Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
________________________________


 

Gedichte. In Frankreich erschienen. Édition La Porte.

Gedichte-La-Porte
Édition >>>> La Porte.


Jedem solcher Heftchen liegt ein Coupon bei, nämlich dieser:
Coupon
Wer Interesse hat, drucke sich also diese Dschungelseite aus, schneide den Coupon aus und fülle ihn aus. Dann schicke man ihn nach Laon.

Ich habe geschrieben, was das Wort sei

Ich habe geschrieben, was das Wort sei
habe geschrieben, es sei der Betrug
den die Gesetze den Rechtlosen geben

Ich habe geschrieben, was das Fleisch und
wessen es nicht sei, vergraben
das Fleisch und das Wort und das Recht

und haben nichts als Staub
und haben nichts zur Frau
und Kinder, die schon blind sind

bekommen zu lernen
nichts als das Wort
das nicht nährt

Welch heiteres Kompliment!

... wie die Positionen Herbsts, dessen Größenwahn nur noch von seiner Bildung getoppt wird. (...)Karl Tammen in einem Interview des rbb's, 31.6.2007.

Esra Pound. Pisan Cantos. Übersetzungsversuch. Canto LXXXI. Bamberger Elegien (84). ÜA der ZF, Zweites Motto.

Überliefrung aus Luft | aufgenommen zu haben, in der sie noch lebt (6)
u ngelöscht, die Flamme, dem nobelen Auge des Alters (5)
ist all eitles Tun n i c h t. (2)
Irrtum liegt immer im Nicht-Tun, (3)
immer im Kleinmut, der zagt. (3)
EP:To have gathered from the air a live tradition (6)
or from a fine old eye the unconquered flame (5)
This is not vanity. (2)
Here error is all in the none done, (3)
all in the diffidence that faltered. (3)

ANH:Überliefrung aus Luft | aufgenommen zu haben, in der sie noch lebt (6)
u ngelöscht, die Flamme, dem nobelen Auge des Alters (5)
ist all eitles Tun n i c h t. (2)
Irrtum liegt immer im Nicht-Tun, (3)
immer im Kleinmut, der zagt. (3)

Eva Hesse:Zu lesen aus der Luft lebendige Überliefrung (5)
und aus dem Greisenaug die unbesiegte Flamme (5)
Dies ist nicht Eitelkeit. (2)
Der Fehler liegt im Nicht-tun (2)
Und in dem Kleinmut, der nichts wagte... (4)


1) „to have gathered“ ist sicher nicht „zu lesen“, sondern meint ein fast organisches Einatmen; „aus der Luft aufgenommen zu haben“ kommt dem zumindest näher;
2) „a live Tradition“ l e b t in der Luft noch, aus der man sie nimmt;
3) „This is not vanity“ schlägt einen biblichen Ton an, den ich mit dem etwas manierierten „all eitel“ aufnehme, weil darin dieses „Alles ist eitel“, nämlich vergeblich weltlich, mitschwingt. Diesen Aspekt unterschlägt das profane (moderne) "Eitelkeit" unterdessen im Deutschen. Zumal nimmt mein deutsches "all" das englische "all" auf.
4) „Irrtum“ liegt „error“ hier näher als „Fehler“, weil es etwas Allgemeineres, Menschlicheres meint als bloß eine falsche Handlung, zumal die ja - „none done“ - eben unterbleibt. Dieses „none-done“ müßte im Vers eigentlich s o wiedergegeben werden: „...liegt immer im Nichtgetanen“; einstweilen übernehme ich aber Hesses Wahl, und zwar, um Pounds Versmaß zu entsprechen.
5) „Kleinmut“ ist von Hesse gut getroffen; eigentlich meint „diffidence“ den Mangel an Selbstvertrauen; jedoch, im Verbund mit „none done“ u n d „zagen“ wäre es unnötig redundant, das so auszudrücken. Hesse mag das gespürt und deshalb auch „faltered“ als „nichts wagen“ nachgedichtet haben. Ich allerdings ziehe „zagen“ vor, schon wegen des biblischen Anklangs des dritten Verses.

siehe auch >>>> das.

>>>> BE 85
BE 83 <<<<

Achilles am Alexanderplatz.

Ich bin der Wind, der in der U-Bahn nach Fleisch riecht
Ich bin der Zahn im Mund eines Siechen
Ich bin das Glück, bin das Zurück zu den Griechen,

zum Schicksal an Wassern, die weinen - will riechen,
wo sich der Mundschutz vortut mit Rücksicht und Regel -
Ich bin das Segel, bin Wante und Schot alter Kähne,

die eine Glut vom Riff wirft, erigiert in dem Wind,
der ich bin in den Leinen - und schlürft von den Gleisen
das Eisen – und jagt nach dem Brot in den Küssen,

die nicht erst fragen müssen, bevor man sie gibt –
Dann schiebt sich das Kreischen der U-Bahn schon ran
an die wartende Menge und schreit in das enge Herz

ihrer U-Bahn-Station unter der niedrigen Blässe der Decken,
in den Geruch aufgebackener Fertig-Wecken und des Öls
an den Rädern - Doch stirbt, als er einsteigt, und still,

Achill -

Ernst Jünger, Heliopolis (1). Dichter-Credo: Wissen aus der Fremdheit.

Das ist die Ouvertüre; ihr schließen sich Gänge durch den Hafen, durch die Bazare und engen Viertel an. Der Anblick der Menschen, die dort wimmeln, steigert meine Heiterkeit. Je weniger ich ihre Namen, ihre Geschäfte, ihre Sprache kenne, desto lichter tritt der geheime Sinn hervor. Sie werden von innen illuminiert. Es wird mir deutlich, daß dem Sein und Treiben der Menschen ein Mythos zugrunde liegt, der einfach ist wie eine Bilderschrift. Wir nähern uns dem Glück, wenn wir in diesen Mythos eintreten.
Im Fluge steigt die Sonne zum Zenit und senkt sich dem Meere zu. In wundersamem, schmerzlosem Laufe eilt die Zeit dahin. Die Lebensbilder fallen in mich ein wie Adern, die sich in mir vereinigen.
Lucius de Geer, EA 130.

So etwas ist unfaßbar - Ernst Jünger, Heliopolis (2) -

gut:

Riley war Seemann und schon mit fünfzehn Jahren dem Elternhaus entlaufen, um auf Segelschiffen Dienst zu tun. Solche Männer sind schwindelfrei.

Interessant bei satt.org. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (87).

Hier >>>> ist in meinem eigenen „Fall“ zu schauen, in welcher Weise sich bei wikipedia die als solche bezeichnete Selbstinszenierung darstellt, also: was ich in dem Artikel geändert habe. Das läßt sich ja nach Struktur der wikipedia gut nachvollziehen: nämlich objektiv Unrichtiges, Namensschreibungen, Erscheinungsdaten usw., korrigierend, nicht jedoch den Text-selber in seiner Substanz modifizierend.
Solche „Selbstinszenierung“ hat etwas Nötiges, von dessen Realisierung ein Betroffener allezeit vorher ausgeschlossen war. Sie hat zugleich etwas Offenes, nicht-Insgeheimes, da sie die Genauigkeit der Rechercheure vom präzisen Rang >>>> Frank Fischers bereits vorab mit ins Kalkül nimmt.

>>>> 88
86 <<<<

Das kranke Kind.

Gesichtchen so klein, Gesichtchen so wund
Gesichtchen so fern von der Mama

Körperchen liegt auf dem Feld

Die Äugchen so trübe, die Äugchen so müd
So klein in den Äugchen ein Wille

der es entblößt zusammenhält

Das Hautchen so blaß, das Hautchen so heiß
Die Hautchen bis zu den Füßchen Geist

was nicht versteht, wie daß man fiel

Selbst von den Söhlchen duftet gelb
der Vorwurf an das fremde Feld

der Welt.

Die Polis. Ernst Jünger, Heliopolis (4).

Wiederum elf Seiten nachher:So ist die Bildung zwar stark gesunken, doch jedem zugänglich. Sie ist kein Vorrecht von Schichten mehr. Desgleichen der Komfort – was früher die Kornverteilung oder der freie Zutritt zu den Spielen, das ist heute der Anteil an der Energie, der Anschluß im Strahlungsraum. Man kann doch sagen, daß sich das alles seit den ersten primitiven Formeln wie 'Sozialismus plus Elektrifizierung' stark vereinfacht hat. Der einzelne hat eine Reihe technischer Formeln, die ihm das Leben sowohl erleichtern wie verständlich machen und fühlt kaum das Bedürfnis, darüber hinauszugehen. Man darf behaupten, daß der Heliopolitaner sich, vor allem in den ruhigen Phasen, in hinreichendem Besitz der Freiheit fühlt. Es fällt kaum eine wichtige Entscheidung, die nicht plebiszitär gesichert ist. Im Gegenteil – Sie sehen Kriege gegen den Willen der Armee beschlossen und Führer, die nur dem Demos wohlgefällig sind. Es mag das daran liegen, daß, wie die Bildung, so auch das Bewußtsein zwar im Niveau gesunken, doch allgemein geworden ist. Auf diese Weise hat es Formen angenommen, die dem Instinkt recht ähnlich geworden sind, und es verschmelzen die kollektiven Triebe mit einer automatisierten, berechenbaren Intelligenz.
Heliopolis, 347.
>>>> All dies sagt in dem Roman de Geer, der selbst nicht ohne Gegenredner bleibt, so daß sich das Buch als ein sokratischer Pluralog darstellt, dessen Schlüsse (Entscheidungen) ein Leser selber ziehen (fällen) muß und dessen Grundlagen eine nicht immer angenehme Herkunft restatuieren – in direkter Gegenbewegung zu den verschwiegenen Beweisgründen, die - als Recht und ontologisch - behauptete Gründe sind, des demokratischen Glaubens an autonome Emanzipation. Hier liegt das Unbehagen, das Jünger zumindest in diesem Buch für den aufgeklärten, profanen Gegenwartsbürger nicht ausbläst, sondern, wie die Alten ein Feuer, wahrt.

Dialektik der Aufklärung bei Ernst Jünger. Heliopolis (3).

„Serner, der für die Formenwelt der späten Demokratie ein gutes Auge hatte, das ihre selbstverständlich gewordenen und kaum bewußten Zusammenhänge scharf erfaßte, hatte sich in seinen Studien auch mit dem Phonophor beschäftigt, und zwar in einer seiner kleinen Schriften, die unter dem Titel „Die drei Stufen zur Gleichheit“ erschienen war. Die Reihenfolge der drei großen Revolutionen der Neuzeit war nach ihm fortgeschritten vom Religiösen über das Politische zum Technischen. Die erste dieser Unwälzungen war gegen den Priesterstand gerichtet; der einzelne erkämpfte sich in ihr das Recht, unmittelbar zu Gott zu stehen. Der zweite hatte der alten Aristokratie gegolten und die Privilegien der Lehensordnung umgestürzt, zugunsten der bürgerlichen Freiheit und des Händlertums. Und endlich war der Arbeiter erschienen und hatte die bürgerlichen Rechte in Funktionen des Übermenschen umgesetzt. Im Laufe dieser Wandlung war die Freiheit dahingeschwunden; sie hatte sich in Gleichheit aufgelöst. Die Menschen glichen sich wie Moleküle, die nur durch die Grade der Bewegung unterschieden sind. Und diesen Zustand nannte Serner die kinetische oder Arbeitswelt.
In dieser Untersuchung kam er zu dem Schlusse, daß sich im Phonephor ein ideales Mittel der planetarischen Demokratie entwickelt habe, ein Medium, das jeden mit jedem unsichtbar verband. Die Gegenwart der alten Volksversammlung, des Marktes, des Forums war hier auf ungeheure Räume ausgedehnt*. Vor allem war der Phonophor ein ungemeiner Vereinfacher. Es hatten, seit er in die Perfektion getreten war, die Volksabstimmung und die Volksbefragung jede technische Schwierigkeit verloren; der Wille, die Stimmung der großen Massen war unverzüglich zu erfahren und abzumessen, fast durch Gedankenkraft. Im Punktamt war eine der Maschinen aufgestellt, die wunderliche Rechenkünste meisterten. Das Ja, das Nein, die Unentschieden der Legionen summierte sich in ihr in Funkenströmen und wurde im Augenblick ablesbar.“
Heliopolis, 336/336.
Und einundzwanzig Seiten davor:„In diesem Zustand konnte das Erwachen nicht ausbleiben. Es trat im gleichen Augenblicke ein, in dem die rationalen Wurzeln den Mythengrund erreicht hatten.
Heliopolis, 305.
*) nämlich wie bei einem bei sich getragenen, interaktiv befragbaren Internet (!).

Bamberger Elegien (85). ÜA der ZF, Hexametrisierung. Anfang der Elften Elegie.

Schnee fiel, der erste - wie Späne, die weich sind, Kristalle wie Daunen,
wenn sie, ein Untergefieder, das schneit, ˇ über den Corpus,
der die Musik ist, gestäubt sind, den matt ˇ schimmernden Bauch
und jene Wölbung darüber, von der nun die Schmelzströmchen fließen,
da es von innen zu warm, ˇ sostenuto im Canto und schwer, ist,
breit, largamente, als daß sie sich hielten im Klang, als Verwehung
weder, als Deckel der weißen Entsagungen, milder, gereifter,
unter sich Schößlinge spätrer Erfüllungen bergend, als Matrix
nicht, noch als Schmuck, der Entsagungen ausgleichen könnte, wie Wein,
mönchischem Leben Ersatz zu beschaffen, es tut oder täte;
Dichter, darin, ˇ glauben es irrtümlich ähnlich - und sündig
ähnlich, verzichten sie auch – Surrogate, blasphemisch, statt Haut
anbetend, trennen sie Geist von der Schöpfung, Kritik von dem Ding,
das sie erst schafft und von dem sie ganz abhängt... sie stehen zur Seite
sicheren Unmuts und schreiben, anstelle es selber zu leben...
Trauer markierend und Mitleid und, wo's sie politisch bewegt und
treibt, Engagement – ˇ gehn aber selber nicht hin, um zu kämpfen -
so ihr Verhältnis zum Dasein: repräsentativ statt präsent,
schicken sie andre, den Stoff einzusammeln... und lassen ˇ lieben -
singt nicht das Cello ˇ davon? und schneit nicht die Klage ˇ darob?
Leibern, die Zärtlichkeit brauchen, ganz gleich, die nach Stößen verlangen,
die bis ins Innerste erdwärts Organe und Stoffwechsel umrührn,
umgraben, Schmerz kommt auf Wollust zu liegen – ˇ daher der Frauen
Schreien bei Liebˇhabern, die's wissen und füllen – und nehmen;
daher im Holz Vibrationen, der Klang ˇ daher, der Schmelze
dunkeler Schmelz unter den Saiten und Händen, das Zittern und selbst,
wie konzentrierten Cellisten das Antlitz verzerrt wird, ein Ausdruck
häßlicher Ungeˇfaßtheit, scheint's, selber, erinnert uns stöhnend
eigener Bilder, wie wir sie von uns gar nie sehen - Geliebte
sehen sie nur oder jene durchs Schlüsselloch spitzelnden Leute,
die sich zu Zeugen der Zeugung, wo andere wegsehen, machen...
besser, man schließt sie, die Augen, drum selbst, wenn man zuhört...
nämlich wir hören ˇ das, wenn wir hören... so sinnlos der Schnee,
es zu verbergen... (v – v v – v v – v v -)

>>>> BE 86
BE 84 <<<<

Ezra Pound im Käfig.

Blieb von der politischen Wirrnis das Klare.
Knöchelchen blieben, die Sie, Herr Pound,
in Ihrem unverkennbaren Sound der

alliierten Guten Fee als das wahre
Frühstück von Pisa Morgen um Morgen
(ihr von der Ewigkeit zu borgen)

durchs Gitter streckten – das Wunderbare,
die Fee hielt's für hager und Zucker
für Salz, das ihr ein irrer Schlucker

zum Kaffee keiner Buße reichte.
Und schaukelt dürr, der unerreichte,
uneinsichtige Gott:

Sie, im Bankrott
Ihres Käfigs - indes in Salò
ein dunkler Paulus ebenso

makaber, doch kopfunter
in Ihr Beharren tropfte
drunter -

[Publiziert in >>>> SCHREIBHEFT 69, Oktober 2007, S. 220.]

Paul Reichenbachs Mittwoch, der 15. August 2007. Zweifel.Notizen.

„Unser Erdenwandel ist ein verwickeltes System von zwangsläufigen Ablenkungen. Ohne zu wissen, in Zerstreutheit des Gemüts und der Nerven, sagen wir B, nur weil wir A gesagt haben… und merken zum Ende erschüttert, dass ein ganz anderer Text gültig dasteht als der, den wir leben wollten.
(Aus: Alfred Polgar, Der zerstreute Professor.)


Ein aktuelles Beispiel. Am 30. August soll ich, muss ich ein Co-Referat über die „Bibel in gerechter Sprache“ halten. Irgendwann kriegte jemand mit, dass ich mich da auskenne und hielt meine missverständlich skeptische Miene für Totalablehnung dieser Bibelbearbeitung. Er raffte einfach nicht, dass ich nicht aus philologischen und theologischen Gründen skeptisch gegenüber dieser Arbeit bin. Da fehlt mir auch die Sachkenntnis. Was mich, nach anfänglicher Begeisterung, skeptisch macht, sind die möglichen politischen Folgen. Die Herausgeber der Neubearbeitung hatten folgende Ziele, die sie auch öffentlich nannten:

Sie wollten den christlichen Text von seinem im Lauf der Geschichte entstandenen Antijudaismus befreien.

Sie wollten den Gottesbegriff entpatriarchalisieren.

Und sie wollten die Texte einem modernen Sprachverständnis anpassen,
indem sie kritisch, gleichsam hermeneutisch den Zeiten nachspüren, in denen diese Texte verfasst oder redaktionell bearbeitet wurden.


Klaus Schroer, Zweifelnder nach DürerDas ist ihnen in vielen Fällen gelungen, meine ich. Mit möglichen Folgen, die sie garantiert nicht beabsichtigt haben. Eine gut gemeinte political correctness geht da nach hinten los. Der antijudaistische Kern im Christenturm, einer der wesentlichen Wurzeln des Antisemitismus, wird in dieser Bibel verschleiert. Das Christentum, genauer der Protestantismus, entledigt sich damit seiner historischen Verantwortung für den Holocaust auf philosemitische Weise und findet dazu auch durchaus genügend philologische Gründe, die eindrucksvoll serviert werden, und den Protestantismus vom lutherischen Antisemitismus entlasten sollen. Ähnlich verhält es sich mit den feministischen Attributen, hier opfern die AutorInnnen, einen im Protestantismus gewachsenen relativ strengen Monotheismus, den männlichen Gottesbegriff auf dem Altar der Allgeschlechtlichkeit bzw. Feminisierung . Und öffnen damit einen modernen Polytheismus, der so modern nicht ist, erinnert man sich an den Marienkult des Katholizismus, die esoterischen Tore. Der Geist der Aufklärung entsprang nicht von ungefähr auch protestantischen Sektierern, und wird in dieser neuen Bibelübersetzung, die die Gleichstellung von Mann und Frau im Christentum im Auge hat (ein hehres Ziel sicherlich!) verwischt. Auch dies, das unterstelle ich einmal, ist ohne Absicht geschehn. Bedenklich ist vor allem die aktuelle Auseinandersetzung deswegen, weil konservative Kräfte, die noch im vergangenen Jahr still diese Arbeit schluckten, Medien, wie FAZ u.a. feierten sie gerade zu, auf den Plan treten, die anderes vorhaben, als nur Luther zu retten. Seit geraumer Zeit wird gegen diese Übersetzung von eben diesen Medien recht massiv gegen die „Bibel in gerechter Sprache“ argumentiert. Hintergründig diktiert wird das Ganze, meine ich, von der Angst vor dem Islam. Wieder einmal, und damit komm ich auf Polgars Professor zurück, gerate ich zwischen Fronten, die ich mir nicht ausgesucht habe.

Rückkehr zum Mythos, formal, erst d a n n.

Die Gestalten des Mythos leben viele Leben und erleiden viele Tode, anders als die Personen des Romans, die immer nur auf e i n e Handlung festgelegt sind. (...) Wir haben nur dann die Schwelle zum Mythos überschritten, wenn wir plötzlich einen Zusammenhang zwischen dem bemerken, was unvereinbar ist.
Roberto Calasso, >>>> Die Hochzeit von Kadmos und Harmonia.

Seit >>>> DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS ist diese Stoßrichtung, besonders dann im >>>> WOLPERTINGER, Dynamik meiner Romanprosa gewesen; anfangs, ohne es zu wollen; nach >>>> THETIS. ANDERSWELT absichtsvoll strukturbildend; und hier nun eine Erklärung, die mir, zumindest nicht bewußt, nicht gegenwärtig war.
[Notat 150807 auf Usedom.]

Bamberger Elegien (86). ÜA der ZF, Hexametrisierung. Aus der Elften Elegie (ff).

Offen die Tür zur Terrasse – denn nichts ˇ klingt mit geschlossnem
Beckenˇboden, so schrieb eine Frau, ˇ schrieb mit dem Cello
zwischen den Beinen; ich dachte erneut an Empfängnis, Geburten
und an den Tod und die Gier. ˇ Lebtest, mein Junge, doch ohne
sie und Sekret nicht, du wärest doch gar nicht – wie dürften wir's denn
abwehrn, das bleibende Tier ˇ - wie es obszön ˇ nennen?
diskriminierten wir d i c h nicht? ˇ W e r lästert? Die Löwin, die schrie,
als sie der Löwe (in Kenia, wir sahen vom Pickup aus zu)
packte, gelockt, denn sie wandt sich, den Hinterleib sichtbar gehoben,
unkeusch und fordernd, doch schlug sie ihm scharf ihre Krallen, und fauchte,
über die Nase, bis daß er sie nahm, ˇ sich ihr im Nacken
festˇbeißend – und zustieß? - und nichts pipettierte? Er g r u b!
E s grub! Und Es schrie! Wer sieht das denn noch, sieht er Kinder? - und tut so,
wie wenn ˇ Zärtlichkeit Ursprung und ursprünglich wäre, und Eisprung
nicht ˇ Schöpfungsgewalt? ˇ Macht und Ergebung und Abwehr,
die es erwartet, genommen zu werden – aus diesem Begehr
sind wir doch auch... aber machen es hinterher klein, und uns selbst,
wie wenn's uns schändet...anstelle zu sagen: so sind wir dann, wenn wir
v o l lkommen sind... ˇ Spucke und Votze und laut, ˇ rollig
gurren wir, wollen ein Schwanz sein, nichts weiter, ein Trieb, der zurücktreibt...
dunkeles Sais, ˇ dem wir die Schleimhäute heben, und hinsehn -
Das ist genug, um zu wissen. Gewimmel der Spermatozoen,
Seele ˇ wär das nicht a u c h wie das Ei, das sie ansaugt und sucht sich,
wählt sich, den stärksten der Träger – ein Ü b e rˇträger auch er?
Später das kackende Kind, der Geruch in den Windeln - der spitze
Duft der Organe aus Restmilch ist Seele nicht gleichfalls? Der Schauder,
den wir, wenn unerregt, in der Geschlechtsnähe fühlen, was sagt er
uns, den Besetzten, Besessenen, sind wir erregt? ˇ daß, was
ekelt, in anderem Zustand der Quell intensivester Lust ist -
Hier wäre Seele ˇ n i c h t? aber ist doch der Anlaß der höchsten
Inspirationen gewesen und blieb es? Kein Buch, das es wert ist,
Bild nicht, nicht Film, die sich letztlich nicht hieraus erhöben... nicht Gott...
wie es das bleibende Tier tut mit Beute, die erst als Gerissene
aufsteht, aufersteht... als Niedergerissene, Einverˇleibte...
abgeˇgeben das Ich an das Andre; ganz weg unser Geist,
wenn er ganz da ist, im Andren, vom Anderen, fremdpenetriert,
schmerzvoll erleuchtet, und glüht - ˇ Glühen ist immer enticht.
Das nicht zu achten, wer sind wir? zu meinen, wir wären erst Ich,
wenn wir getrennt sind... monadisches Selbst, undurchdrungen... und sind es
d u r c hdrungen nur, wenn wir trinken einander und tränken, als äße
einer vom andren, als kauten wir uns (manche tun es, sie haben nicht
Unrecht) - der Stoffˇwechsel als Urbild jeder Verwandlung...
Einverˇleibung, Verdauung (das Kind ˇ daher daher?) -
brauchten wir nicht einen Ritus der Physis und Durchlässigkeiten,
unfester, fließender Stoffe... Altäre des Wechsels, religio,
Rückbindung – aber an was? an Systeme? An Tempel und Vorschrift?
Nein, an das Wasser.

>>>> BE 87
BE 85 <<<<

Ostsee.

Kaum Salz im Meer.
Von der Eiszeit her
trügt dieser riesige See mit der See,
trügt mit der sandigen Bläue das Weiß
und mit Ägäis
Eis.

Usedom im August.

Umbraunt schon brennen Kastanienblätter
von schäumendem Leben noch grün
gegen die blauen, eisernen Wellen
des kommenden Winters

Unerfroren jubeln die Früchte
stachlicht im Mantel und satt
gegen die gehende See

Frech schwenkt das Frühjahr
den Herbstwind, und furchtlos wie Otter

spielen Kinder gegen die Eiszeit

Bamberger Elegien (87). ÜA der ZF, Hexametrisierung. Aus der Elften Elegie (fff).

(...)
Davon singt diese Musik ja nun auch - ˇ daher die Kraft
in diesem Cello, das immer noch spielt... Declamato... den linken
Barfuß des Engels, des Tiers, auf dem Opfer, so schlagen die Flügel
rauschende Windwogen Glücks ˇ aus dem Kadaver heraus -
wenn wir nur hinhörn... Entichung, das Opfer wird Gabe... ergriffen
merkt etwas in uns ganz auf, das unser Tagesbewußtsein
fürchtet und ablehnt – weshalb? Weil es uns, scheint’s, das Eigene
nimmt? Oder läßt es zu Nahes erinnern, ein Etwas, das Geist
als seine chemische Wahrheit nicht will und sich untertan fordert?
Untertan das, was uns übertan ist, ˇ steinigt der Gott
wütend die Mütter noch über das Ende des Glaubens hinaus...
Längst ökonomisch verwest, ˇ nährt er ernüchtert zivil,
ausgeˇhoben ins Unbeˇwußte, die Mehrwertskulturen
marktorientiert-ˇfunktionalistischer Demokratien -
Mensch wird profan, und er selber, wie eingeˇtrocknete Tassen
schal, wie ein Kaffee vom Vortag, die Neige mit blaßgrauem Häutchen,
das innen hoffnungslos festbackt. Käm Hoffnung denn noch von Marien,
käme von Demetern, Koren, als Magdaˇlenen maskierten,
jeder Korrektheit im Lustrausch entkleideten Phrynen, die stolz vorm
Areopag stehn und zeigen die Furt, ˇ die uns den Durst stillt -
bleibenden Tieren wie unasˇketischen Täufern und klugen,
sinnesˇklugen, Baptisten in - fließ, Regnitz, fließe - dem Ganges
ihres Geschlechtes - ? und reinigen sich - ?


>>>> BE 88
BE 86 <<<<

Die Wahrheit über Frau und Mann.

Aussagen übers Geschlechterverhältnis sind wie Vulkane und arithmetische Mittel: Man kann nach ihnen die Uhr nicht stellen. Das nimmt ihnen, wie diesen, nicht ihre Wahrheit. Sie zeigen nur nicht die Zeit an.

(CDXXXXVII).

Bamberger Elegien (88). ÜA der ZF, Hexametrisierung. Aus der Fortsetzung der Elften Elegie.

Und von Musik kommt die Hoffnung, steigt ebenfalls erdauf und nicht,
wie annunziatischer christlicher Geist, ˇ abwärts von oben;
zwar auch sie ˇ (Gott ist im Klang*) ˇ zeugt hier durchs Ohr,
aber sie öffnet den Beckenˇgrund - eksistánai, ohne
was wir nie würden... so wund das Geschlecht... ruft die Nichtgeˇbornen
flatternden Atmens und näßt noch, erschlafft und geweiteten Beckens,
nach... wie Not, die befreit ist und lauscht auf das Restzucken innen,
während sie beinah schon einschläft - Dein Ohr noch, doch zärtlich, am Mund,
der von dem Aufwachen flüstert, den Fährten der Bisse im Nacken,
Kratzern von Nägeln den ganzen, der vorsichtig schmerzt, ˇ Rücken
bis zu den Backen hinunter; die Brüste, ˇ Dir, schmerzen auch;
weiß in der Haut, ˇ wie kleine Narben, ˇ Spuren von Zähnen -
oder der Fingerˇnägel des Engels, in dessen Gesicht ist
Blut von der Mahlzeit um Lippen und Kinn, und es tropft noch, verschmiert -.
Schamlos der Akt, ˇ jetzt schaut man nieder: betroffen und seltsam:
Was brach da durch? So entgrenzt war der Leib, war so wieder das Tier,
m e h r war es, w e n i g e r, denn ˇ Lust wird vom Wissen geschürt,
daß wir Verbotenes tun, ein Benehmen, das bindet, ganz wegtun -
Haltung und Unreines mischend, was Tiere nicht kennen, das Selbstbild
willentlich schändend... so drängen, die unter der Haut sind, die Narben
ältester Willen, die zivilisiert worden sind, durch die Nähte
unheilig naher Kokons, inszenieren sich neu, konstellieren
eigne persönliche Wunden, vergessene, schien es, sie nachziehend
aus ihren Leibgräbern, mit und verleihen ˇ ihnen die Macht
früher Instinkte, mit denen sie tanzen, als kämpfte man – D a s ist's,
was in uns tobte... und daher die Tränen, von Jenseits, orgasmisch
ausgeˇschüttet, so liefen sie, um in der milden Erschöpfung
auszuverrinnen, der zärtlichen, guten, die heilt und uns ganz macht.
Noch ist die Tusche verschmiert auf den Wangen und trocknet, ein schwarzes
Leimdelta, ein – wie auf Zweige gestrichen für Spatzen, die tschilpend,
passeri annunziati, die Seelen von Guff** uns herunter
zufliegen lassen (doch W e l t ist die Halle, der matteste Stein
hat daran Teil, jede Wolke und Welle, die Regnitz, die Dächer
Bambergs - wie strahlen sie plötzlich fast meditterran -) - und es begibt sich. Wir liegen. Der Spatz kam von selber, es fing ihn
niemand - und blieb, ˇ liebevoll Spotts war sein Schnabel des Storchs -
weil wir nichts wußten darüber... von Wartenden, die er, der Lustschrei
anlockt, und tasten sich vor aus dem Sperling ins Seufzen, ins Gurrn,
dessen Gesicht sich in Deine ˇ Halsbeuge drückt und warm einschläft,
wie schon ein Kind... ˇ Parasympathikoton werden Männer,
alle, zum Säugling, den Frauen im Arm ˇ schutzlose Schnarchler -
lange noch bebt es so durch sie hindurch, embryonal
dem aus dem Spatzen gleich, das uns gewählt, unter Hunderten, hat,
das uns erkannt hat, die Eltern, gewollt hat – Ob es uns wußte?
Folgen die Nichtgeˇborenen auch nur Instinkten, wie wir?
Hörn die Musik, der sie folgen, das Cello, es lockt sie ein Klang,
der nur für sie je bestimmt ist, und nisten sich ein - doch vergessen's?
Aber Erinnerung ist jede Zelle und trägt ein Jahrtausend
Informationen, das Haar, jedes einzelne, dünne, gestreckte
Blatt Maimonides' – die Fingerchen, Nägel, die Zehchen der Babies,
reichen bis weit in die Trias zurück – DNS-notierte
Partiˇtur, ˇ moto perpetuo*** unseres Bauplans
und der Geschichte von Leben, sinfonisch, an sich - (v – v)
[*) Evtl. eine Sure zitieren.
**) Talmud, Yevamod, 62a/ Avodah Zarah 5a.
***) Britten, 3. Cello-Suite, VIII.]

>>>> BE 89
BE 87 <<<<

Erste Heidelberger Vorlesung (1). Skizze des Anfangs.

Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren,
wir stehen heute ästhetisch – womit ich die Audruckshaltung der literarischen Künste meine – in einer bizarren Situation. Die Entstaubung der deutschen Sprache und Dichtung, die ungefähr in den Zwanziger Jahren, etwa mit Benn, begann und sich nach der miesen Zwischenzeit des Hitlerfaschismus noch einmal aufmachte, zugleich mit den ideologischen auch die sie verschleiernden sprachlichen Verkrustungen abzuschlagen, das falsche - ich betone bewußt: falsche - Pathos, die Bigotterie, die Selbstfeier, und die an die Leerstellen des Kahlschlags eine lebendige, dem Alltag, also der Lebenswirklichkeit der Leser zugewandte Umgangssprache setzen wollte, hat sich nunmehr derart den Interessen eines eben diese Lebenswirklichkeit bestimmenden Marktes zugeneigt, daß, was einmal, auch und gerade in den Endsechzigern, progressiv gewesen ist, regressiv geworden ist. Wer heute noch meint, möglichst profan schreiben zu müssen, trägt nicht Eulen nach Athen (versteht noch jemand den Grund dieses Sprichworts? und wir verwenden es dennoch?), sondern Kofferradios in Diskotheken, bzw. Clubs. Da schaltet man sie an und sucht, indes der Techno pulst, nach Sendern.
Die Dynamik dessen, was Adorno und Horkheimer „Dialektik der Aufklärung“ nannten, durchdringt auch die Sprache, so daß es wohl sein kann, daß der pathetische Ausdruck, der nicht profaniert und profanieren nicht länger w i l l, die rebellische Funktion der Sprachentstauber übernommen hat und nunmehr gerade dasjenige für Widerstand steht, was vor vierzig, bzw. neunzig Jahren plakativste Affirmation gewesen wäre. Hätte Ezra Pound seine „Frauen von Trachis“ wie ein Hölderlin nachgedichtet, wäre das Stück im Faltenwurf bürgerlich-repräsentativer Roben erstickt und hätte keinerlei Kraft entfaltet; schriebe es aber heute einer in diesem energisch-laxen Jargon des Alltags, es fügte sich ganz ebenso in Verkrustung. „Verkustung“ ist eben heute nicht mehr das, was mit so hohlem wie hohem Ton repräsentiert, sondern was sich umstandslos an den Konsumenten bringen läßt – wozu es die Allgemeinverständlichkeit braucht, das leicht Inhalierbare, leicht Verstoffwechselbare und das Flüchtige eines Artikels, der sich für – um es in der bezeichnenderweise US-amerikanisierten Sprache dieses Marktes auszudrücken – product placement eignet. Denn die repräsentative Funktion der Kunst ist nach wie vor in Kraft; nur eben dient sie nicht länger Eliten oder gar Oligarchen als Spiegel, sondern der demokratischen Menge; aus der ermittelt man ein arithmetisches Mittelideal und schmirgelt die Kunst darauf ab. Auf diese Weise entsteht der gewollte, kalkulierte Bestseller, wie wir ihn vor allem aus den Produktionen Hollywoods, unterdessen aber eben auch des Buchmarktes kennen. Wenn man nicht, wie es aber den Anschein hat, die Kategorie des Widerstands als eines grundwirkenden Elements aller Kunst aufgeben will, bleibt den Künsten gar nichts anderes übrig, als auf die deutliche Gefahr ihres Untergangs hin sich gegen die leichte Konsumierbarkeit zu stemmen.

Ich las im Buch von Yeşim. (1). Entwurf der ersten beiden Strophen.

Ich las
Ich las im Buch von Yeşim
Ich las

von dem Fetten, der unbeholfen stapfte
Sulamith ihm, bevor sie brannte, zur Seite
Sie brannte für ihn und versprach,
ach, zärtlich, ich bleibe – sie brach's
wider Willen... sie schrie so
wie Asche sein Haar
war wie sie

Ich las
Ich las im Buch von Yeşim
Ich las

vom Ende der Geologie in den Läden
die als Geschichte Geschichten verkaufen
und schälen das Mark aus merklosen Kunden
wie Kürbisse hohl, doch erleuchtet
gehen sie heim als zu Hulda und feiern,
die DVD als ihr Fruchtfleisch in den Player gelegt,
sorg- und achtlose Freizeit

Esoterik.

Ist das frühe Geschwister der Pubertät oder das späte der Bitterkeit: Es hat noch kein Geschlecht oder nicht mehr.

(CDXXXXVIII).
[Beim Nachdenken über meinen >>>> Vater.]

Bamberger Elegien (89). ÜA der ZF, Hexametrisierung. Beginn der Zwölften Elegie.

Wolf v. Ribbentrop,
meinem toten Vater,
gewidmet.

Wolken, als wollt man ein pelziges Tier mit den Händen erfassen,
seh ich des Tags, ˇ wenn ich hinaussehe, immer – es faßt das
Auge, wie Deines, hindurch; ˇ nichts kann, wie Dich Deine Söhne,
Vater, nicht hielten, sie halten – gewattete, leichte, substanzlos
lockere, schweben sie fort, wie auf Wasser, der Regnitz, Papier,
das sich schon auflöst in Luft und Behauptung, Du seiest je Vater
Kindern gewesen... und warst nicht mal warm, ein fremdes, entferntes,
unbeˇrührbares Bild, das sich selbst, wie ich Dir, hinterhersieht
und auseinanderweht, als es Dein Pinselpastell auf das Bild
kaum schon getuscht hat – aus Vorsicht so kraftlos, sich selbst zu verliern,
sucht's sich im Strich... ˇ - warst eine Wolke wohl selbst, Hydrogenium,
mehr im Geerbten wohl nicht, ˇ ließest du mehr Erbe nicht
als die Erinnerung währender Abwesenheit eines Vaters -
ach, und krepiertest zu frühe... ein elender Engel der Schuld,
untot beschwert von Geschichte nicht tragbarer Ahnen, dem Jungen
beidseits als Joch auf den Schultern, so ließt Du uns Kinder im Tod
wie schon im Leben alleine zurück - ˇ bliebest die Wolke...
hell aber nicht, ˇ leicht nicht, als die, die Du tuschtest in Spanien,
wieder und wieder, ein jedes Bild Aquarell und kaum Erde,
jedes voll Himmel und Leichtigkeit schimmernd, die dünnsten Gravuren,
Bleistiftˇspuren, El Lobo, der Stumme, er will in den Wind...
Aber Du haftetest bis ganz zuletzt, ˇ fielst vor der Finca,
einer, der büßt, in den Sand... ˇ Zeugtest Du nicht? und Du hielst
nicht einmal e i n e m? - der bitteren, aufrechten Mutter so wenig,
die dich verstieß ˇ in ihrem Ekel, der meinen zum Vorbild
kantscher Gerechtigkeit... wie Deinem Vater, Verräter auch er;
nicht Deiner Frau, ˇ die Du Verachtung ˇ lehrtest, der Schwäche
wolkigen Schwärmens entgegen, das bodenlos wie Deine späten
Bilder die Gründe vermied – weil sie Abgründe waren? Vermessen
patriarchal, ˇ Aristokrat ohne Stamm, ˇ spieltest Du Künstler
ohne Verpflichtung und wichst Deiner Kunst darum aus, ihrer harten,
fordernden Realität; ˇ weinerlich unˇdiszipliniert
hieltest Du deshalb den Söhnen nicht, die Dich nicht kannten; der eine
sah Dich im Tod erst, da warst Du schon Sarg; ˇ aber er trug -
ob Du das wußtest? nun hörst Du's - Dein Foto sein Leben lang mit sich.
Schon starb er Dir hinterher, der jüngere Bruder, mit vierzig.
Daß wir es, „Vater“, nie sagen ˇ durften! ˇ - Starb er wohl daran?
Und Deinen Töchtern, die eine verleugnet, der nicht mal das Wort blieb,
hieltest du auch nicht... ach Wolkenˇvater, geprügeltes Wolfskind,
das seinen Schwanz ˇ ständig verkneift, ˇ statt ihn zu heben,
wenn er dann Wolf ist... wann sagtest Du je, um zu schützen, „mein Sohn“?
Vaterlos selbst, ˇ nahmst Du die Kinder als Vater nie, nahmst
selber Du D i c h als den Vater nicht an - ˇ wurzellos deutsch
bliebst Du ein Deutscher, bliebst, schuldlos der Schuld der patria
anˇgeklebt, ins Verhängnis gewickelt und kamst nicht mehr frei.
Wo Deine Wolken sind, Vater, dahinter, ist Leere – da ist nichts,
das sie ersetzte, die Erde. Wir springen vielleicht, und kaum hoch,
aber wir können nicht fliegen, nicht entfliegen, Vater. So war's,
wo Du auch warst, immer dunkel, wie Regen, der klamm ist und kühl,
wenn man sich kauert und wartet, ˇ daß er vorbeigeht, und schweigt,
wie immer D u schwiegst und nahmst nicht Dein Nahstes ans Herz,
es zu behüten... Wohl deswegen gingst Du nach Süden, damit Dir
irgendwie Wärme ˇ würde und ohne den Mantel ein Bleiben,
der wie ein schußfestes Glas zwischen Dir, einem v o r Deinem Tod
lange Gestorbnen, und mir, und der Welt, war -

>>>> BE 90
BE 88 <<<<
 



twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this page (summary)

xml version of this page (with comments)

powered by Antville powered by Helma

kostenloser Counter

blogoscoop Who links to my website? Backlinks to my website?

>>>> CCleaner