Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
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Peter Kurzeck im HR 2. "Fremd bin ich eingezogen, fremd zog ich wieder aus"

Peter Kurzeck liest aus „Kein Frühling".“

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>>>Hessischer Rundfunk - hr2 - "Die Lesung"
vom 3.12.2007 bis 21.12.2007.Jeweils Montags bis Freitags 9.30 - 10.00 Uhr und 14.30 - 15.00 Uhr (Wh.)



»Über das Autobiographische hinaus entsteht eine faszinierende Zeitgeschichte.« Norbert Wehr, WDR

»Es ist spannend, sich als Leser dieses Autors zu beobachten.«
Gabriele von Arnim, Tages-Anzeiger

»Eine Welt ohne Kurzeck ist, nachdem man ihn kennt, nicht mehr denkbar. Die Welt bekommt seinen Ton.« Andreas Maier

Da Ponte: Aufnahme von Einwänden. Zweite Heidelberger Vorlesung (2). Poetologie als Schwamm. Aus dem Entwurf (ff).

Nun kann man einwenden, >>>> die Übertragung einer klassisch/herkömmlichen Kategorie wie derjenigen des Raumes auf Computer und Monitor sei illegitim; ich meine hingegen, daß sie geradezu notwendig ist, weil es um Poetisierung geht, deren Grundlage nichts anderes sein kann als etwas, das der gefühlten Wirklichkeit so nahe kommt, daß sich literarische Bilder daraus gewinnen lassen. In diesem Sinn ist der erste Satz von >>>> William Gibsons Newromancer-Trilogie mit völligem Recht stilbildend gewesen, der die Färbung des Himmels mit dem eines Fernsehbildschirms vergleicht. Hier kehrt sich Mimesis um: Technik, nicht mehr die ihr vorgängige Natur ist nun das Original, mit dem sie, Natur als Nachgängiges, verglichen wird.
[ZITAT NACHTRAGEN UND VERLINKEN.]

Zum Raumbegriff des Virtuellen hat sich eingehend hier >>>> der dem Fraunhofer-Institut zugehörige Peter Zoche geäußert.
Dies sei den Einwänden also erst einmal entgegengehalten, wohl wissend, daß eine Differenz zwischen realem und virtuellem Raum vorerst existent bleibt; sie wird aber als Erleben irrelevant. Ich habe in meiner ersten Vorlesung auf die in ihrer Intensität völlig mit der dinglichen Realität vergleichbare Möglichkeit hingewiesen, sich innerhalb virtueller Räume schwer zu verlieben, und zwar auch dann, wenn die Person der Zuneigung möglicherweise avatarer Natur ist. Dies läßt einen Rückschluß auf reale Verliebtheiten und Lieben zu, der uns wenig angenehm sein kann, den auszuführen es hier allerdings auch nicht der passende Platz ist. Ziehen Sie Ihre Schlußfolgerungen erst einmal selbst.

Von Yahoo! Deutschland. An Yahoo! Deutschland (2). Zweite Heidelberger Vorlesung (3).

DE Messenger schrieb:Lieber Herr Herbst,
vielen Dank fuer Ihre Nachricht an Yahoo! Deutschland.
Entschuldigen Sie bitte vielmals, dass wir nicht früher auf Ihr Anliegen
zurückkommen konnten. Aufgrund eines Systemfehlers wurde Ihre Email falsch geroutet. Fuer die entstandenen Unannehmlichkeiten möchten wir uns bei Ihnen entschuldigen.
Bitte teilen Sie uns mit ob Sie noch weitere Hilfe benötigen.
Bitte teilen Sie uns dies mit, damit wir Ihnen so schnell wie möglich weiter helfen können.
Mit freundlichen Grüssen Rainer
Ihr Yahoo! Customer Support
Yahoo! Deutschland
ANH an DE Messenger:Lieber Rainer,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort, die jetzt freilich etwas spät gekommen ist - aber vielleicht nicht zu spät.
Meine Heidelberger Antrittsvorlesung ist bereits am 15. 11. gehalten worden, in der nächsten Woche halte ich am Donnerstag, 13.12. abends, die zweite Vorlesung. Das könnte, um nun gemeinsam noch etwas auf die Beine zu stellen, ein wenig knapp sein. Die erste Vorlesung habe ich über einen eigens eingerichteten Yahoo-Messenger vermittels einer kleinen Webcam ins Netz gegeben. Da hatte es aber die Schwierigkeit, daß sich jeder, der zusehen wollte, eigens anmelden und ich das immer bestätigen mußte. Zwar habe ich die Yahoo-ID für den entsprechenden Messenger auf meiner Webpräsenz publiziert, aber viele Anfragen kamen erst während oder kurz vor der Vorlesung selbst, und ich konnte in den wenigsten Fällen parallel zu meiner Vorlesung reagieren. Es wäre wichtig, einen Messenger zu haben, auf den Hörer/Zuschauer von außen einfach klicken können, so daß sich ihnen das Cambild ohne meine Bestätigung öffnet.
Können Sie so etwas bereitstellen? Vielleicht, wenn der Termin nächsten Donnerstag für Ihren ja doch riesigen Betrieb zu kurzfristig ist, daß wir meine Abschlußvorlesung am 17. Januar per Yahoo übertragen? Dann wäre auch für Sie noch gute Zeit, das Projekt öffentlich zu kommunizieren: je bekannter es wird, desto höher werden die Zugriffszahlen sein, logisch.
Aber ich bin natürlich auch gerne bereit, mit Ihnen gemeinsam schon für die nächste Woche zu improvisieren.

Was ich bräuchte wäre
1) einen öffentlich zugänglichen Messenger, der keine Gegen-Bestätigung und Anmeldeprozeduren braucht, wenn jemand auf Webcam-Bild und -Ton zugreifen will,
2) eine gute Webcam, die auch Panoramabilder befriedigend übertragen kann (Hörsaal),
3) vor allem ein gutes, damit verschaltetes Mikrofon,
4) entsprechende (XP-kompatible) Software
5) evtl. einen leistungsfähigen Laptop.

Wichtig wäre allerdings, daß auch Sie das Projekt entsprechend werblich bekanntmachen; ich meinerseits werde das in meinen ja recht frequentierten Netzpräsenzen ebenfalls tun, und auch die Universität Heidelberg, immerhin die älteste Deutschlands, wird gewiß eine entsprechende Pressemeldung hinausgeben. Für die Veranstaltung am nächsten Donnerstag ist es freilich etwas knapp, wir müßten uns da ziemlich sputen.
Ich grüße Sie unbekannterweise aus Berlin:
ANH
www.albannikolaiherbst.de

An Yahoo! Deutschland 1 (Erste Heidelberger Vorlesung 9) <<<<
Zweite Heidelberger Vorlesung 2 <<<<

Kunst als Perversion. Zweite Heidelberger Vorlesung (4). Aus dem Entwurf (fff).

Die Bildsprache des Phantastischen ist die Bildsprache des Unbewußten. Dessen Sprache wiederum, wird sie laut, ist pervers, da sich in vielen seiner Ghats das Abgewehrte versammelt: solche Wasserstellen sind vergiftete Speicher; man schließt sie wohlweislich ab. Dichtung aber bohrt sie an. In ihr steigt das vergiftete Wasser auf, und fände sie nicht einen Weg, es zu klären und trinkbar zu machen, wäre das katastrophal. Dieser Weg oder besser Filter ist die Perversion. Sie läßt uns, was wirklich Angst macht und objektiv schaden kann - deshalb i s t ja verdrängt worden -, als Lust erleben. Dichtung dreht die Traumata um: pervertere, „umstürzen“, „völlig umwerfen“.
Perversion ist als solche, und zwar selbst in ihrem ausschließlichen, bisweilen sogar tödlichen Extrem, eine Form der psychischen Gegenwehr, sei es tatsächlicher, direkter Bedrohungen, sei es vor Zeiten erlebter, doch latent weiterwirkender, dauerhaft schmerzender Traumatisierungen. Perversion stopft aber nicht weg, sondern trägt aus; insofern ist sie Bearbeitung. Ihre nicht verhärtete, dennoch, so glaube ich, den Eskalationsgesetzten von Kriegen ähnelnde Dynamik soll und, glaube ich, kann das Unheil – um dieses Wort einmal richtig zu verwenden – bannen, nämlich: in feierlicher Rede verbieten. Perversion, so gesehen, ist ein Akt der Beschwörung entweder durch das Wort oder durch ein deshalb meist ritualisiertes Handeln. Der Schmerz, den sie zufügt oder zufügen läßt, setzt der äußeren Gewalt, auf die sich anders kein Einfluß mehr nehmen zu lassen scheint, eine innere, gleichsam autonome entgegen. Das hat etwas von dem Moskowiter, der sein eigenes Haus in Brand steckt, bevor die napoleonischen Soldaten das können. Perversion in diesem Sinn ist eine Umdrehung, die den Verlust in Sieg verkehrt. Kein realer Eroberer kann sich dessen erwehren; die auf ihn ausgeübte symbolische Gewalt hat mindestens den Druck der nicht-symbolischen, die er selbst auf den Feind warf und wirft. Er kann nun seine Greueltaten nur noch übersteigern. Das kennen wir aus Kriegen gut, - auch aus den soeben wieder, im Zeichen von Christentum, Islam und Anti-Terror, geführten.

Zweite Heidelberger Vorlesung 3 <<<<

Holzstücke in Prosa. Bücher rauchen. Marlboro. Wieder einmal Leserpost.

Empfaenger: Alban Nikolai Herbst
Name: Katja Findeklee
Email: katja_findeklee@web.de
Betreff: Beschwerdeanfrage
Nachricht: Sehr geehrte Damen und Herren,
ich rauche ihre Marke " Marlboro " sehr gerne..doch in letzter Zeit
befinden sich immer wieder riesige Tabakstückchen die aussehen wie
Holzstücke in den Zigaretten. Ich habe in einer Woche 3 Schachteln
weggeworfen.. weil man diese Zigaretten einfach nicht rauchen konnte.
Ich würde Ihrer Marke gern treu bleiben, aber dafür hätte ich gerne
eine Entschädigung.
Sie können mich per E mail erreichen wenn Sie meine Postanschrift
benötigen.
Ich bedanke mich im voraus.
Mit freundlichen Grüssen
Katja Findeklee
ANH-MarlboroAn Katja Findelklee.
Von ANH.
Betreff: Marlboro. Holzstücke in Prosa.Sehr geehrte Frau Findelklee,
wir wissen für Ihre Not erst einmal keine andere Erklärung, als daß die Packungen, die Sie erstanden haben, mittlerweile 26 Jahre alt sind. Wie bei gutem Olivenöl können auch in Texten mit der Zeit Untrübheiten entstehen, die aber nur einer leichten Erwärmung bedürfen, um sein Gold wiedererscheinen zu lassen. Bei Honig, wie Ihnen vielleicht bekannt ist, ist es ähnlich: dort sind es aber Kristalle. Allerdings fällt erzählter Tabak bisweilen rein historisch Stoffe aus, die allein durch die Veränderung des allgemeinen Sprachgebrauches inkompatibel erscheinen. Und sowieso kann es sein, daß Sie, falls Sie die Light-Version unseres Produktes bevorzugen, mit der Schärfe Schwierigkeiten haben, die allein von jenen durch Sie beklagten Stücken garantiert werden kann.
Wir bedauern es sehr, Ihnen alleine diese Auskunft erteilen zu können.
Hochachtungsvoll
gez. ANH.
Herbst & Deters Fiktionäre.

Träume, Chats, ein Autounfall. Zweite Heidelberger Vorlesung (5). Aus dem Entwurf (ffff).

Der Traum ist ein zweites Leben, >>>> schreibt Nerval. Niemals drang ich ohne Schauder durch diese Pforten aus Elfenbein oder Horn, die uns von der Welt des Unsichtbaren trennen. Die ersten Augenblicke des Schlafes sind das Bild des Todes; ein betäubender Nebel hüllt unser Denken ein, und wir sind außerstande, mit Sicherheit den Augenblick anzugeben, in dem unser Ich in verwandelter Gestalt das Geschäft seines Daseins fortführt. Bereits in dieser romantischen Spaltungsfantasie ist der Charakter des Traums ausgedehnt wie ein Chat, dem modernsten phantastischen Raum, den wir gegenwärtig im Alltag kennen. Wie dieser sind Traumräume null-dimensional: Wer hineintritt, dessen einer F u ß schon füllt den Kopf. Andererseits, nämlich aufgrund seiner zeitlichen Bestimmungen, ist ein phantastischer Raum potentiell unendlich. Zeit weicht seine Grenzen, die gemeinhin als fest empfunden werden, prozessual auf, ja Raum wird zur zeitlichen Bestimmung an sich. Darin berührt er sich mit realen, auf den ersten Blick nicht-phantastischen Grenzerfahrungen. Jeder, der, selbst hinterm Steuerrad, schon einmal einen nicht ganz ungefährlichen Autounfall erlebt hat, weiß, was gedehnte Zeit bedeutet: Langsam, immer langsamer rutscht man dem Baumstamm entgegen.... ja, je näher dran Du bist, um so stärker scheinen sich die Abläufe zu dehnen. Man könnte annehmen, schließlich erreiche der Kühlergrill die Borke nie, indes doch für den Zeugen am Straßenrand alles innerhalb eines Sekundenbruchteils abgeht: Rutschen, durchdrehende Bremsen, schleudernder Wagen, der irre Krach, die zerspringenden Scheiben, und dann das Blut.

Zweite Heidelberger Vorlesung 5 <<<<

In dem Garten der Pfade, die sich verzweigen: Sitzend. Eine arkadische Fantasie, um Jorge Luis Borges gesonnen. Der Schluß: Siebte und Achte Szene.

[Fortsetzung von >>>> hier.]

FRAU flink zurückkommend, sehr frisch und herzlich: Sie müssen sich wirklich nicht beunruhigen. Ein Steinchen nur...
ASHE Steinchen?
FRAU immer munter: Ich habe einen Zettel damit festgemacht... wissen Sie, damit er nicht wegfliegt.
FERRI Sie kennt die Sitte! Sie legt Steine auf das Grab.
QUAIN Der Stein Jakobs.
FRAU munter weiterplaudernd: Ja sicher. Er war jüdischen Ursprungs, also, nicht wahr?, mütterlicherseits. Ein Acevedo... das hat ihn stolz gemacht.
ASHE Lieben Sie ihn?
FRAU Kennen Sie seine Geschichte „Das Aleph“?
FERRI Nach dem ersten Buchstaben des hebräischen Alphabete?
FRAU immer weiter im Plauderton: Ein Punkt, in dem alles enthalten ist: das ganze Universum, alle Zeiten, Sie und ich.
FERRI spöttisch ungläubig: In einem Buchstaben?
FRAU In einem Punkt.
ASHE Auch Straßenbahnen?
FRAU immer munter weiter: Die Autos, die Bäume...
FERRI Eiben wie die hier?
FRAU Sicher. auch Eiben. Alle Eiben. Und die Computer, das Internet.
QUAIN Die Ewigkeit? Die Ewigkeit ist auch darin?
FRAU lachend: Gewiß. Vor allem die Ewigkeit. Sie sieht zur Uhr: Oh, es ist spät!
ASHE Spät? Das ist eine seltsame Bemerkung angesichts der Ewigkeit.
FRAU Ich hab den Punkt ja nicht gesehen... Muß zur Uni, wirklich...
FERRI summend: Den Fluß, der Zeit und Wasser ist, betrachten...
FRAU Es war nett, mit Ihnen... Was sage ich da?!: Es war seltsam, mit Ihnen zu sprechen. Indem sie auf das Grab weist: Und da, mein Herr, liegt kein Señhor Otárola, sondern Borges begraben... Jorge Luis Borges. Merken Sie sich den Namen!
ASHE Borges.
FERRI Borges.
QUAIN Borges.
FRAU Au’voir und einen schönen Tag noch... sozusagen selber strahlend: ... bei diesem herrlichen Wetter! Sie geht, gleichsam hüpfend, davon.
FERRI Warten Sie! Seufzt, wie zurückfallend. Nein. Es ist besser, wenn sie geht.
ASHE Da geht sie.
QUAIN Ich muß sie gehen lassen. Sie heißt nur Ariadne.
FERRI Und wenn ich ihr gesagt hätten, daß das Grab leer ist? Dann hätte sie ihr Aleph ganz umsonst darauf gelegt.
QUAIN Nun wird ihr Aleph wirken.
ASHE Wenn es für sie real ist, dann ist es real.
Momentlang stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
FERRI summt einen Tango.
ASHE leise: Sólo en la tarde gris la historia trunca...
QUAIN sich erinnernd: Das Café Richmond del Sur..!
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
QUAIN Vielleicht trügen mich Alter und Ängstlichkeit, aber ich vermute, daß die Bibliothek fortdauern wird: erleuchtet, einsam, unendlich, vollkommen unbeweglich, gewappnet mit kostbaren Bänden, überflüssig, unverweslich, geheim.
ASHE Ich würde gerne diesen Zettel sehen. Aber ich kann nichts sehen.
FERRI Ich könnte den Zettel herholen. Man hört, wie er sich erhebt.
ASHE Besser, ich bleibe sitzen.
FERRI Ich hole ihn. Man hört ihn hinschlurfen. Das Tappen seines Gehstocks.
QUAIN Ich denke gar nicht daran, mich zu bewegen.
ASHE Buenos Aires. Immer bin ich in Buenos Aires.
QUAIN Horch! Ich höre wieder etwas.
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
ASHE Ich höre doch nichts.
FERRI tätigt vom Grab her einen siegreich-leisen Ausruf.
ASHE Habe ich etwas gefunden?
FERRI vom Grab her: Ich habe etwas gefunden!
Stumm. Die Friedhofsgeräusche, durch die FERRI wieder heranschlurft. Das Tappen seines Blindenstocks.
QUAIN So lesen Sie vor!
FERRI Ich kann nicht lesen. Das wissen Sie. Lesen Sie selber vor.
QUAIN grantelnd: Ich bin doch blind!
ASHE ärgerlich herumrufend: Ist hier jemand, der lesen kann? Hallo?
FERRI noch ärgerlicher: Hallo!
QUAIN wütend, stößt mit seinem Gehstock auf: Hört uns jemand?!
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.
ASHE leise: Sie haben „uns“ gesagt. Wir haben miteinander gesprochen.
QUAIN abwehrend grob: Ach was! Ruft erneut: Hallo!!?
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.

Ein verfremdeter Ruf aus der Kindheit ins Jenseits:

FRAU Georgie! Georgie!
Stumm. Nur die Friedhofsgeräusche.

Man hört Vogelgezwitscher, bisweilen etwas Wind in Geäst, dann wieder entfernte Stimmen. Einmal zieht ein kleiner Trupp Trauernder vorüber; dann wieder weint jemand. Das ist aber alles sehr undeutlich. In der Ferne vielleicht auch ein gelegentliches Autogeräusch.
___________


Verzweigende Pfade 3 <<<<

BDSM als mainstream. Aus einem Briefwechsel.

>>>> June.generell jedoch scheint es einen boom zu geben hin zu masochismus und
submission, der mir in seiner inflationären allgegenwärtigkeit beinahe schon wieder lähmend langweilig erscheint.
ANH.Seien Sie gnädig. Diese Tendenz hat erst begonnen, sich auszuleben. Ich habe in einigen Texten >>>> klarzustellen versucht, weshalb, und übernehme das gegenwärtig radikal in meine Poetik. Das fängt überhaupt erst an. Die emanzipierten Geschlechterbilder sind ins Rutschen gekommen.Das schlägt Funken, Funken des sich-Sperrens, nicht-Wollens, Funkenstrahlen des Widerstands und Kampfes. Der wegspringende, immer neu daraus hervorspringende Funkenkranz umkränzt die Wahrheiten, macht sie überhaupt erst sichtbar. Er hat etwas von einem Heiligenschein; dessen Strahlen - - - D o r n e nsymboleundbilderheiligenschein1g sind, indes. Dornenrad

[Perversionstheorie.
Poetik/Poetologie.]

Dialektik des Pazifismus.

Frieden ist gut, so lange es sich um und für ihn kämpfen läßt. Danach erstickt er dem Menschen den Menschen.

(CDXLXI).

Opernnetz. Beendigung der Zusammenarbeit. An Franz R. Stuke, den Herausgeber des Opernnetzes.

Sehr geehrter Herr Stuke,
dann hat Ihr neuer Redakteur Christoph Schulte im Walde sein Ziel also erreicht.
Ich fordere Sie hiermit auf, meine sämtlichen bei Ihnen publizierten Texte unverzüglich aus dem Netz zu nehmen und entziehe Ihnen also hiermit die Veröffentlichungsrechte. Dafür setze ich Ihnen eine Frist von einer Woche seit Erhalt dieser Email. Sollten die Texte bis dahin noch im Opernnetz stehen, werde ich Ihnen Rechnungen stellen, denen ich ein gängiges Zeichenhonorar zugrundelege. Dieses werde ich mit vergleichbaren Redaktionen und der VG Wort abstimmen.
Meine bislang im Opernnetz erschienenen Texte werde ich anderweitig publizieren. Den eigens für das Opernnetz in DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT gelegten Link werde ich löschen.
Ich bedaure Ihre Entscheidung, der ja in der Form eines quasi-Ultimatums m e i n e Entscheidung vorhergegangen ist und die einer, so sehe ich das, Not entspringt, die Ihnen wurde, weil Sie das Opernnetz aufgrund Ihrer Emeritierung nicht mehr über eine Wissenschaftliche Hilfskraft am Leben halten konnten. Insofern habe ich Verständnis; Sie sind da verletzbar. Bitte haben Sie nun Ihrerseits dafür Verständnis, daß ich meinerseits an einem persönlichen Treffen mit Ihnen k e i n Interesse mehr habe. Es gäbe für ein solches keinen anderen Grund als den einer verwässernden Harmonisierung.
Eine Kopie dieser Mail geht an meinen Anwalt. Weiters erhalten die Berliner Opernhäuser diese Mail als CC.
Hochachtungsvoll
ANH
www.albannikolaiherbst.de
[Regelmäßige Dschungelleser werden wissen, daß es in der letzten Zeit, nämlich seit Herr Christoph Schulte im Walde die redaktionelle Betreuung des Opernnetzes übernommen hat, zu heftigen Mißstimmungen zwischen ihm und mir gekommen ist. Zuvor war das Opernnetz wie ein universitäres Projekt von einer wissenschaftlichen Hilfskraft betreut gewesen; das war nach der Emeritierung Herrn Stukes nicht mehr möglich, und er mußte sich nach jemandem umschauen, der die Arbeit unentgeltlich weitermachte. Dafür ist Herr Christoph Schulte im Walde gefunden worden, der mir ziemlich gleich nach seinem „Amts“antritt einen unverschämten Brief geschrieben hat; >>>> davon habe ich hier in Der Dschungel erzählt. Im Rahmen des Versuchs einer Einigung nahm ich seinen Namen aus den Erzählungen wieder heraus und >>>> pseudonymisierte ihn.
Eine Einigung wurde aber letztlich, trotz vieler freundlicher Telefonate mit dem Mitherausgeber Stefan Ulbrich, nicht erzielt; ich habe mir das Berliner Erstbesuchsrecht einräumen lassen wollen, da meine Mitarbeit für das Opernnetz ebenfalls unhonoriert war. Herr Schulte im Walde hat nun einige Pemierenbesuche mit sich selbst und einer neuen Mitarbeiterin des Opernnetzes besetzt, ohne mir vorher davon Kenntnis zu geben. Das habe ich emfpunden und empfinde es weiterhin als einen Vertrauensbruch. Mein Eindruck ist dabei, daß es letztlich um Machtpositionierung geht.
Ich werde nun außerhalb Der Dschungel ein eigenes Opern-Forum im Netz gründen, an dessen Konzeption ich schon herumdenke, seit die unangenehmen Mißstimmungen mit dem Opernnetz erstmals aufgetreten sind.]

Verdinglichung heißt Versä(!!)chlichung.

Nicht so sehr, daß etwas eine Sache, sondern daß sie sächlich werde, ist der geheime Vollzug in der damit zugleich einhergehenden Distanzierung: dieses a-Geschlechtliche daran, de-Sexualisierende jeder Bewegung in den Geist. Indem sich auch die Geschlechterdifferenzen verflüssigen oder verflüssigen sollen, werden die „Sachen“ genau so beweglich, wie es die sie (ver)speisende Wirtschaft bedarf braucht.

(CDXLXII).

Giacinto Scelsi. Scelsi-Variationen. (XIX).

[>>>> Thema:
Ihrer Musiken getan]
... und morgens, wenn überm Hafen
das Schreien einer Möve liegt
aus dem sich die Sonne heraufbiegt
die wir verschlafen

(früh, Excellenz, ging die Fähre
noch ohne uns ab
und schwamm schon ums Kap
ins Ungefähre

der Herkunft der Arten,
die warten),
dann

Ihrer Musiken Fließen,
uns das Erwachen wieder zu schließen,
in beide erwachenden Augen getan...

>>>> Variation XX
Variation XVIII <<<<

Körperinneneigen. Raumaußenfremd. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (93).

>>>> Das entindividuierte Netz und die individuelle Ausstrahlung.

[Wäre dem so, es wäre eine so rigorose Trennung von Außen- und Innenwelt, Realität und Imaginationsraum nicht aufrechtzuerhalten, wie sie nach wie vor die Diskussionen bestimmt. Man müßte beginnen, von Schattierungen des Realen zu sprechen, von Abstufungen, die beim materiellen Kern erfahrener Wirklichkeiten beginnen und sich bis in die Glaubensbereiche erstrecken, also bis ins scheinbar unabgelöst Ideenhafte und Ideologische. Wobei Schatten und Licht nur noch in Hinsichten auf kategorisierbar und also in einem Eigentlichen ununterscheidbar wären. Es wären keine Kategorien-an-sich mehr.]

>>>> 94
92 <<<<

"Was nicht ist, kann wirken."


- Erstes Paradox des Kybernetischen Realismus. -


[„Was nicht ist, kann, was werden wird, schaffen.“ Dieses Paradox ist einem „Ersten Hauptsatz“ vergleichbar und bezieht sich sowohl auf allein behauptetes Sein, wie z.B. Gottes und/oder der „Freiheit“, als auch auf denkerische Methodik an sich: Es lassen sich Modelle entwerfen, etwa das des „raumlosen Raumes“, >>>> gegen den einiges mit erkenntnistheoretischem Recht einzuwenden ist, ja die naturwissenschaftlich (empirisch) betrachtet vielleicht nicht einmal Wahrscheinlichkeit haben; werden sie aber mit anderen, ganz ähnlichen oder tatsächlich praktischen (mit materialem Grund erfahrenen) Modellen in Verbindung gebracht und über eine „reine“ Beschreibung hinaus in wechselwirkende Bewegung gesetzt, bekommen sie durch ihre Wirkung Wahrheit insofern, als das, was sie aussagen, sich mit etwas faktisch deckt, das durch sie erst entsteht, bzw. entstanden ist. Die einzige Voraussetzung dafür ist, daß solche Modelle angenommen werden. So ist aus der ursprünglichen Akzeptanz Gottes und den exegetischen Verfahren seiner Erforschung schließlich eine Disziplin entstanden, die einerseits genau diesem (monotheistischen) Gott ausschließend entgegensteht und andererseits die Grundlage der modernen technischen Gesellschaft bildet; zugleich ist er, als Kulturphänomen und damit causa prima, in letzter Konsequenz nicht mehr aus ihr wegzudenken. Ganz Ähnliches gilt für die „Freiheit“ oder gar Konstruktionen wie derjenigen eines „Gesellschaftsvertrages“. Hätten sich die Subjekte der Geschichte nicht praktisch mit ihm durchgesetzt, würden wir seine Setzung ganz ebenso verspotten wie die heidnischen Grundlagen eines Voodoo-Zaubers; er wäre nur ridikül. Denn es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß ein solcher Gesellschaftsvertrag de facto niemals geschlossen wurde, schon gar nicht von autonomen Subjekten.
Der Kybernetische Realismus macht sich diese Erkenntnis zu eigen und verwendet sie bewußt - also: steuernd.*]


*) Hier hinein fällt auch d a s:
„Wer lange genug Genie spielt, wird eins.“ (Dalí).
„Erst kommt der Größenwahn, dann kommt die Größe.“ (>>>> Krausser).

[Kybernetischer Realismus.
Poetologie.
Erkenntnistheorie.]

Heidelberger Poetik-Vorlesungen. HINWEIS.

Wie bereits die erste, so findet sich auch die Zweite Heidelberger Vorlesung von heute an >>>> hier in der eigens >>>> dafür bereitgestellten Rubrik, weil die sehr langen Texte die virile Nervosität der Dschungel-Hauptseite stören. Dort bleiben die Vorlesungstexte vorerst stehen. Ich bin mir allerdings noch nicht sicher, ob ich die Rubrik der Poetik-Dozentur mit deren Abschluß wieder schließen werde, zumal die Texte in Buchform erscheinen sollen. Die Rubrik >>>> Werkstatt wird in jedem Fall geöffnet bleiben.

Glaube.

Ist eine Spielform des Wissens.

(CDXLXIII).

[Das erklärt, weshalb er die Wissenschaften vorbereiten konnte und, möglicherweise, immer noch weiter vorbereitet. Dabei enspricht „Spiel“ dem Spielen von Kindern.]

Melville

Ich kenne sie zu gut. Ich kenne alle ihre Bewegungen. Wimmelnd, zielstrebig, selbstversessen, wie ein endloser Zug von Insekten, die ihren Bau verlassen haben, um einen neuen zu gründen, irgendwo in der Ermüdung und Dürre - bis sie das oszillierende Magnetfeld der Erde, nach dem sich auch die Eidergänse auf ihrem Flug in den Süden richten, wieder umstimmt, die Vorzeichen ändert und in leicht veränderter Tonlage dasselbe obskure Thema aufgreift. Und dicht unter der transparenten Partitur dieser Bewegungen, die sich immer ähnlich sind, ohne sich jemals zu gleichen - der Schwarm ihrer Empfindungen, ihre auf den Orgasmus hinarbeitenden Kontraktionen, ihr Abwarten, ihre Ungeduld, ihre Trägheit, ihre plötzliche Gier, und schließlich ihr Öffnen und Lassen und Senken und Saugen.

Die Bilder von Weizenfeldern, Müllhalden, Luftschächten, Himmel über dem Meer, Eis an den Fenstern einer Boeing 737, die leeren Blicke der Reisenden, das Warten auf den Ruck der ersten Bodenberührung, der Terror der Kommunikation.



Ein Kriminalfilm ist ein gutes Vehikel. Eine polizeiliche Untersuchung
ist eine einwandfreie Bewegung, eine Vervollkommnung, eine Dialektik:
die Suche nach der Wahrheit in einem konkreten und allgemeinen Ausdruck, die unschuldig ist.

J. P. Melville

Giacinto Scelsi. Scelsi-Variationen. (XX).

[>>>> Thema:
als deren Absenz]
Ach daß wir niemals
als wie Ihre schlanke Hand
die langen Hände fassen können

deren Finger die dem Lehm
zu atmen und zu leben
und uns zu töten gönnen

uns dauernd weiterformen
a u s der i n die Absenz
der fließenden enormen

Selbstbehauptungsexistenz
von Molekülen die sich finden
und wimmelnd schon verlieren

unter dem ertaubten Flügel
- ach wie Sie davon im Gesang
des letzten Engels künden

Baals.

>>>> Variation XXI
Variation XIX <<<<

Opera lirica.

Wir weinen uns hinaus
wir atmen Freunde
wie die Sänger
strömend singen
mit

als w ä r e Gott
und wäre keiner
Freunde
nicht
der sich verbirgt

sondern er nähme
die Gestalt -
ein Freunde Rhodonit
aus Klang -
der Schönheit an

und sein Gesicht

Erzählen in Regelkreisen. Dritte Heidelberger Vorlesung (1). Aus der Skizze des Anfangs.

Jetzt also Butter bei die Fische:
Kybernetischer Realismus ist demzufolge eine Poetologie der Spiegelungen und Wechselwirkung. Er ist prinzipiell unabgeschlossen und, wenn man vom anthropologiefernen Begriff der Entropie absieht, unabschließbar. Seine Grundstruktur sind >>>> Regelkreise, daher tendiert eine Erzählung des Kybernetischen Realismus zu Zyklen, und diese, im Verhältnis zueinander, vollführen Sprünge: Der Erzählzyklus führt nicht, wie etwa bei den aus der Science Fiction stammenden Zeitschlaufen, in seinen tatsächlichen Anfang zurück, sondern in etwas, das dem Erzählanfang zwar täuschend gleichsehen mag, aber doch etwas anderes ist: ein Etwas mit der Erfahrung des durchlaufenen zyklischen Weges. Es geht also gerade nicht um eine Ewige Wiederkehr, sondern um etwas, das Muster wiederholt, aber sich in den Metaebenen irreversibel voranbewegt. Kommt der Erzählzyklus wieder an seinem Anfang an, haben sich sämtliche Beteiligten und hat sich auch das Setting verändert. Es ist ungemein wichtig, sich das vor Augen zu halten. Die Erzählung kommt immer wieder auf ihre leitenden Motive zurück, aber wenn sie zurückkommt, sind diese Motive bereits verschoben; Sie können sich das als Perspektivwechsel klarmachen. Sie können es sich aber auch musikalisch klarmachen: Ein Thema wird zwar wiederholt, aber als organische Entwicklung aus den vorhergegangenen Variationen, und selbst wenn es wörtlich/klanglich wiederholt wird, hat doch der Hörer das Vorhergegangene als unmittelbare/mittelbare neue Erfahrung, unter deren Wirkung er die Wiederholung nun a l s Wiederholung wahrnimmt. Das ist selbst bei wortgetreuer Wiederholung von der Rezeptionsseite etwas anderes, als wenn ein Thema/Motiv zum ersten Mal zu Gehör gebracht wird. Das gilt selbstverständlich erst recht, wenn wir ein- und dasselbe Musikstück zum zweiten, dritten, n-ten Mal hören: Jedes Mal schaffen die Erfahrungen vormaligen Hörens eine ganz neue Erfahrung. Es ist unmöglich, zum zweiten Mal einen ersten Eindruck zu machen: Dieses Axiom, das für jede soziale Kommunikation gilt, gilt in der Poetik ganz genau so und wird im Kybernetischen Realismus als ganz bewußtes Stilmittel eingesetzt.

Zauber & Geheimnis.

Baum1
Baum2

Muster & Allegorie. Dritte Heidelberger Vorlesung (2). Aus den Skizzen der Fortsetzung.

Deshalb habe ich in meiner zweiten Vorlesung gesagt, die phantastische Literatur nehme die Aufklärung zurück; sie ist der Narr, der dem siegreichen Feldherrn im Triumphzug vorherläuft und ihn mit Gründen verspottet. Insofern keine andere Literatur so sehr Sprache der Seele ist wie die phantastische, steht sie neben den Naturwissenschaften als eine der Säulen zeitgenössischer Ästhetik da; sie auch steht ja deutlich mit am Beginn dessen, was moderne Literatur dann geworden ist. In Teilen kann selbst der Ulisses, da auf der Folie eines alten Mythos geschrieben, der phantastischen Literatur zugerechnet werden; er belebt nachdrücklich die Allegorie und damit die Vorstellung, es gebe ewig währende Muster, die sich durch die Individuen hindurch jetzt im Wortsinn: realisieren. Darüber gibt es keine Freiheit, man wird von dem Muster als Träger erkannt und verwendet. Nur daß der Kybernetische Realismus sich des Umstands bewußt ist, daß es sich bei solchen Mustern nie um identische, sondern eben immer nur um ähnliche handelt, die sich wahrscheinlich von Träger zu Träger wandeln.
Schon hier, wenn Sie diesem Instinkt folgen, wird deutlich, worin sich die personale Konzeption einer neuen narrativen Ästhetik von der dinglich-sachlichen Konzeption des herkömmlichen Realismus unterscheidet: Nach-postmoderne Personen einer Erzählung vereinen in sich den Widerspruch einer personalen und akausalen Gesamtheit (die nämlich nennen wir Autonomie) mit dem Umstand, daß sie Träger von Informationen sind, der Muster nämlich, und als solche sind sie Hüllen. Hätten sie nicht Gefühle und überhaupt ein Innenleben, man müßte sie für leer halten. In einer Erzählung des kybernetischen Realismus begründet sich ihre Existenz – das heißt die Tatsache, daß Leser solche Personen emphatisch mitleben können – nicht länger aus der Annahme von Autonomie, sondern aus den Konflikten, die diese Annahme austrägt, wird sie mit den wirkenden Mustern konfrontiert. Walter Benjamins im Ursprung des Deutschen Trauerspiels entwickeltes Allegorie-Konzept steht nicht grundlos ebenfalls am Beginn der Literarischen Moderne, Seite an Seite mit der Entwicklung des Konzepts des Unbewußten, das von der Phantastischen Kunst sinnlich ausgestaltet wurde (und weiterhin wird). Dazu halten in nahezu derselben Zeit die ökologischen Konzepte Ernst Haeckels in die moderne Wissenschaft Einzug: Konzepte vernetzter Systeme. So alt ist der moderne Begriff der Kybernetik, der seinerseits letztlich einer aus der Antike ist. >>>> Darauf hat einer meiner Leser in einem Dschungel-Kommentar völlig zu recht hingewiesen. Wenn Sie sich allein nur diese drei Momente der modernen theoretischen Erfassung von Wirklichkeit simultan vor Augen führen, wird Ihnen mit fühlbarer Evidenz klarwerden, was ich mit zirkulärem Erzählen meine: daß solche Zirkel eben keine ewigen Wiederkünfte, sondern sich durch die Geschichtszeit weiterbewegende Spiralen sind, die nicht, wie es ein Zirkel täte, an ihrem tatsächlichen Ausgangspunkt wieder ankommen, sondern an einem Ausgangspunkt, der sich irreversibel verändert hat. Kein anderer ästhetischer Ansatz als nunmehr der meine trägt diesem wahren Umstand Rechnung. Und kein anderer ästhetischer Ansatz legt so entschieden sein Veto gegen den Satz ein, letztlich verändere sich gar nichts, und wir lebten, wie Kästner sagt, imgrunde weiter auf den Bäumen. Gerade indem ich etwa auf antike Modelle wie das des Schicksals zurückgreife, dem es sich nicht entkommen läßt, gebe ich der Geschichtlichkeit ihren Stellenwert zurück. Denn dieses Schicksal ist nicht länger eines, das Götter bestimmen, sondern ein selbstbewirktes Bewegtes: Autopoeisis.

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Desideria, Markus A. Hediger und Die Möglichkeitenpoetik. Dritte Heidelberger Vorlesung (3). Aus den weiteren Skizzen der Fortsetzung.

In der Matrix des Kybernetische Realismus stehen nicht nur faktische Er/Kenntnisse als Komponenten, sondern auch Möglichkeiten; das ist der entscheidende ästhetische Ansatz, daß er kein ausschließendes poetisches Verfahren ist, sondern ein integratives, das kausale Zusammenhänge eben n i c h t festfährt. Für einen Roman bedeutet das, daß dieselben Erzählstränge sich ebenso spalten können wie die erzählten Subjekte und daß diese gespaltenen Erzählstränge jeder zu anderen Weiterhandlungen führen, die parallel miterzählt werden, ohne daß es einen Akzent auf eine bestimmte Weiterhandlung gäbe. Schon insofern ist es unmöglich, einen Roman so zu planen, daß von Anfang an sein Ziel feststeht, auf das dann hingeschrieben wird. Zwar mag ein Ziel intendiert sein, es wird aber praktisch nie oder nur in einem von vielen möglichen Erzählungen über denselben Handlungsgegenstand erreicht. Ich habe, während ich das Verfahren entwickelte – besser: während e s sich entwickelte – auch Leser meiner Arbeiten darin hineingenommen, die auf meine Arbeit reagiert haben; in Der Dschungel ist das ja sehr gut möglich. So schrieb mir am 29. November 2005 ein Kommentator, der sich mimikry nannte, das Folgende in das Literarische Weblog – wozu Sie wissen müssen, daß ich in dieser Zeit intensiv am Dritten Band meiner Anderswelt-Trilogie schrieb und täglich Segmente daraus, die Sie heute noch nachlesen können, in dem Literarischen Weblog veröffentlichte und über sie mit meinen Lesern diskutierte; dabei haben sich drei Leser anerboten, Figuren des Romanes zu werden; eine, Brem genannt, ist heute, nach Abschluß der Erfindungsphase, sogar eine der Hauptpersonen geworden. Jedenfalls schrieb mimikry Folgendes, und Sie müssen jetzt nur noch wissen, daß die genannten Herren Cordes, Herzfeld und Goltz reine Romanfiguren sind, Niam Goldenhaar ist es sowieso und Judith Hediger wiederum ein Hybrid aus erfundener und Real-Person, hingegen die genannten Damen Lilith und Desideria sind „reine“ Realpersonen, die ihrerseits Weblogs betrieben; >>>> Desideria schreibt ihres bis heute. >>>> Hier also mimikrys Kommentar*.
Ich habe diesen Text nahtlos in meinen Roman integriert und bin den gelegten Spuren weitergefolgt, das heißt, ich habe das, was als mögliche Folge einer Romanhandlung von meinem Kommentator mimikry fantasiert worden ist, wie eine Tatsache behandelt – als eine matrische Komponente eben, mit der ich die poetischen Rechenvorgänge als Möglichkeit durchgearbeitet habe, die, und das ist jetzt wichtig, anderen Möglichkeiten durchaus widersprach. Auf diese Weise gelangen Sie zu einem Romanmodell, das sich jeglicher Eineindeutigkeit verweigert und dennoch, je im Hinblick auf einen bestimmten Erzählstrang, sinnlich evident und auf sich bezogen den Gesetzen der Kausalität verpflichtet bleibt. Das entspricht ganz unserer Erfahrung von Wirklichkeit, wenn etwa nach dem Bau des Assuan-Staudamms unliebsame Folgen eintraten, die zuvor nicht absehbar gewesen waren, weil man bestimmte Determinanten, die erst mit dem Bau wirksam wurden, nicht gekannt hat. Prinzipiell gilt, daß der Eingriff in ein Geschehen Auswirkungen auf jedes Einzelelement des gesamten ökologischen Systems hat, also auf jede Komponente der Matrix. Insofern der Kybernetische Realismus sich wie alle vorgängigen Ästhetiken zur Wirklichkeit mimetisch verhält, so eben hier zu einer prozessual verstandenen, also immer in Bewegung befindlichen Wirklichkeit. Daraus ergibt sich, daß ein nach-postmoderner Roman, der nicht regressiv ist, kein bestimmtes Ende haben kann, sondern immer nur verschiedene bestimmte Enden. In WOLPERTINGER ODER DAS BLAU finden Sie diesen Ansatz in den drei einander widersprechenden Epilogen, die das Buch abschließen und geradezu notwendigerweise in ein nächstes Buch hin eingeführt haben: in den ersten Band der Anderswelt-Triologie nämlich, in THETIS. ANDERSWELT. Es handelt sich insgesamt n i c h t um ein hermetisches Erzählprinzip, sondern gerade um das Gegenteil. Daß dennoch oft eine starke Hermetik empfunden wird, liegt daran, daß wir es gewohnt sind, gewohnt gemacht worden sind, die Abschließbarkeit von Handlungsvorgängen vorauszusetzen und sie in einem Roman deshalb zu erwarten, ja sie von ihm zu fordern. Hiergegen stehen meine Arbeit und damit der Kybernetische Realismus völlig quer.


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AEOLIA-GESÄNGE. Das Buch. Schmutztitel. Winde/Vulkane (AEOLIA 36/Stromboli 48).

Stromboli-Schmutztitel-Weblog
>>>> Aeolia 36/Stromboli 48: DAS BUCH
Aeolia 35/Stromboli 47 <<<<
 



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