sie mir. Es ist nicht das erste Mal, daß die Weltgeschichte sich zu schweigenden Geheimgesellschaften verdichtet.“ Er sah mir meinen amüsierten Zweifel an. „Aber das müssen Sie doch wissen!“ rief er aus. Ich: „Was muß ich wissen?“ „So naiv können Sie nicht sein!“ „Naivetät gehört wirklich nicht zu meinen hervorstechendsten Charaktereigenschaften...“ Er schüttelte halb resigniert, halb seinerseits belustigt den Kopf. „Schon unfaßbar“, sagte er leise, „wie gut das funktioniert.“ „Was funktioniert?“ „Man kann es hinausbrüllen, man kann es veröffentlichen. Man kann täglich darüber sprechen. Und niemand glaubt einem. Es gehört ja geradezu zum Prinzip einer bestimmten Form von Geheimhaltung, daß sie unterlaufen werden muß, damit sie richtig dicht wird.“ Er stürzte auch sein zweites Glas, dann schob er sich vom Barhocker. „Na gut“, sagte er, „trinken Sie weiter, mein Freund. Ich für meinen Teil muß jetzt los. Darf ich Ihnen noch eine angenehme Nacht wünschen?“ „Sie können doch jetzt nicht einfach weg?“ „Weshalb nicht? Ich hab gesagt, was zu sagen ist. Machen Sie was draus. Das ist mir, seien Sie sicher, völlig wurscht.“ Damit ging er, und ich sah ihm, ich geb es zu, lange noch irritiert hinterher.

[Geschrieben für das Cocktail-Buch der >>>> Bar.]

Welch wundervoller Satz!

>>>>
das von der sonne angestrahlte helle gelb der blätter raubt den schimmernden echsen das augenlicht. <<<<

Verschwörungstheorien (2).

>>>> Wozu mir gerade einfällt, daß >>>> Gregor Dotzauer auch >>>> in der Jury des Berliner Senats saß. Wenn man einmal anfängt, >>>> Zusammenhänge zu recherchieren, kommt man aus der Verschwörungsparanoia gar nicht mehr raus – so sehr unterfüttert sie sich mit Realität.

Man kann wenigstens sagen, daß es >>>> eine Munic Connection und eine Berlin Connection gibt, die ein Krimiautor als Verhältnis von Mafia zu >>>> Camorra maskieren könnte - nur daß es sich selbstverständlich nicht um kriminelle Organisationen handelt, sondern um etwas, das Ernst Bloch ins Hauptbuch des Kapitalismus eingetragen hätte, in dem ausschließlich der l e g a l e Handel mit Waren Bilanzposten wird. Auf diese Feststellung lege ich, vermeintlicher >>>> Justiziabilitäten halber, hier, doch n u r hier, wert.

Verschwörungstheorien 1 <<<<

Giacinto Scelsi. Scelsi-Variationen. (o.N.)

Wie bekomme ich d a s, übereinandergelegt, in eine Variation hinein, ohne daß das Gedicht illustrativ, also Bild-Gedicht wird? Ich verabscheue Bild-Gedichte, selbst bei Apollinaire fand ich sie immer ridikül. Sondern will, daß sich dies Vorhaben in einer reinen Wort-Form erfüllt. Also:Shin
&
Omega

[Die gekreuzigte Schlange stellt Christus dar, zugleich spielt sie auf das hebräische ש („Sin“ oder „Shin“) an, den einzigen Buchstaben, der den Namen Gottes aussprechbar macht; man beachte den Dreier-Aufstrich, der Dreieinigkeit symbolisiert. (So, nebenbei, kommt es zu „Jesua“). Hierüber legte ich nun gerne das Ω, mit dem Scelsi bekanntlich gern unterzeichnet hat, wobei dieses Omega auch als Null gelesen werden kann. Das nähert sich dem Schöpfungsbeginn wie seinem Ende als Gesamtumfassung. Zugleich läßt ש eine Analogie zum asiatischen, speziell buddhistischen „Shin“ zu, dem Scelsi nahgewesen sein dürfte.]


Variation XVI <<<<

Vabanque. 05.11.2007. montgelas.

>>>„Alle Religionen seind gleich und guht, wan nuhr die leute, so sie profesieren, erliche leute seindt; und wen türken und heiden kähmen und wolten das Land pöbplieren, so wollen wier sie Mosqueen und Kirchen bauen."
Friedrich der Große


lessingGott würfelt nicht. Aber dafür verspielt gerade einer seiner Stellvertreter, der Ratsvorsitzende der EKD, einen wichtigen aufgeklärten Teil seines protestantisch-kulturellen Erbes, indem er das von Aleida und Jan Assmann wundervoll, vielbeschworene kulturelle Gedächtnis, zum Jeton, zum >>>Spielball aktueller Tagespolitik macht. Aber vielleicht ist der Speicher kultureller Erinnerung bei einem Bischof etwas anders programmiert, als bei einem so einfach strukturierten Menschen wie mir, dem einfach ein interessengeleiteter Chip fehlt, mit dem Huber von seinem Herrgott schon von Amtes wegen versehen worden sein muss. In einer Rede vor Synodalen soll er die Gleichwertigkeit der 3 großen abrahamitischen Religionen bestritten und einen jüdisch-christlichen-moslemischen Trialog abgelehnt haben. Ich kann mir das nur mit Gedächtnisverlust oder selektiver kultureller Wahrnehmung erklären, die wiederum mehr an eine Außenleitung a la David Riesmann denken lässt, statt an eine innere, glaubensstarke Stimme. Über Glauben zu rechten, das ist nicht mein Bier. Jeder soll nach seiner Facon selig werden. Aber meinen >>>Fritz lass ich mir nicht nehmen und meinen >>>Lessing, auch wenn er nicht der größte Dramatiker und Dramaturg seiner Zeit war, schon gar nicht. In meinem Gedächtnis ist eine Rundfunkaufnahme mit >>>Eduard von Winterstein gespeichert, der zur Wiedereröffnung des Deutschen Theaters, im vom Krieg zerstörten Berlin, Lessings „ Nathan den Weisen“ gab. Die Ringparabel, eines der Glanzstücke protestantischer Aufklärung, ich musste sie später in der Schule auswendig lernen, trieb damals, wie ich las, den Zuschauern die Tränen in die Augen. Noch heute kann ich sie aus dem Stand referieren. Denn das, was früheren Generationen Schillers Glocke, ist mir Lessings Ringparabel. Mit ihr könnte die mangelnde Erinnerungsleistung aller Huber aufgefrischt werden, es bedarf dazu keiner besonderen Mnemotechnik. Wintersteins Vortrag und der Anblick alter Fotos mit Ruinen sollten reichen, um den trägsten Speicher zu aktivieren. Und entwöhnen, so ist zu hoffen, vielleicht viele Spieler, und möglicherweise auch einen Bischof der Bank.

.
……
NATHAN:
...Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. - Möglich; daß der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! - Und gewiß;
Daß er euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. - Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad' ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich; und sprechen. Geht! - So sagte der
Bescheidne Richter.

Phänomenologie des Netzes (ff). Zugriffs-Hitliste per 8.21 Uhr. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (89): Die Empirie.

1. 24014 Zugriffe: >>>> "Ficken Sie mich, aber fassen Sie mich nicht dabei an!"
2. 7229 Zugriffe: >>>> Bitte um Stellungnahmen.
3. 6878 Zugriffe: >>>> Pornokunst.
4. 4261 Zugriffe: >>>> Birgitt.
5. 3810 Zugriffe: >>>> Das Camp.
6. 3605 Zugriffe: >>>> Wolf v. Ribbentrop.
7. 3577 Zugriffe: >>>> Netzfrauen § 12.
8. 3565 Zugriffe: >>>> Kontaktforen.
9. 3420 Zugriffe: >>>> DTs. (30. Dezember 2004).
10. 3413 Zugriffe: >>>> Mina Harker.
11. 3362 Zugriffe: >>>> Borges und Mäzene.
12. 3176 Zugriffe: >>>> Zunami.
13. 3130 Zugriffe: >>>> Kleine Theorie des literarischen Bloggens (1).
14. 3033 Zugriffe: >>>> MIßBRAUCH & VERZICHT.
15. 2937 Zugriffe: >>>> MEERE ist wieder frei.
16. 2760 Zugriffe: >>>> Der beabsichtigte Skandal.
17. 2753 Zugriffe: >>>> Die Nichtgeborenen.
18. 2727 Zugriffe: >>>> “Ist es denn so schlimm, gewöhnlich zu sein?”
19. 2697 Zugriffe: >>>> “Der hat doch nur das e i n e im Kopf!”
20. 2609 Zugriffe: >>>> Zur Öffentlichkeit Der Dschungel.
21. 2520 Zugriffe: >>>> „Experiment Ficken“ (1).
22. 2482 Zugriffe: >>>> Vaterliebe (1).
23. 2479 Zugriffe: >>>> AF 5.1.06.
24. 2463 Zugriffe: >>>> Es saßen drei Engel beisammen.
25. 2444 Zugriffe: >>>> Masturbation.
[Quelle: twoday-Statistik.]

[Bei allem, was ins Bedeutungsfeld von „ficken“ gehört, war das im Netz so zu erwarten, auch wenn die 24014 Zugriffe des ersten Platzes selbst dann sensationell sind. Nur um so erstaunlicher aber, daß sich etwa >>>> Die Nichtgeborenen mit über zweieinhalbtausend Zugriffen bereits an Platz 17 befinden, auf Platz dreizehn findet sich sogar ein >>>> T h e o r i e - Text mit über dreitausend, ganz zu schweigen von dem >>>> G e d i c h t mit nahezu zweieinhalbtausend Zugriffen. Solche Zahlen belegen um so nachdrücklicher die Relevanz des Netzes für die Dichtung, wenn man sie mit den gängigen Auflagenhöhe von Gedichtbänden vergleicht, die selten 1000 übersteigt. (Höchst rätselhaft ist allerdings der massive Zugriff >>>> dort. Zugleich ist es bezeichnend, wie sich mit Verstreichen der Monate die Wertungen vers c h i eben: Ein Indiz dafür, daß alte Beiträge eben n i c h t in den Blogs verloren sind.)]

>>>> 90
88 <<<<

Giacinto Scelsi. Scelsi-Variationen. (XVII).

[>>>> Thema:
haben Sie ewig die uralten Fehden]
haben an Tagen die rannen
Sie wie die Kastanien platzten

ewig zugesehen
die in dem braunen Grün

uralten Laubs die warmen
Fehden neu begannen

Variation o.N. <<<<

Wegen seiner Verdienste um ein freies, korruptionsloses Denken ist montgelas einstimmig in die Schwester- und Bruderschaft der Fiktionäre aufgenommen worden.


Berlin, den 6. November 2007, nachts.
Für Herbst & Deters Fiktionäre:
gez. ANH, 7. November 2007, vormittags.


[>>>> Montgelas:
ehemaliger politischer Häftling der DDR, 1982 Freikauf und Übersiedlung in die Bundesrepublik.
Agnostiker und Freund der Aufklärung, sieht sich als Reinkarnation des >>>> Maximilian Joseph Graf von Montgelas, floh vor Zensur und Eitelkeiten des Literaturbetriebes in Die Dschungel. Seitdem Avatar im Exil. Konservativer Linksaußen in der Dschungel Anderswelt. Lebt. (Zit.n. >>>> Herbst & Deters Fiktionäre.)]

Giacinto Scelsi. Scelsi-Variationen. (XVIII).

[>>>> Thema:
vom Sein und vom Tod in die Stimmung ]
eine Tasse voll vom heißen Sein
den Espresso genommen
und vom Tod den Wein aus dem Glas

in die Masken der Gesten
die den Gesichtern ihr
Auferstehliches geben

in dessen Stimmung
das Salz sich der Christen
aus dem Fleisch fällt

chemisch erstarrend soeben
wo es all schwänge
im heiligen Herzen Aions* -


Variation XVII <<<<

Engel wie Gnome. Von Lezama Lima.

Auch sah er, wie das Licht nun nicht unstet war, nicht trübselig auf dieser Erde wanderte wie an jenem Tag, da es den Leichenwagen umhüllte. Die Orgel hinterließ in der Luft Lichtinselchen, Trauben, in denen die Engel wie Gnome zusammenhingen und die Tonkrüge rieben, um mit ihren Nadeln den Polyeder zu durchstechen; ihre bemalten Nester setzten sich fort in ihren Leibern, die sich in Weiße verloren, tosend vom rauhen Rascheln ihrer Flügel.*
[>>>> José Lezama Lima, >>>> Inferno.]

[Es kann doch wohl nicht sein, daß dieses berauschende Buch bei amazon schon wieder nicht mehr greifbar ist! Immerhin >>>> führt es faz.libri noch.]

Fronesis konnte die liebevolle Zärtlichkeit beobachten, mit der Champillion das Fenster öffnen ging, damit die Brise Margarets schweren Schlaf kämmte.*

[*) Dtsch. von >>>> Klaus Laabs.]

Ich grüße dich, Maria! Erste Heidelberger Vorlesung (11).

So auch werden poetisch Romane gebaut:

Was die Logik betrifft, so weiß man heute nicht mehr, wie man einen Film sehen soll. Es ist schon lange her, daß man das konnte. (...) Wenn ich also sage, daß es eine absolute Logik gibt in dem Film: Ich zeige Ihnen einen Sonnenuntergang (coucher de soleil=Zubettgehen der Sonne), und in der nächsten Einstellung sehen Sie, wie Maria zu Bett geht...
(Jean-Luc Godard, >>>> Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos.)

[>>>> Auf Linksuche
Manches bleibt in einem enorm lange erhalten.
Bereits am Anfang der 90er, in einem Aufsatz über
Collagen, zitierte ich das. In den >>>> DSCHUNGELBLÄTTERN.]

10 <<<<

Jean-Luc Godard, die ironische Zielgruppe und der pathetische Ethos künstlerischer Arbeit.

TEMPO
Ist es nicht ermüdend, Filme zu machen, die kaum jemand sehen will?
GODARD
Wenn man weiß, daß nur zehn Menschen und nicht 30 Millionen einen Film sehen, dann denkt man sehr genau an die Zuschauer. Weil man nicht weiß, wer sie sind, hat man große Lust, wieder auf sie zuzugehen und einen neuen Film zu machen..

[In einem 1990 gegebenen Interview zu >>>> „Nouvelle Vague“.]

Extrem taktvoll !! 10.11.2007. montgelas

>>>Es spricht für ein seltsames „historisches Bewusstsein“, unserer Abgeordneten, das hinterfragt gehört, dass sie im November 2007 ein Vorratsdatenspeicherungsgesetz beschließen.
Am 9. November 1989 fiel die Mauer. Ein Staat brach, fast lautlos, zusammen. 2007 im November fallen die Schamgrenzen. Ein Staat, auch fast lautlos, beschließt die Beschneidung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung. Und keine wirksame Bürgerrechtsbewegung weit und breit, die die Macht hätte, dies zu verhindern

Die Dschungel bibliografieren. deutsches literatur archiv marbach. Auf eine Anfrage. Mit einer nachträglichen poetologischen Bemerkung zu Genese und Phänomenologie Der Dschungel.

Sehr geehrter Herr Laube,

Ihre Anfrage ging gestern bei mir ein. Selbstverständlich freue ich mich über Ihr Anliegen, zumal Die Dschungel seit etwa zwei Jahren immer wieder Gegenstand akademischer Überlegungen geworden sind und oft auch bereits zitiert werden. Da ist eine Bibliografierung fast notwendig.

Ein paar Hinweise/Fragen habe ich allerdings.
Als wichtigstes: Viele der Kommentare, aber auch ein paar direkte Einträge, vor allem in der >>>> Rubrik TAGEBUCH stammen nicht von mir; einige Beiträge wiederum andernorts, die mit anderem Namen als meinem gezeichnet sind, stammen durchaus von mir: das geschieht im Interesse meiner poetologischen Konzeption einer >>>> bricolage, sagen wir einfachheitshalber: Vermischung von Realität und Fiktion (die das genannte literarwissenschaftliche Interesse gerade bindet). Ich möchte nicht gerne aufdecken, welche literarischen Figuren fiktiv sind, welche nicht; übrigens auch nicht im Interesse meiner Die Dschungel mitschreiben Autoren, die ja ganz bewußt anonym bleiben; einige davon haben ebenfalls längst ihrerseits aus ihrer Realperson fiktive Dschungel-Personen abgespalten.* So etwas ist in Der Dschungel literarisches Prinzip. Das hat nun aber auch Folgen für die urheberrechtliche Behandlung durch >>>> Ihr Literaturinstitut. Von meiner Seite aus besteht da überhaupt kein Bedenken und sicher auch keines von Seiten meiner Mitautoren. Nur kann ich deren Zustimmung nicht einholen, weil sonst die Pseudonyme eröffnet würden. Wie halten wir es also damit?
Ein Ähnliches gilt für die Kommentare anderer, die ja ganz oft Plattform für meine weiteren Überlegungen geworden sind und immer wieder neu werden: ohne sie sind einige Passagen der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens überhaupt nicht denkbar. Die meisten dieser Kommentatoren kenne ich aber nur als das Anonym, das sie sich für die Kommentare gewählt haben.

Hier liegen, glaube ich, Probleme, die einer auch rechtlichen Lösung bedürfen. Einstweilen würde ich das "italienisch" regeln: So lange niemand richtig schimpft, läßt man es laufen. Ich möchte Sie nur auf diese Problemlage aufmerksam gemacht haben, obwohl darüber wahrscheinlich längst heftig >>>> in Ihrem Haus diskutiert worden ist.

Eine letzte Frage noch, was die öffentliche Zugänglichmachung betrifft: Wie halten Sie es da mit den Meldungen an die VG Wort? Gerade in meinem Fall, der ich wenigstens die Hälfte meiner Arbeitszeit auf Die Dschungel verwende und bei dem es absehbar ist, daß die Netzpublikation eine noch immer weitere, zunehmend gewichtige Rolle im Autorendasein spielt und eines Tages vielleicht die noch einzige spielen wird, ist hier eine Regelung nötig, die auch die existentielle Seite meiner poetischen Existenz mit in Betracht zieht.

Diese Fragen eben an Sie, bevor ich am Montag meine Einverständniserklärung unterzeichnen und an Sie hinausgeben werde. Sie zu stellen, ist nötig, da Die Dschungel sich von den meisten Weblogs insofern unterscheiden, als sie eben nicht nur ein Publikationsorgan im Netz sind (das man sich ebenso als Printmedium vorstellen könnte), sondern eines, das eine Netz-Ästhetik als formende Grundlage hat, sozusagen Netz selber i s t - dadurch aber, gemessen an der normativ identifizierenden Urheberrechtsgesetzgebung, notwendigerweise in die genannten Konflikte gerät. Das Netz hebt Normationen auf. Dieser Spur folgen Die Dschungel seit ihrem Beginn.

Mit besten Grüßen aus Berlin:
ANH
>>>> Herbst & Deters Fiktionäre

[*) Das Verfahren ist freilich direkt aus >>>> den Romanen
in Die Dschungel übertragen, hier aber dann mit aktiver Realitätskraft
aufgeladen worden, weil, was ein Buch notwendigerweise als Fiktion erzählt,
hier de facto g e s c h i e h t; und Leser können das Geschehen unmittelbar
miterleben, ohne einhalten zu können, sondern es passiert vor ihren Augen.
Literatur in Der Dschungel - die in den Romanen eben immer "nur" Roman ist -
wird zu einer Lebensform. - Man kann sagen, daß meine Romanästhetik
in Der Dschungel wirklich wird.
Poetologie.
Kybernetischer Realismus.
]

Barockmusik und die Moderne. Aus dem Gespräch mit Lothar Zagrosek (2). Transkription vom DAT-Band (ff).

[Wie erhält man für einen Zeitungsartikel oder einen Essay diese lebendige Gesprächsstruktur?]:ANH Was hat diesen großen Erfolg des Barocks in den letzten zehn Jahren ausgelöst?
>>>> ZAGROSEK Also erstens glaube ich, daß etwas, das total unbekannt war, sowieso die Leute fasziniert. Dazu kommt, daß einfach – ich glaube, es gibt kaum einen Operngänger, der nicht bemerkt, daß man bei einem noch und noch gespielten Repertoire immer wieder auch etwas Neues anbieten müßte... Dazu kommt... Barockmusik ist ja hauptsächlich mit Händel losgetreten worden... daß das eine unglaublich starke Musik ist, unglaublich starke Theatermusik und eine Musik, die zwar sehr oft von großen Helden aus dem Altertum spricht, aber wenn wir das umsetzen in die heutige Zeit, wenn man das ein bißchen durch die Brille von Siegmund Freud sieht, erkennt man, daß es da vollkommen um menschliche Gefühle geht – und da wirkt dann eben, was wir am Anfang gesagt haben: da sind dann einfach auch die größten irrationalen Zustände.. die sind dann einfach irgendwie glaubwürdig...
ANH ... diese schiefen Libretti zum Teil...
ZAGROSEK ...ja! Ja! Nur haben die die Legitimation, daß sie irgendwo im Götterhimmel spielen, wo sowieso alles möglich ist und wo auch andere Gesetze außer Kraft gesetzt werden, etwa die der Schwerkraft und weißGottwas... und diese Kombination fasziniert die Leute eigentlich immer wieder.
ANH Das ist ja ganz auffällig - abgesehen von dem Wagner-Zirkus, der parallel immer läuft -
ZAGROSEK ...ja...
ANH ...daß es eben ganz besonders der Barock war, der da aufgetaucht ist... mit Versuchen, die über Thielemann kamen, nochmal Komponisten wie >>>> Palestrina... Quatsch, wie Pfitzner in die Diskussion zu werfen, also im Deutschen Fach, aber es war eben vor allem der Barock...
ZAGROSEK ...das war eine richtige Blutzufuhr, das muß man wirklich sagen....
ANH ... über René Jacobs mit seinen Ausgrabungen... Haben Sie >>>> die Marienvesper gesehen?
ZAGROSEK Die habe ich gesehen, ja.
ANH Das ist doch toll gemacht, oder?
ZAGROSEK Wunderbar ist das, ganz wunderbar...
ANH Das bringt dann wirklich auch das Publikum rein.
Kleine Pause, quasi Vorhalt.
ANH Sie sprachen in dem >>>> Programmheft vor allem von Opern, die als szenisch nicht so gut darstellbar gelten. Daß man die nimmt.
ZAGROSEK Ja.
ANH Der >>>> Orfeo i s t aber szenisch gut darstellbar und wird auch oft gemacht.
ZAGROSEK Da waren für mich der Aufhänger mehr die Reformbemühungen von Gluck. Da kann man den Orfeo nicht ausklammern. Aber vor allem die >>>> Alceste, erst recht >>>> Paris erscheinen ja fast nie. Alceste gibt man ab und zu mal, aber dann meist in der französischen Version. Paris, ich weiß nicht, ob überhaupt...
ANH Es gibt eine einzige Aufnahme, glaub ich, die hat mir >>>> Bernd Leukert mal gegeben... weil ich die überhaupt nicht kannte...
ZAGROSEK ... bei Naxos, glaub ich, das ist, glaub ich, der Mitschnitt einer sehr gekürzten und technisch auch sehr schlechten Aufführung...
ANH ...irgend so etwas ist das, ja...
ZAGROSEK Es gibt, glaube ich, nur diese eine Aufnahme davon...
ANH ... jaja, da gibt es sonst gar nichts, und es war mir völlig unbekannt, und auch, wenn Sie jetzt von den französischen Opern noch sprechen, die man ja auch kaum kennt...
ZAGROSEK ...ja...
ANH - Was fällt Ihnen noch an Opern ein, haben Sie da Ideen?
ZAGROSEK Es gibt ganz viele Haydn-Opern...
ANH ... ja Haydn...
ZAGROSEK ...die nicht gemacht werden... Es gibt... diese frühen Opern von Křenek zum...
ANH ... Křenek...
ZAGROSEK ... Beispiel, die... wenn Sie... wenn wir ins Zwanzigste Jahrhundert gehen, es gibt... die Opern von...
ANH ...Schreker...
ZAGROSEK ... César und Milhaud, die nicht gemacht werden, und ... und... noch ein anderer Franzose, Mensch, jetzt komm ich nicht drauf...

1 <<<<

Eigensinn Der Dschungel. Von Negt & Kluge. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (90).

“Das ist z.B. auch die Dialektik einer aus Sachzwängen bestehenden Welt gegenüber dem ins Erkenntnismotiv eingegangenen Material des Lustprinzips, das hier, in Der Dschungel, auf seinem Eigensinn beharrt usf. Abwehr der dialektischen Wahrnehmung ist deshalb unter den geschichtlich-kulturellen Verhältnissen wahrscheinlicher als Zuwendung. Die Sinne verhalten sich lieber mythisierend, „feststellend“, als sich einer kurvenreichen, unter Umständen höllischen Bewegung anzuvertrauen, man müßte erst wieder f e s t s t e l l e n, was daran Sicherheit bringt.4"[Alexander Kluge/Oskar Negt, >>>> Geschichte und Eigensinn, S. 713/714.]

"4Also geschieht Denken in Analogie zum Bau der Arche Noah. Der Gegensatz dazu wäre, bei Sintflut ins Meer zurückzukehren, schwimmen zu lernen. Das Bild vom „Schwimmen wie der Fisch im Wasser des Volkes“ stammt ja aus der Kampfsituation von Partisanen. Es ist aber keine Wahrnehmungspraxis in hochindustrialisierten Gesellschaften. Auch wenn sicher ist: jede denkbare Arche Noah geht unter, würde sich die Masse der Wahrnehmungskräfte zunächst mit dem hoffnungslosen Abdichten der Lecks befassen. Hierzu >>>> Kipling: „Wird ein Mensch von einr Kugel getroffen, so fühlt er zuerst nur einen starken Schlag, zehn bis fünfzehn Sekunden vergehen, ehe der Körper die Verstümmelung der Seele meldet.“"

>>>> 91
89 <<<<

Können einem virtuelle Existenzen ans Herz wachsen?

... ein ANH, der ganz hinten im Bus auf der rot gepolsterten 70ziger Jahrebank sitzt, davor das kleine Alutischchen mit einer schwarzen Resopalplatte, darauf ein Aschenbecher, ein Zigarillo und ein Glas Middleton, die Beine übereinandergeschlagen, sitzend… alles beobachtend und sowieso ständig und immer schreibend. Ein Bruno Lampe, der mit unglaublich wachen Augen am dritten Ufer sitzt – seine schönen Hände fallen mir direkt auf – und alles in B:u:c:h:s:t:a:b:e:n:w:o:r:t:e umwandelt, deren intimschöne Stille ich immer so bewundere. Ein Paul Reichenbach, der auf der blau gepolsterten Bank sitzt, über die vielen Bücher um sich herum durch die Brille blickend, mal wieder völlig erkältet, es doch nicht verhindern kann, seiner Kollegin auf die Scham zu schauen, wenn sie ins Büro kommt. Er schreibt sehr eigen… sehr schön – auch transformierend und informierend, er schafft es, dass, was privater Natur ist, allgemeine Wirklichkeit werden zu lassen. Ein Montgelas, der immer schwarze Kleidung trägt und still in seinem Stil ist – so tut, als ob er aus dem Fenster schaut, aber definitiv wirklich alles registriert; und wenn er dann mal etwas sagt, hat es unglaubliches Gewicht. Wenn Montgelas und Lutz Hesse nicht immer so unterschiedlich gekleidet wären, könnte man sie glatt für Zwillinge halten – sie sitzen auch immer nebeneinander. Lutz Hesse ist ein Beobachter, so wie ANH, ab und an schweigt er nicht leise… man weiß, dass er im Hintergrund ist – er hat privat sehr viel um die Ohren, und auch deshalb nicht so viel Zeit. Und einen Prunier höre ich so gern französisch sprechen. Alle sitzen in diesem Bus mit der Nummer 68, wenn ich an der Haltestelle „Am Klaviergarten“ einsteige – ich brauche keine Fahrkarte, ich habe eine Dauerkarte, es ist auch kein Busfahrer da, dieser Bus fährt allein durch die Steuerung seiner Systeme, die Navigation der Route ergibt sich durch die Wechselwirkung der einzelnen Figuren, ich weiß also nie, wohin die Fahrt geht, aber ich weiß, dass ich in diesen Bus einsteigen will.

Die Weiblichkeit der Archive.


Das, als Lesefehler, als Verleser, habe ich eben → daraus gelesen. Das könnte Ihnen, Herbst, gefallen.

Schön, nicht wahr? daß ich das Zeichen entdeckt habe und für hier nun als erster verwende.

Liebesgedicht in den ewigen Metaphern.

Ich bin ohn' Dich
Ich bin doch nichts als eine Fährte

Ich bin ohn' Dich
der Reiter ohne Gerte

Geritten hast du mich
das Pferd den Reiter

Der gibt die Sporen s i c h
ohn' alle Hoffnung weiter

Da ist kein Du, nicht Ich
nur Sand

ohn' Haus und Land
Mit seinen trocknen Tränen

nährt er mich
auf meinem leeren Ritt um Dich.

Rechtlicher Hinweis. Neuer Disclaimer.

Wegen der Forschungen der Universität Innsbruck und der damit verbundenen Archivierung Der Dschungel durch >>>> DILIMAG, sowie durch >>>> das deutsche literatur archiv in Marbach, womit zugleich eine Veröffentlichung Der Dschungel in anderen Zusammenhängen verbunden ist, haben sich die Fiktionäre entschlossen, folgenden Disclaimer auf die Site zu stellen:Achtung Archive!
DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT wird im Rahmen eines Projektes der Universität Innsbruck beforscht und über DILIMAG, sowie durch das deutsche literatur archiv in Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreiber Der Dschungel erklären, indem sie sie mitschreiben, ihr Einverständnis.
Dort, gleich unter „User Status“, steht das nun auch. Wir bitten um Kenntnisnahme. Im übrigen wird auf >>>> diese Diskussion verwiesen.

>>>> Herbst & Deters Fiktionäre.
Berlin/Buenos Aires/Frankfurt am Main.
13. November 2007.

Im Zweifel für die Sensation. Die Netzeitung und ihre Elche.

Bezeichnend, daß >>>> der Blogblick >>>> d a s und nicht etwa, obwohl es zum Thema gehörte wie >>>> j e n e s, >>>> d i e s e s auswählt. Man tut halt selber gerne, was man kritisiert. So bleiben >>>> die Elche unter ihres welchen.

Hier gibt es eine kluge Diskussion der Ersten Heidelberger Vorlesung. (Heidelberger Poetik-Dozentur 2007).

Bei >>>> h o r.

[Um die Nervosität Der Dschungel nicht zu stören, finden Sie den Vorlesungstext selber jetzt >>>> in einer eigenen Rubrik.]

Ein traurig Spiel. 18.11. 2007. montgelas.

Volkstrauertag: Besuch des Mannheimer Hauptfriedhofs.
Acteure: Paul, seine Frau und montgelas.
Sie stehen vor einer Grabstätte mit einem Obelisken.

I.

montgelas: Hier liegt ein deutscher Geist, und nicht zu unrecht.

sie: Er war erst 25, als sie ihn hinrichteten.

Paul: Da hätte man doch Gnade vor Recht ergehen lassen können.

montgelas: Warum ?

Paul und sie: Er war noch so jung….

montgelas: Wer? Der deutsche Geist ?

Paul und sie fast synchron:
>>>Carl Ludwig Sand . sand



II

montgelas, sie und Paul stehen nun , ungefähr diagonal 30 m weiter,
vor einem zweiten Grab. montgelas nimmt den Hut ab und zaubert aus ihm eine kurzstielig geschnittene Lilie und legt sie aufs Grab.

Paul: Hier nimmst Du den Hut ab ?

sie: Und legst eine Blume hin.

montgelas: Er war ein Dichter !

Paul: Russischer Agent soll er gewesen sein.

Sie: Ein Verräter am Volk.. kein Demokrat.

montgelas: Ha ! – Der Demos.!

sie: Auf solch ein Grab legst du eine Blume?.

Paul: Er war unausstehlich berichten Zeitgenossen.

Paul und sie, schon wieder fast synchron :
Ein Adeliger, >>>August von Kotzebue, was hast denn du mit dem zu schaffen.?

montgelas: Er war ein Dichter …

august1



(Sie wenden sich alle 3 ab und gehen in Richtung Jüdischer Friedhof. )


Bildquelle: sie
v. Kotzebues Grabstein :
DIE WELT VERFOLGT’ IHN
OHN ERBARMEN;
VERLÄUMDUNG WAR SEIN TRÜBES
LOOS.
GLÜCK FAND ER NUR IN SEINES WEIBES
ARMEN.
UND RUHE IN DER ERDE SCHOOS,
DER NEID WAR IMMER WACH, IHM DORNEN
HINZUSTREUEN,
DIE LIEBE LIES IHM ROSEN BLÜHEN;
IHM WOLLE GOTT UND WELT VERZEIHEN:
ER HAT DER WELT VERZIEHN.

Wer wird uns grüßen.

Wer wird uns grüßen
wenn wir über den Horizont gehn
und haben im Hotel das Gepäck

zurückgelassen
das dem Kind, das es findet
zwischen den Trümmern

wo's sich von ferne erinnert
und winkt uns beim Aufsehn
mit den schmutzigen Fingern

zu
wie Autos durchs Rückglas
die ihm folgen -

Wer
wird ihm hupen
freundlich

mit Licht
und uns grüßen
beim am Abschied

voraus?

Es gibt verdeckende und öffnende therapeutische Verfahren.

Das gilt auch für die Literatur. In der Folge verdeckender Verfahren entsteht vorübergehend eine Beruhigung, ergibt sich ein befristeter Ausgleich, nicht aber die Lösung innerer Konflikte. In der Folge öffnender Verfahren entsteht erst einmal Angst, vielleicht Aggression, in jedem Fall ein Unbehagen. Doch erst in der Öffnung des Konfliktes läßt es sich über die Symptome hinaus zu den Ursachen vordringen. Interessanterweise kann sich ein öffnendes Verfahren verdeckender Techniken bedienen; das wäre etwa für autobiografische Dichtung die Verschiebung auf ein ganz anderes, literarisches, Objekt. Das nun zum Handlungsträger eines Romanes wird, der mit dem Leben seines Autors (und dem Leben seiner Leser) erst einmal gar nichts zu tun zu haben scheint. Der „Trick“ besteht nun darin, daß diese Figur, der man deshalb vertrauen zu können meint, zugleich in einen Dialog mit den verschütteten Ursachen tritt und sie fast unmerklich aus dem sie umgebenden Gestein herauslöst.
Selbstverständlich kann das auch brachial geschehen. Die Gefahr bei diesem besteht darin, daß ein solcher Angriff meist sofort abgewehrt wird; die Gefahr bei dem anderen Vorgehen besteht darin, daß sich die in den Dialog tretenden Gründe der Figur (und ihrer Identifikations-Subjekte) bemächtigen, sie sozusagen korrumpieren und schließlich zu sich in die Versteinerung mit hinabziehen. Man tut deshalb gut daran zu verschleiern, ob es sich bei einem Text um eine Brechstange oder um feinmechanische Schraubendreher handelt. Jedes Anonym ist eine solche Verschleierung.
Daß eine Brechstange in der Dichtung aber immer zugleich doch „nur“ Dichtung ist, daß man meint, sie durch Zuschlagen eines Buches senken zu können, ist seinerseits ein Feingriff, der der Verschleierung ganz ebenso gleichkommt. Eine einmal gelesene Provokation, wenn sie denn 'gut' und die Brechstange an der richtigen Stelle angesetzt ist, wird den Lesern auch dann bleiben, wenn sie abwehren. Sie werden nämlich dieses G e f ü h l nicht mehr völlig verlieren.
[Poetologie.]

In dem Garten der Pfade, die sich verzweigen: Sitzend. Eine arkadische Fantasie, um Jorge Luis Borges gesonnen. Erste und Zweite Szene.

Quain
Ferri
Ashe
:
Drei sehr alte Männer; sie sprechen
eher hart; sentimental sind sie nur
dort, wo eigens angegeben.
Junge Frau:
Die sehr junge Stimme sollte in
die einer älteren Frau wandelbar sein
Kinderstimmen (Archiv).

Der Friedhof Plainpalais in Genf. Man hört Vogelgezwitscher, bisweilen etwas Wind in Geäst, dann wieder entfernte Stimmen. Einmal zieht ein kleiner Trupp Trauernder vorüber; dann wieder weint jemand. Das ist aber alles sehr undeutlich. In der Ferne vielleicht auch ein gelegentliches Autogeräusch. Die drei Alten halten jeder für sich dasselbe Selbstgespräch.

QUAIN Ich habe mich immer gefragt, wie eine Eibe klingt.
FERRI Jaja. Summt einen Tango.
QUAIN Eigentlich schade, daß ich nie singen konnte.
FERRI Bioy konnte es. Wie Bioy singen konnte!
QUAIN Adolfito. Wobei er etwas ironisch lacht: Ein guter Junge. Spöttisch: J o y c e hat er geliebt!
FERRI War das 1930? Ich entsinne mich nicht... I c h konnte den Ulysses n i e zuende lesen.
QUAIN Oder 1932? 1932 wird es gewesen sein...
FERRI Er hat mir gerne zugehört.
QUAIN Das hat mir immer gefallen. Er war so viel jünger. Ich habe nicht mehr nur für mich gesprochen.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
QUAIN Und kann jetzt die Eibe hören.
FERRI Sie klingt schön. Also der Wind in ihr.
QUAIN Da liegt er nun... Wie vom eigenen Gedanken irritiert: Er?
FERRI Liegt da, und ich gucke ihm beim Liegen zu. – Eigentlich geht mir der Wind auf die Nerven.
FERRI Auch die Eibe. Also diese Eibe geht mir auf die Nerven.
ASHE Gab es Zuhause Eiben?
QUAIN Ach Palermo.
FERRI Buenos Aires.
QUAIN Selbst in Adrogué gab es keine Eiben. Aber was bemerkt man schon als Kind?
FERRI Im Garten standen die Palme, die Windmühle... Sentimental: War die Windmühle nicht rot?
ASHE Das Universum setzt sich aus einer unbegrenzten und vielleicht unendlichen Zahl sechseckiger Galerien zusammen...
QUAIN Wenn e r nicht gewesen wäre, hätten Norah und ich immer weiterspielen können. Sie ist nun schon lange tot.
ASHE Alt werden ist so. Kein Gefühl!: Alle gehen weg.
FERRI auch ohne Gefühl: María nicht. Sie ist rührend.
ASHE Mastronardi, Milton, Victoria, Farid Hushfar, Carlos Argentino... Nicht klagen, nur feststellen!: Sie fragen einen nicht, bevor sie gehen.
FERRI Mein Altern ist eine Art, geliebt zu werden.
QUAIN Allein bin ich seit je. Ein Ding ist mehrere Dinge.
FERRI Ich habe mich immer vor Spiegeln gefürchtet.
ASHE In meinem Kinderzimmer hingen drei große Spiegel, und ich hatte heftige Angst vor ihnen, denn ich sah mich selbst im Dämmerlicht.
FERRI Ich hatte große Angst davor, daß die drei Schemen vielleicht beginnen würden, sich von selbst zu bewegen.
QUAIN Spiegel vervielfachen uns.
FERRI schroff ablenkend, grantig: Norah soll sich endlich melden!
ASHE milder: Wahrscheinlich findet sie nicht her, sie hat sich verlaufen. Das wird die Erklärung sein.
FERRI Oder daß sie nach Quilos sucht... Aber nein! Wie könnte sie!
ASHE Quilos ist eine Erfindung von Norah und mir gewesen... als wir Kinder waren...
FERRI Ich war Kind. In sich: Wann soll das gewesen sein?
ASHE Papa hat uns ja nicht in die Schule gelassen... Wir erfanden uns die Spielkameraden. Er hat allen Institutionen mißtraut. Erst als ich neun war, durfte ich hin. Ich hatte bereits Homer gelesen.
QUAIN Na gut... ich übertreibe.
FERRI Aber ich schwindle nicht: Mit zehn ist meine erste Übersetzung erschienen.
QUAIN stolz: In „El País“!
FERRI Man hat es natürlich für Vaters Übersetzung gehalten.
ASHE wegwerfend: Es ist ohne Bedeutung, wer der Urheber ist
FERRI Doch seit meinem sechsten Lebensjahr wollte ich Schriftsteller werden.
ASHE Wie ich den Eukalyptusduft vermisse! D a s ist Kindheit: Eukalyptus.
FERRI E r wollte Schriftsteller werden, nicht ich.
QUAIN Gegen ihn haben Norah und ich uns Quilos erfunden.... Das war ein Tunichtgut!
ASHE Windmühle aber auch! Windmühle war sogar noch frecher als Quilos.
FERRI Rosebud.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
FERRI in Richtung des Grabes: E r ist schuld. Er hat aus unserem Garten eine Bibliothek gemacht...
ASHE ...mit weiten Entlüftungsschächten in der Mitte, die mit sehr niedrigen Geländern eingefaßt sind. Von jedem Sechseck aus kann man die unteren und oberen Stockwerke sehen: ohne ein Ende.
FERRI spuckt verächtlich aus.
QUAIN Irgendwo da hocke ich jetzt.
FERRI Ich höre mir zu.
ASHE Ich spreche in einer der zahllosen Galerien.
QUAIN Sitzend. Im Garten der Pfade, die sich verzweigen.
FERRI Die Spiegel hatten recht.
QUAIN Ich hatte recht, mich vor ihnen zu fürchten.
ASHE Manchmal brauche ich einen Stock, manchmal nicht.
FERRI Manchmal bin ich blind. Manchmal nicht.
ASHE ruft ins Leere: Hört mich jemand? Lauscht.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche. Oder, allenfalls ungefähr, Kinderstimmen. Irrt er sich, irren wir, die Hörer, uns? Was haben wir da eben vernommen?

[Auf Halde.
Entstanden um 1980.
Wird fortgesetzt.]

>>>> Verzweigende Pfade 2

Lieber Yamamoto, Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (91),

>>>>machen Sie sich bloß keine Gedanken wegen Ihrer Publikationsform; jedenfalls nicht meinetwegen. DIE DSCHUNGEL ist ein langsam entstehendes, werdendes Netzprojekt, das sehr bewußt mit den Möglichkeiten des Mediums erzählen will, das ausprobieren will, zum Beispiel, wie sich Romane in den Zeiten ihres Entstehens miterzählen, nahezu in Echtzeit. Das zugleich immer auch reflektiert, was es tut. Ich habe das als “Literarisches Weblog” definiert, was aber nicht bedeutet, es gebe nicht andere Weblogs, die Literatur (enthalten und) vermitteln. Wenn meine Definition, die ja eine Setzung ist, zu Ausschlüssen führte, täte mir das leid und weh.Es entstehen im Rahmen Der Dschungel auch immer wieder Personen, die mitschreiben, und Avatare mischen sich ungeschieden unter Realpersonen, welche dadurch ihrerseits zu Avataren werden, also zu literarischen Figuren selber. Das ist aber m e i n Ansatz, der die traditionelle Narration in das neue Zeitalter der technischen Bilder hinübergeleiten will und nach Formen sucht, sie zu erhalten. Gegen Mitstreiter auf diesem Weg habe ich wirklich nichts, aber auch nichts dagegen, daß jemand wie Sie auf ganz herkömmliche Weise, nur eben auch im Netz, publiziert. Erzähler wie Peter Kurzeck zeigen, daß Dichtung durchaus auch noch an der Schreibmaschine oder sogar per Hand entstehen kann. Da gibt es für mich gar keinen Zweifel. Es interessiert mich nur nicht mehr so, nicht als Produktionsprozeß, wohl aber als fertiges Werk.

P.S.: Ich habe den Begriff “Literarisches Weblog” so definiert, um deutlich zu machen, daß es selber literarisch ist; seine Form ist Literatur. Das ist etwas anderes, als wenn Literatur allein die in ihm veröffentlichten Beiträge sind.
Deshalb halte ich an meiner Definition auch fest.
<<<<

[Leider kam mir der Gedanke zu spät, diese Miszelle
der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens
ausschließlich bei >>>> Yamamoto einzustellen,
wie das bereits mit anderen Partikeln geschehen ist, und dann von hieraus bloß drauf
zu verlinken. Das geht nicht mehr, da sich Kommentare dort
nicht nachträglich revidieren lassen. Schade.]
90 <<<<

Der Getretene.

In den Jahren 1974 bis 1979 wurde Hamburg von einer Kette mysteriöser und eigentümlich unsystematischer Morde heimgesucht, denen fast dreißig Männer und Frauen der verschie­densten gesellschaftlichen Herkunft zum Opfer fielen. Offenbar handelte es sich bei dem Ver­brecher um einen Profi; zumal, so begütert oder ärmlich seine Opfer jeweils auch wa­ren, er raubte sie weder aus, noch verging er sich an ihnen. Alle Morde wurden mit einem Thaibeil ausgeführt, wie es gewöhnlich in der asiatischen Küche Verwendung findet. Zudem hieb der Täter seinen Opfern je den rechten Fuß ab und legte diesen jenen auf die nun unbewegten Bäuche.
Da man von MafiaFehden ausging, auch wenn sich nie Verbindungen herstellen ließen zwischen den Opfern und kriminellen Clubs, zumal die vorbezeichneten Straftaten ausschließlich in Blankenese verübt wurden, ließ die Polizei bald verdeckt ermitteln. Erfolglos. Erst spät kam der Gedanke auf, es möchten die Motive des Täters andere Gründe haben als die gemutmaßt rituellen. Indessen: welche? Man zog Psychiater zu Rate und heuerte Jungs an von den SEKs, und wenn auch das kleine Areal nahezu umfassend observiert schien, ja die Behörde sich unterm Druck des öffentlichen Unmuts personell restrukturierte... plötzlich lag abermals eine Tote oder eine Toter friedlich am Rinnstein und trug ihren oder seinen rechten Fuß auf dem Bauch.
Erst ein Zufall brachte Erhellung: In den frühen Morgenstunden des 22. März 1979 wurde eine Streife unweit von Hesses Park durch eine laut zeternde Frauenstimme ange­lockt. Die Beamten parkten ihren Wagen, stiegen aus und schlenderten erfreut - es war für sie eine langweilige Nacht gewesen - auf eines jener weiblichen Originale zu, derer es an der Waterkant einige gibt. Es hieb vermittels eines Regenschirms auf einen älteren, sorgfältig gekleideten Herrn unablässig ein. Nachdem die beiden voneinander getrennt worden waren und um die Ursache für das Spektakel be­fragt, zeterte die deutlich angetrunkene Frau, „das Vieh“ habe sie ermorden worden; das sei sie nicht gewöhnt und daran wolle sie sich auch gar nicht gewöhnen. Der Herr leugnete sein Vorhaben nicht. Wenn es schon ihm selbst nicht gestattet werde, dieses Weib zu bestrafen, so möchten doch die netten Beamten so freundlich sein, es dem Staatsanwalt zu übergeben.
Die jungen Polizisten, in ihrer amüsierten Irritation, wollten es an sich bei einer Ausweiskontrolle bewenden lassen. Sie hielten beide Parteien schlicht für überkandidelt. Da erboste sich aber der Herr derart, daß ihnen nichts übrig blieb, als beide, um den Vorfall zu protokollieren, auf die Wache zu bringen. Während der Fahrt noch schimpfte der vornehme Herr aufs allerordi­närste. Das Weib habe ihm absichtlich auf den rechten Fuß getreten, das gehe so nun schon seit zehn Jahren, daß wildfremde Leute seinen rechten Fuß zur Zielscheibe nähmen; eigentlich seit er – und er hob die Stimme – mit seiner Wohltätigkeit begonnen habe. Eine Verschwö­rung sei in Gang gegen ihn; die Herren sollten sich nur überzeugen. So grausam, insistierte er immer und immer wieder, sei ihm die generöse Menschenliebe von allem Anfang an entgolten worden. Irgend wann sei es auch dem erbittertsten Philantropen nicht länger möglich, sich weiter wehrlos quälen zu lassen.
Man setzte das Protokoll auf und ließ die Frau dann laufen; den Herrn hingegen nicht. Denn es fand sich bei ihm, aus Anlaß der Leibesvisitation, ein Thaibeil mittlerer Größe. Dem Psychiater erzählte er später, seit vielen Jahren habe es keinen Spaziergang gegeben, auf welchem ihm nicht mindestens zwei oder drei ihm durchweg fremde Leute mit großer Kraft auf den rechten Fuß getreten hätten, und zwar - so betonte er - immer auf die gleiche Stelle.
Die medizinische Untersuchung belegte das. Die Stelle zwischen rechtem großem Zeh und rechtem Fußknochenansatz war nicht nur fürchterlich ge­schwollen, sondern nachgerade verkrüppelt. Er mußte unablässig Schmerzen haben. Das Gerichtsverfahren schloß die Mord-, bzw. Totschlagserie endlich ab. Darin wurden mil­dernde Umstände geltend gemacht. Noch inhaftiert, nach vergoltenen neun von zehn Jahren Haft, erlag der Herr einem Herzanfall. Tatsächlich hatte sich um eine in hanseatischen Kreisen für ihre offene Hand ausgesprochen bekannte Person gehandelt, die vor allem aufgrund karitativer Stiftungen in allerhöchstem Ansehen stand; allein zwei Heime für spastisch behinderte Kinder sind bis heute nach diesem Geldgeber benannt, der, so das psychologische Gutachten, jeglichen Gefühls für die Verhältnismäßigkeiten verlustig gegangen sei. Das finden wir n i c h t.

[Auf Halde.
Entstanden um 1980.]

In dem Garten der Pfade, die sich verzweigen: Sitzend. Eine arkadische Fantasie, um Jorge Luis Borges gesonnen. Dritte und Vierte Szene.

[Fortsetzung von >>>> hier.]

FERRI Wahrscheinlich s u c h t Norah mich.
QUAIN Sie ist nie sehr intelligent gewesen. Sie wird mich nicht finden. Auch Mamón war nicht besonders intelligent.
FERRI Aber Mamón war schlau! Ich wäre verkommen ohne sie. Ich wäre all den Elsen hilflos ausgeliefert gewesen.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
QUAIN Adolfito war neulich hier.
FERRI Der hübsche flinke Bioy!
ASHE Daß er noch lebt!
FERRI Jagt er wohl nach wie vor auf Röcke?
QUAIN Das habe ich an ihm nie verstanden, daß er solche Klebrigkeiten mochte. Schlamm, Physiologie.
ASHE wie um sich zu verteidigen: Aber ich habe Frauen immer verehrt!
QUAIN Er hat auf sein Grab geschaut.
ASHE Er hat auf als würde er mit dem Kopf Richtung Grab nicken d e s s e n Grab geschaut.
QUAIN Er begreift nicht, was er sieht.
ASHE Manchmal höre ich Rufe in der Bibliothek.
FERRI Ich h ö r e nie etwas. Außer der Eibe. Die E i b e höre ich. Den Wind in der Eibe.
QUAIN Und dauernd diese Leute! Wenn sie mich wenigstens wieder ausfragen würden.
ASHE Immer wieder höre ich es rufen...
FERRI Ich habe den Dialog, der für mich sehr viel unterhaltsamer ist, dem Vortrag immer vorgezogen.
QUAIN Japaner nehmen anfangs immer an, ihr Gesprächspartner habe recht. Das ist eine gute Voraussetzung für einen Dialog.
ASHE leicht aufgeregt: Da! Wieder!
FERRI Man irrt dann nicht mehr gar so blind durch all die Galerien... die Bibliothek... Wir halten sie nicht mehr unbedingt für einen Garten und die Bücher nicht für Blumen.
QUAIN Es ist sehr komisch. Wenn du hinschaust, siehst du wirklich Bänke, Gräber, Rabatten... ironisch: Eiben.
ASHE ruft: Mamón?!
QUAIN Wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Die Wirklichkeit ist ein Sonderfall der Literatur.
ASHE Oh! Still, still!
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
QUAIN tückisch: Es hat sich selbstverständlich niemand das Stockwerk notiert, in dem ich sitze.
ASHE Ich glaube, es ist das siebenhundertfünfunddreißigste, Galerie D.
FERRI Man sollte die Zahl auf einen Zettel schreiben und jemanden losschicken damit.
QUAIN Wenn er Norah findet, kann er ihn ihr geben. Dann findet sie mich schneller.
FERRI Ich zweifle, daß sie mich erkennen wird.
ASHE Ich würde mich selbst nicht erkennen.
QUAIN Ich kann die Inschriften nicht lesen. War da eine Platte an der Eibe?
FERRI Nicht an der Eibe, nein, auf dem Grabstein war sie.
QUAIN Warum hab ich nicht daran gedacht?
ASHE Ich nehme einfach den richtigen Band aus dem Regal.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
FERRI Das dauert!
QUAIN Ich kann ihn nicht erkennen. Zählt: Einer, zwei... h i e r müßte er stehen... Seufzt.
ASHE Das Buch trägt die Nummer 735D/G6. Das einzige, was einem hilft, ist das Gedächtnis.
FERRI Wie hat man bloß die Eibe in dieses Sechseck gekriegt?
QUAIN Nein, hier steht er nicht.
ASHE Der Band heißt G6. Es ist das sechste Buch der Reihe G in Galerie D des 735. Stockwerks.
QUAIN Die Schrift ist nicht erhoben. Seit Vaters Blindheit kann ich nichts mehr erkennen.
FERRI Seit Großmutters Blindheit.
ASHE Seit Miltons Blindheit.
QUAIN Seit Jahrzehnten erkenne ich nur noch Verschwommenes und die verwischte Farbe Gelb. Und Samt. Samt erkenne ich auch.
ASHE Samt ist die Farbe Homers.
QUAIN wie mit einem Igitt-Laut: Diese Vorsatzblätter fassen sich aber häßlich an!
Ein verfremdeter Ruf aus der Kindheit ins Jenseits:
FRAU (englisc h ausgesprochen:) Georgie! Georgie!
ASHE Da! Da war es wieder!
FERRI und QUAIN: War da etwas?
ASHE Da war der Ruf! Mamón doch... ach! Oder... Norah?
FERRI Nein, doch nicht... nicht Norah.
ASHE Ulrike war das.
FERRI verträumt: Ulrike... wie vor: Was hat sie denn g e s a g t? Sie hat den Kindernamen gesagt.
ASHE M e i n e n Kindernamen.
QUAIN Es war niemand.
FERRI Ulrike würde niemals einen Kindernamen rufen. Nie!
QUAIN Das ist ein schöner Einband...
FERRI als nähme er ihn, genießerisch: Mmh, wirklich schön!
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
ASHE Ich habe nie an ein haptisches Alphabet gedacht, aber auch dafür muß es eine Galerie geben.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
FERRI als hätte er Widerspruch erhalten, auffahrend: Und ich sage, Ulrike t ä t e das nicht!
ASHE abwesend, weil in die neue Überlegung eingetaucht: Wer war Ulrike?
QUAIN Nachsinnend, als versuchte er, das Wort zu be/greifen: Ulrike...
ASHE Was wäre ein Wort, das sich abtasten ließe? Ich habe vergessen, mir über das haptische Alphabet Gedanken zu machen. Das ist unverzeihlich!
FERRI Es gibt auch d a f ü r eine Galerie.
ASHE dem man eine plötzliche nervöse Unruhe anmerkt: Wie s p r i c h t man haptische Wörter?
QUAIN In der plötzlich gleichen Unruhe, - als spräche derselbe Mann (was so ist): Man faßt diese Wörter an und trägt sie herum.
ASHE Es sind r e i n e Wörter.
QUAIN Jedes bezeichnet genau das, was es ist... das Wort Tisch i s t Tisch.
FERRI Den Unterschied zwischen einem Buchstaben und einem anderen habe ich nie behalten.
ASHE Wörter befühlen.
FERRI Der Grund ist, weil ich einzig bin. Mich kümmert nicht, was ein Mensch anderen Menschen mitteilen kann, ich denke wie ein Philosoph, daß sich durch die Kunst des Schreibens nichts übermitteln läßt.
QUAIN Ich möchte aufstehen, meine Galerie verlassen, möchte herumgehen können!
ASHE Aber ich fände nicht mehr zurück. Und wenn doch, ich merkte es nicht.
QUAIN S o aber wird mich Norah niemals ausfindig machen. Auch Mamón wird sich tiefer und tiefer in mir verirren. Manchmal springe ich von dieser Bank auf und winke über dessen Grab hinweg...
FERRI Es gibt Söller, von denen ich mich hinabfallen lasse, bis ich blute.
QUAIN Und immer warte ich darauf, daß jemand kommt.
ASHE Neulich hat mich einer gesehen!
FERRI Er sah wie ich in meiner Jugend aus. Wie Alejandro FERRI.
QUAIN Ich habe FERRI erfunden.
FERRI Er hat mich erfunden.
ASHE Jedoch am liebsten spiele ich mit der Vorstellung eines anderen Asterion.
FERRI Bloß ein bedeutungsloser hellenischer Flußgott.
QUAIN Oder Aster, der zyklische Luzifer?
ASHE Ich tue so, als käme er mich besuchen, und ich zeige ihm das Haus.
FERRI Mit huldigenden Verbeugungen sage ich zu ihm:
QUAIN als Asterion: Jetzt wollen wir bis zur vorigen Kreuzung zurückgehen...
FERRI oder:
QUAIN als Asterion: Jetzt betreten wir einen anderen Hof...
ASHE oder:
FERRI als Asterion: Ich habe ja gewußt, daß diese Wasserrinne dir gefallen würde...
QUAIN oder:
ASHE als Asterion: Jetzt sollst du eine Zisterne sehen, die voll Sand ist...
FERRI oder:
QUAIN als Asterion: Jetzt sollst du sehen, wie das Untergeschoß in zwei verschiedene Richtungen geht...
ASHE Manchmal täusche ich mich, dann lachen wir beide herzlich.
Sie lachen leise. Sie seufzen leise.
[Auf Halde.
Entstanden um 1980.
Wird fortgesetzt.]

Verzweigende Pfade 1 <<<<

Das Ende der Schriftkultur befreit den Gedanken, so daß er wieder vom Rand fallen kann. Aristoteles, paradoxal. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (92).

KJC
Das Internet und das Fernsehen haben aus der Welt wieder eine Scheibe gemacht.
ANH
Aber wo, im Internet, fällt man von der Scheibe runter?
KJC
Du brauchst immer den Screen.
ANH
Bald nicht mehr, sei sicher. Bald wird der Screen direkt das Gehirn sein.
KJC
Das ist es schon.
ANH
Ja, fast. Das steht technologisch als allernächstes an, das steht schon auf der Schwelle und hat geklopft. Deshalb habe ich gar keine Sorge mehr, wenn ein Text von mir nicht mehr als Buch erscheint.

>>>> 93
91 <<<<

Bamberger Elegien (101). Überarbeitung der ZF zur DF. Siebente und Achte Elegie. Die problematischen, bzw. fehlerhaften Stellen im Hexameter.

1)

anderen s t e h t, ˇdas ist, ein Ungeˇfähres, die Seele,

2)

Brutmaschinen, Orchiˇdeen, und allesdas zweifach,

3)

Ameisenhaufen und händevoll Ameiseneier ˇ holt' er

4)

drängenden; jetzt aber slackt es gleich schlampig gespannten Wanten...

5)

scheut es, das ˇ Licht, auch die Liebenden wüßten mit Dunkel was anzu -
fangen
... Ist Aufklärung darum aseptisch? Vernunft ˇ zeugt nicht,

6)

liebende Kinder... unängstlich, offen, unabgelehnte,
vorbehaltlose und freie ˇ... Fließe, Regnitz, ˇ fließe -

7)

fernen Berlin) ˇKaiser's - ˇangepaßt, aufruhr-, revoltlos

8)

fällt wie ˇBlätter ˇ fallen... wie Nebel, ˇ die ihr
winken

9)

- unklug zu leben, so müssen wir, Sohn, um zu leben, ˇ werden...

10)

wiederzuschmecken... das Chaos, es wartet... ˇ noch - )

BE 100 <<<<
 



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