Bamberger Elegien (122). Aus der neunten Elegie, fünfte Fassung.
Offen die Tür zur Terrasse. Nichts, schrieb eine Frau, klingt mit geschlossenem Beckenboden. Sie schrieb's mit dem Cello zwischen den Beinen. Ich dachte erneut an Empfängnis, Geburten, den Tod. Dachte an Gier. Du lebtest, mein Sohn, ohne sie nicht, ohne Sekret nicht. Wie darf man's da abwehrn, das bleibende Tier? Wie es obszön nennen? Denn lästert die Löwin, die schrie, als sie der Löwe in Kenia, wir sahen vom Pickup aus zu, packte? Sie wandt sich, den Hinterleib sichtbar gehoben, unkeusch und fordernd. Sie schlug ihm die Krallen, und fauchte dazu, über die Nase. Bis daß er sie nahm, in ihrem Nacken verbissen, dann stieß er zu. Nichts pipettierte. Es grub. Sieht das noch wer, sieht er Kinder? Wie wenn Zärtlichkeit ursprünglich wäre, und Eisprung nicht Schöpfungsgewalt. Macht und Ergebung und Abwehr, aus diesem Begehr sind wir auch. Aber verwerfen es, wie wenn's uns schändet. Anstelle zu sagen: so sind wir dann, wenn wir vollkommen sind: Spucke und Votze und laut. Wollen ein Schwanz sein, nichts weiter, ein Trieb, der zurücktreibt, dunkeles Sais, dem wir die Schleimhäute heben. Ist das nicht genug, um zu wissen? Gewimmel der Spermatozoen. Seele wär das nicht auch wie das Ei, das sie ansaugt und sucht sich, wählt sich, den stärksten der Träger - ein Überträger auch er? Später das kackende Kind, der Geruch in den Windeln; der spitze Duft aus der Restmilch wär Seele nicht gleichfalls? Der Schauder, den wir, wenn unerregt, in der Geschlechtsnähe fühlen, was sagt er uns, den Besetzten, Besessenen, sind wir erregt? Daß das, was ekelt, Erregungen Quell intensivester Lust ist - hier wäre Seele denn nicht? Aber doch Anlaß der höchsten Inspirationen. Kein Buch, das es wert ist, Bild nicht, nicht Film, die sich nicht hieraus erhöben. Nicht Gott. Wie es das bleibende Tier tut mit Beute, die erst als Gerissene aufsteht, aufersteht, als Niedergerissene, Einverleibte, das Ich abgegeben, ganz weg unser Geist, wenn er ganz da ist, im Andren, vom Anderen, fremdpenetriert, schmerzvoll erleuchtet. So glüht's. Glühen ist immer enticht. Das nicht zu achten, wer sind wir? Zu meinen, wir wären erst Ich, wenn wir getrennt sind, monadisches Selbst, undurchdrungen. Durchdrungen erst sind wir. Wenn wir einander trinken, als äße einer vom andren, als kauten wir uns. Manche tun es. Haben sie Unrecht? Der Stoffwechsel wär nicht das Urbild jeder Verwandlung? Wir brauchten nicht einen Ritus der Physis und Durchlässigkeiten, unfester, fließender Stoffe, Altäre des Wechsels, religio?
BE 121 <<<<
Bamberger Elegien (123). Aus der zehnten Elegie, Fünfte Fassung.
Was sie, die großen, vergaßen, das halten die kleineren Städte noch fest, halten am Land fest, Perioden des Jahres und Tagen aus Frühling und mittags dem Sommer, der Nacht im Dezember. Das geht dahin mit dem bleibenden Tier, bis daß man uns selbst, genkybernetisch, durch Cyborgs substituiert hat: kosmetisch normiert, Artefakte, hygienisch und glatt, allzeit Bereite, der Menge als Ding geruchloser Körper zu sein. Replikanten stehn an, korrekt auf die Null und die Eins programmiert, stehen in Schlange, die Quote nicht macht, sondern ist und es will, daß man's sei. Ausgestattet mit Macht, die das Besondre verabscheut, kennt er, der Kommende, Ahnungen nicht, kennt nicht die Lust, die riskiert, sondern errechnet die Rente und mißt den Genuß an der Krankenversorgung. Kein Ausweichen ist; irre das Jaulen der Melder, entfernte sich einer, den Kopf aus der Longe gezogen, das Haar noch gesträubt, unzugerittener Hengst noch, nicht Wallach, und bricht aus der Koppel, solang nicht Maschinen Empfängnis besorgen. Das kommt bald, das ist schon: Vermehrungshygiene. Dem Übergriff endlich die Fresse polieren, und sei es mit AIDS. Samenspender, kontaktlos, die Väter bespermungstechnisch entvirt; bakteriologisch bedenklos die Mütter wie Kühe bestellt. Sind ja Retorten, die Utren, und Föten genetisch designt. Kein November, der graute. Die Sommer wolln nicht mehr scheiden. Wir sehen geshaped wie als neunzehn den Tod an; so mädchenhaft stehen die Brüste im Schnee ihrer Reife, gestylten Moorleichen gleichend im Altern der trocknenden Fraun. Plastinate Mumien, bemalt wie die schmuckvollen Deckel von Schmuck-Sarkophagen, sind sie zum Sterben schön gebliebne Schneewittchen.
BE 122 <<<<
Fast immer etwas von Liebe. Kleine Bemerkung zu Bruno Maderna.
Erschienen am 6. September 2009.]
Mit zwölf debütierte er als Dirigent an der Scala. Später, in den 50er und 60er Jahren, wurde er zu einer solchen Schlüsselfigur der Neuen Musik, daß es Wunder nimmt, wie er so vergessen sein kann. Doch bereits in den letzten Jahren seines kurzen Lebens war er als Dirigent bekannter denn als Komponist. Denn er unterwarf sich keiner Doktrin, durchbrach schon früh das serielle Dogma in Richtung Aleatorik, hatte eine musikalische Liebesbeziehung zur tonalen Tradition, synthetisierte - man kann sagen: im guten Sinn ein früher Postmoderner - elektronische und natürliche Klänge, hatte auch nicht die mindeste Scheu vor komponiertem Gefühl. Klangcollagen wie sein Venezianische Tagebuch sind bis heute eine Legende - scheuen Botschaften gleichend, denen keiner allzu laut den Laut geben will. Wer aber mit heutigen Komponisten redet und mit Dirigenten, der wird, kommt die Sprache auf ihn, fast immer etwas von Liebe spüren. Dennoch gibt es neben Dallapicolla, für den etwas Ähnliches gilt, kaum einen so selten aufgeführten Neutöner wie ihn; wer seine Arbeiten kennenlernen will, muß auf CDs zurückgreifen; einiges ist auch als mp3 übers Netz zu bekommen. Man kann das ideologische Naserümpfen direkt spüren, das ihn nach und nach aus dem Musikbetrieb hinausgeschoben hat. Es wäre jetzt seine Zeit – anstelle daß man sich das E-musikalische Kitschbedürfnis esoterisch von Philip Glass zuschmieren läßt. Das hat man bei Ricordi wohl gleichfalls gedacht und die „Grande Aulodia“ als CD wieder zugänglich gemacht – ein in Episoden geradezu erzähltes Konzert für Flöte und Oboe. Der Aulós (αὐλός) war eine Art doppelläufiger Schalmei: kompositorisch ein typischer Rückgriff Madernas, der über die Oboe einen vermeintlich alten Klang mit dem modernen der Querflöte mischt. Das läßt einen bisweilen schwebenden, fast überzeitlichen Ton entstehen, den in manchen „Szenen“ scharfe Perkussionspassagen dramatisieren... keine neue Einspielung, nein, aber die Radioaufnahme von 1970 klingt frisch wie je, frei von jeder Starre und erstaunlich unhistorisch. „Ich hasse es, konsequent zu sein, denn das ist tödlich“, hat Maderna gesagt. Die strengserielle Musik bekam das per Publikumsverdampfung zu spüren. Daß es sich bei Maderna gleich mitverdampfte, war, mit einem Wort, masochistisch.
Grande Aulodia
Ricordi oggi
STR 57010
21. und 22. November 2009.
Bruno Maderna gewidmet.
„Durch die Nähe zur Technik und Industrie ist Forschung Produktivkraftentwicklung geworden.“ Die Moralisierung der Wissenschaft ODER Das Ende des Bacon‘schen Zeitalters (1).
Hier liegen Tretminen. Denn darunter liegt >>>> die Frage nach Gott, die eine danach ist, was moralisch sei. „Wenn die Wissenschaftspolitik bisher die Aufgabe hatte, die Wissenschaft qua Forschung soweit es irgend ging zu fördern, unter der Bedingung knapper Mittel Prioritäten zu setzen und ein innovatives Klima zu schaffen, so geht es jetzt darum, die Forschung zu überwachen, für Forschungsvorhaben Genehmigungsverfahren einzurichten, einen moralischen Konsens über mögliche Forschungen sicherzustellen, die Anwendung von Forschungsergebnissen zu beschränken und zu kanalisieren. Man könnte sagen, es geht um Wissensmanagement, aber das wäre ein zu schwacher Ausdruck. Genauer gesagt geht es darum beständig auszuhandeln, was wir überhaupt wissen wollen und welche Anwendungen von Wissen wir als legitim ansehen. Es geht darum, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, aufgrund dessen die Erzeugung und Anwendung von Wissen geregelt wird. Diese Verschiebung im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft hat einen Grund in einer Tatsache, die mir Anlass gegeben hat, von einem Ende des Bacon'schen Zeitalters zu sprechen (Böhme 1993): Das Vertrauen, das seit Francis Bacon die Beziehung von Wissenschaft und Gesellschaft getragen hat, ist zerbrochen, nämlich das Vertrauen darauf, dass wissenschaftlicher Fortschritt in jedem Fall zugleich humaner und gesellschaftlicher Fortschritt sein werde.“ Gernot Böhme, 2004.
Weiter >>>> d o r t Abermals, letzten Endes: Wir kommen um den Glauben nicht herum. Im Zeitalter der Globalisierung bedeutet genau das aber - Krieg.
Kleiner Beitrag zur Gender-Correctness.
Ich mag das. Bescheidene Männer sind scheiße.
Melusine Walser (13).]
ML 12 <<<<
„Das kluge Gras beugt sich.“
Es breche nicht im Sturm wie der starre Baum. So trägt es der Mainstream in die Ökonomie. Konfuzius‘ ging aber auf etwas anderes: es beuge sich der G e r i n g e r e: >>>> 如杀无道,以就有道,何如?”孔子对曰:“子为政,焉用杀。子欲善,而民善矣。君子之德风,小人之德草,草上之风,必偃。 Doch abgesehen hiervon, von wem träumen wir? Wessen Legenden bleiben? Selbst die Hängenden Gärten, der Schwerkraft abgetrotzt, blieben, ohne daß sie doch, daß sie noch sind. „Waren“ sie je? Es kommt nicht darauf an. Auf die Träume kommt es an. Daß wir sechs Männer brauchen, um einen Stamm zu umarmen, und selbst die langen bisweilen nicht aus.
(Das aber, fürs Alltägliche, ist nichts. Von denen, die sich klüglich beugten, bleibt keine Nachricht. Von denen aber, die sich erhoben gegen das Gesetz.)
(DXIII).
„im land da wo wir blutrot sind“, WDR3 (1). Daniela Danz. Vorbereitung: Lektüren (1).
Aber du kannst nichts tun, was ich mir nicht vorstellen könnte. So kann ich dich nicht lieben. Mein Geben und dein Geben, diese Rechnung darf nie aufgehen, denn dann wären wir ohne Grund.
Das Leben als einen Roman betrachten (12). Kleine Theorie des Literarischen Weblogs (119).
„Ich will bei dir nicht öffentlich vorkommen“. Das Problem besteht darin, daß jemand, der das jemandem sagt, der sein Leben als einen Roman führen will, dann gar nicht mehr drin vorkommen kann. Dabei ist das Begehren verständlich, ja fast selbstverständlich. Dennoch, indem ich dieses „Projekt“ begonnen habe, erwehre ich mich der ansonsten unvermeidlichen Ernüchterungen durch pragmatische Lebenspraxis: Das Leben als Roman „erlaubt“ nicht nur Katastrophen, sondern sie werden zu quasi-selbstgewählten Momenten einer durchlaufenden Dramaturgie, die aus dem Leben die Banalität herauszustreichen unternimmt; es ist tatsächlich eine poetische Selbstermächtigung über sich selbst. Die Heilige Wollust, Das Erschrecken, Die Erscheinung, Das Ergriffensein, Die Verantwortung, Das Tragische rücken als Gewollte ins Zentrum; in der zeitgleichen Mitbetrachtung werden die Alltagsprozeduren an die beiläufigen Orte verwiesen, an die sie gehören; sie haben sehr viel weniger noch die Chance, sich in den Vordergrund zu rücken und uns beherrschend zu banalisieren: der Abwasch, der Einkauf, das Staubsaugen, Zähneputzen, Fensterputzen, die monatliche Miet- und Krankenkassenzahlung bleiben die Routinen, die sie sein sollten, und drängen sich nicht, uns zunehmend überschattend, weiter und weiter vor, bis nur noch Bitternis und Ergebung bleiben, jene notwehrsanfte Resignation eines Alters, das man sich mit dem Wort von der Weisheit verbrämt.
Das Leben als einen Roman zu betrachten, ist eine paradoxe Intervention, paradox, weil sie sowohl das Feuer bis ins Verglühen durchleben als auch es uns permanent vorstellen läßt. Das ist zugleich Imagination wie Vergegenwärtigung. Kühlmann bemerkte einmal in einer Rezension über einen Roman >>>> Gerd-Peter Eigners, es werde darin die Frage gestellt, wie man „richtig“ lebe; das Leben als einen Roman zu betrachten, versucht sich praktisch an der Antwort: es erp r o b t die Antwort, experimentell. Nur sind es eben Seelenexperimente, in die, da wir soziale Geschöpfe sind, andere immer mit einbezogen werden, ob sie das nun wollen oder nicht und ob w i r wollen oder nicht. Dabei zeigt die Erfahrung unterdessen, daß es ihnen gar nicht so sehr darum geht, ob sie für andere erkennbar sind; ihr offenbarer Schmerz besteht schon darin, daß sie es vor sich selber werden. Dem wollen sie nicht ausgesetzt sein. Die Verdrängungsprozesse wehren sich dagegen, die uns das Leben scheinbar erträglich machen, wiewohl es doch weder überhaupt um Erträglichkeit gehen sollte, noch helfen Verdrängungen wirklich. Im Gegenteil verschieben sie die Nöte und konservieren sie für den Moment eines irrelaufenden Ausbruchs. Oder sie schleifen den Menschen unaufhaltsam ab, bis er so brüchig geworden ist, daß er an der Verkalkung dahinsiecht. Das Leben als einen Roman zu betrachten, erwehrt sich solcher Vergreisung, weil es sich durch seine Öffentlichkeit ständig kampfbereit hält.
Aber es ist nicht nur die Verdrängung, die hier wirkt, sondern auch eine religiöse Angst: Angst vor einem imaginären Feind, der bei Androhung höchster Strafen verlangt hat, daß man ihn nicht nenne. Dieses Mythische wirkt in der Diskussion jedes Intimen mit. Das Leben als einen Roman zu betrachten, ist, so gesehen, Lästerung: sie bringt den Menschen das Feuer.
[Imgrunde tragen a l l e persönlichen Weblogs diese olympische Flamme weiter, jedes ein Stückerl. Nichts anderes taten die großen Romançiers, deren Bücher man heute oft verbieten würde – mit Gründen des Persönlichkeitsrechts]
>>>> Litblog-Theorie 120
>>>> Das Leben als Roman 13
Das Leben als Roman 11 <<<<
Litblog-Theorie 118 <<<<
Die DDR als verlorene Heimat. „im land da wo wir blutrot sind“, WDR3 (2). Daniela Danz. Mutmaßung (1).
Das Gedicht eignet sich Heimat an, aber als eine verlorene, zumindest hoch gefährdete: ebenso, wie Danz in >>>> Pontus dem mythisch klassischen Weg a l l e r Heilssucher folgt, jenem nämlich nach Osten. Der Westen muß diesem Blick nicht nur fremd sein, sondern als Eindringender, Besetzender ist er ihm sogar feindlich gesonnen; völlig egal, ob es sich um Thüringen, um den Balkan, um Afghanistan handelt. Wenn es Sommer wäre / sähe man was man weiß / Aufgegebenes und Abriß / nach der Pappelreihe / die Fabrikbrache / endet der Satz den die / Dagebliebenen buchstabieren, >>>> Zentrale Provinz. Es ist ganz und gar falsch, den Bürgern der sog. Neuen Bundesländer, die doch eigentlich, zu einem Großteil, als deutsche Länder die eigentlich-Alten sind, nachzusagen, sie wünschten sich die Mauer zurück. Selbst, w o einige von ihnen es sagen, wünschen sie es nicht, sondern da handelt es sich um die unbegriffene Trauer um Heimatverlust: nicht „das System“ wünscht man sich zurück, sondern daß einem nicht, wie es geschah, das Land genommen wurde, der Boden, den man nicht aussprechen darf, weil das politisch sofort zu Mißverständnissen führt. Dem kommunistischen Internationalismus entsprach und entspricht weiter der Kapitalismus durchweg: der aber hat den Internationalismus durchgesetzt, auf Kosten der Verbundenheiten, der Naturnähen, der Felder, des Waldrains, die denen „drüben“ ja geblieben waren, so ausgeschlossen vom Warenumgang, wie man sie hielt. Deshalb hat der Osten ein Stück Altes Land bewahrt, das im Westen sofort verschüttet, zubetoniert und mit den immergleichen (äqivalenten) rötlichen Sandsteinplatten für Einkaufsstraßen egalisiert und mit shopping malls überzogen wird, als wüchse dem Land der Hautkrebs. Er wuchs ihm. Daniela Danzens zarter, aber insistierender Blick hält am Verlorenen fest, weil es ein zu Verlierendes ganz werden soll. So auch geht der Blick aus dem Turm übers Land. Selbst den Krieg sieht dieser Blick s o: Wer faltet wer glättet die Wäsche jetzt / wer trägt das Geborgene in die Schränke / schichtet auf das strahlende Weiß: still / ist es winters in den Schränken der Erde / und weiß fällt dein Haar ins Land“, >>>> Serimunt. Die sich angeblich die Mauer zurückwünschen möchten, wünschen sich nicht die Mauer zurück, sondern möchten einfach wieder Nicht-Vertriebene sein. Es geht um Gehörigkeit, westlich: „Identität“ - nicht um politische Parteinahme. Wir Westler verstehen das meist nicht, weil uns dergleichen längst abhanden kam, abhanden gekommen wurde. Danzens Gedichte geben uns eine Ahnung ans Verlorene zurück und daran, was es wert war. Sie sind Erinnerungsgeschenke, wie wenn man einen vergessenen, doch vertraut von irgendwoher herwehenden Geruch in die Nase bekommt.
>>>> Danz 3
Danz 1 <<<<
Jede Sucht will ihre Katastrophe ODER Das irdische Leben. Gerd-Peter Eigner. Aus dem Entwurf (1).
(...)
Nicht nur einer Verwaltung aber hat sich >>>> Eigner nie eingepaßt, sondern überhaupt keiner Sozialerwartung – nämlich weil eine jede solche eine Gesellschaftserwartung ist und weil jede diese das Ergebnis eines, mit Adorno gesprochen, universalen Verblendungszusammenhangs. Eigner läßt sich nicht täuschen, auch nicht von seiner unfraglichen „Nähe zum Volk”: Kunst f ü r den Arbeiter muß notgedrungendermaßen Kunst g e g e n ihn sein, nämlich gegen seine Bedürfnisse nach Verschleierung und Befriedigung, kurz: nach Entertainment. In diesem Sinn ist Eigners Dichtung elitär. Aber sie hält ein Elitäres am Leben, das den Menschen-als-befreiten vertritt und so lange auf der Vertretungsscholle stehen bleibt, sie für den, sagen wir, „Arbeiter” so lange als Brückenkopf besetzt hält, bis der dort selber ankommt. Ohne Frage, das ist auch arrogant, doch diese Arroganz ist ein Gebot abermals der Menschlichkeit. Daß mit einer solchen Position weder in den „revolutionistischen” Aufbruchsjahren der 70er – ecco!: Staat zu machen war, noch „Solidarität”, liegt auf der Hand. Sie eignete sich aber ebenso wenig für die Kunstförderung aus privater Hand, weil Eigner zu deutlich dafür einsteht und stand, daß Kunst „z e r s e t z t. In einer lebensfeindlichen Umwelt muß Kunst radikaler sein denn je; sie muß destruktiv und subversiv sein. Kunst (...) ist die Stadt-Guerilla des Wohlstands”, Eigner 1976. „Ich schreibe, weil ich sonst Bomben legte”, sagte er zu anderer Gelegenheit und wurde dafür vom Betriebstisch gefegt. Man vergesse nicht, in welche Herbstzeit auch dieser S a t z hineindetonierte.
(...)
>>>> Gerd-Peter Eigner.
„im land da wo wir blutrot sind“, WDR3 (3). Daniela Danz. Vorbereitung: Lektüren (2).
Schönheit ist, wodurch wir frieren wollen, wenn unsere Wärme überschüssig ist.
>>>> Danz 4
Danz 2 >>>>
„im land da wo wir blutrot sind“, WDR3 (4). Daniela Danz. Vorbereitung: Korrespondenz (1).
ANH an DD, 181109, Email:
(...) unter freiem Himmel sprechen - der mir, bei Dir, sowieso viel lieber ist als irgend ein Stadtgeräusch: um d i e s e Suche geht es Dir ja, wenn ich ein wenig was verstanden habe, ganz zentral (es vermittelt sich übrigens unmittelbar; das ist eine enorme Stärke der Gedichte, aber auch des Türmers: ich, der "Südler", krieg Sehnsucht nach dem Osten davon). Ja, laß uns dann im Vorort bleiben, auch wenn die Gänse den Martinstag schon posthumisiert haben.
Ist's Dir recht, daß ich auch aus unserem Briefwechsel - der dazu und sowieso gerne etwas anschwellen kann - Stellen für die Sprecherinnen übernehme?
>>>> Danz 5
Danz 3 <<<<
Jede Sucht will ihre Katastrophe ODER Das irdische Leben. Gerd-Peter Eigner. Aus dem Entwurf (2).
Wobei das so überaus Erstaunliche ist, daß dieser Romancier a l s Romancier mit seinem ersten Roman schon ganz fertig gewesen ist. Er war schon deshalb keiner, den man hätte entdecken oder gar „machen” können, sondern da bereits vollständig ausgebildet, so, als würde sich an ihm nichts mehr verändern – ob das auch für den Menschen Eigner so war, wage ich sicherheitshalber nicht zu fragen. Doch ist er darin grundsätzlich anders als viele seiner Kollegen, die sich, wie’s Portomonaeie und der Zeitgeist so wollten, in dessen Läufte fügten, und zwar nicht, weil sich ihre Ästhetik, sich verändernd, entwickelte, also aus Gründen der, sagen wir, literarischen Evolution, sondern aus ökonomischer „raison”. Die wenigsten blieben ihren gesellschaftlichen Überzeugungen treu – zu nennen wäre allerdings noch der große Stilist Hermann Peter Piwitt (auch er ein Apostat schon zu Beginn: er ließ sich auch kommunistisch den sogesagten Faschisten D’Annunzio nicht nehmen) -, jedenfalls hat Eigners Romanwerk seine frühe politische Einlassung Punkt für Punkt realisiert, zu der auch und gerade und immer wieder Erde gehört: gegen alle abstrahierende Feinsinnigkeit beharrt Eigner auf dem Geschlechtlichen. „(...) Habe ich gesagt, daß sie ein Höschen anhat unter dem Kleid? Eines, das so weiß leuchtet wie keines sonst auf schwarzer Haut?” Diese spezielle Weise, die Erscheinungen, sinnliche, irdische Erscheinungen, zu bew u ndern, gehört zu den innigsten Momenten eignerscher Erzählkunst. „‚Genau genommen lecke ich ihr erst das Meersalz weg und versinke dann in ihrem Eigengeschmack und Eigengeruch, ich schmecke, rieche und lecke sie und höre nicht auf unter ihren Händen, die meinen Kopf umklammert halten, bevor sie nicht -: ich habe einen solchen Schrei,’ sagte er, ‚in meinem Leben noch nicht vernommen, ein Schrei wie ein Vogelruf, ein einziger zum Himmel gerichteter Schrei, Schmerz und Jubel zugleich, als stieße’, sagte Brandig, ‚die gefiederte Seele im Sturzflug (...) vor zum Kern des irdischen Planeten. (...) Der Körper aber dazwischen,’ fuhr er fort, ‚reglos. Oder besser: aus der reglos mir entgegengestemmten Straffung niedersinkend in reglos weiche Ermattung. Und sie sagt, so habe es bei ihr noch keiner geschafft. Sie umschlingt mich. Sie reibt ihre Wange über meine von ihrer Mondmilch geglättete Haut.’” Es hat ja seinen Grund, wenn Eigner in dem drei Jahre nach diesem, nach „Brandig”, erschienenen Roman „Mitten entzwei” - er sollte eigentlich „Stroff” heißen und eine imaginäre Personal-Trilogie komplettieren -, den frischen Geruch nach weiblichem Geschlecht mit dem Duft des Watts vergleicht, in welchem der Held, ein Kunstspringer, Kopf über Hals steckenbleibt, wonach er querschnittgelähmt, das heißt a u c h: impotent ist. „Ich habe, soweit ich weiß, nicht das Bewußtsein verloren. Ich habe die Trennung gespürt. Man wird durchschnitten, zerhackt, guillotiniert. Und wundert sich nur, wenn man die Augen aufmacht, daß die abgetrennte Hälfte noch an einem dranhängt. Daß sie, überflüssig, nicht weggedriftet und davongeschwemmt worden ist in der Strömung. Hinausgetragen mit dem Ebbstrom aufs offene Meer. Zu Vögeln und Fischen”, Mitten entzwei, 1988. Die Erde treibt uns, sie bindet uns aber auch fest. Der Verführung, sich dies billig mit Abstraktionen wegzulügen, widerstehen Eigners Außenseiter alle: es g i b t kein Entkommen. Genau deshalb ist Kunst auch nicht „ein willkommenes Hilfsmittel (...), das als begleitendes Ingredienz einer zuvor festgelegten gesamtgesellschaftlichen Planngsentwicklung revoltionäre Politik kämpferisch verkörpern müsse”, wie Eigner es in Richtung KPD und DDR ausgesprochen scharf formuliert hatte. Nein, wir bleiben in den tragischen Verhängnissen, sie, eigentlich, machen unser Leben aus – zumindest so lange nicht tatsächliche Gleichheit der Lebensverhältnisse, also Befreiung, erreicht ist. Schon deshalb, so Eigner weiter, werde „Kunst (...) nicht gemacht für jene, die Muße haben und ein Vergnügen am Kunstwerk”, obwohl allein sie es sind, die sie ökonomisch ermöglichen, sondern „Kunst wird gemacht für jene, die k e i n e Muße haben und k e i n Vergnügen am Kunstwerk.”
Eigneressay 1 <<<<
>>>> Gerd-Peter Eigner.
Aus dem TB. Mythen: Minthe.
Minthe, Minthe
murmelt Hades,
schenkt Pfefferminztee ein und
neigt sich Persephone zu, die
mundfaul ihren Apfel reicht.
Kernlos.
Im TB >>>>H I E R
Jede Sucht will ihre Katastrophe ODER Das irdische Leben. Gerd-Peter Eigner. Aus dem Entwurf (3).
Die Erde läßt uns nicht los, nicht die Heimat und nicht die Frau. Der Verführung, sich dies billig mit Abstraktionen wegzulügen oder durch gesellschaftliche Position zu verschmieren, widerstehen Eigners Außenseiter alle: alle wissen sie, letztlich gibt’s kein Entkommen. Dessen erwehrte sich Dichtung seit je durch Überhöhung. Weshalb Kunst eben nicht „ein willkommenes Hilfsmittel ist, das als begleitendes Ingredienz einer zuvor festgelegten gesamtgesellschaftlichen Planungsentwicklung revolutionäre Politik kämpferisch verkörpern müsse”, wie Eigner das, in Richtung KPD und DDR, ausgesprochen scharf formuliert hatte. Sondern wir bleiben in den tragischen Verhängnissen; sie, eigentlich, machen unser Leben aus – zumindest so lange nicht tatsächliche Gleichheit der Lebensverhältnisse, also Befreiung, erreicht ist. Schon deshalb wird „Kunst (...) nicht gemacht für jene, die Muße haben und ein Vergnügen am Kunstwerk”, obwohl sie es sind, die sie ökonomisch ermöglichen; „Kunst wird gemacht für jene, die k e i n e Muße haben und k e i n Vergnügen am Kunstwerk.”1 Ein wenig schwingt hier die Naivetät Herbert Achternbuschs mit: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Das aber schützt vor einem Pessimismus, der sich, schon aus Selbstschutz, ergibt; statt dessen schürt Eigner wieder und wieder das Feuer, aus dem Zusammenhang, der nicht nur einer der Verblendung ist, irgendwie auszubrechen. Es ist eben auch einer der Naturläufte. „Denn bekanntlich folgt die Erfüllung der Verheißung nicht auf dem Fuß; zumindest nicht gleich und nicht dort, wo es vorzudringen gilt in unseren bisherigen Erfahrungen und Kenntnissen vorenthaltene Bereiche. Dafür bewegen wir uns doch immer noch allzu sehr in der uns vertrauten und üblichen Gangart. Dem Zickzack. Dem Zickzack der Wörter, Begriffe, Ideen, Gedanken und Schlüsse, die ja nicht selten Trugschlüsse sind, so daß die Pfade, die wir betreten, je mehr sie ausgetretene sind, zu Irrwegen werden. Wir kennen die Richtigkeiten; die Wahrheit noch nicht.”2 Wir müssen sie erfinden, umerfinden, was gelebt worden ist; es geht ja auch darum, aus Tragiken Lust zu schlagen – weshalb sollte man sonst lesen, in Theater und Kino gehen, ja Musik hören, die nicht nur Untermalung ist? Der Schauer des irdischen Lebens durchfährt uns, wenn das Brot endlich gebacken ist, doch es ist zu spät. Wir liefen los, um den Anschluß noch zu erlangen, überwanden sämtliche Widrigkeiten und, ja!, schafften es noch... doch wir sind nicht bei Schiller, sondern immer um Sekunden zu spät. Die einzigen Momente, in denen wir’s nicht sind, sondern worin wir uns wirklich erfüllen - vorübergehend freilich, das ist wahr – scheinen die erotischen Vereinigungen zu sein.
Eigneressay 2 <<<<
>>>> Gerd-Peter Eigner
Queen of Porn/revisited
abgerieben wie ein alter autoreifen
glatt wie die see in einer vollmondacht
und kein gefühl wird jemals deine seele streifen
du weisst bescheid wie jeder passagier
in jedem easyjet der einen drink bestellt
absolut talkshowtauglich und fexibel
es ist dir langweilig in dieser welt
dein leben ist so hart und rund wie eine kokosnuss
und nichts und niemand wird dich jemals quälen
hyperkorrekt und makellos bist du
du wirst die letzte der bananen schälen
aber sobald du in das zimmer kommst
und deine blauen adern beben
verliere ich die contenance und schwebe
du bist wie niemand sonst
so sinnlos wie das leben
An شجرة: Dilemma der Leidenschaft. Jede Sucht sucht ihre Katastrophe ODER Das irdische Leben (4). Korrespondenz: Lebensfrage.
Und parallel denke ich über eine Lebensaufgabe nach: Wie leben wir so, daß sich Leidenschaften sowohl ausleben wie auch erhalten? Die Frage wird bei der >>>> Eigner-Lektüre ebenfalls ständig virulent: bei ihm rasen die Obsessionen immer, bis sie irgendwann auseinanderfliegen. Er findet sich nie ab, er macht nie Zugeständnisse, aber das Ergebnis ist dann meist ein katastrophales, sozusagen der Preis, den man für auch erotische Unbedingtheit zahlt.
Wiederum ist es auch eine luxuriöse Frage und eine ohne Nachkommen: Sowie Kinder da sind, wird sie notgedrungen obsolet. Das Seltsame ist, daß die Frage also Zukunft ausklammert, obwohl es ihr doch gerade um sie geht. Sie ist für Zukunft gestellt. Deshalb nenne ich >>>> den Eignertext mit zweitem Titel auch "Das irdische Leben" - nach dem Wunderhorn-Stück.
>>>> Eigner 5, Das irdische Leben
Das irdische Leben, Eigner 3 <<<<
Zeugung durch das Ohr.
Konsequenzen.
[Ada, Email, 28. November, 3.15 Uhr nachts.]
Melusine Walser (14).
>>>> ML 15
ML 13 <<<<