Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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“Die m e i s t e n Menschen sind so.”

Sie w o l l e n diese heftigen Gefühle nicht, die Sie in Ihren Büchern und durch Ihre Art zu leben permanent evozieren.
Der Analytiker im Nachtrag zu Martin Halter.
Nun ja, aber was wollen sie statt dessen?

Daß Liebe erlischt.

Bedeutet, der/die andere taugt nicht mehr zum Träger der bisweilen auch gegenseitigen Projektionen. Also der Geist versagt vor einem zumindest angeblich objektiven Augenschein. Er wurde davon geschwächt. Nicht selten bewirkt der Alltag, das Alltägliche, dieses Erlahmen der inneren Vorstellungskraft.

(CCCXVI).

Erlischt hingegen das Begehren, so hat nicht der Geist, sondern in jedem Fall Natur ihr Veto eingelegt; ihr Programm scheint sich nämlich nicht mehr erfüllen zu lassen. Genau das ahndet sie; der Geist kann da tun, was er nur will. Schlägt dieses Veto aber durch, wird letztlich auch die Imago der Liebe geschwächt und normalisiert sich: im guten Fall, auf eine poststabilierte körperferne Harmonie. Die man mit Fug und Recht eine bürgerliche Zweckgemeinschaft nennen kann.

Geld verdienen.

Jemandes Unterhalt sichern, damit er seine A r b e i t gut tun kann. So ließe es sich nämlich a u c h betrachten: Lohn und Gehalt nicht als Tausch gegen etwas, sondern um das Etwas, das unabhängig davon ist, überhaupt erst möglich zu machen.

Ein Arzt soll sich nicht um seinen Unterhalt (be)kümmen, sondern heilen. Ein Dichter soll dichten, ein Rennfahrer fahren, und der Forscher soll forschen. Ohne daß ihn der Gedanke an seine ökonomische Existenz davon ablenkt.

Gedungene Gourmets.

Dichter werden zusammengerufen. Eine nicht erkennbare Gestalt entnimmt einem Kästchen gestanzte handtellergroße Buchstaben aus dünner Pappe. Die Dichter sollen “zur Wahrung der Kultur” jeder gut essen gehen, und zwar auf teils berühmte, teils geheime Restaurants und Restaurationen verteilt. Die Teilnahme ist Pflicht. Die Lage der Restaurants wird anhand eines alten stadtplanähnlichen Stiches, vielleicht aus dem Mittelalter, erklärt, der ungefähr Neapel zeigt. Einer von uns muß allerdings im Donaumuseum essen. Ich bekomme ein C, jemand anderes ein M, wieder der nächste ein L. Zusammen ergibt die Ziffernfolge MARCUS LÜPPERTZ. Wie in Kutten gehüllt, mittelalterlichen Meuchelmördern gleichend, schleichen wir ein jeder davon zu seinem vorbezeichneten Ort.

Schleim & Wollust, anthropologisch.

Sexualität findet immer Geschmack an Körpersäften, ein nicht geringer Anteil lockt mit dem, was zivilisatorisch durch Ekel besetzt ist. Und peitscht dann die Wollust erst auf. Es ist Den Dschungeln schon klar, daß die Stärkung des Privatrechts dieses Bewußtsein als ein öffentliches, also anthropologisches eindämmen will. Doch wird die anthropologische Kehre dadurch allenfalls gehemmt, nicht aber verhindert. Das gelänge vielleicht einem diktatorischen System wie etwa dem Fundamentalislamismus, aber auch dem nur auf eine hinter die Gitter geborgte Zeit, die mit Unterdrückung und Folter erkauft werden muß. Und gegen die sich der Trieb – oft fehlgeleitet und grausam – immer wieder erhebt.

Gentechnologie. Anthropologische Kehre.

Von Evl: ...werden nicht alle erotischen schlachten im kopf geschlagen?
An Evl: Sicher n i c h t - oder ja, aber eben auch im physiologischen, gen-instinktiven und nicht nur dem fantasie-projektiven Bereich. Hier liegt ein Unterschied zwischen Lieben und erotischem Begehren. Ich notierte das schon gestern. (Die Dschungel beschäftigt das unablässig; was Wunder, es hat sie ja einiges gekostet.)
Denken Sie daran, wie viele Frauen sich haben ihre Kinder von anderen Männern als denen zeugen lassen, die dann (oft vernünftigerweise) als Väter auserkoren wurden, welche wiederum dem genetischen weiblichen Programm nie und nimmer als Erzeuger auch nur näherungsweise infragegekommen wären. Wir haben uns abgewöhnt, solche Zusammenhänge bewußt zuzulassen; denn sie kränken. Indessen untersteht das "Programm" keiner moralischen Kategorie. Um es in den Griff zu bekommen, dazu, unter anderem, dient die Gentechnologie; sie w e i ß es nur nicht und will es auch gar nicht wissen. Nichtsdestoweniger ist menschliche Gentechnologie deshalb letztlich eine moralische und sagt ganz monotheistisch: "Mach dir die Welt untertan."

Soldaten.


60 JAHRE ATOMBOMBE
titelt der Spiegel und läßt die Soldaten trauern: “Mein Gott, was haben wir getan!”

Ohne die strikte Befehls-Gehorsamskette des Militärapparates wären diese Bomben niemals abgeworfen worden. Anzuklagen ist insofern die Struktur des Militäres selbst und nicht ein Gott anzurufen, den es ohnedies nicht gibt. “Beweine nicht wie ein Weib, was du nicht wie ein Mann h a l t e n konntest”, hat Boabdils Mutter gesagt, als der Sohn sich trauernd nach der Alhambra zurückwandte, um Abschied zu nehmen. Dieser Satz ist umformuliert auch auf Hieroshima und Nagasaki anzuwenden: Wer Soldat wird, soll nicht trauern, wenn er mordet. Denn zu töten ist das Handwerk, das er lernte. Und lernen w o l l t e.

Das symbolische Denken.

Bezieht seine Erkenntniskraft unter anderem daraus, daß es Gefühle und sogar Erwartungen in die Betrachtung der wirkenden Zusammenhänge einbezieht, und zwar als Fakten. Es ist deshalb auch erkenntnistheoretisch umfassender.

(CCCXVII).

Günther K. Lehmann. (1).

Der Wirklichkeit nähern sich die Metaphern des Dionysischen, der Gewalt, des Utopos und des Mythos; die Realität wird geprägt vom Apollinischen, von der Macht, vom Apparat und vom Logos. Beide Pole der Gegensätzlichkeiten existieren und vermögen sich nicht aufzuheben.
Aus dem Vorwort zu “Die Erleuchtung”.


P.S.: Der Gedanke eines Unterschiedes von Realität (als dem, was ist) und Wirklichkeit (als dem, was wirkt) stammt selbstverständlich von Schopenhauer; daher haben auch Die Dschungel ihn genommen.

Argentinischer Dialog.

Fiktion & Realität - lesen & schreiben - Ach so... eine Frage noch. - Öffentlichkeit - Schade in Folge. Kleine Variation über Redundanzen - Redundanzen - Tanzen - Vorstoß & Tanz - Vitrinen - Blicke - Nicht für die Vitrine - Selbstverständlich nicht für die Vitrine - Tauchgang - Einzeiler - Off 'n on - My own vitrine, indeed, isn't my own kingdom - fièvre - Tagebuch - Ist das auf der Treppe von meinem Postamt? - Theorie - "Meine Frau" - baltic sea - Besser - Jaja, meine Frau - Strände - Groß- und Kleinschreibung und ihre verständnisirren Folgen - schlaflos & verständnisirre - multi tasking - every second counts - Guten Morgen! - Der beste Bluff ist die offene Hand - Jaja, die Fehler - Netze - Das kann aber richtig nach hinten losgehen - Ein Schiff wird kommen - So - ... und bringt Dir den dritten - Das Baby - Badeanzug - Verstopfung - Badeanzug noch mal - Das Buch - Badeanzüge, anti-pop-theoretisch - Sie leben in Buenos Aires? "Zapperment!" rief Hotzenplotz - Do - Dicksein - schöne Frauen - Agra - Gegenseitiges Rezensieren - Schöne Kinder - Spinnen - spinnige Vorderlist, eignersch - E-Musik - Antwort schuldig - was zum Schmunzeln aus meinem alten Tagebuch - Aaaaaaaantworten - "Eines Tages..." - Normalmaß - erwische mich dabei - Analyse - Guten Morgen! - Schweizer - Bezahlungen - Untiere unter sich - Schön - Untiere sind eben k e i n e Tiere. Das ist wie mit der Untiefe - raboti - Jung - älterer Herr, gell? - ich lenke Sie also doch ab - Ihre Kommentatoren - Dessous - runterziehen - Übermut - Aber erst müssen Sie d a s lesen! - Jesuskind verkloppt Maria - Möhren - Hm - Sendung leer - Aber wenn sie - In die Unterlippe geschnitten, fies - Nur falls es Sie nicht zu sehr ablenkt - baßlastig - laaaaacht - Arati - Nacht - Als ich noch jung und hübsch war - Guten Morgen - Screws - vermissen - flüssig - leben oder nicht leben - Weltmacht - Löwenpaarung - Fahrrad - Messer - Mogadishu Airlines - Kamasutra - Fiese Schönheit - Vokabular - Durs - Grüne Beine - ungeküßt - Exzesse - Kopulierende Sprache - Wohnungswechsel - Läufer's Sex Guide - Rührungen - zu weit - Überspannungen - Jahreszeiten, moduliert - also sowas aber auch

Das Wunder von San Michele. (7).

Blick von der Sphinx übers Meer, aber danach dann, sich über die Brüstung beugend, hinab: Unmittelbarer Eindruck von Macht. Macht über den Ort drunten (Capri), Macht aber sogar über den hinaufführenden Weg, der um 1900 noch direkt an der heutigen Villa endete. Die sog. Kapelle ist sehr wahrscheinlich ein kleines Waffenarsenal gewesen, günstig gelegen für den, der den Verkehr zwischen unten und oben kontrolliert. Schon zu Munthes Zeiten hatte sich aber im Volk die Legende eine Kapelle gebildet.
Auf dem Hang besaß Tiberius eine seiner Villen. Oben auf dem Grat stand die Babarossa-Burg. Auch d a s Macht-Insignum, sowohl symbolisch wie praktisch. Tiberius, der von Tacitus verleumdete, hat sich hierher für die letzten zehn Jahre seines Lebens zurückgezogen. Er habe auf Capri, sagt Tacitus, sexuellen Ausschweifungen gefrönt. Hingegen spricht Plutarch, “der strenge Moralist” (Munthe), “von der würdigen Einsamkeit des alten Mannes während seiner letzten zehn Lebensjahre.” Wenn Munthe allerdings über Tiberius schreibt, dann meint er eigentlich sich selbst – in die Vergangenheit projeziert. Es handelt sich um Selbststilisierung. Diese ist - fast immer - ein Kennzeichen des Hochbegabten.

(CCCXIII).

Nachtrag:
Selbststilisierung schützt den Hochbegabten vor seiner Hohen Begabung. Er formt sie, damit sie ihn nicht überwältigt. Gaben sind ja nicht erarbeitet, sondern einfach d a. Und deshalb etwas Fremdes, das man sich aneigenen muß.

>>>> SAN MICHELE 8
SAN MICHELE 6 <<<<

Erotisches Vokabular.

Das Wort "bumsen" hab ich noch nie begriffen und deshalb kaum je verwendet; und "poppen" ist zu ulkig: auch d i e s e s Wort desinfiziert jede leidenschaftliche Erregung. Manchmal wittere ich A b s i c h t dahinter.

Frauen. (1).

Seit Tagen führte Jochen Balding nun seinen Emailwechsel mit Clara Witten. Intensiver und intensiver wurde der indes durch die Entfernung zweier Kontinente an seiner Realisierung gehinderte Kontakt. Als Balding zugleich auf ein Blinddate ging. Er ist Musiker, die Dame – eine verheiratete Frau - hatte ihn angeschrieben, sie war auf einem seiner Konzerte gewesen. Sie hatten schließlich, ebenfalls über Wochen, einigermaßen pikant geflirtet. Da stellt sich heraus, daß die Frauen Freundinnen sind und auch zwischen ihnen – unter anderem über ihn – die elektronischen Briefe hin- und hergegangen waren.
Wie er da lacht. Wie s i e lacht. Was so etwas aber auch verhindert. Und welch ein Schutz das ist.

(Erzählungen, projektiert.)

Liebes-Projektionen, mythisch.

D i e s e n Gedanken noch einmal gewendet und nach der Lektüre Lehmanns um Meister Eckhart erweitert:

Die Liebe als Projektion verstanden, projeziert “wirkeliches” (Eckhart). Der Liebende projeziert ein “Wahres”, das sich dadurch nicht etwa erschafft, denn es war immer schon da; aber es kann nun erlebt werden kann. Und wird unsichtbar sichtbar.

Erlischt Liebe also, dann weil die Projektionskraft erlischt, die das Unsichtbare zum Vorschein (also ins Wirken) brachte. Es ist mithin die Schuld des Projezierenden; “Schuld” aber nicht moralisch gedacht.

Die Logik der instrumentellen Vernunft.

Ich denke, also bin ich Descartes.

(CCCXX).

Logik des Vorurteils.

Die Leute nehmen Daniello die bösen Fantasien übel, die sie über ihn haben.

(CCCXIX).

[Selbstreferentielle Moral.]

Von Längle.

Mit jemandem eine Wohnung bevölkern.

Leben oder nicht leben.


Ja, wir steuern auf eine Katastrophe zu. Aber was nicht-katastrophisch ist, lohnt nicht.

Günther K. Lehmann. (2). Argo. Anderswelt. (129).

Der Abendländer jedoch, als Resultat einer sozial- und kulturgeschichtlichen Entwicklung verstanden, gerät erst dann ins Grübeln, wenn er merkt, wie mehrfach gespalten eigentlich die scheinbare Identität seines Ichs ist. Er muß deswegen nicht gleich schizophren sein. Es genügt, daß ihm plötzlich die unbewußt verdrängte Einsicht aufgeht, daß er in den gegensätzlichen Rollen, die ihm sein Leben in der Gesellschaft zuweist, unmöglich immer das gleiche Selbst sein kann. Die fast zur Mode gewordenen Beschreibungen von “Identitätskrisen” (Erikson) des Ichs verwischen zumeist die tatsächlich unheilbare Existenzspaltung, die von der Konstruktion des Ich-Selbst rigoros zugedeckt wird.
Unio Mystica


>>>> ARGO 130
ARGO 128 <<<<

Trauerarbeit des Dichters.

Die richtige Formulierung suchen.

(CCCXXI).

[Konkretisiert – also veröffentlicht – wird ihm das unterdessen versagt. Man kann die ästhetische Bewegung Der Dschungel auch durchaus als einen unentwegten Reflex auf das Buchverbot lesen. Seinerseits dieses wird hier zu einem Material, das sich poetisch verändert und daher selbst zu Literatur.]

ZIKADEN. Das Wunder von San Michele. (8).

Ich ging hinaus in den Garten, ich wartete auf jemanden. Es war damals zwar am Tage gewesen, und nun war es nachts. Aber ich wollte seine Stimme hören oder ihren Reflex, das hätte völlig genügt: und wäre es nur ein unangenehm klammer Kitzel im Nacken gewesen.
Ich saß über Stunden da und wartete. Auf der Brüstung schwieg die Sphinx.

Er kam nicht. Er war fort. Nur von tief unten, nachdem im Dunklen die Zikaden verstummten, grollte ein tiefes immerwährendes Brummen vom Hafen herauf.

[Aber da war dieses Gefühl. Seine Stimme zu kennen.]

<<<< SAN MICHELE 9
SAN MICHELE 7 <<<<

Die Allegorie.

Als einen Zustand begreifen, in den man versetzt wird. Oder genauer: Der sich in e i n e n versetzt, sozusagen seine (vorübergehende) Realsisierung in dir findet. Du gibst ihm Körper. Wobei ‘Zustand’ nichts Stehendes, nichts Fertiges meint, also mit Platons Konzept der Ideen allenfalls das ständige Dasein teilt. Dieses ist aber nicht stetig und nicht unveränderbar, eher im Gegenteil flüssig. Wie eine Liebesgeschichte so und so ausgehen, ein Blick – d e r Blick – erwidert oder gesenkt werden kann. Man wird dabei nicht ‘Hülle’, wie etwa ein Medium, sondern verändert das Allegorische m i t: eine Wechselwirkung zwischen Individuum und ständigem, wieder- und wiederkehrendem Geschehen. Die Liebesgeschichte zwischen Aragon und Triolet ist eine andere als die zwischen Burton und Taylor, und beide Geschichten wiederum unterscheiden sich von Tristan und Isolde oder Britten und Pears. Dennoch haben sie alle etwas Gemeinsames, das sich immer neu und immer anderswo-neu begibt; etwas, das nicht aufhört. Das wäre ein Beispiel fürs Allegorische. (In den Paaren selbst hingegen k a n n es aufhören und hört auch meistens irgendwann auf. Es wechselt dann. Und erscheint und wirkt in den nächsten.)

Meistens spürt man das schon beim allerersten Blick. Dann kann man es abwehren oder zulassen. Ihrem Wesen nach ist die Allegorie nicht selten tragisch, also erhebend und niederschmetternd zugleich. Gute Romane erzählen davon. Freilich sind den Geschehen meist – besonders aus dem Blickwinkel eines vernüftigen, scheinbar autonomen Menschen, der seiner Illusionen inne wird – nicht wenige komische Züge zueigen.

(CCCXXII).

[Es hat längst auch vom Netz Besitz ergriffen und ist, das ist seine Kraft, matrisch so wenig einzugrenzen (zu ‘erklären’) wie die künstlerische Dynamik.]

Das Private und die Kunst.

An eb:
Es geht mir aber nicht schlecht jetzt; ich habe das gerade im Dschungel-Tagebuch notiert. Nur eines schmerzt mich: Ich hätte gern, um dem Tag gerecht zu sein, das eine Bild ***’s und meines Sohnes mit eingestellt. Das traue ich mich nicht; es wäre, zum einen, anders als mein verbotenes Buch tatsächlich ein Übergriff, weil es mit Erkennbarkeit arbeitete; und zum anderen stellte es in Den Dschungeln etwas her, das so nicht stimmt - obwohl es in seinem realen Zusammenhang selbstverständlich gestimmt hat. Also sah ich, und das beklomm mich ein wenig, davon ab.

Nocturne.

Dort, wenn es regnet,
spielen Selbstmörder Karten
Nachtschicht und Dealing, paar Taxen
Subways übertags grau
Im Gesicht wie Technofans

Am zugesperrten Imbiß verteilt ein Schwarzer Küsse
Und um die nächste Ecke zertritt ein Junge seinen Hund

Irrtum der Griechen. Das Wunder von San Michele 9.

Die Götter wirken Ungemach, damit die Menschen etwas zu singen haben. Sagt Homer. Hinterträgt Borges. Zitiert Die Dschungel abermals. Die Wahrheit jedoch ist: Sie sind nicht gemeint, nicht die Menschen, nicht Borges, nicht Homer.

Auf ihrer Brüstung sinnt die Sphinx. Schaut zu, als wäre sie wirklich aus Marmor. Aber sie ist aus Granit. Man schlägt die flache Hand auf ihre linke, lockende, Hinterbacke. Man legt sie darauf. Sie schweigt und schaut. So wirken Götter. Sie kennen den Unterschied nicht.

>>>> SAN MICHELE 10
SAN MICHELE 8 <<<<

Literatur-Journalismus. (1).

Hans Kollhausen*, Redakteur bei der Mittagszeitung, nachdem ihn Laupeyßer wegen der „Niedertracht der Musik“ angerufen hat, sagt: „Die Rezension kannst doch d u nicht schreiben! Schließlich bist du mit Herbst befreundet.“
Zweidrei Wochen darauf erscheint in derselben Zeitung die Besprechung eines neuen Buches, das Kollhausens sehr vertrauter langjähriger Mentor geschrieben hat. Rezensent: Der Literatur-Redakteur Hans Kollhausen.

August 2005. Berlin.
[*) Namen von Den Dschungeln geändert. Weil man ja dennoch, irgendwie, befreundet ist.]

Denn was wir endlich finden, zerstören wir dadurch. Das Wunder von San Michele (10).

- O-Ton: Meer, Hafengetreibe aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Italienische Rufe mit neapolitanischem Dialekt. (Aus einem Spielfilm herkopieren und mit meinen O-Tönen verschneiden?)
Sprecher 1 Ich sprang an Land, als das Sorrentiner Boot sein lateinisches Segel einholte. Jungens spielten in Scharen zwischen umgekippten Booten und badeten die blanken Bronzeleiber in der Brandung. Alte Fischer in roten phrygischen Mützen flickten vor den Schuppen ihre Netze. Jenseits der Landungsstelle stand ein halbes Dutzend gesattelter Esel, Blütenzweige im Zaumzeug.
- O-Ton dazu einschleichen lassen: Capris Hafenkrawall heute. Der Lärm wird immer lauter, und zwar dermaßen, daß man den Sprecher bald nicht mehr vernehmen kann.
Sprecher 1 (att:) Bei ihnen schwatzten und sangen ebenso viele Mädchen, die silberne Spadella im schwarzen Haar und ein rotes Tuch um die Schultern. Das Eselchen, das mich hinauf nach Capri tragen sollte, hieß Rosina, und das Mädchen hieß Gioia. Ihre schwarzen Augen leuchteten in feuriger Jugend, ihre Lippen waren rot wie die Korallenschnur an ihrem Halse, und wenn sie lachte, blitzten die starken weißen Zähne wie Perlen. Sie sagte, sie glaube, sie sei erst fünfzehn – und ich sagte mir, daß ich jünger sei als je zuvor. Aber Rosina war alt,
att:
Sprecherin (wie von ferne, wie mit einem Lachen:) È antica!
att:
Sprecher 1 So glitt ich aus dem Sattel und erklomm leicht den gewundenen Pfad zum Dorfe. Vor mir auf nackten Füßen tanzte Gioia, blumenumkränzt wie eine junge Bacchantin, hinter mir stolperte die alte Rosina, in ihren zierlichen schwarzen Schuhen, tief in Gedanken, geneigten Hauptes (die innere Erzählung geht im Verkehrslärm unter).
- O-Ton: Nur die Zikaden wieder. Nacht.


>>>> SAN MICHELE 11
SAN MICHELE 9 <<<<

Argo. Anderswelt. (130).


Dabei wurde das Internet wie alle Kunst dafür erfunden, daß man weniger sterblich ist.

>>>> ARGO 131
ARGO 129 <<<<

Männerbesuch.

(...) ich verstehe Dich nicht. Wie kannst Du so verwundert sein? Das mußt Du doch wissen, daß ein Mann, den Du zu Dir einlädst und der dazu eine Reise unternimmt, etwas von Dir will, also sich zumindest Hoffnungen macht. Die können enttäuscht werden; selbstverständlich. Aber ist das so, dann trennt man sich wieder, und zwar möglichst schnell, schon damit der Schmerz nicht zu groß wird. Finden beide, wechselseitig, keinen erotischen Gefallen aneinander, existiert das Problem nicht. Dann hat man zweidrei nette Abende, die Gespräche werden allerdings auf gar keinen Fall mehr intensiv. Locker mögen diese Abende sein, sehr befreit und heiter; etwas anderes aber ist dann nicht mehr zu erwarten. Sehr wahrscheinlich gibt es zwischen Frauen und Männern keinerlei Austausch, also auch keinen intellektuellen, sofern nicht eine erotische Spannung besteht. Ich habe diesbezüglich, je älter ich werde, den Eindruck eines vielleicht genetischen Naturgesetzes, das zwischen den Geschlechtern waltet und auf das unsere ohnedies fragliche Autonomie nur unter Anwendung von Zwang (etwa der Ein- und Nachwirkung tiefer Verletzungen) einen Zugriff bekommt, der in jedem Fall verdrängenden, wenn nicht sogar brutal sanktionierenden Charakters ist. Daß unser aller Menschenbild eine solche Natur-Dynamik nicht gefällt, weil sie unsere demokratische Vorstellung von Selbständigkeit verletzt, steht auf dem einen Blatt, daß es dennoch wirkt, auf einem anderen. Ich beobachte solche Vorgänge sowohl an mir wie an befreundeten Männern ausgesprochen genau. Daß ich darüber publiziere, hat mir unterdessen den Ruf eines schlimmen Machos eingetragen (...) – das moralische Verdikt wegen eines Verhaltens, das nichts andere tut, als genau hinzusehen und die Erkenntnisse oder anhand von Belegen sich bildenden Theorien öffentlich zu diskutieren. (...)

Die Erde spricht.

Es gibt kein Denken ohne Geschlecht.

(CCCXXIV).

Hoffnung.

Ist eine Projektion.

(CCCXXIII).

[Auch deshalb richten sich Die Dschungel gegen das Realitätsprinzip und halten den Pragmatismus für vier Wände, in die man sich sperrt, damit man sich draußen bloß nichts einfängt.]
 



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