Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
________________________________


 

Mauern Amelias (1). Entwurf.

Mauern: Sie sprechen
zu meinem Auge,
hier die Alge Flechte, dort der Riß,
bis

es auf der dörren Lauge,
die ihr, Sonnenrechen,
da hineingeschabt
habt,

langsam weiterzieht:
zum Arm des wilden Cappero,
dessen Gestrüpp es senkt.
Hängt

daran noch irgendwo
mein Ich im Strauch und sieht,
bevor's sich schließt
und leis aus ihm herunterfließt?

Wer weiß.

Mauern Amelias (2). Entwurf.

Hier sind auch Zimmerwände Mauern
Hier ist kein fugenloses Weiß
Nichts ist hier glatt wie Glas

Hier ist ein Leben in den Fugen
Hier allerwo ein Wimmeln
Nicht das registrale Lineale

des Verhütungstechnoiden
Nicht das planungskapitale
SchönerWohnen

programmierter Replikanten
Hier stirbt nichts am Monotonen
Sondern aus jedem Stein steigt dir

ein herber Duft nach Mittag auf
und hebt dich aeromanten Fremdling
heim in das Reale

hier

Hinter meinen Augen

Dem Erdboden gleichgemacht,
hieß es. So als wäre man mit
einer Riesenwalze darüber
gefahren. Als läge es ganz
flach dem Himmel zu, liegt es
nun auf irgendeiner Halde als
Schutt. Eingerissene Mauern.
Ziegel. Bruchstücke. Scheiben.

...

Hinter meinen Augen verborgen
steht noch leuchtend der Wald.
Sich öffnend hinter dem Haus
das verwehte
.

Schlaf

Ich schabe Schlaf
von den Wänden.
Esse soviel ich
kann von ihm.

Immer dichter drängt
er zu mir in den Raum,
wühlt sich mitten in
die Nacht hinein,

wie ein Wesen aus
Mondteig das wächst,
scheinen auf ihm
meine Träume.

Mauern Amelias (3). Entwurf.

Uneinheitlichkeit ist das Geheimnis
ihre lockre Putzlosigkeit und wie
die Winkel und Wege ungrade sind

ineinander geborgene, hie
einander verbergend, selbstgewiß
still; - dort dem manchmal wehenden Wind

keß aufgeblößt und noch frech, bis
der von dem granitenen Spind
insektbewohnter Portici,

die wildem Ranken Wurzelgrind,
nach zäh währendem Zerren die
zu geile Dachung hinwegriß.

Klaffend Flora- und Zoogenie
in einer einzigen Lücke, blind
von der Sonne wochenlangem Biß

und bröckelndes Bleich, in das sich geschwind,
durch die wehrlose, mörtlige Firnis
eines Ameisenstammes Kolonie

bohrt


Mauern Amelias (4). Entwurf.

Ein morscher Rahmen lehnt in Grün
Darinnen ist die Wand die Welt
als sie noch flach wie ein Quadrat

mit aber angespitzten Winkeln, zwei
mit aber stumpfen Winkeln, zweien
war

verzogen ist das müde Holz
sein grüner Lack durchweicht
hat all sein Wehren aufgegeben:

wie Algen, die nach Farren rufen
wie Seetang, der die See erwartet
im langen mürben Sommerschlaf


Fahlmann (1): Mundus est fabula. Von Christopher Ecker.

In den Tagen vor der Abreise dachte er oft an dieses Ölgemälde von Jean Baptist Wenix, das einen herausfordernd nachdenklichen René Descartes zeigt, der ein Buch in der Hand hält. Die Wahrhaftigkeit des Buchtitels hatte den jungen Bahlow im Untrechter Centraal Museum erschüttert: Mundus est fabula. Wahrscheinlich lebt es sich besser, wenn man alle Geschehnisse als Bestandteil einer Geschichte sieht, überlegte er beim Kofferpacken, als Kettenglieder einer deutbaren Geschichte, die man jedoch nicht liest, sondern erlebt. Eine Stunden später überlagerten ähnliche Gedanken das mesmerisierende, abteilfüllende Rattern der Dampflokomotive, doch erst in Marseille beschloß er, mitzuspielen und die Zeichen zu deuten. Erinnerte der helle Kalkstein der Stadt nicht an vom Sonnenlicht gebleichte Knochen? Aber was hatte das zu bedeuten? Stand das für Afrika?
Christopher Ecker, >>>> Fahlmann, S 59.
Das Leben als einen Roman betrachten (14)
Das Leben als Roman (13) <<<<


[Siehe auch:
>>>> Arbeitsjournal vom 5.8.2013.
>>>> Arbeitsjournal vom 6.8.2013.]

Untugend ODER Die Quote als Noblesse. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (150).

Wenn Die Dschungel, was seit Beginn einer ihrer Ansätze war und dies auch weiterhin ist, die Entwicklungen, Aufs und Abs, Hoffnungen, Niederschlagungen, Enttäuschungen, Begeisterungen, auch die Hybris, doch ebenfalls die Zweifel und Zerknirschungen, dann wieder die Glücksphasen eines – in diesem Fall, natürlicherweise, meines eigenen – Schriftstellerlebens protokollieren, gleichsam dokumentieren, wenn auch dieses aber formend, und zugleich zeigen, bzw. dem nachspüren will, wie alles dieses in die Dichtung-selbst eindringt und sie mitformt, dann komme sie um Privates nicht herum, ja dieses Private wirkt wahrscheinlich stärker auf die Ästhetik eines Künstlers, als gemeinhin gedacht wird; gewöhnlich erst nach dem Künstlerleben, also posthum, beginnen die eigentlichen Prozesse in das allgemeine Bewußtsein vorzudringen; Die Dschungel zieht diesen Prozeß vor und gibt damit auch Schlüssel zur Erklärung des Kunstwerks-selbst – seiner „klassischen“ Erscheinungsformen – an die Hand, wobei überhaupt erst damit erhellt werden kann, was eben n i c h t in der Biographie aufgeht, sondern dieses „Dritte“ ist, von dem Adorno sprach, dieses „inkommensurabel“ Nichtidentische, das der Atem aller Kunst ist. Gleichzeitig wird damit >>>> das Arbeitsjournal zu einem nicht unbedeutenden Teil dieses „klassischen“ Werkes, und zwar auch dann, wenn es scheinbar oder tatsächlich, jedenfalls für den Autor, „nebenher“ formuliert worden und mit allerlei Erzählfäden angereichert wird, die aus dem Werk-selbst, also der Fiktion, in es herüber- und hineinlangen. Das Private auszusparen, würde bedeuten, das Protokoll zu zensieren und damit zu verfälschen. Viele Beiträge zur >>>>Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens haben sich mit diesem Umstand schon beschäftigt, aber man findet immer wieder noch unbetrachtete Aspekte, zu denen auch gehört, nicht nur daß, sondern wie man da zur Angriffsfläche wird und mit einem, selbstverständlich, auch das Werk-selbst, soweit es traditionell daherzukommen scheint, und zwar ohne daß es von denen, die es angreifen, überhaupt gelesen werden muß
Für die Moderne interessant ist bei alledem besonders, daß das Private in der Anerkennung und sowieso ständigen, etwa bei Facebook, Veröffentlichung weniger problematisch zu sein scheint, als wenn es sich in nicht in „Communities“ eingebetteten Internetpräsenzen ausstellt. Die Community wird zum Abtestat: was gesellschaftlich nutzbar ist, d.h. ökonomisch verwendbar, wird von der Regel - dem Gebot des „Du darfst nicht“ - ausgenommen und zwar, vielleicht, auch bekämpft und/oder kleingesprochen, aber nicht mit solchem Haß verfolgt, wie wenn ein Einzelner/eine Einzelne es wagt. Zivilcourage wird zur Untugend, die Masse aber nobilitiert. Quote als Noblesse. Leichter läßt sich Gesellschaft nicht lenken.

>>>> Litblogh-Theorie 151
Litblog-Theorie 149 <<<<
[Zum Anlaß dieser Miszelle siehe >>>> Arbeitsjournal.]

Berliner Elegie

Liebling der Götter war ich
Dann fuhren sie mit der letzten U-Bahn ab
Und das letzte was sie mir sagten war:
Sei selber einer.

Ich besorgte mir also eine Pistole
Und schoss mir ins Hirn
Ich überlebte
Seitdem bin ich tot

Seitdem sehe ich unter jedem Grabstein
Einen Gott, der so tut als ob er tot wäre
Und was können wir Götter besser
Als das?

Ein Nachtfalter im grellen Sonnenlicht bin ich seitdem
Eine Sphinx über dem Abyss des Datengeflimmers
Eine Axt im Wasser
Der Spiegel hinter den Spiegeln.

Die Revolution ist eine Erfindung der Götter
Und ihre einzige Liebe
Groß ist das Leben und nichts ist der Tod.

Sommernachts: der Strandbar Mittes Nibelungen. Aus dem Pastiche (Erste Fassung).

[Geschrieben für die >>>> horen.]
(...)
Natürlich sind heutzutage auch die Tische und Stühle, die nach der durchgesetzten Planbebauung statt der alten Liegestühle bereitstehen, immer zu schnell belegt, weshalb ich lieber früher komme, als verabredet ist, so daß ich den Vorteil wahrnehmen kann, oft bis zu einer ganzen Stunde, manchmal sogar länger, alleine für mich und von Meises Erregungen, auf die ich mich damit vorbereite, ungestört zu sein, so daß ich meine Beobachtungen anstellen kann, vor allem von Frauen, bevor endlich auch er eintrifft, der, während ich die öffentlichen Verkehrsmittel nutze, meist mit dem Auto herfährt, weshalb es, wenn er angekommen ist, oft noch eine Viertel- ja halbe Stunde zusätzlich braucht, bis er einen Parkplatz gefunden hat, womit er sich dann regelmäßig für die Verzögerungen entschuldigt, die aber ein Teil seiner, meine ich, Überspanntheiten sind, seines Blutes, möchte ich sagen, denn er kommt grundsätzlich zu spät, auch ohne Auto, weil er, so hat er mal behauptet, die Pünktlichkeit hasse, die man den Deutschen nachsagt, so daß er den Eindruck machen will, er wolle sie an sich selbst als eine falsche sozusagen Legende überführen, als eines dieser, so nannte er es gestern, Mißverständnisse, man komme um diesen Begriff gar nicht herum, wenn man von Deutschland spreche. Wie so viele Philosophen hat Meise, Sie merken es schon, eine wirkliche Meise, die sich bei ihm dankenswerterweise nicht nur in seiner Lebensfremdheit, sondern, so daß sogar Unvorbereitete gewarnt sind, auch in seiner Kleidung ausdrückt, für die er stark gemusterte Hosen voll bunter Karos bevorzugt, zu denen seine Jacketts auch deshalb niemals passen, weil er zudem Hemden mit dicken farbqueren Streifen trägt, welche seinen besonderen Bauch, gerade weil er ansonsten ein gelehrtentypisch hagerer Mann ist, ganz besonders betonen; er trägt ihn wie einen Ausstulp, den er, wie ich den bisweilen fiebrigen Eindruck hatte, abnehmen, vor allem aber öffnen könne, um darin zu verstauen und drin zu verschließen, was ihm, Meise, nicht angenehm ist, wozu Götter & Helden, 1934, ganz sicher auch gehörten, seiner Familie wegen, ich sagte das schon, die seinerzeit eine ziemlich böse Rolle gespielt, zumal die dem Buch beigegebenen ausgesprochen rohen Strichzeichnungen, von einem anderen Hans, Sauerbruch mit Namen, die Dimensionen des Bauches noch betonen, seine, sozusagen, ungeahnten Tiefen, wiewohl ich ihm, Meise, seine Verspätungsneigung als politische Inszenierung natürlich nicht abnehme, sondern eben meine, daß es sich schlicht um einen Zug seines Charakters handelt, um professorale Zerstreutheit, wenn Sie so wollen, die aber nicht ohne eine gewisse Nachlässigkeit gegenüber dem Freund ist, doch eben kein böswilliger, sondern allenfalls versponnener Tick, man könnte sogar Spleen dazu sagen, nicht jedenfalls, wie er vorgibt, Ausdruck einer bewußten politischen Provokation, die mit den, wie er das nennt, Mißverständnissen aufräumen will, in diesem Fall dem speziellen unserer, führte er aus, deutschen Pünktlichkeit, als am Nachbartisch zwei Freundinnen Platz nahmen, Mexikanerinnen vielleicht, vielleicht Argentinierinnen, Frauen jedenfalls romanischer Herkunft und jung, vor allem aber schön, so daß ich immer wieder hinsah und, während Meise plötzlich von Tragik sprach, was eine für ihn typische Übertreibung war, für die er sogar schon die Stimme hob, weil ihm jeder noch so banale Anlaß Grund zur Dramatik werden kann, den Blickkontakt aufzunehmen versuchte, so daß wirklich eine von beiden aufmerksam wurde und hersah, was mich derart durchzuckte, daß ich die Augen senken mußte und gar nicht richtig mitbekam, wie es Meise fertigbrachte, die mir nun tatsächlich eigene Pünktlichkeit, und Pünktlichkeit an sich, in eine an sämtlichen Haaren und Schöpfen, die in der Strandbar zugegen waren, herbeigezogene Verbindung mit den anderen von ihm so genannten Mißverständnissen zu bringen, zum Beispiel mit der deutschen Exaktheit oder dem, Sie lesen richtig, Sauerkraut, das, ereiferte er sich, als Choucrout doch mindestens ebenso Bestandteil der französischen wie der deutschen Küche sei, ja, Boudin zu Choucrout sei geradezu eine besonders Pariser Spezialität, und überhaupt habe es sich bei Deutschland noch nie um eine Nation gehandelt, sondern um einen, das rief er für alle hörbar und wie wenn er das Wort beschwören wollte: Kulturraum!, den mit einer Nation zu verwechseln sowieso schon Grund des Furchtbarsten gewesen sei, beziehungsweise, sagte er, es als eine Nation zu, sagte er, dekretieren. All das zwischen den trinkenden Gästen, die teils amüsiert, manche aber auch gestört zu uns herübersahen, und zwischen den Flaneuren und den Besuchern des hölzernern Amphitheaters, das Volpone spielen wollte, von Shakespeares Konkurrenten Johnson, dem, also jenem, holte Meise ohne Übergang aus, Roland Emmerich mit Anonymous ein wirklich großartiges Denkmal gesetzt habe, eines, das sich zu einem Nationalbewußtsein nun wirklich besser geeignet hätte und, wäre der Dichter nicht leider ein Brite gewesen, immer noch eigne als ausgerechnet die Nibelungen, die doch nichts anderes seien als die rohe Verherrlichung von Gewalt, ein, sagte er, Thrillerstoff, der Recht dem schlimmsten Schläger gebe, sofern er außerdem noch Betrüger sei wie – es war mir überhaupt nicht recht, daß Meise, weil er noch immer lauter wurde, uns derart auffällig machte – George W. Bush!, rief Meise, wobei mir schon der Zusammenhang nicht klarwar, nicht der zu diesem Altpräsidenten, den, sagte Meise, Wagner schon deshalb nicht hätte entlasten können, wenn es einen solchen Bush zu seiner Zeit schon gegeben hätte, nämlich weil der Mann viel zu alt gewesen wäre, viel zu wenig blond, rief Meise, um sich für einen Siegfried zu eignen, und als ein möglicher Ludwig zu wenig phantastisch und ohne jedes Kunstverständnis, das, sagte Meise, nicht ohne die Gnade auskommen könne, indessen er, Wagner, diesen selbst, Siegfried, so dumm gemacht habe, daß sich der Betrug ihm - noch gar, wie Hagen, Tückischkeit – nicht einmal verübeln lasse; (...)

Der Fürst der Demokratie.

In der Demokratie herrscht die Masse, und wenn man deren Gesetze bedient, herrscht man selbst - und m e h r noch als sie, ja eigentlich, indem man sie für den eigenen Machtzuwachs nutzt. Man müßte einen neuen Machiavell schreiben, einen für die Demokratie oder, um es weniger beschönigend zu formulieren: für die Dynamik der Massengesellschaft.

Fahlmann (2): Pathos. Von Christopher Ecker.

Die Zeit häuft so viele Fragen auf und füllt damit Seite um Seite eines großformatigen Katalogs, aber längst sind die Antworten auseinandergestoben wie ein Haufen Herbstlaub, in den ein pathetischer, bedeutungsvoller Wind fährt. Ein zu pathetischer Wind, fürchte ich, aber letztendlich sind alle Wahrheiten so lächerlich banal, daß man nur in Rätseln darüber sprechen darf, und je weiter sich die Rätsel von den Antworten entfernen, desto erträglicher wird unser Reden.
>>>> Fahlmann, S. 220.

Sommeradieu (Huldigung)

Daliegen.

(Während es
bei Sonnenschein
regnet,
mit geöffneter
Kleidung, auf dem
Rücken im Gras.)

Entwicklung. Auf eine Frage Benjamin Steins. Argo.Anderswelt: Vilém Flusser. Argo 301.

„Der künstlerische Weg geht vom Phantastischen/Modernen über die Kybernetik in die Epik zurück, wobei "zurück" Epik auf höherer Ebene meint: Entwicklung ist eine Spirale. Nur dann, wenn wir von oben auf sie hinuntersehen, haben wir den Eindruck eines Kreises (nur also dann scheint die Schlange ihr eigenes Ende zu verschlingen). Ich habe das in den >>>> Heidelberger Vorlesungen beschrieben.
Vorausging - weit voraus - eine Bemerkung >>>> Vilém Flusser s, derzufolge jeder große Entwicklungssprung anfangs wie ein Regreß wirkt. Flusser machte das gern am Beispiel des Christentums klar: gegenüber der antiken Religion und Philosophie war seine Struktur ausgesprochen primitiv. Es brauchte auch fast eintausend Jahre (die gerade die italienische Kunstgeschichte einfach unterschlägt; deswegen "settecento" - 600 -, nicht etwa "diciasettecento" -1600 -), bis die Potenz, die in diesem Christentum lag, sich realisieren werden konnte. Diese Art Sprung bezog Flusser auch auf die moderne Ablösung der Buch/Schrift-Kultur durch eine Kultur der technischen Bilder.“

Unterm Pflaster glimmt das Feuer (13). Das Neapel-Hörstück: aus den O-Ton-Protokollen (I).

Filo 32 Conservatorio 120423:
00.00 Spielhallenartig. Durcheinander verschiedenen Probens. Noch auch Straße draußen (Maiella).
00.30 Motor. Der Musikcluster sehr weltlich, Mopeds,Stimmen, Rufe.
01.10 Deutlich einzelne Stimmen, dazwischen Klavierakkord. (Mein Knipsen rausschneiden.)
01.40 Ratterndes Motorrad, pfeifähnliches Fiepen, Lachen.
02.08 Schöne Collage, Männerstimmen, Schritthallen.
02.29 Rattern eines vorbeigeschobenen Handtransport-Wagens. Frauenruf.
02.50 Schon die Ahnung der Orgel. Alle Fenster geöffnet, aus beinah allen Klänge. Klavierlauf.
03.45 Klavier wie Coda, Männerstimmen des pflanzenbestandenen Kreuzgangs dazu. Klavier insistiert. Die Orgel kommt wieder durch. Frau: „Graz'“(ie).
04.35 Deutlich die Orgel. Lockend.
05.05 Eine Frau singt.
05.13 Toller Übergang zur Orgel solo: Ich bin durch die Glastür in den Konzertsaal getreten.
05.38 Orgelspiel allein einige Zeit. Thema &
Variation.
07.16 Ende des Orgelstücks. Von draußen wieder die Klänge der anderen Proben. Klavier vordrängend.
07.40 Klaviermotiv, dazu aus anderem Fenster Percussion. Und die Stimmen im Kreuzgang. (Ich stehe da mit geschlossenen Augen.)
08.38 Eine Welle Chors. Dann stark: Schlagzeugeinsatz. Im Hintergrund das Klavierthema. Sehr schönes Klangbild.
09.28 Mein Huster. Mann ruft. Collage ff.
09.50 Neuerlicher, zusammenrufender Schlagzeug-Einsatz.
10.13 Ich entferne mich, schreite in den zweiten Kreuzgangshof. Die Proben werden leiser. Jemand pfeift. Ich kehre um.
10.48 Abermals Schlagzeug, wieder erster Kreuzgang. Leider Störungen in den Mikros (vom Ifönchen herrührend wohl).
11.17 Jemand singt, dann pfeift er die Melodie weiter. Sehr deutlich.
11.37 Frauen, abermals Stimmendurcheinander. Zurück auf die Straße. Die Collage entfernt sich. Erneut auf der Via. Blechklappern (Faß oder Gestell).
12.25 Fontäne. Ein Café. Hupen. Leute. Wieder Motoren.

sporadisch und fragmentarisch I

12.8.13

Laubriesen im Wind, vor allem Birken, am Feldweg, der aus dem Wald herausführte, ihr Nachrauschen nach wie vor. Schauerfelder. Ameisenhaufen. Spinnweben um den Bart. Hier indes an der Decke. Dicke Wülste zuweilen. Auch sie nach wie vor. Aber ich brauche nichtige Anlässe zum Schreiben. - Das Allerschönste: der Tinnitus bei dem einen Keith-Jarrett-Stück aus den Sunbear-Concerts von Sapporo ist wieder da, wie ich gerade feststelle.

13.8.13

… der war nämlich verschwunden, als ich im Juli eine Woche lang nicht allein wohnte. Ist heute abend allerdings wieder zu verifizieren. Auch in der Woche danach kehrte er nicht wieder, als die imaginäre Reisevorhölle sich immer mehr mit angoisses bevölkerte, bis die Enge so eng wurde (am engsten), dass ich tatsächlich losfuhr. “er schöpft mit einer tasse jeden tag ein stück gegenwart und reisevergangenheit”. - doch, der tinnitus ist wieder da. aber ich muß nicht deshalb aufstehen, denn es ist nicht das telefon oder was sich als solches gebärdet, stattdessen deshalb, weil unterm fenster jemand pfiff, der aber nicht mich meinte.

14.8.13

(fragmentarisch, zu Anfang der weißen Nacht vor Waldas Pizzeria mit einem Glas Weißbier:) vom palazzo farattini stürzen sich fledermäuse in den den wind. der falbe mond über wolkengetümen. junge zypressen wippen im wind, aber rauschen nicht, das besorgen die hecken. ihr zittern im glockenschlag. vor mir der Cimino, hinter dem Viterbo liegt. Daran vorbei dann auf der Schnellstraße Richtung Porto Santo Stefano, wo ich vor der Fähre eintraf. A. und E. oben auf dem Deck, als das Schiff einfuhr. Sobald sie mich winkend gesehen, verschwanden sie ins Innere. (Die Groß- und Kleinschreibung bilden Grenzen). Das sie dann nach dem Anlegen allesamt ausspuckte.

23.8.13

Schreiblockade (Bonné für Luca’s Les cris vains), die wie im Witz von den Autos der Caribinieri in Süditalien, die dort länger seien, weil sie mit zwei B ausgesprochen würden und mithin auch geschrieben werden müßten, wofür möglicherweise die Alfaromeos zu kurz waren, ebenfalls ein B heischt, was aber dennoch ein blöder Witz, der sich ins Alfa bettet und sich an den eigenen Zehen (oder an anderen Körperteilen (versucht habe ich’s mal)) lutscht, statt solche an anderen Füßen zu lackieren, wo dann wahrscheinlich eine Elfzahl zu berücksichtigen, wie in der erweiterten Wirklichkeit (ein Ausdruck, der mir einmal untergekommen und nichts weiter definierte, als die Sicht auf die Welt durchs Hier-guck-mal-Smartphone-Auge), die bloß eine erwartete ist: gebongt und mitnichten überraschend, weil sich die Zehenelf eh’ nur denken läßt.

Unterm Pflaster glimmt das Feuer (14). Das Neapel-Hörstück: aus den O-Ton-Protokollen (II).

Filo 53 Napoli STELLA morgens 080213:
(...)
05.50 Stimme eines älteren Mannes. Türgatter mit Quietschen. Quietschen von Schuhsohlen. Wagen, Schotter.
06.33 Blechrollo hoch.
07.02 Knirschendes Vorbeifahren eines Lieferwagens. Warnsignal der Müllabfuhr. Hantieren.
07.34 Weiter der Müllwagen. Anderer Wagen passiert. Scheppern. Schotter. Quietschendes Bremsen.
08.03 Jaulender Lieferwagen, Scheppern auf der Ladefläche, Stahlflaschen. Moped.
08.31 Moped und Schotter. Etwas fällt um, etwas wird gewuchtet. Klingen von Werkzeugstäben.
08.52 Tassen. „Caffè?“ „Caffèlatte.“ „Cappucini?“ Ich nehme ein Stückchen mit Schokolade. Münzen fallen. Frau nimmt das Geld. Espressomaschine.
09.45 Es mischen sich draußen und drinnen. Lachen. Zischen. Tassen, Löffelchen. Sehr leise dabei Musik. Im Hintergrund Dauerjaulen des Müllwagens.
10.34 Frau fragt ihren Kollegen, er antwortet, röchelhustet. Stellt den Caffèlatte zu mir. Klopfen des Mehlsiebs. Zischen. Immer noch das Dauerjaulen. Moped. Auffauchen.
11.29 Dauerjaulen. Besteck. Verabschiedung: Baß und Sopran. Untertassen. Kurz wieder die Musik.
12.10 Gespräch. Knistern von Tüten. Geldsummen. Zischen. Gespräch von Frau und Mann.
12.44 Geldstücke rotieren auf dem Tresen. Aufreißen des Zuckertütchens. Nächster Gast. Draußen Zurufe.
13.17 Frau/Mann (Kollegen). Quietschendes Halten draußen. Mein Schniefen. Quietschjaul eines Transporters. Räuspern. Schotter. Ausklopfen.
13.57 Schnarren. Im Hintergrund durchgehender Percussion-Rhythmus. Anlassen eines scheppernden Motors. Wagen fährt weg, hupt kurz. Räusperhusten.
14.37 Laster. Helles Moped. Telefon klingelt.
14.52 Schotter.
15.02 Hantieren an der Espressomaschine. Zischen, aber leise. Schnarren draußen. Der technoähnliche Rhythmus. Nächster Gast.
15.36 Moped und Espressomaschine, Zischen wie gestopft. Klingeln der Kasse.
16.03 Abermals Zischen, abermals Tassen. Löffelchen fallen. Ich bitte um Wasser. Frau kommt herein, grüßt, Mann will gehen, zahlt, verabschiedet sich.
16.38 Aufknallen von Blech. Gespräche auf der Marktpiazza. Wagen wird

angelassen, fährt weg. Nächster Wagen kommt. Blecheimer.
17.15 Huster unter vorbeifahrendem Auto. Immer noch hört man das Müllwagenjaulen.
17.30 Heiserer Mann. Fegen.
17.50 Anlieferung. Huper. Gespräch, Zuruf, Erklärung. Ausruf, Begrüßung. Hartes Scharren.
18.22 Verkehrstoben und Männerstimmen. Ein Junge ruft im Laufen. Mopeds.
18.59 Scharfes Aufjaulen einer Türklappe. Anlassen eines tiefen Motors. Wieder Wind auf den Mikros.
19.28 Eimer. Heisere Jungmannesstimme. Aufbau der Stände. Quietschende Tür, metallisches Zuschlagen erst der einen, dann der anderen Seite. Eimer rasselt über den Boden. Dazu Motoren.
20.13 Es wird weniger unruhig, man hört sogar einen Vogel.
20.30 Als führe etwas über Gleisfugen. Quietschendes Nähern, Moped. Mehrere Mopeds. Tiefes dauerndes Geschepper. Flugzeug? Mopeds. Rattern auf Ladefläche.
21.28 Huper, Rappeln.
21.52 Schneller Wagen. Zwei Frauen sprechen im Vorübergehen.
22.10 Maschine innen. Fiepsignal.
22.35 Dauergruscheln. Ein Mann spricht stark dialektal in einem Laden. Moped. Ansageklingeln (Piazza Cavour, Métro) & Ansage aus Lautsprecher (Frauenstimme).
23.32 Passanten, wieder die Ansagerinnenstimme: „Attenzione! Treno in arrivo al binario due.“
24.00 Aufrappeln. (Wieder oben auf der Cavour). Vogelfiep. Verkehr.
24.23 Nochmal kurz der Vogel. Huper.
24.48 Ratternder Motorradmotor. Fegen. Kette. Fegen.
25.13 Entploppen (einer Flasche?). Verkehr. Geklingel von Tasse. Mein Schniefen.
25.40 Rascheln.
26.05 Rappelnder Motor, etwas wie Gurgeln.
26.38 Schritte. Klopfen.
26.56 Wagen auf Schotter. Schniefen.
27.10 Aus quietschendem Halten lösen sich Stimmen. Ich im nächsten Café. Münze auf dem Tresen. Musibox geht an. Automatenraunen. Die Musik. Untertasse auf Tresen. Eine Art insistenter Zikade.
28.17 Guter Ton!: Italo-Poplied. Bestecke. Das Lied sehr im Vordergrund, blues-artig. Tasse. Gänsechor. Unbedingt nehmen! „Ciao!“ „Grazie!“ Nächster Gast. Wieder Untertasse, Täßchen, Löffelchen. Der Pop-Blues. Besteckkasten. Temperamentvolles Gespräch.

(...)

Wolfgang Herrndorf ist gegangen.

Am >>>> 26. August, „gegen 23.15 Uhr“.

(Entscheidungen.)

(Statt eines Arbeitsjournals. Weiteres wird hier heute nicht geschrieben.
ANH, 28.8.2013.)
 



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