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Es träumen dich,
die ins Flüstern
gewehten Medeen,
im Muttermark
schlafende,
Kinder,
die im Wind verblühten.
read An - Mittwoch, 3. November 2010, 05:04- Rubrik: Gedichte
Die Welt erobern. Das Maximum, was der Mensch erobern kann, sind zwei Ellen Erde. Die Welt beherrschen. Ich ziehe es vor, zwei Ellen Frau zu erobern. Auf daß man mich anschließend verbrenne und meine Asche um einen Nabel herum zerstreue.
Guillermo Cabrera Infante, >>>> Schandtat Chachachá.
albannikolaiherbst - Donnerstag, 4. November 2010, 22:24- Rubrik: Zitate
[Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg.
Komische Oper Berlin. >>>> Zu Andreas Homokis Inszenierung.
Anfang eines von mir schließlich verworfenen neuen Textes
für die Opernzeitung der Komischen Oper Berlin.]
Es ist ein politisches Stück über das Eigene an der Kultur. Wir haben’s ins Zimmer gestellt, ein Schondeckchen drüber, damit’s nicht verstaubt. Zu den Festtagen wird das gute Besteck aufgelegt, mit den teueren Tellern, handgefertigt, handgemalten, die unser Stolz sind. Wenn der Wintersturm geht, schließen wir die Fenster und tragen Gebäck auf zum Kaffee oder Tee. Wer Glück hat, tut’s am Kamin: früher taten’s da alle. Da geht die Tür auf, und die jungen Leute, vermummt noch bis zum Kinn, stürmen mit Lachen und einer Kälte zu uns herein, die ihnen in Haar und Mantel hängt. Fröstelnd nehmen wir die Stola, die um unsre Schultern liegt, enger um die Brust zusammen. „Zieht wenigstens draußen die Schuhe aus.” So viel zur Bewahrung. So wenig, noch, zu Hans Sachs. Auch er braucht die Distanz erst, um zu begreifen. Dann aber lädt er, ob mit, ob ohne Schuhe, zu Tisch.
Es ist ein menschliches Stück über Verzicht. Und über Reife. Denn er, Hans Sachs, bekäm das junge Ding ja selbst: im Einverständnis mit den Alten und ihrem, dem Mädchen, sogar. Wenn nicht ein Beckmesser wär, sich zu blamieren, und nicht ein Stolzing, den’s anzuleiten gelte. Wenn nicht ein solcher Winter wär! So nämlich rücken auf der Bühne die Häuser zusammen. Von freilich freierer Art, >>>> bei Hofmannsthal, die Marschallin: „Red Sie nur nicht zuviel, Sie ist ja hübsch genug.” Das sagt sie zur jungen Sophie und anerkennt die Schönheit von Jugend als Wert. Faktisch verbürgt er Fruchtbarkeit. Der Tag wird kommen, daß Sophie von dem Satz gereift ist. Auch so wird Tradition übertragen: als aristokratische Haltung. Die Bürger Nürnbergs indes, Handwerker sind sie fast alle, schufen die ihre aus Kunst, die, selbst einmal Handwerk gewesen, Gedeck für den Feiertag wurde. Sonst liegt das Schondeckchen drüber.
Ein Schondeckchen: so steht das Nürnberger Dorf einer Wagenburg gleich im technoiden Bühnenraum, der an ein riesiges Raumschiff von Aliens gemahnt. Fern blinken Lämpchen an Apparaturen, ins Dunkle führen kalt die Treppen. Da ist nirgendwo Halt, der Verlaß wär. An Piranesis Kerker zu denken. Angesichts solcher Bedrohung ist es nicht falsch, sich vorm Fremden zu schützen. Nürnberg, aneinander dicht wie Tiere, die nachts zusammen atmen, beugt sich nach innen. Als Stolzing das erste Mal auftritt, kommt er da kaum hinein.
unter der Bühne, möchte man sagen, wie einem Himmel
(Abgebrochen.)

albannikolaiherbst - Freitag, 5. November 2010, 14:31- Rubrik: Oper
Gleichgeschlechtliche Paare, die Kinder adoptieren, hängen an der Heterosexualität wie am Tropf.
(DXXI).
albannikolaiherbst - Samstag, 6. November 2010, 19:06- Rubrik: Paralipomena
Da ist ja fast >>>> das ganze Buch darin! Irre.
Der Grundgedanke, den ich für das Hörstück habe, ist: die Spuren des romantischen Denkens - sowohl ihres Revolutionären wie ihres Reaktionären (es ist kaum von der Hand zu weisen, daß die Romantik einen enormen Einfluß auf der Machtergreifung Hitlers gehabt hat und auf die Entfaltung seiner Ideologie) - in der Gegenwart aufzusuchen und zum Klingen zu bringen. Also: Ich begebe mich auf einen Nachtspaziergang durch Berlin, nehme ihn komplett auf, schaue in die Clubs, in die popularen Szenen von Entgrenzung usw., schneide auch da mit, und nebenher, im Innern der Hörers, also (!) aus dem Off, werden die Zitate darübergelesen. Was ich unbedingt vermeiden will, ist Erklärung. In d e m Sinn wird es k e i n Feature sein, sondern ein poetisches Hörstück. Einbauen würde ich gerne - die - große Verbindung" (denken Sie an die Formwandler von Deep Space 9)/Entindividuation - die "Yeah!Yeah!Yeah!"-Schreie der Hippies ("Yeah" ist aus "Gea" assimiliert, worauf Anthony Burgess hinwies) ebenso wie die Schreie der Ravers; das dann kombiniert mit dem Volksjubel zum Beispiel bei der Rede Obamas am Großen Stern... und darüber dann wieder Gedichte, Gedichte, Gedichte, sowie Romanauszüge, aus meinen eigenen Texten, aus denen anderer Autoren.
Daß die Musik bei alledem eine besondere Rolle spielt, ist klar. Hier kommt Schopenhauer zur Bedeutung, sowie, vermittelt über ihn, und sowieso, Nietzsche. Richard Wagner wird eine Rolle spielen; ich stelle mir etwa eine Modulation aus einer seiner spätromantischen Opern direkt in Deep Purple hinein vor, sowie eine Konfrontation des Dionysischen bei Nietzsche mit Jimi Hendrix und vom da aus direkt ins Heavy Metal, bzw. in den Punk (von dem wiederum, über Gothic, Wege zurück zum Grafen Dracula des romantischen Abraham Stokers führen). Usw. Klanglich will ich insgesamt den Akzent auf die Gegenwart legen; das Stück darf gar nichts Historisches haben. Ich brauche also sehr viel Autoverkehr, Tramgeräusche, elektronische Geräusche.
Ich würde auch gerne Filmszenen - rein akustisch, selbstverständlich - mit einbauen; solche dann, die sofort für eine große Menge Menschen wiedererkennbar sind; das wird aber eine Rechte- also Kostenfrage sein. Mal sehn. Immerhin habe ich auch nur eine Stunde Sendezeit.
>>>> Das furchtbare Sehnen 2

albannikolaiherbst - Samstag, 6. November 2010, 19:05- Rubrik: Korrespondenzen
Über das schamlos diskriminierte Tier: (>>>>>) D o r t.
NACHTRAG, 17.57 Uhr:
>>>> Frau Kiehl hat Ihren gesamten Beitrag aus mir sehr verständlichen Gründen soeben offline gestellt. Den Text, dessentwegen >>>> Hans1962 mich fragte, ob er eine Satire sei, finden Sie nunmehr >>>> hier. Selbstverständlich ist es k e i n e Satire, was wir schon daraus erlesen, daß jedes einzelne in ihm genannte Faktum ein Faktum eben i s t. Die Zeiten scheinen zurückgekehrt zu sein, in denen Texte Labels brauchen. Und wie weiland >>>> Karl Kraus sollte der Dichter Schilder über sich halten, auf denen "Vorsicht! Ironie!" steht. Sie wird sonst nicht bemerkt.
ANH
Herbst & Deters Fiktionaere
albannikolaiherbst - Sonntag, 7. November 2010, 20:01- Rubrik: Links
"Zu Ende neigte die alte Welt sich. Des jungen Geschlechts Lustgarten verwelkte, hinaus in den freieren, wüsten Raum strebten die unkindlichen, wachsenden Menschen."
Aus "Waste Land" von T.S. Elliot:
Kurwenal:
"Laß die Frage:
du kannst's doch nie erfahren.
Eifrig späh,
und siehst du ein Schiff,
so spiele lustig und hell!"
E-Gitarren-Riff von "Smoke on the water" von Deep Purple
Der Hirte:
"Öd und leer das Meer!"
Jetzt setzt der Tristan-Akkord des zweiten Motivs ein, leise, eindringlich, lauter werdend.... (2. Motiv, welches im ersten Aufzug in der Einleitung, im ersten Aufzug, 1. Szene, "Westwärts schweift der Blick", in der 5. Szene, nach Isoldes "Ich trink sie Dir", und im zweiten Aufzug, 3. Szene, nach Markes "Wer macht der Welt ihn kund", erklingt)
Tristan:
"Die alte Weise, was weckt sie mich?"
Betty B.:
"And then I have her!" "Oh great! Do you have the World Premiere?" "Do you have the show?" "Look in my (!) heart." "And daughter and son?" "Most of the time they are playing shit to fools."
>>>> Das furchtbare Sehnen (3)
Das furchtbare Sehnen (1) <<<<
cellini - Sonntag, 7. November 2010, 15:56- Rubrik: Tagebuch
>>>> Schlegel folgend, führt der romantische Ansatz zwar einerseits in die nein, nicht Formlosigkeit, vielmehr hat hier Form etwas Unabschließbares; gleichzeitig müßte sie aber, a l s (quasi) unendlich gedachtes System von Referenzen, die Formvollendung in sich mit einschließen, also auch die Klassik und den Klassizismus. Diese Idee ist in einigen Literaturen der Postmoderne realisiert: beim frühen Gaddis etwa, bei Pynchon sowieso. Das Wechselspiel von strenger Form und Digression führt aber extrem mein eigenes Werk vor, ebenso wie die Tendenz zur Unabschließbarkeit, die sich in der Romanserie DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS – WOLPERTINGER ODER DAS BLAU – ANDERSWELT I - III bis in DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT manifestiert. Insofern hatte >>>> André Thiele dann d o c h recht, mich >>>> gegen Peter Hacks einen Romantiker zu nennen. Hacks’ Klassizität steht in direktem Zusammenhang zum Formenkanon der Macht des DDR-Regimes; es hätte irgend ein anderes System sein können, „System” war aber Voraussetzung, damit er sich klassizistisch entfalten konnte.
Was meine Romanserie anbelangt, ist es bezeichnend, daß direkt aus ihr die Bamberger Elegien entstanden: erst einmal nur als Fingerübung für den >>>> ARGO-Epilog, der, ebenso bezeichnenderweise, immer noch nicht geschrieben ist, als hätten die Elegien fortschreibend seine Stelle eingenommen. Ich bin mir insofern gar nicht mehr sicher, ob ich den Epilog überhaupt noch schreiben w i l l oder ob nicht vielmehr, wenn er fehlte, auch innerhalb dieses völlig durchkonstruierten, matrischen Romanes, auch das notwendig Fragmentarische noch seinen Platz in ihm fände.
>>>> Das furchtbare Sehnen (4)
Das furchtbare Sehnen (2) <<<<
albannikolaiherbst - Montag, 8. November 2010, 17:07- Rubrik: KYBERREALISM
Da in der Hoch- und Spätromantik, spätestens mit Schopenhauers Überlegungen, für die „Kunst an sich” die Musik gilt und ich diese Vorstellung nach wie vor teile, liegt es nahe, ein Hörstück über „die” Romantik auch einem Musikstück gleich aufzubauen; da ich konstruierend-strukturell aber dem Klassizismus zuneige (formal allerdings der romantischen Spielart einer Postmoderne, die poetisch libertinär ist), liegt es nahe, sich hierbei an Brahms, nicht etwa an der Bruckner-Mahler-Linie zu orientieren, und Viersätzigkeit ins Auge zu fassen. Das ist jetzt erst einmal nur eine grobe erste Skizzierung.
ERSTER SATZ I n t r o
Thema, sowohl musikalisch (E-Gitarren-Riff ./. Tristan-Auflösung) als auch diskursiv (William Gibson ./. Novalis) mit jeweils den entscheidenden Phrasen. Auflösung in die Stadtgeräusche.
ZWEITER SATZ E i n s c h l a f e n
Beginn des Nachtspaziergangs durch Berlin. Selbstgespäche (Innere Zitate). Die Lockung. Dieser Satz beginnt aber, als Formklammer zum Vierten Satz, mit Gibsons berühmtem Einstieg in Newromancer; das Thema des Erwachens wird von Novalis indes noch verworfen. Historisch-zeitliche Zuordnung hier wäre die Frühromantik zu der in allen Sätzen vorherrschenden, durch die O-Töne des Nachtspaziergangs markierten Gegenwart. Gegenwartshistorisch, für die Auswahl der Zitate: Wandervogel, 20er Jahre, sowie die 60er Jahre.* Hippies, Aufbruch zu Politisierung und Selbstbewußtsein.usw. „Mehr Demokratie wagen” und Friedrich Schlegels emanzipatorischer Ansatz. Fluxus. Aber schon der Beginn des Eskapismus: Hermann Hesse und Timothy Leary als Päpste.
DRITTER SATZ T r ä u m e n
Der Spaziergang ff., die Clubs. Zeitliche Zuordnung: Hoch- bis Spätromantik, nämlich politische Restauration bei gleichzeitiger Formenzertrümmerung wie -erweiterung in den Künsten. Entsprechend die Mitte der 80er bis in die 90er und nach unmittelbar heute hinein. Esoterik, New Age usw. Biedermeier zu Design (Romantik-Werbepartikel: der romantische Büstenhalter, das romantische Hotel, die „Wellness”). Helmut Kohl als Metternich mit sämtlichen Schröderfolgen und dann der machtbesessen-biederen Merkel. Eskapismus (der Traum als Furcht vor der Ernüchterung), aber auch die Entdeckung des Unbewußten als Kraftraum und Quelle der Künste. Symbolismus (etwa Baudelaire und Poe ./. Abraham Stoker). Weltweiter Etappensieg des Kapitalismus. Die synthetischen Drogen und der dunkle Pynchon. Das Völkerschlachten auf dem Balkan. Die erstarkten Religionen (dazu Nietzsches Abkehr von der Romantik eben aus diesem Grund). „Abtanzen”. Entpolitisierter, weil gemainstreamter Reflex der Sonnenblumen-Ravers auf die Sonnenblumen der Hippies. Aber auch schon Wolpertinger und Anderswelt mit den klassizistischen Formen, die in den Vierten Satz überleiten: Dämonen nicht in die Säue, sondern in die Maschinen. Rausch, Ich-Verlust (Benn: „Den Ich-Verlust, den süßen...”), Massenbegeisterung (Hitlerjubel, Obamajubel). The Matrix und eXistence. Mir fällt noch die begriffliche „Bourgeoisierung” von Diskotheken in „Clubs” ein.
VIERTER SATZ E r w a c h e n
Nebelmorgen (Manfred Hausmann). Der üble Geschmack des Alkohols auf dem Zungenhals. Bisweilen geht das E-Gitarren-Riff noch mal über ein Tramkreischen drüber. Katerstimmung und schwarze Galle, über die fast unmerklich der Tristan schwappt (eventuell in den Krebs kopieren, also sozusagen seitenverkehrt einspielen). Ordnungsversuche, Nach-Echos, Flashs. Das Handy klingelt, Telefonat führen mit müder Stimme. Scherben von Bierflaschen auf den Straßen. Paar Leute eilen schon zur Arbeit oder schleppen sich dahin. Gelächter. Klare Gedichte dazu: Montale, Ungaretti. Sabine Schos Pragmatik. Auch Helmut Schulze.
Dann geht die Sonne auf.
[*: Die zeitlichen Zuordnungen meinen
nur den Akzent, meinen nur eine besonders
betonte Perspektive.
Auch die „Themen” der Sätze sind nur Betonungen. Die
Übergänge sind fließend.] Nachtrag:
Nach der Überlegung um 15.45 Uhr >>>> dort kam mir zu den Städtebildern der drei Jahrhundertwenden die Idee, einen Text so zu collagieren, daß die jeweiligen Beschreibungen der verschiedenen Autoren direkt ineinander übergehen, ja sogar ganze Satzteile sich ineinanderschieben. Auch hier gilt, daß die Schnitte nahezu unmerklich sein müssen. Und selbstverständlich wird das dann von einer einzigen Stimme vorgetragen... nein, von zwei Stimmen simultan. Eine Mischstimme aus weiblich und männlich, so, wie >>>> Farinelli synthetisiert worden ist, aber hier eben nicht für den Gesang, sondern für eine Prosarede. Ich habe das Verfahren schon einmal angewandt, in >>>> Das Wunder von San Michele, 2006. Hier aber darf die eine Stimme nur ahnbar sein, als eine nicht recht faßbare Irritation.
>>> Das furchtbare Sehnen 5
Das furchtbare Sehnen (3) <<<<

albannikolaiherbst - Dienstag, 9. November 2010, 17:50- Rubrik: HOERSTUECKE
Enige Passagen werden doppelt eingesprochen: Frau und Mann, jene allerdings leise, nur als Irritation. O-Ton ff: Schritte, Rufe, Nachtverkehr. Dazwischen- (darunter)schalten evtl. Einzellesungen, aber wie Rufe im Vorübergehen. Bisweilen hört man das E-Gitarren-Riff und die Tristan-Wogen, als käme das aus offenen (Kneipen)türen.
SPRECHER 1
Dem Strom von Gaslicht folgt dichter Schatten; nur hier und da das unsichere qualmende Licht einer bleichen Laterne. Die Läden zu, die offenen verdächtig, - dreckige, dunkle Kneipen oder Wäscheläden, die mit Kölner Wasser handeln. Ungesunde Kälte legt einen dunklen Mantel auf die Schultern. Tags kann man sich ihre nächtige Gestalt kaum vorstellen. Dann wimmeln seltsame Gestalten, nackte Formen beleben die Mauern, der Schatten regt sich. Kleider gleiten an der Mauer, sprechen, gehen, aus lehnenden Türen bricht kreischendes Gelächter; die atmosphärischen Verhältnisse sind ausgewechselt: winters wird’s einem heiß, sommers kalt.
SPRECHER 2
Du weißt welche Straße ich meine, Paola.
SPRECHER 1
Beerdigungen sind Beerdigungen von Rohstoff geworden, denn da die Seelen ihren eigentlichen, viel freieren Platz in Maschinen fanden, für die der Begriff Maschine schon lange zu grob ist, da jedermann, selbst wenn behindert, in den Infoskopen sportliche Leistungen von achtungerheischenden Rekorden vollbringt, gilt die alte organische Hardware ohnedies nur als Maisonette, in der zwar jeder gern wohnt, doch wenn es not tut, zieht man auch um. Privatsphären sind modulierbar: Das ist der größte Angriff auf Krankheit. Jede verlorene Hand, die wieder angenäht oder prothetisch ersetzt wird, hat die Leute zu fühlen gelehrt: Siehe, dies ist mein Leib - ein Lager von Organen.
SPRECHER 2
Die Straße des zwanzigsten Jahrhunderts, an deren fernem Ende oder Wendepunkt - so hoffen wir es - Zuhause und Geborgenheit eine größere Rolle spielen. Doch dafür gibt es keine Garantie. Wir sind auf einer Straße, die man uns in der verkehrten Richtung durchqueren läßt, und die Gründe dafür wissen wohl jene Kräfte am besten, die uns ans falsche Ende geführt haben.
SPRECHER 1
Die ganze Bronx duftet nach Astern. Das ist, weil so schwindelerregend süß, Ursache eines latenten Mißtrauens.
SPRECHER 2
Wenn es überhaupt solche Kräfte gibt. Und es läßt sich nicht ändern, wir müssen weiter durch diese Straße gehen. Es ist die Scheideprobe. Sie bevölkern, oder nicht, Gespenster; Ungeheuer, Verbrecher und Abartige repräsentieren das Melodramatische und die Schwäche. Der einzige Schrecken, den sie verursachen, ist die Angst des Träumenden vor dem Alleinsein. Aber die Wüste, oder eine Reihe falscher Schaufenster, ein Aschehaufen, ein Ofen, in dem das Feuer nur noch schwach glimmt, all dies und die Straße und der Träumer, der nichts ist als ein belangloser Schatten seiner selbst, der mitmacht im seelenlosen Spiel der anderen Massen und Schatten – das ist der Albtraum des zwanzigsten Jahrhunderts. Man betet die Götter über den Wolken heute nicht mehr an. Der Tempel Salomos ist nurmehr eine Metapher und bietet Schwalbennestern und fahlen Eidechsen Schutz. Der Geist der Kulte hat sich verflüchtigt, die heiligen Stätte sind dem Verfall überlassen. Doch andere Orte florieren bei den Menschen, an denen sie unbekümmert ihr geheimnisvolles Leben führen, wo allmählich eine tiefe Religion entsteht.
ANH
J’aime la grâce de cette rue industrielle!
SPRECHER 2
Noch bewohnt die Gottheit sie nicht, sie bildet sich dort erst.
ANH
Here, for the first time, it happened that the night got into my head.
SPRECHER 2
Es ist eine neue Gottheit, sie schlägt sich auf diese modernen Ephesi nieder wie von Säure zersetztes Metall auf den Grund eines Glases; das Leben ist es, das diese poetische Gottheit hier erscheinen läßt, aber tausend Leute werden an ihr vorübergehen, ohne etwas zu sehen, nur jene spüren sie plötzlich, und werden schrecklich von ihr heimgesucht, die sie dummerweise einmal wehrgenommen haben.
SPRECHER 1
Mein Verstand hat mich nie gebremst. Deshalb betone ich immer wieder, daß Filmemachen etwas Unbewußtes ist. Worte sind im Weg. Rationales Denken ist im Weg. Doch wenn das Unbewußte als unverfälschter Strom zutage tritt, hat das Medium Film großartige Mittel, ihm Gestalt zu verleihen.
SPRECHER 2
Metaphysik der Orte, du bist es, die die Kinder in den Schlaf wiegt, du bist es, wovon sie träumen. Unser ganzes geistiges Gut säumt diese Ufer des Unbekannten und des Schauders in einer dreckigen, kleinen, vergessenen, verborgenen Ecke. Ich liebe solche Ecken. Dort gibt es Geheimnisse zu entdecken. Es sind kleine, wahrhaftige Orte, die man leicht übersieht. Man muß sich fallenlassen und sie aufspüren, und man erkennt sie imgrunde erst, wenn die Bestandteile zusammenkommen. Dann fangen sie zu sprechen an, und man versteht ihre Wahrheit besser. Im Dämmern der Orte gibt es solche Türen zum Unendlichen, die schlecht schließen. Dort, wo die Lebenden ihrer höchst zweifelhaften Tätigkeit nachgehen, nimmt das Unbeseelte manchmal einen Abglanz ihrer geheimsten Beweggründe an: unsere Städte sind so von unbekannten Sphingen bevölkert, die den nachdenklichen Passanten so lange nicht anhalten, als er seine schweifenden Gedanken nicht auf sie richtet. Doch wenn er sie zu lösen versteht, so möge er sie ruhig befragen.
SPRECHERIN 1
Et je bois cet alcool brûlant comme ta vie,
Ta vie que tu bois comme une eau-de-vie.
SPRECHER 1
Direkt über ihm funkelten entlang der nächtlichen Achse am Hologrammhimmel phantastische Konstellationen, die an Spielkarten erinnerten, an die Augen eines Würfels, an einen Zylinderhut, an ein Martiniglas. Die Kreuzung von Desiderata und Jules Verne bildete eine Art Schlucht, wo die terrassenartig angelegten Balkone der Hangbewohner allmählich zu den grasbedeckten Hügeln eines anderen Kasino-Komplexes anstiegen. Die Kohle des Himmels war so nahe, daß ich mich vor ihrem Geruch fürchtete. Entflohn war der beschwörende Glauben und die allverwandelnde, allverschwisternde Himmelsgenossin, die Phantasie. Unfreundlich blies ein kalter Nordwind über die erstarrte Flur, und die erstarrte Wunderheimat verflog in den Äther. Des Himmels Fernen füllten mit leuchtenden Welten sich. Ins tiefre Heiligtum, in des Gemüts höhern Raum zog mit ihren Mächten die Seele der Welt.

Collagiert aus Apollinaire, Aragon, Balzac, Gibson, Herbst, Kipling, Lynch, Novalis und Pynchon.
>>>> Das furchtbare Sehnen 6
Das furchtbare Sehnen (4) <<<<

albannikolaiherbst - Mittwoch, 10. November 2010, 17:42- Rubrik: HOERSTUECKE
Bis zum 31.1.2011 erhalten Sie bei Bestellungen über Buecher.de >>>> mit dem Buecher.de-Gutschein sieben Euro Rabatt. Allerdings sind preisgebundene Bücher davon ausgeschlossen. Es ist aber eine gute Art, sich noch >>>> Restexemplare von „Buenos Aires. Anderswelt" und sogar den selten gewordenen frühen Roman >>>> "Die Verwirrung des Gemüts” zu sichern.
 
(Dies nur als kleinen Service-Hinweis, lieber ANH, für Ihre Leser.)
Gruß aus Wien,
Daniello
Herbst & Deters Fiktionäre
daniello - Mittwoch, 10. November 2010, 14:24- Rubrik: Links
seit tausenden von jahren kreisen
galaxien um dein hirn
und du bist nicht erwacht
vom lärm der seichtigkeit der welten.
und wenn du in der U-bahn stehst
verzeiht dir keiner deine schönheit,
und wo dein bett steht,
das weiss keiner so genau.
dein schlaf ist tief und leicht zugleich.
kein traum stört deine selbstvergessenheit,
und deine hände liegen,
zwei weisse vögel, tot in deinem schoß
sleep faster, baby!
´cause we desperately
need your pillow.
findeiss - Samstag, 13. November 2010, 01:51- Rubrik:
ich frage mich
wohin - und warum du dich dahin - geflüchtet hast?
you were more present than any presence
on this damned planet.
aber der schicksalsbegriff
den ein mensch hat
ist ihm aufs herz tätowiert.
und du stehst vor einem haus in einer kleinstadt
im mittleren westen
und hinter dir steht einer
den du nur erträgst
weil du ihn nicht verstehst.
denn man erträgt nur
was man nicht versteht.
und nichts, nicht die schönheit, nicht die kunst, der idiotische reiz der worte,
die permissivität der bilder, das wehen submarinen tangs,
der schrei der schneegänse, das muskelgewinde der anakonda,
die explosion des kokains in der matrix des hirns, die verrückte sanftheit unerinnerter träume
der äußersten selbstvergessenheit,
nichts wird dich jemals an dich erinnern
außer die lust die ich auf dich hatte.
findeiss - Mittwoch, 17. November 2010, 01:18- Rubrik:
ich lag in einem zimmer ohne wände
in dem es regnete
findeiss - Samstag, 20. November 2010, 00:25- Rubrik:
in the cathedrals of plains
in the brains of a dolphin
in the deserts of the heart
there are no insides at all
findeiss - Sonntag, 21. November 2010, 23:28- Rubrik:
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Für Adrian Ranjit Singh v. Ribbentrop,
meinen Sohn.
Herbst & Deters Fiktionäre:
Achtung Archive!
DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT wird im Rahmen eines Projektes der Universität Innsbruck beforscht und über >>>> DILIMAG, sowie durch das >>>> deutsche literatur archiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreiber Der Dschungel erklären, indem sie sie mitschreiben, ihr Einverständnis.
Kontakt ANH:
fiktionaere AT gmx DOT de
E R E I G N I S S E :
# IN DER DINGLICHEN REALITÄT:
Mittwoch, den 5. April 2017
Bremen
Studie in Erdbraun
Mit Artur Becker und ANH
Moderation: Jutta Sauer
>>>> Buchhandlung Leuwer
Am Wall 171
D-28195 Bremen
19 Uhr
Sonnabend, 23. September 2017
Beethovenfest Bonn
Uraufführung
Robert HP Platz
VIERTES STREICHQUARTETT
mit zwei Gedichten von Alban Nikolai Herbst
>>>> Beethovenhaus Bonn
Bonngasse 24-26
D-53111 Bonn
16 Uhr
NEUES
Bruno Lampe - 2017/03/29 19:48
III, 280 - Bei Äskulap
Gegen zwei löste ich mich kurzentschlossen vom Schreibtisch. Es war nichts mehr abzuliefern. Aber die ... Die in einem ...
... Deckenlabyrinth sich mäandernde Inschrift...
Bruno Lampe - 2017/03/28 21:42
Vielhard, Leichtgaard:
albannikolaiherbst - 2017/03/28 07:53
Bruno Lampe - 2017/03/27 20:43
III, 279 - Oder auch nicht
Kühler Nordwind. Die Sicht ging bis zu Sant’Angelo Romano weit unten im Latium. Jedenfalls vermute ich ... Bruno Lampe - 2017/03/24 19:55
III, 278 - Einäugigkeiten und Niemande
Ein Auge fiel heraus, abends beim Zähneputzen. Es machte ‘klack’, und der Zyklop sah nur noch verschwommen. ... Danke, gesondert, an...
bei der sich in diesem Fall von einer "Übersetzerin"...
albannikolaiherbst - 2017/03/24 08:48
albannikolaiherbst - 2017/03/24 08:28
Schönheit. (Gefunden eine Zaubernacht). ...
Es juckt sie unter der Haut. Es juckt bis in die
Knochen. Nur, wie kratzt man seine Knochen?
Sein ... Bruno Lampe - 2017/03/22 19:39
III, 277 - Die Hühner picken
Irgendwas ist schiefgelaufen seit dem 9. März. Man könnte es so formulieren: die Verweigerung der Worte ... ich hör' ein heer...
ich hör’ ein heer anstürmen gegens...
parallalie - 2017/03/21 06:51
Ich höre berittene...
Ich höre berittene Landsknecht sich ballen vorm...
albannikolaiherbst - 2017/03/21 06:18
albannikolaiherbst - 2017/03/21 06:12
James Joyce, Chamber Music. In neuen ...
XXXVI.I hear an army charging upon the land,
And the thunder of horses plunging, foam about their knees: ... den ganzen tag lärmen...
den ganzen tag lärmen die wasser
ächzen schon
trist...
parallalie - 2017/03/18 09:55
Den ganzen Tag hör...
Den ganzen Tag hör ich des brandenden Meeres
Klagenden.. .
albannikolaiherbst - 2017/03/18 08:23
JPC

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Zuletzt aktualisiert am 2017/04/01 07:33
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