Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Verbotene Fassung)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.
________________________________


 

Auf SWR2. ANH im Gespräch mit Jörg Biesler. Die harte Ware Computer: Weicht sie die Dichtung auf?


>>>>> Matinee: Harte Ware – Computer.
Sonntag, der 9. Oktober 2011. 9.03 bis 12 Uhr.
Gespräch mit ANH: zwischen 11 und 12 Uhr.

Nachtrag um 15.50 Uhr:
>>>> Hier das Gespräch als mp3 (Quelle: SWR-Podcast).).

Die erste Rezension, die das auch wirklich ist.

Die-Fenster-von-Sainte-ChapelleUnd... ähm: aber... - nein: UND (wie drückt man im Netz Verwirrung aus?):

>>>> was für eine!


ANH, >>>> Die Fenster von Sainte Chapelle.
Eine Reiseerzählung.

Deutscher Buchpreis.


Du gleichst dem Geist, der dich begreift.

Aphrodites Metamorphosen: Eros zu Musik. Das ungebändigte Leben (9).




Und jede Frau, mit der ich schlief, endete als Melodie in mir. Jede. Wenn es so etwas wie Apokryphen zu Ovids Metamorphosen gäbe, müßten sie den Zauber des Prozesses vermitteln, der es vollbringt, einen Fick in Musik zu verwandeln.
Puccini bei Krausser in >>>> Gärten 29.



Allan Pettersson zum Einhundertsten.

[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Dort erschienen am 8. Oktober 2011 in Bilder & Zeiten.
Hier in der ursprünglichen, für den 18. September
vorgesehenen Fassung.]

Wenn man den persönlichen Schrecken überwunden
und Kunst daraus gemacht hat,
dann wird es Botschaft.

Allan Pettersson.


Wie man plötzlich mitsingen kann, ja muß... wie uns die Unabdingbarkeit – eine, die nicht nur mit den Ohren und im Geist, sondern vom gesamten Leib gespürt wird – erst mittreibt, mitreißt, und dann halten wir ganz plötzlich ein, erschauernd, und weinen; wie wir umstrickt, umflossen werden von einer Musik, die zum höchsten Ausdruck gehört, dem wir jemals begegnet, die aber dennoch fremd bleibt, weil sie sich niemals gemein macht, auch mit uns nicht, sich aber auch nicht vor uns verschließt, sondern deren Glühen jeden, der sich hingibt, rauschend wie rauschhaft ergreift, gerade weil, spüren wir, hier einer war, der sich nicht beirren ließ, sondern aussang, was da singen wollte, egal, ob vornehm oder zeitgemäß oder ob er die Macht besaß, es durchzusetzen, da mochte ihn die Polyarthritis noch so sehr, bis ins fast völlige Starrsein, verkrüppelt haben, den schließlich alten Mann, da mochte er noch so gemieden sein, der insistierende Querkopf, schroff nach wie vor zu keinem Kompromiß bereit, sondern in dem unglaublich schönen Gesang der Geige im zweiten Violinkonzert, einem der bewegendsten, den das letzte Jahrhundert überhaupt hörte, bis in den letzten Takt seiner Sinfonien der Tonalität verschrieben wie Schostakowitsch, nur daß sie nicht die Rechtfertigung durch Stalinzwänge hatten, sondern allein Entscheidung eines unbequemen Sonderlings, wie Hölderlin, waren, gegen die Moden und Betriebe, das Klangmaterial ganz Spätromantik, doch in den harschen Mitteln der Moderne bis in die Auflösung – und Überführung, einer moralischen – mancher Modernen hinein, was einem keine Freunde macht und kein soziales Netz mächtiger Kumpel bereitet, sondern auf nichts als intensivsten Ausdruck bedacht und diesem Ausdruck verfallen und gegen manche Schlammwerferei selbst auch, und ungerechte, Batzen geworfen, untheoretisch, ohne Ideologie, die man teilte, wenn in den Anfängen zwar, der zweiten Sinfonie, Fernklangsanklänge der nachgelassenen Zehnten - Mahlers nämlich, in dessen Todesjahr er zur Welt kam - erinnerungsfern zu hören sind und immer wieder, bis zur späten Sechzehnten, die sogerühmten „Inseln” eines harmonischen Ausruhns wagnerscher unendlicher Melodien, eines Komponierens, hätte Nietzsche auch ihn gerügt, in Akkorden, viel mehr aber Geste, doch Gesten wie Themen behandelt mit einem schweren Akzent auf der Durchführung, ein ganz eigener Raum, der bei allem Vorwärtspreschen schmerzhaft nicht vom Fleck kommt, einem Kinde gleich, das wütend aufstampft mit dem Fuß, wieder und wieder, wie immer es ihm auch ums Ohr höhnt, und nach jeder Sinfonie nahm er den Strom wieder auf, den ewigen, der keinen Pragmatismus kennt, ein von seinem Tod erst unterbrochenes, ein abgebrochenes work in progress, wie des Paulus Böhmers Kaddish ist, eines ihm ähnlichen, indes noch lebenden Berserkers, bitter vor erlittenem Unrecht, aber eben nicht, wie wohlfeil selbst der einige Zeit lang begeisterte Manfred Trojahn dann meinte, der eine große Aufnahme der Sechsten des Mannes in die Welt gebracht hat, „des Selbstmitleids voll“, wie wenn zudem, wer so sehr mit Krankheit geschlagen, ein Selbstmitleid nicht haben dürfe, sondern man habe sich, je mehr gequält, um so weiser zu befrieden, als wäre das Leiden ein Makel, über das die Deckchen des Abstrakten zu hängen seien oder des Absurden, anstelle ihm strahlende Kraft ins Konkrete zu geben, in ein überindividuiertes aber, wie diese riesige Musik tut und wehrt nicht ab mit erklügelten Formen, sondern, der erschreckten Herkunft verpflichtet, dieser Armseligkeit unterm brutalen Zugriff eines saufenden Vaters, hält am Anblick des Kummers fest, der preisgegebenen Mutter, der es nicht zu helfen weiß, das Kind, wie auch den Elenden nicht all der Stockholmer andren aus den kalten und klammen Quartieren, nicht da und nicht später, und dennoch sieht es nicht weg, nicht das Kind, die Musik nicht und nicht der Mann, nein, er beruhigt sich nicht, aber träumt, manchmal, von einem Frieden, der sich dodekaphonisch nicht ausdrücken ließe, nicht der Geist über Wassern, darum ist die Klangwelt Schönbergs tabu, darum auch Webern und das Verstummen und sind es Leibowitzens Lehren, seines Lehrers in Paris, darum die seriellen Schulen, die sich ent-erden in der fleischlosen Vergötzung ihrer Mathematik und der gegenseitigen Zuschustereien von Auftrag und Preislied im selbstgewissen Wissen, was „progressiv” sei mitsamt der Denunziation des Gefühls als sentimental oder, wenn es noch schlimmer kommt, als Kitsch, doch ehrt man die Beatles ob ihres Erfolgs und um nicht den Zug zu verpassen, wenngleich er doch lange schon weg ist, und gesteht dem U, es genießend, zu, was man dem E versagt: genießen zu lassen, der kathartischen Umstände so peinsam eingedenk wie hart in der Haltung selbsternannter Eliten gegen die Hörer, die akzeptiert sind einzig als Jünger, nicht aber als Begeisterte, Beseelte, so daß er schon nicht unrecht hatte, als er die Neue Musik inhuman nannte, was seine Akzeptanz endgültig demontierte und den schwerkranken Mann weiter isolierte, ohne daß er doch zum Verstummen gebracht worden wäre, nur die Inseln der Ruhe gingen zunehmend unter, gegen die Deiche schlug das wütige Meer seiner Neunten, um dem Land das Geschenk einer Siebten wieder wegzuentreißen, deren himmlische Höhen schon daran gewesen, ihn erfahren zu lassen, was ihm, derart ungehört das Rufen, versagt blieb bis ans Ende, den wirklichen, den kanonisierenden Erfolg in der Liebe eines Publikums, das endlich weiß, wer er ist, und ihn rühmt wie am Ende Palestrinas diesen das Volk auf der Gasse, so daß er hätte melancholisch leise, doch friedlich zu einem Sohn, hätt er denn einen gehabt, sagen können: „So spring, mein Junge, freue dich” und „Spring dich wacker aus” - um wirklich einen Frieden zu machen mit sich und der Welt, als er hinüberging vor nunmehr einunddreißig Jahren: Gustav Allan Pettersson. Morgen, am Montag, wäre er einhundert Jahre alt geworden. Am 19. September 1911 in der schwedischen Församling Västra Ryd wurde er geboren, in Stockholms Ärmstenviertel Södermalm wuchs er auf und blieb er, bei den Armen, leben. Er hinterließ uns neben Liedern und ein wenig Kammermusik siebzehn Sinfonien, die ihres gleichen Klangs nicht eine einzge zweite haben, drei Streicher- und zwei Geigenkonzerte, sowie ein Konzert für die Bratsche, die sein eigenes Instrument gewesen, und aus der heraus, wie mitten aus dem Orchester, er seine Musik schrieb – nämlich nicht am Klavier. Nein, guter Dinge war er nicht und war kein letzter Stein an einem Deiner tausend Ringe, sondern er rang bis auf das Totenbett. Es wird Zeit, ihm posthum zu erstatten, was ihm verweigert worden ist: Achtung und Ergriffensein. Dies für das Werk. Und Liebe. Die für den Menschen ist in seiner Not. Zeit ist’s für irgend eines neuen Karajans, Bernsteins oder Kleibers exemplarischen Zyklus, um ihn aus der Provinz herauszuheben und seine Sinfonien den großen Podien unsrer Welt auf immer einzuschreiben.

Empfehlungen:
>>>> Allan Pettersson, Sinfonien Nr. 1 & 2, Norrköping SO, Christian Lindberg
>>>> Allan Pettersson, Violinkonzert Nr. 2, Ida Handel, Schwedisches RSO, Herbert Blomstedt
>>>> Allan Pettersson, Sinfonie Nr. 6, DSO Berlin, Manfred Trojahn


Der Beginn des Krausser-Hörstücks im Typoskript. Das ungebändigte Leben (12).


PROLOG 1

ANH
Der wilde Romancier oder Das ungebändigte Leben. Ein poetisches Hörstück zum Werk Helmut Kraussers.


Pause. Leersignal.

Broßmann
(leise und abwehrend:) Ich bin ein ruhiger Mann, in meinem Leben passiert eigentlich nichts.

Pause.
Sehr leise eingedimmt: Musik. (Manon, Akt IV)

ANH
Europa geht in die USA, um zu sterben.

Musik weg.

Chohan
Gewidmet der Manon Lescaut.

ANH
M e i n e Vorliebe. Ich meine: auf Puccini werden wir noch zu sprechen kommen.

PROLOG 2

O-Ton. (Atmo: Wind, Gebüsch)
Broßmann
Das Wollen tost, doch die Hand ist ein scheuendes Pferd, erregt und ungezähmt. Tausende Bilder und Bildchen schießen aus den Äckern, jedes möchte zuerst versorgt sein, jedes zieht andere Bilder nach sich, mein Gedächtnis hebt sich zu einer Flut, sucht mich zu überspülen. Ruhig, Pferdchen! Ruhig! Mit Sporen und Streicheln zwing ich‘s in sanften Trab – daß es mit mir gehe durch die Jahrzehnte eines Daseins, von Anbeginn bis heute. Mein fünffingriges Pferdchen – ich reite mit ihm durch die Länder der Erinnerung, durch Sumpf, Wald und Auen, will nirgends halten, alles fließt vorbei, von dort, das Pferdchen weiß es, komm ich her.1

Pause.

ENDE DER PROLOGE.

Atmo: (Berghain)

ANH
(grob:) Handeln wir mal ab - damit das erledigt ist: (kleiner rhetorischer Vorhalt:) Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen am Neckar. Deutscher Schriftsteller. Das Datum und der Ort seines Todes stehen noch aus.
_____________

1Krausser, Melodien 629


Niagara. (Was jetzt geblieben ist, zwei Jahre später).


Für ری.

wie eine schwangere Frau
die Füße ins Floß bohrt

wimmelt ein Tausendes Hände
das sich zum Himmel hinaufstreckt

gegen den donnernden Fall

Du für dich und ich für mich

Du lecktest den Fisch und den Tisch
in Percussion und Lightshow vergessen
Ein rasend geschleuderter Trotz
warf meinen Mut vor die ravende Masse

Morgens die Tasse, ein fahler Kaffee
Schlaf an den Zähnen taub wie Besteck
Taub ist der Teller
Taub dein Gesicht im Erwachen

Leck ist mein Auge
Stumpf ist dein Mund
Gekehrt vor die Tür und den Tag
blaß das Haar und leer im Ohr

den harten Song Groove Rap, der war

ANH über Eugen Ruge, In Zeiten des abnehmenden Lichts. Als Podcast.

WDR III.
>>>> D o r t.

Im Herzen der Zeit: Die Trolls und das Strafrecht. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (133 a).

Nachdem Henze und Kumpan:inn:e:n in Der Dschungel die Rote Karte programmiert bekommen haben, wird jetzt anderswo versucht, ihr, Der Dschungel, und ihrem Herausgeber zu schaden, diesmal unter >>>> des Turmseglers Litblog-Rezension. Das Bizarre daran ist, daß jener mit Benjamin Stein wie auch >>>> Gregor Keuschnig seit langem einen Dispens wegen der Behandlung von Trolls zu glimmen hat; der von ihm sehr geschätzte Keuschnig hat daraus die Konsequenz gezogen, sich an Der Dschungel nicht mehr zu beteiligen. Während also hier, was dem Herausgeber von Keuschnig wie Stein, sowie anderen, vorgeworfen wird, die Trolls - so gut es geht – akzeptiert werden, war der anderen Vorgehen gegen sie von Anfang an rigoros; es wurde und wird dort viel schneller gelöscht, als das hier jemals der Fall war. Denn Die Dschungel versuchte und versucht es immer weiter, aus dem Phänomen ästhetische Erkenntnis zu gewinnen. Dies hat aber genau dort seine Grenzen, wo nur noch diffamiert wird. >>>> „Henze“s suggestive Unterstellung, Die Dschungel schreibe, um „Traffic“ zu generieren, ihre Trolls sich selbst, läßt sich nun quasi nur noch dadurch aushebeln, daß sein, „Henze“s, Klarname recherchiert und dann rechtlich gegen ihn vorgangen wird; dann zeigte sich zwar schnell, wer n o c h an den entsprechenden Aktionen beteiligt ist, doch liefe das eben der eigentlich angestrebten Liberalität Der Dschungel zuwider und torpedierte damit ihr eigenes Konzept. Eben darum geht es den Angreifern auch. Ihnen ist der Grundskandal – abgesehen von den diffamierend-persönlichen Invektiven - die anonyme Kommentarfunktion, also daß hier nichtregistrierte, bzw. nichtmoderierte Kommentatoren zugelassen werden. Genau das soll nicht sein, und genau die wollen es verhindern, die Anonymität hier genießen. Sie genießen sie, u m sie auszuhebeln. Genau diejenigen, die lautstark nach der freien Meinung rufen, sind es, denen sie ein Dorn im Auge. Um sie auszuhebeln, macht man sich der absichtlich falschen Unterstellung schuldig, auch böswillige Nachrede stehe unter dem Schutz ihrer VerfassungsGarantien. So wird der Herausgeber Der Dschungel tatsächlich genötigt, aussperrende Schritte zu unternehmen, indem nicht nur die Attacken immer persönlicher werden, sondern vor allem wird zwar nachweisbar falsch argumentiert, doch für mit seinem Werk nicht, geschweige zufällige Leser kommen die betreffenden Kommentare schlüssig genug einher, um jede Gegenrede wie eine „Verteidigung“ des getroffenen Hundes wirken zu lassen. Insofern führen die Trolls leserpsychologisch einen Krieg, dessen Ziel eben die Denunziation ist, und zwar eine, die das öffentliche Ansehen des Denunzierten restlos demontieren soll. Da es sich im vorliegenden Fall nicht um einen öffentlichen Sympathieträger handelt, sondern er ausgewiesen Widerstand leistet, wird die Demontierung von nicht unmächtiger Seite durchaus begrüßt – ganz so, wie seinerzeit auch >>>> das Buchverbot öffentlich begrüßt worden ist, von dem nun zunehmend geahnt werden muß, es stünden die trollenden Vorgänge mit ihm in einem Zusammenhang. Das hätte insofern seine Logik, als die Gründung Der Dschungel eine Reaktion auf das Buchverbot gewesen ist, namentlich der gesamte, immer wieder in ihr bearbeitete Komplex des Verhältnisses von Allgemeinem und Privatem, Privatem und Literarisiertem. Nun würde, was in Der Dschungel an den Grenzen von Realität und Fiktion geschah und geschieht und dort auch bleiben wollte, konkrete Realität werden müssen – mit allen entsprechenden Folgen und vor allem einem abermals skandalhaften Unterstrich: der geführte Prozeß wäre notwendigerweise schmutzig – vor allem auch deshalb, weil, anders als in der Bildenden Kunst, das Private in der Literatur nach wie vor nicht als kunstwürdig, ja seine künstlerische Behandlung für anrüchig gilt – dabei bewußt außer Acht gelassen, w i e privat große Literatur immer schon gewesen ist, ob bei Nabokov oder Dante, bei Frisch oder Joyce oder bei Gerd-Peter Eigner. Die Beispiele sind Legion. Ob etwas rechtshängig wird, hängt heutzutage und nach hiesigem Recht allein noch davon ab, ob sich ein Kläger findet. Es gibt unterdessen Anwaltskanzleien, die nach solchen Klägern suchen; ein ganzer juristischer NeuErwerbszweig hat sich in den letzten zehn Jahren etabliert. Der Herausgeber Der Dschungel soll auf dessen verstimmter Klaviatur nun seinerseits zu spielen genötigt werden; und tut er‘s, wird auch dies ihm schaden. Doch ziehen sich die Schlaufen allmählich so eng, daß kaum anderes wird übrigbleiben. Ob deshalb allerdings das Projekt-an-sich und darin das Teilprojekt der anonymen Kommentare als gescheitert angesehen werden muß, ist durchaus noch dahingestellt. Denn auch hier agieren wir wieder im Herzen der Zeit.

>>>> Litblog 133 b (im Beitrag um 14.45 Uhr)
Litblog 132 <<<<

Das ungebändigte Leben (1). Pressetext des WDRs.



Das ungebändigte Leben ODER Der wilde Romancier.
Ein poetisches Hörstück zum Werk Helmut Kraussers.
Von Alban Nikolai Herbst.
Der 1964 geborene Helmut Krausser ist ganz sicher einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart und zugleich einer der am wenigsten bequemen. Schon früh mit seinem großen Roman „Melodien“ (1993) bekannt geworden, deuten Titel wie „Fette Welt“ (1992), „Thanatos“ (1997) und „Eros“ (2006) an, welchen Energien Kraussers Leidenschaften gelten. Er ist durchaus das Gegenteil des zurückgezogenen Autors. Zugleich Schachmeister und musikalisch hoch gebildet stört er den normierten Buchbetrieb so feurig wie intolerant immer wieder auf. Unterdessen hat er tatsächlich so etwas wie eine unerbittliche Fangemeinde.

Foto: dpa/Farin.
In einem durchkomponierten Spiel aus Zitaten, Interviews, Fiktionen und Musik entwirft Alban Nikolai Herbst ein Portrait Kraussers, worin Leben und Werk so miteinander verschmelzen, dass sich Krausser bereits selbst als eine literarische Figur ansehen ließe.

Donnerstag, der 1. Dezember 2011.
23.05 Uhr, >>>> WDR III.
Redaktion: Imke Wallefeld.

Von Phyllis Kiehl.


Die Fürsorge ist der Winterpelz der Liebe.
Tief.

Oh je, Schweinebraten. (Antwort auf Benjamin Stein: sich untereinander rezensieren.)

„... >>>> das da, um 15.45 Uhr unten, kann Ihnen, dem orthodox Koscheren, kaum angenehm gewesen sein. Immerhin kennt mein Schlachter den Bauern persönlich, so daß tiergerechte Haltung garantiert ist. In Sachen Ernährung bin sogar ich politisch korrekt.
Was aber die Besprechungen „untereinander“ angeht, seh ich das nicht nur pragmatisch. Es ist keine Hilfe zur Selbsthilfe. Sondern Th. Mann besprach Hesse, Goethe verriß Kleist, den Wieland wiederum lobte... will sagen: Kollegenbesprechungen haben eine sehr, sehr lange Tradition, die gute und eben nicht korrupte Gründe hat, jedenfalls nicht durchweg. Es weiß vielmehr der Romancier vertrauter über den Roman bescheid als irgend ein Journalist. Er kennt die Problemlagen besser und ist sich höchst genau bewußt, was eine Faktur ist. Bei Literaturjournalisten ist dagegen zu beobachten, daß sie oft schrecklich wenig von Formung verstehen und deshalb „plot“orientiert formulieren, wobei sie überdies solche Plots hochschätzen, die zeitlichen Moden entgegenkommen oder ihnen sogar hinterherrennen. Anders ist weder >>>> die Nobilitierung Rowlings in die Hochkultur, noch der feuilletonistische Hype auf Charlotte Roche auch nur irgendwie verständlich. Selbst die FAZ hat, und ausgerechnet >>>> durch eine Frau, das >>>> höchst fragwürdige Buch zur Kunst erhoben. Daß Journalisten objektiver urteilten als untereinander Kollegen, läßt sich also wirklich nicht sagen. Eher ist das Gegenteil der Fall.
Ich persönlich halte es deswegen so: Wenn mir ein Buch gefällt, dann bespreche ich es, egal, ob von einem Bekannten oder nicht. Sofern ich einen Auftrag habe. Doch nur bei Büchern, die ich s e h r gut finde, bemühe ich mich um Aufträge; da kann ich dann kämpfen, und es ist mir dann ebenfalls wurscht, ob ich mit dem Autor befreundet oder lose bekannt bin oder ob eben nicht. Wenn mir das Buch hingegen nicht gefällt, schreibe ich auch nicht. Natürlich tut den mir bekannten Autor:innen auch das weh, doch immerhin nicht öffentlich. Doch überhaupt schreibe ich Verrisse nur dann, wenn ich wirklich wütend bin.
Die eigentlichen, die „wahren“ Rezensionen sind (in philosophischem, bzw. mathematischem Sinn) Diskussionen - ganz so wie >>> die Ihre über meine Kleine Blogtheorie. Deshalb halte ich sie für ebenso ausgezeichnet wie >>>> Keuschnigs (mit dem ich mich gestern leider wieder zoffte, abermals >>>> wegen der Trolls). Sie beide argumentieren gut und durchsichtig – egal, ob ich selbst anderer Meinung bin und dies meinerseits auch begründen kann. Im Gegenteil: eben darauf kommt es an. Ist eine Rezension Anlaß zu einem Gespräch und fällt nicht bloß Urteile, die ihre Gründe nicht ausweisen, ist sie in jedem Fall seriös, auch dann, wenn man einander kennt. Daß einem Dritte dennoch übel nachreden, können wir nicht verhindern. Wir könnten es aber selbst dann nicht, schrieben wir nicht mehr übereinander. Sowieso verfehlt der Vorwurf gegenseitigen Händewaschens sein Ziel – vorausgesetzt, die Rezension i s t eine Diskussion -, weil man sich in diesem kleinen Betrieb auch mit „normalen“ Kritikern, sofern sie uns einmal wohlgesonnen waren und unsere Arbeit weiterschätzen, schnell anfreundet - ja solche Beziehungen sind oft viel enger als unter einander bekannten Kollegen, für die fast immer, naurgemäß geradezu, Konkurrenz eine Rolle spielt. Das betrifft auch s e h r befreundete Autoren. Ihre Verhältnisse sind selten ohne narzisstische Eintrübungen: der eine wird bekannt, der andere nicht, die eine verkauft besser als die andere usw., und zwar nahezu unabhängig von den Qualitätskriterien. Das belastet die Kollegen- und Freundschaften, ob wir das mögen oder nicht. Wenn wir uns dennoch mit Achtung voreinander rezensieren, dann ist das ein menschlicher Sieg. Außerdem meine ich, daß es wichtig ist, gegen die Tendenzen des normalen Literatur-Rezensionsbetriebs anzuschreiben, der mehr an Platzfragen, Betriebs- und also Machtpositionierungen hängt als an tatsächlich literarästhetischen Kriterien und nicht zuletzt auch von Anzeigen-Aufträgen abhängig ist. Dem können wir als genau einander Lesende mit einer anderen Form der Rezension begegnen, die, wenn es gutgeht, ihrerseits zu Kunst wird. Das wäre anzustreben. Jeder Einwand, dann, es sei ja bloß >>>> korrumpelt worden, würde von der Qualität der Arbeit schlichtweg zerpustet – also von der Ernsthaftigkeit dieser Arbeit.“

Leserbindung und neue Formen. Kleine Theorie des Literarischen Bloggens ( 134).


>>>> Als Kommentar im Begleitschreiben.


>>>> Litblog 135 ODER Roland Barthes
Liblog 133 a <<<<

Litblog 133b (um 15.45 Uhr im Link) <<<<

A l a. Das ungebändigte Leben (2).

Ala ist immer noch großartig. Damit beschäftigt, ihren Seidenhut festzuhalten und im Fahrtwind die beiden Schlaufen unter ihrem Kinn zusammenzubinden.
Ihre Aura besitzt das Myteriös-Gefährliche einer Tropenkrankheit, ihr Körper zeigt die Fragilität eines Schmetterlingsflügels, alles an ihr wirkt, als müßte es beschützt werden – doch auch, wals wäre insgeheim etwas Grausames in ihr.
Die Wahrnehmung der Männer in ihrer Umgebung mutiert zum Flatterhaften einer Handkamera, die zittrig um das Zentrum der Begierde schwankt, zum Atemlosen, das sich für jeden geordnet vorgetragenen Satz erst sammeln muß.
Sie zaubert einen fruchtigen Hauch in die Luft. Reife, selbst überreife Männer erinnern sich längst abgelegter Strategien der Betörung, werden geckenhaft eitel in dem Versuch, auf sich hinzuweisen. Alas Sex-Appeal, diese Mischung aus Kindchenschema, verschatteter Absinth-Melancholie und dem beinahe, eben nur beinahe kranken Eindruck der überlangen Arme und Beine, wird von ihr sehr bewußt eingesetzt, verstärkt durch die neue, Niedlichkeit hervorkehrende Frisur, die, wenn sie den Kopf schüttelt, lose um ihre Ohren schwingt und die Zartheit ihres zarten Schädels freigibt – kontrastierend dazu ihre hohen Wangenknochen, ihr breiter Mund, dessen Lippen sich oft schürzen und spitzen, als müßten sie mimisch jede Silbe, die sie spricht, illustrieren, aufgeregt, ja gescheucht, ruhelos, ein Gesicht, das auf jede Nuance ihrer Umgebung reagiert, ohne eine bestimmte Haltung zu verraten. Man will an ihr knabbern, so süß ist sie, und hat dabei das Gefühl, von ihrem Blick vorsichtig gekostet und schnell ausgespien zu werden, sobald nur eine Winzigkeit ihr widerstrebt.
Helmut Krausser, >>>> U C.


Das ungebändigte Leben (3): Sinnlos sterben.



Wir müssen davon ausgehen, daß viele Menschen sterben, ohne je auch nur Monteverdi verstanden zu haben, Dieser sinnlose Tod überall.
Hermannstein bei Helmut Krausser, >>>> UC, 450.

Was ich ergänze: ohne ihn je gehört zu haben. Was bitterer, nämlich tragisch ist.

Melancholia ODER von Triers schwüle Melancholie: Eine Schlachtung ohne Schlacht.


Καὶ συνήγαγεν αὐτοὺς εἰς τὸν τόπον
τὸν καλούμενον Ἑβραϊστὶ Ἁρμαγεδών.

Der Ort, an dem sich die Könige – zeitgenössische Millionäre – des Lars von Triers versammeln, sein >>>> Armageddon also, liegt vor einem restaurierten Schloß nahe dem Wald. Es erstreckt sich dort ein Golfplatz mit 18 Löchern. Zu sagen insofern, es gehe den hier Lebenden recht gut, ist eher euphemistisch. Man hat Pferde, mehrere sehr elegante Autos, einen Geländewagen selbstverständlich und sogar einen Cabby. Justine ist umschwärmte und hochdotierte Werbetexterin, ihre Schwester Claire mehr als nur begütert unter der Haube. So weit, so beliebig. Doch dann ist Antares zu sehen, vermeintlich, im Sternbild des Skorpions. Justine sieht ihn zuerst. „Daß du ihn mit bloßem Auge erkennen kannst!“ staunt ihr Schwager. Da weiß man noch nicht, daß der Erde Untergang begonnen hat. Der vermeintliche Antares ist nämlich der Weihnachtsstern, doch invertiert. Sehr bald schon - von wem, das ist nicht genannt – wird er als Melancholia benamt.
Das Sujet ist, von Raumschiff Orions >>>> „Planet außer Kurs“ bis >>>> Michael Bays „Armageddon“ aus dem Jahr 1998 gängig, fast banal. Nicht so, freilich, daß der Untergang gewollt wird. Nämlich ist Justine nicht mond-, sondern sozusagen antaressüchtig, wird es, unmittelbar, kaum daß sie Melancholia, da noch als Antares, erblickt. Der Todesplanet nimmt Besitz von ihrer allerdings bereits von der hochdepressiven Mutter ausgefüllten Seele. Was mit einem FrauImBild-Glück beginnt, der weißen Ziehharmonika-Limousine zur Hochzeit, schlägt unvermittelt in Destruktion um – eine Vordestruktion, die auf einer zweiten, unterlaufenden Ebene von dieser Mutter in Gang gebracht wird, als sie mit wenigen Bemerkungen die ganze riesige Hochzeit schmeißt. Es gibt noch mehr Indizien in dem Film, daß Ursache der schweren Depression, der Justine anheimfällt, durchaus nicht der vermeintliche Antares ist, sondern eine sei es genetische, sei es sozialisierte Disposition Justines (endogene, bzw. exogene Depression). Lars von Trier legt aber nahe, es sei Melancholia Auslöser und die Krankheit nicht Krankheit, sondern Hellsicht. Folgt man dem, dann werden die Menschheit und ihr Planet mit vollem Recht zerstört.
Das ist ungefähr die Fabel, die sowohl >>>> Johannes erzählt, als auch >>>> in der dortigen Diskussion unter dem Strich steht. Es ist das, was diesen Spielfilm offenbar wirken läßt. Liest man ihn hingegen, wozu ich nicht nur tendiere, als das Psychogramm einer Depressionskranken, gewinnt der Film erst an Größe; ansonsten ist er schlicht banal bis in die suggestiven Mittel, deren sich, oft bis zu meinem Überdruß, von Trier hier bedient. Den ich sonst schätze.
Das geht zum einen mit der Musik los, der sich die Wirkung des Filmes in allererster Linie verdankt. Von Trier legt das Vorspiel zum Dritten Aufzug Tristan & Isolde, und selbstverständlich nur auszugsweise und diesen Auszug minimalistisch permanent repetiert, unter seine Fabel – nämlich eben jenen Akkord Richard Wagners, der für Tristans Todessehnsucht steht – aber eines Todes, der die einzig ehrbare Lösung aus einem für die mittelalterliche Lehnsgesellschaft unauflösbaren Konflikt war. Das ist bei Wagner subjektive Objektivität und durchaus nicht für die ganze Welt gemeint, auch dann nicht, wenn Schopenhauer es grundierte, sein freilich buddhistisch geformter Pessimismus. Bei Lars von Trier wird der Tristanakkord, der nach 1859 die gesamte Musikgeschichte des Abendlandes umgeworfen und bestimmt hat, zum eigentlichen Handlungsträger; doch geht er mit ihm ebenso mißbräuchlich wie >>>> Visconti mit Gustav Mahlers Adagietto um, und ebenso schwül. Der Mißbrauch ist sogar noch größer, weil von Triers Film – auf seiner symbolischen Ebene, unter der Johannes‘ Offenbarung versteckt ist – nicht die schwere Melancholie eines alternden Schwulen erzählt, sondern etwas supponiert, das für die ganze Menschheit gerecht sei. Stellt man das infrage und wählt die psychiatrische Lesart, fällt der gesamte Symbolismus von Triers in sich zusammen, und man ist dann ein wenig geekelt besonders von der Schlußsentenz. Denn überhaupt ist zu fragen, den Drehbuchautor, der Regisseur zugleich ist, weshalb denn nicht nach den deutlichen und galoppierenden Zerfallserscheinungen Justines sofort ein Psychiater beigezogen wird. Justine wäre dann nämlich wenigstens medikamentös, wenn nicht sogar stationär behandelt worden. Dann aber wäre der Weltuntergang ausgeblieben, der uns als Strafe des Weltalls unterschoben wird: „Wir sind allein“, sagt Justine und meint die Menschheit, „Leben gibt es nur auf der Erde“ - was abermals testamentarisch gedacht ist, sozusagen ptolemäisch oder, um es ironisch auszudrücken, kosmologisch unaufgeklärt. Dieser voraufklärerische Zug durchzieht den gesamten übrigens nur dort wirklich schwermütigen Film, wo er sich auf die Typologie der Personen konzentriert. Seine Bilder sind hingegen ein Kitsch, den er durch Bildzitate von Breughel bis >>>> Magnolia aufzuwerten versucht. Sie lenken überdies, immer mit dem zum bloßen Gestus erniedrigten Tristan-Akkord, der die Übergänge verschmiert, von sonst allzu offensichtlichen Unglaubwürdigkeiten ab, etwa jener, daß der höchst präsente und agile Schwager, der seinen eigenen Zweifel am glückhaften Ausgang der Planetenbegegnung geradezu hyperaktiv kaschiert und nachher genau das ausgesprochen sinnvoll erklärt: „Es hat doch keinen Sinn, alle verrückt zu machen“ - daß dieser Mann, als ihm das Ende dann als unausweichlich bewußt wird, - daß er da die Todestabletten nimmt, die seine Frau für den Fall aller Fälle verwahrt hat, - daß er sie auf der Terrasse sitzen- und nicht nur das, sondern auch sein von ihm immer innigst betreutes Söhnchen mit der kommenden Katastrophe alleinläßt. Weshalb soll er den beiden zehn Stunden voraussterben wollen, dazu dann noch – das ist nichts als ärgerlichstes Schmierentheater – in einer Box bei den Pferden?
Weshalb? Na, damit von Trier ihn weghat. Nun kann er die Depression Justines auf die anderen ungehemmt übertragen, etwa auch auf den Jungen, den der Film in der Szene eines letzten Fluchtversuchs, nicht nur weiterhin schlafen läßt – die Mutter rennt, den doch schon schweren Achtjährigen immer im Arm, durch den Wald und durch plötzlichen Hagel (Offenbarung 16,21), aber wenn das Kind dann endlich erwacht, ist es nur noch apathisch: Apathie ist ein Merkmal schwerer Depressionen, wie auch Schlafsucht, die in von Triers Spielfilm ebenfalls, ich muß es sagen, abgehakt wird. „Abgehakt“ deshalb, weil es ihm, letztlich, um das Psychogramm einer Depressiven eben gar nicht zu tun ist, sondern Justine wird zu einer Seherin hochstilisiert, die Wahrheit schaue. Diese prophetische Schau wird freilich einzig mit einem so simplen wie suggestiven Trick des Drehbuchs, also rein des Plots, in den Zuschauer hineinmanipuliert: Justine alleine weiß, wie viele Bohnen in einer mit Bohnen drittels gefüllten Glasflasche sind; alle anderen, die rieten, lagen völlig daneben. Deshalb darf sie auch weiterhin, mit schwerem Ausdruck, sagen: „Die Erde ist schlecht“ - und also gebühre ihr der Untergang. Wenn wir uns vor Augen halten, wie viele Geschöpfe es gibt, dann hat die Unterstellung und ihr „Lösungs“vorschlag durchaus etwas Faschistoides, sofern man eben nicht die psychiatrische Lesart wählt, sondern sich von dem zu Schwulst arrangierten Wagner mitsamt den über die derart mißhandelte Musik projezierten Bildern einseifen läßt. Sogar ein Kinderopfer wird plötzlich gerecht. Wie unheilvoll solch ein Disponieren ist, wird unvermittelt jedem klar, der wirklich Kinderelend, und überhaupt Elend, sah. Nun wird auch deutlich, weshalb von Triers Film, wenn er funktionieren soll, das Milieu der Oberen Zehntausend wählt und ihm Bilder sei‘s der historischen Décadence, sei‘s eines übrigen Ästhetizismus zuschreibt und sowohl ein Protest, wie Aufstand überhaupt, geschweige Rebellion Kategorien gar nicht sein dürfen. Zunehmend, angesichts des vor dem Zuschauer ausgebreiteten Luxus‘, fragte ich mich: worunter leiden diese Menschen eigentlich? Darunter, daß Justines Werbechef ein Arschloch ist und sie sinnloser Arbeit nachgeht? Nun wohl, sie hat‘s ihm ja gezeigt, und trefflich – jetzt wäre konsequent weiterzuhandeln. Statt dessen wird sie depressiv. Gut, über die, wie gesagt, Mutter hergeleitet. Und die Vereinigung sucht sie, abermals Wagner-auf-billig, im kommenden Tod. Das scheut auch vor einer D.H.Lawrence (>>>> „Sun“, 1926) entnommenen, dort enorm lebensbejahenden, hier negativ herumgedrehten, nämlich auf passend gemachten, mit >>>> Millais kolorierten Szene nicht zurück, worin sich Justine nackt dem neuen Mond anbietet, also dem Tod; das Ophelia-Motiv taucht denn auch anderswo auf in dem Film. Hingegen die sonst sehr zupackende Schwester, die Millionärsgattin, zittert nur noch vor Angst – und wenn sie dann endlich, von ihrem suizidierten Mann zurückgelassen, in Haltung findet und den Weltuntergang angemessen begehen will, mit Champagner und Stolz ihm sozusagen ins Gesicht sehen, läßt sie sich das, anstelle die Schwester mal angemessen zu ohrfeigen, von ihr zerdepressieren. Und selbst da ist von Trier noch völlig unklar - möglicherweise mit Absicht, denn jetzt will er rühren. Nämlich deckt die melancholische Schwester dem kleinen Jungen den Abschiedstisch dann doch: eine „Zauberhöhle“, nur das Gestänge eines Tipis, worin sich die drei – der Bub und die zwei Schwestern – bei den Händen nehmen, um den gerechten Tod zu erwarten. „Schließe jetzt die Augen.“ Wir aber kriegen ihn zu sehen: kurz und, ja, schmerzlos, muß man sagen: denn man ist wirklich ganz erlöst. Nicht von der schlechten Welt, bewahre! Doch von dem schlechten Film. Wer ihn nun dennoch für ein Meisterstück hält, tut, was der Junge tat– die Augen schließen.


SAMHAIN. (Fünfter Versuch vom 5. November 2006).

nachts:

Besäße ich Glauben, eine Kerze
stellte ich in die Terrassentür.
Sie leuchtete euch durch die Schwärze
und durch die Scheibe mir.
Der-Engel-Ordnungen-2
frühmorgens:


Nun habt ihr eine leere Nacht
in meinem Horchen zugebracht.

[Geschrieben in der Villa Concordia Bamberg.
Erster Versuch <<<<.
Die letzte Fassung erschien 2008 >>>> d a rin.]


 



twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this page (summary)

xml version of this page (with comments)

powered by Antville powered by Helma

kostenloser Counter

blogoscoop Who links to my website? Backlinks to my website?

>>>> CCleaner