Eins.
Replay (1). Juan Matana zu Facebook. Bei Benjamin Stein.
Es gibt in diesen wuchernden Systemen so gut wie keine Funktion negativer Rückkoppliung. Man kann Interessantes weiterverbreiten und Beiträge anderer mit einem Klick auf den Like-Button adeln. Einen Dislike-Button hingegen gibt es nicht. Kein Benutzer wird darüber informiert, wenn er von anderen geblockt wurde. Das System bietet nur Funktionen an, die zur noch intensiveren Nutzung des Systems motivieren. Sie animieren dazu, mehr und mehr Menschen zu involvieren.
Und? fragte ich: Das ist doch geschickt. Matana schüttelte den Kopf.
Das scheint so, meinte er. Ausgemachte Sache sei das aber nicht. Fallen im menschlichen Körper die Systeme des negativen Feedbacks aus, wird schnell man ein Krebsgeschwür daraus. Es ist wie eine Umpolung des Wattschen Dampfreglers. Je schneller die Maschine dreht, desto mehr Dampf gibt das Ventil frei. Systemtheoretisch betrachtet, kann ein solches dynamisches System, das sich allein auf positive Rückkopplung stützt, nur in die Katastrophe stürzen.
Man kennt nur diejenigen, von denen man leidet
Man liebt nur die, an denen man Lust hat.
Und dann verzweifelt man an denen,
die Lust an einem haben.
Replay (2). Juan Matana zu Facebook, ff. Bei Benjamin Stein.
Ein System, das Beschwerden und Klagen nicht zuläßt, ja prinzipiell ausschließt, ist eine Tyrannei. Die Bevölkerung dieses Landes hat sich unterworfen. Es spielt keine Rolle, ob einem Herrscher oder einer Ideologie* Technologie. Es spielt auch keine Rolle, ob es freiwillig geschehen ist. Durch Unterwerfung wird Macht erzeugt und verliehen. Und wenn das System, dem Macht verliehen wird, von seiner Anlage her ein tyrannisches ist... (…). >>>> Erinnere dich an den Wattschen Dampfregler. Wenn du ein System allein über positive Rückkopplung steuern willst, schaukelt es sich auf bis zur Katastrophe.
Benjamin Stein, >>>> Replay, 156.
>>>> Replay 3
Zum „Fall“ Christian Kracht.
Hinzu kommt, daß Georg Diez, nachdem bereits so viele jubelnde Kritiken geschrieben waren, die Uhr danach stellen konnte, sein Spiegeltext würde eine skandalbefeuerte Diskussion quer durch die Szene(n) entfachen und den Buchabsatz nun erst recht befördern, übrigens auch den des kleinen Verlages. Dies determinieren die Gesetze jeder PR. So gesehen ist Diez‘ riesige Attacke ein noch riesigerer Marketing-Akt, der seiner vermeintlich aufklärerischen rechtsfeindlichen Haltung kaum dienen dürfte. Auch ein Star ex negativo ist, vielleicht sogar mehr als der freundliche Held, Star.
Des weiteren kann der Herausgeber nach derzeitigem Stand seiner Wissensdinge nicht wissen, inwieweit Diez mit willkürlich, d.h. in diesem Fall: absichtsvoll aus ganz anders intendierten Zusammenhängen herausgelösten Zitaten propagandistisch, bzw. anti-propagandistisch verfahren ist. Etwa läßt sich die Position vertreten, Kracht habe – wenn denn die Zitate ungebrochen so auch vom Verfasser gemeint – derartige Arischtümeleien geschrieben, um seiner Figur so nahe wie möglich zu kommen, also um modellhaft zu werden, wen er beschreibt: um solch eine Seelenlage wirklich zu kennen. Dann bliebe freilich die Frage, weshalb dies kommentarlos nicht etwa als Materialiensammlung zur Entstehung eines Romans, sondern getrennt davon als eigenständiges Buch publiziert worden ist. Will sagen: die Gefahr einer, sollte sie das sein, Mißdeutung wäre dann herbeigelockt, ja -geschrieen worden. Der Herausgeber kann von solchen Mißdeutungen ein eigenes Lied singen, fand sich doch seine >>>> Antwort auf Michael Kleeberg, die im April 2002 in der Literarischen Welt erschien, prominent zitiert auf den Internetsites Horst Mahlers wieder: progagandistisch als neonationalsozialistische Argumentation mißbraucht. Wiederum ist nicht zu sagen, inwieweit nicht eine Mißdeutung zur Inszenierung des Romans wie seiner Vermarktung bewußt in Gang gesetzt werden sollte und soll. Ich meinerseits habe, um solch einer fragwürdigen Prominz zu entgehen, zu Horst Mahlers Übergriff seinerzeit einfach geschwiegen.
Unabhängig davon begeht Diez die absichtsvolle Vermischung von Person und Werk. Es ist aber nicht heraus, ob derartige methodisch unsaubere Vermischungen bisweilen nicht sogar nötig sind.
Insofern wird der Herausgeber, um sich ein eigenes Bild zu machen, erst einmal die in Rede stehenden Texte lesen und dann, eventuell, darüber schreiben – aber ganz gewiß nicht zu einem Zeitpunkt, den ihm der Bedeutungswille des Betriebes diktiert, sondern dann, wenn eine distanzierte Betrachtung und Bewertung und entsprechende Reaktionen auf diese überhaupt erst wieder möglich sind.
ANH.
15. Februar 2012.
Bundespräsident Barenboim.
Hier aus gegebenem Anlaß wiederholt.]
Sehr verehrte Frau G.,
Sie fragen mich, welchen möglichen Kandidaten ich für das höchste Amt dieses Staates favorisiere, ob Herrn Wulff oder Herrn Gauck. Ich sage Ihnen: keinen der beiden. Meine Wahl fiele, ohne eine Einschränkung, auf Daniel Barenboim. Dafür ist es zu spät, es ist in Deutschland Tradition, daß man zu spät ist. Dennoch möchte ich Ihnen hier erklären, weshalb ich Barenboims Namen nenne.
Wofür steht das Amt des Bundespräsidenten, wofür s o l l t e es stehen? Wie war es gemeint? Nicht dafür, einen Repräsentanten zu haben, vor dem man, auch politische Gegner, in Achtung die Knie beugen würden? In einem gar nicht ungewissen Sinn ist der Bundespräsident ein König, den das Volk inthronierte... nicht, weil es ein Interesse verfolgt, das Macht sichern will (worüber, das ist hier wichtig zu merken, Horst Köhler letztlich fiel), sondern weil es für diejenigen Qualitäten eines Volkes steht, für das es bekannt ist oder bekannt sein möchte oder, in Deutschlands Fall, bekannt einmal war. Sie mögen das, liebe Frau G., für naiv halten; ich denke aber, daß den Bundespräsidenten auszuzeichnen habe, was einst für die Blüte deutscher Kultur stand: Wahrheit, Schönheit und, das ist besonders wichtig, Güte.
Es sind Werte.
Keiner hat sie so sehr zerstört wie Hitler. Wir sind daran gefesselt, nach wie vor, nicht nur nach der mosaischen Maxime eines bis ins siebte Glieds; wir sind es, nach wie vor, in uns. Die Flucht in die Arme des Siegers ist nichts als Verschiebung, also eine Form der Abwehr. Ausgerechnet ein Argentinier nahm diese Abwehr auf und drehte sie in Annahme: Die Arbeit des barenboimschen Westöstlichen Divans steht dafür, vor allem steht sie für eine der großen Integrationskräfte der deutschen Kultur über lange Zeiten hinweg: für die Musik - und mit i h r steht sie jenseits der Grenzen und über die Grenzen hinaus. Hier gibt es, wie nahezu alle Literatur sie hat, keine parteipolitischen Einschränkungen, in der Musik findet sich nach wie vor die einfachste, aber tiefste Seele. W e n n wir einen Bundespräsidenten haben, den wir alle lieben können, dann muß es einer jenseits des politischen Machtinteresses sein. Herr Wulff scheidet da aus. Wer könnte ihm vertrauen, wie man einem Vater, einer Mutter vertraut? Niemand. Man vertraute allein seinem Interesse. Ähnliches, wenngleich eingeschränkter, gilt für Herrn Gauck. Schon aktive Parteizugehörigkeit vergiftet das Amt, das ü b e r den Parteien stehen sollte. Das zugleich für das Volk stehen sollte, für das Beste, was ein Volk aus sich hervorgebracht, und dieses ist jenseits allen Völkischen. Deutschland war ein Mischvolk seit je, an der deutschen Kultur, an ihren Höhen, haben Slaven gearbeitet, Romanen, die germanischen Stämme, das jüdische Volk (was wäre die Musik ohne es?), alle, die hier Heimat fanden, bevor der Hitler kam. Es führt um einen Präsidenten, der der Kunst ist, in Deutschland gar kein Weg vorbei – jeder andere ist Wirtschaft, ist Ideologie, ist Machtinteresse von Lobbies. Nur einer, der der Kunst ist, kann Karl Kraus’ böses Wort von den Richtern und Henkern, die er aus den Dichtern und Denkern abzog, zurücknehmen und entschulden. Dieses, genau dieses, wäre heute die historische Chance gewesen.
Der Bundespräsident darf nicht arm sein, sonst ist er erpreßbar. Er darf nicht wirtschaftlichen Interessengemeinschaften zugehören, er darf keiner Partei zugehören. Und im speziellen deutschen Fall wäre ein Bundespräsident mosaischer Abkunft d a s Zeichen schlechthin, ohne daß er sich zugleich an weltpolitische Machtinteressen bände, etwa Israels. Sondern er schaute auf die Staaten und Völker ohne Ansehen ihrer vermeintlichen - oder tatsächlichen - Völkisch- und Staatlichkeit. Er schaute nur darauf, daß allewir essen müssen. Er handelte im besten Sinne frei, und verfügte so, nach Maßgabe seines Amtes und des Vertrauens, das man in ihn gäbe. Vor persönlichem Mißbrauch schützte ihn die Befristung des Amts. Es wäre auch gar nicht die Frage, ob Herr Soundso die Symphonie Soundso vielleicht „besser” dirigierte – das wären müßige Fragen, die anderorts zu debattieren sind. Sondern er stünde für – Seele.
Altes Wort. Problematisches Wort. Wichtiges Wort.
Fragen wir es so herum: Wem schadete ein Präsident? Wem könnte Barenboim schaden – jenseits der klein(lich)en Opernkriege? Wer aber hätte mehr Ansehen? Und wem kann Herr Wulff schaden, wem Herr Gauck? Theoretisch ist das gefragt, aber mit Wärme. Der Präsident Deutschlands steht für das, für was Deutschland repräsentiert sein möchte. Wollen wir, als Menschen, für eine starke Wirtschaft repräsentiert sein? Soll das auf unserem Grabstein stehen? Wir seien Angehörige einer Wirtschaftsmacht gewesen? Wollen wir als Mitglied eines militärischen Verteidigungs- und unterdessen Angriffsbündnisses repräsentiert sein? Reichte umgekehrt, für guten Fußball repräsentiert zu sein, h i n? Kein Sportler, der es ist, würde hier jubeln; er würde nicht einmal zaudernd „ja” sagen. Wollen wir aber für Leibnitz, für Schelling, für Beethoven, wollen wir für Böll – auch das wäre ein möglicher guter Präsident gewesen – repräsentiert sein? Auch ein Bäcker sagte hier „ja”. Jeder, der ein Staatsbürger ist.
Denn das ist es. So fern wir auch immer den Künsten sind, ihrer innigen Strahlkraft, selbst wo sie uns fremd ist, wissen wir ihr alle zu vertrauen. Denn sie gefährdet uns nicht, sie nimmt uns nicht das Brot. Eher, öfter, leidet sie selber Mangel. Wem vertrauen wir? Doch nicht dem Manager, n i c h t dem Militär, und dem Wissenschaftler wenigstens kaum. Wer sind wir? Wo gehen wir hin? Wie gehen wir mit der Schuld unsrer Vorderen um und unserer eigenen, der aus der Not? Was ist Gerechtigkeit? Was ist Herzensgüte? Was ist Vergebung?
Mein Wort für Daniel Barenboim ist keines, das sagt, er sei ein guter Mensch. Er mag das sein, er mag das nicht sein. Aber er steht für die Idee eines solchen. Auch er wird, wie jeder von uns, dunkle Flecken haben. Dafür sind wir Menschen. Aber er trat heraus, trat aus der Abkunft heraus und sah nach Versöhnung. Er ist ein Machtmensch, das stimmt. Das ist für das Amt aber nötig, weil man darin die Gesetze der Macht kennen muß. Er ist Spezialist, aber nicht Jurist und daher nicht so weit, als Spezialist, von den Menschen entfernt, daß er keine Brücken zu bauen verstünde. Barenboim baut sie täglich. Er hat sehr breite Flügel, er kann wärmen. Und wenn man mir sagte: Ist das denn ein Deutscher? sagte ich: das ist ein rein formales Problem, zu lösen binnen Minuten. Barenboim selbst aber, wahrscheinlich, würde sagen: Ich habe nicht die Zeit, ich muß proben. Dann fänden sich Hunderte, ihm zuzuarbeiten, und alledie, mit Recht, wären stolz darauf, es zu tun.
Stellen Sie sich das vor! Daniel Barenboim auf Staatsbesuch, als deutscher Präsident, in China, als Staatsbesuch in den USA, als Staatsbesuch in Israel. Barenboim, der in Indien dann auf die Regierung träfe, und nachts spielte er in einem Lokal mit indischen Sitarmeistern. Barenboim im Vatikan, und er dirigiert Orlando di Lasso und abends später spielt er im Tango-Quartett in S. Lorenzo. Welch ein Präsident, wahrhaft, des Friedens! Eines deutschen Friedens, der, bei dieser künstlerischen Kraft, selbst in Arabien reüssierte, jenseits aller Ölinteressen, für die der Kanzler stehen mag, die Kanzlerin, egal, nicht aber das Volk. Barenboim, n i c h t abgeschoben in ein machtloses Friedensbotschafteramt, sondern repräsentativ an der Spitze der Deutschen.
Liebe Frau G.: I have a dream....
Sehr sehr herzlich,
ANH
albannikolaiherbst.de
Das Leben als einen Roman begreifen (1).
[Hier in Den Dschungeln, fällt mir gerade auf, ist das Tagebuch der Roman. Und die anderen Rubriken reflektieren unter anderem über ihn.]>>>> Das Leben als Roman 2
Vom Kopf herunter stinken ODER Von Molli und von Hans. Offener Brief an den WDR.
>>>> d o r t.