|
Manchmal lässt das Gedächtnis sehen, dass es der eigentliche Auslöser des Geschehens ist (als ob es sich vor & in seinem eigenen Geheimnis langweilen könnte). Das was wir für Gegenwart halten ist das vom Gedächtnis projizierte erinnerte Geschehen. Das Geschehen ist der Traum des Gedächtnisses. Das Geschehen selbst gibt es nicht, es findet nur in dieser Spiegelung statt.
Und doch scheint das Gedächtnis nur so zu tun als ob das so wäre.
(Die NIKON-Kamera, die auf dem Tisch vor mir liegt, hat sich leicht ironisch zur Seite geneigt.)
Das Schlimmste ist, dass ich so tun muss als ob ich das Alles von aussen und oben betrachten könnte. Aber wenn mich mein Gedächtnis dazu zwingt, es selbst als das zu sehen, als was es gesehen werden will – und ich das tue: wer bin dann ich?
findeiss - Mittwoch, 1. September 2010, 16:21- Rubrik:
Jane Jones: Alice&Dan, Dan&Anna, Anna&Larry, Alice&Dan, Alice&Larry, Anna&Dan, Anna&Larry...
Momentaufnahme : "Let me see you stripped down to the bone."
* Anna: "Ich küsse keine fremden Männer."
Dan: "Ich auch nicht."
* Anna: "Warum ist dir Sex so wichtig?"
Larry: "Weil ich ein scheiß Höhlenmensch bin!"
Am Ende läuft Sie gegen den Menschenstrom.
Schuhe: Airstep.
Die Passanten drehen sich um, schauen ihr hinterher.
Niemand ändert die Richtung : "...So zerissen wie Wehe weht´s..."
... nur der Zuschauer sieht Sie...
read An - Donnerstag, 2. September 2010, 14:42- Rubrik: KULTURTHEORIEderGESCHLECHTER
>>>> Dominik Riedo an ANH:Nun mal unter uns: >>>> Das von Ihnen angetönte Problem von Arkadien scheint mir das Problem fast aller seiner übrigen Arbeiten zu sein. Es gibt zum Beispiel Gedichte, die sind nun wirklich nur im Kontext einigermassen zu ertragen, oft nicht mal so (etwa: Aufbruch zur Schlacht). Das vom Inhalt her.
Was die Qualität betrifft: Es gibt zwei weitere Romane von WvN, auf die ich natürlich sehr gespannt war (sie liegen in Marbach, wo ich den gesamten Nachlass gesichtet habe, etwa 80 Archivschachteln). Aber, oh weh, oh weh: Wie kann jemand NACH dem Blauen Kammerherr noch so etwas Schlechtes schreiben wie „Barbadoro”; >>>> es gibt das Ding in einer zur Novelle umgearbeiteten Fassung als ebenfalls postume Veröffentlichung. Und die Kinder der Finsternis sind dann wieder gut. Man versteht es nicht. (Ich versuche es dann in der Bio einigermassen zu fassen.)
Ich bin auch auf Stellen getroffen, wo Niebelschütz der Kriegspropaganda wohl auf den Leim gegangen ist (im Sinne von: Nein, oh nein, alles, bloss die Russen nicht. Abendland, oh Abendland, was machst Du bloss, wenn die Russen kommen...!). Was sich mit seiner traditionell konservativen Haltung trifft. Er ist ja wohl nur gegen die Nationalsozialisten gewesen wie das auch Jünger etwa war: weil er selbst viel traditioneller dachte und sie ihm von der nicht geförderten "geistigen" Bildung her missbehagten. Auch die Theaterstücke sind - mit einer Ausnahme - kaum richtig gut.
Summa summarum: Ausser den beiden bekannten grossen Werken könnte man ihn höchstens mit einem klug ausgesuchten Essay-Band noch unter die Grossen rechnen. Vielleicht mach ich das mal. Wert sind es seine beiden Gross-Werke ja auf jeden Fall. (Kennen Sie >>>> Ruth Schori Bondeli: „Der postmoderne Kammerherr”? Da natürlich auch die These wieder... ist von 2005.)
Korrespondenz - Donnerstag, 2. September 2010, 12:46- Rubrik: Korrespondenzen
Ich las im Blog von Melusine...
read An - Dienstag, 7. September 2010, 14:55- Rubrik: Gedichte
in den schuhen der hexe des westens:
hab sie mitgenommen am wegrand,
wie sie unter dem haus herausragten,
ich konnte nicht widerstehen.
sie tanzen
und tanzen,
und tanzen
durch die nacht.
mir schwindelt von tausend dingen,
von einem unscheinbaren leuchten.
ich sehe den weißen glanz des badewannenrandes,
rituelle variationen im täglichen taufbecken.
ich wasche mein haar in öligen farben,
hingeschmiert in übersteigerten gesten,
übermalt von einer ecke in die andere,
-keratin der materia prima-,
ein federkleid wie aus dem ei gepellt,
zum schutz für dich nackte frau,
ausgebrütet aus der hitze des feuers.
ich suche ein nest,
einen ort, an dem ich mich verstecken kann,
unfähig zur flucht vor dem bocksfüßigen satyr.
schütze mich vor dem, was ich will,
spiel die sätze gegeneinander aus,
dringend und phallisch...
absolute windstille in den leerstellen der häuser,
ohne die bewegung grüner skulpturen.
da draußen sind sie,
ruchlos verstreut durch die straßen
und schneisen der wälder.
bambis mutter ist tot!
-heul nicht,
regenschirme sind auch spazierstöcke mit hut,
schutzdächer deiner gedanken!
ein hund hat mir in die wade gebissen.
ich tropfe salzwasser in die wunde und versuche mich an einen traum zu erinnern…
read An - Dienstag, 14. September 2010, 15:24- Rubrik: Gedichte
>>>> „Anteilnahme und Trauer” hat sie für >>>> Peter Grosz nicht gehabt. Da mochte der, was er getan, früher als jeder andere öffentlich erklärt haben und für die junge deutschsprachige Literatur >>>> befördert, was immer er nur konnte. Nein, der sollte zertreten werden. Nun tritt derselbe Fuß, ihr eigener, ihr ausgezeichnetes Werk. Auch das ist, und jetzt muß man trauern, weil wir die Tragik begreifen, ein Werk der Schädigung – jenes, zu dem auch die Verletzten greifen, unbewußt, weil von den Schmerzen verführt. So spiegeln sie ihre Verletzer.
Dem Werk Pastiors nimmt >>>> die Enthüllung nichts. Verstünden wir doch endlich die Ambivalenz und wären milde mit der Ohnmacht derer, die Angst haben und für die Angst den Grund.

albannikolaiherbst - Freitag, 17. September 2010, 16:56- Rubrik: NOTATE
Michel Krügers Einleitung„Erwähne mich bitte nie in Der Dschungel” - wir standen rauchend mit >>>> Michel Krüger auf der Freitreppe zum >>>> Künstlerhaus Sophienstraße beisammen; Krüger etwas abseits, da Franka G. und ich so in persönlichem Gespräch begriffen - „nein, auch nicht als F.. Weißt du, ich erinnere mich: vor Jahren, als Gustavson diesen Eheroman herausbrachte, von dem ich ihm noch abgeraten hatte, denn wenn jemand leidet, dann sieht er nicht klar... also damals hat er selbstverständlich auch mich mitverwurstet... alles ganz anonym, ich war einfach nur F.. Doch ein Jahr später kommt ein Patient in meine Praxis, sieht mich nur, geht zwei Schritte zurück und sagt mißtrauisch: ‚Sie sind doch F., Frau G?’ Du siehst, sogar Patienten lesen. Nein wirklich, Alban: keine Erwähnung. Dein Dschungel ist ein gefährliches Besteck.” Weshalb sie Besteck sagte, erklär ich mir aus ihrer bezahnten Profession. In der Tat finde ich heute morgen >>>> meinen Text zur Eröffnung des ilbs unter den allerersten Google-Links. Manch einer wird so Die Dschungel nie wieder los, woraus sich dann vielleicht d o c h erklärt, weshalb >>>> BettyB - meine Stellvertreter-Figur für viele andere, die wirklich sind - so unbedingt anonym bleiben will. Denn manchmal, da hat die Betty recht, n u t z e ich die Dschungelmacht. Zum Beispiel nämlich jetzt:
Spät nachts kam ich >>>> aus Hannover zurück. Jan Volker Röhnert zwar bot mir an, allerdings zögerlich, mit ihm das Hotelzimmer zu teilen („Bei mir stehn eh zwei Betten drin”), doch s o nah sind wir einander nicht; das wußten wir beide. Außerdem war und ist er keine Frau: bei denen stört mich Fremdheit nicht. Im Gegenteil. „Fremdheit macht Erektion”, heißt es in >>>> MEERE; das gilt für Frauen genauso, nur halt mit einem anderen Effekt, wenn auch einem, der aufs selbe hinauswill. Kurz, ich fuhr denn nachts wieder heim. Da hatte ich einen Gedichtband gekauft, spontan, ich konnte nicht anders, nämlich Michael Lentzens 100 Liebesgedichte, >>>> bei S. Fischer unter dem Titel „Offene Unruh” erschienen. Michael Braun hat zu ihnen leidenschaftlich geschrieben, was gestern abend >>>> Martin Rector vortrug, weil Braun krankheitshalber verhindert war. Ich hätte mir gewünscht, daß Michel Krüger, der über Jan Wagner vortrug, die Vorstellung Michael Lentzens übernommen hätte. So nun geriet Lentz in schlechte Gesellschaft. Denn der Kotau, mit dem sich Rector zuvor Petersdorffs betriebsbe-, ja -durchgetriebenen Produkten zu Füßen geworfen hatte, war schlichtweg ekelerregend gewesen – zumal er darauf enormen rhetorischen Nachdruck verwandte, wiewohl doch allenfalls ein Erstaunen sein kann, daß ein Mann mit einer solchen intellektuellen Karriere solche schlechten Verse verfaßt. Tatsächlich meidet Petersdorff in seinen „Gedichten” nicht eine einzige Banalität, ja er gefällt sich und, schlimmer, suhlt uns darin: das gilt für die Formen wie den Inhalt. Wo es hingeht, fleddert er in den letzten Knochen Gernhardts herum, der auch schon lyrisch ein, wenn auch ungewollt, Scharlatan war. Geht es, wie nahezu immer, schlecht, ist Petersdorff kaum mehr als eine Mary Roos der Alltagsgedingse. Das desavouiert die Formen, derer er sich bedient – immer auf das schnellstgefundene Reimwort gehüpft. Zwar ist dies nicht ohne Kunsthandwerk, denn das ist freilich recht toll, wenn selbst die Glätte klappert. „Ein Replikant”, dachte ich aber, „meine Güte: So schreiben Replikanten Gedichte.” Wo wahres Gefühl wäre zu erwarten, Betroffenheit, jaja: sagen Sie nur „sentimental” - das heißt doch nicht, das Engagement sei sentimental auch in Worte zu fassen... - kurz: wo L e b e n ein Gedicht beseelte, wirkt durch Petersdorffs Verse nichts als Mainstream-Prothetik. Gebrauchsgedichte sind das im besten Fall, die aber, durch Kleist(!!)- und Liliencron-Preise, zu Hölderlin hinaufgemetzt worden sind von einem Betrieb, der sich hierin schamloser offenbarte denn je. Unter der plastifizierten Oberfläche schaut Tiefe nicht mal mehr durch. Hier werden gestiegene Brötchenpreise zu Weltschmerz ohne Schmerz, ja Schmerz selber, ganz wie die Liebe, zum Produkt der affirmativsten Melancholie. Die setzt, ganz klar, auf den Ulk. Wäre ich gutwillig, ich spräche von Abwehr, Reaktionsbildung nämlich: das Lachen, auf das Petersdorff so ganz erfolgreich abzielt, hat das Niveau eines ins Feinsinnige nobilitierten Schenkelklatschens. Dabei geht der Mann völlig nackt. Neben mir und um mich herum zuckten die, die es wußten. Aber sie schwiegen. Die anderen lachten, wie zu erwarten, denn was des Affen ist, das frißt er. Alleine ich - Leser, ich konnte nicht anders - rief ein „Furchtbar!” in den Applaus.
So war diese Lesung nicht nur eine Maulschelle ins Gesicht Paulus Böhmers - Rector hatte nämlich gar noch „empfohlen”, an Petersdorff den nächsten Hölty-Preis zu vergeben -, sondern eine Beleidigung der drei anderen Autoren, die das Vorprogramm zur Preisverleihung bestritten: eine Verletzung der sanften, melodiösen Gedichte Jan Wagners, der stillen, ausgesprochen formstrengen, bisweilen schwebenden Gedichte Marion Poschmanns und - daß der sich nicht wehrte! - der radikalen und doch gefährdeten Sprache der „100 Liebesgedichte” von Michael Lentz. Sie waren meine Entdeckung des gestrigen Abends. Sie überfuhren mich, sie machten mich nervös, sie schossen durch mich hindurch. Lentz weiß um die Öffnung, der er sich aussetzt, jede Zeile ist von einem Schmerz, der andere nachtreten läßt, wenn wer schon fiel. Daher die aggressive, dabei virtuose Vortragsform. Sie ist nicht jedermanns Sache, ganz sicher. Sie fällt einen an. Da hat einer, spürt man, den Sprengsatz bereits um den Bauch. Das interpretiert die Gedichte: schützt sie nämlich. Wie groß, abermals nämlich, dann nämlich mein Erstaunen, als ich sie nachts, auf der Rückfahrt im Zug, alleine für mich las. Welch eine Traurigkeit. Welch eine Verlassenheit. Welch Unglück, das immer noch liebt. Welche Ehrlichkeit dabei, unkorrumpierbar auch durch sich selbst. Leser, kaufen Sie sich >>>> diesen Band. Tragen Sie diese Gedichte immer bei sich. Wie ich fortan. am ende des ganges die tür
du stehst gegen die wand und wartest
auf wen? durch die tür musst du selbst
geh aufrichtig wende den blick nicht ab
deine schritte seien sicher und ruhig
hast du die tür erreicht öffne sie
dann endlich sage folgende worte: ich liebe dich
merkst du dass es keinen boden gibt?
und der gang nimmt kein ende*
Dann aber Paulus Böhmer.
Damen und Herren: ein Größter.
„Du hast ja keine Ahnung, welch einer Kraft es bedurfte, die Leute überhaupt zum Lesen zu bringen.” Ich schreib nicht, wer das gesagt hat: Solche, die die Abläufe kennen, ahnen es ohnedies, und die sie ahnen, kennen es. Da saß dann der Dichter, grau unterdessen das Haar, fast weiß sogar, vorn in der Reihe, dieser schwergewordene, wuchtige Mann, dessen Lebenswerk - „es ist mir peinlich, wenn jemand von ‚Werk’ spricht”, sagte er später; ich zuckte zusammen - doch aber j a: Lebens w e r k in der deutschen Lyrik seinesgleichen nicht einmal sucht, es wäre vergeblich - saß dieser Einsame wuchtig da, der über Jahrzehnte den Steinkoloß rauf- und immer weiter raufgewuchtet hat - denn Sisyphos' Elend besteht ja nicht darin, daß der Stein immer wieder zurückrollt, sondern der Hang nimmt kein Ende: der Berg kennt keinen Gipfel; - … saß da und war fremd. Stieg fremd auf die Bühne, verlegen und fremd, reichte dem Sparkassenleiter die Hand, dem Oberbürgermeister, und wir spürten: Fremdheit, Fremdheit, Fremdheit. Seltsam: denn aber beglückt. Beglückte Fremdheit. Das war ihm vielleicht das peinlichste, daß er so glücklich war, und er floh mit >>>> Heusch ins Gedicht – in einen jener unendlichen Kaddishs, von denen >>>> Jan Volker Röhnert, der die kluge Laudatio sprach, nicht zu Unrecht meint, sie seien das Zentrum dieser Dichtung und überschrieben den Tod mit dem Leben, „zumindest für den Zeitraum des Lesens”. Röhnert nannte auch die Bezugsgröße: Homer. Bereits Benjamin habe gefragt, wann denn die Moderne ihre Dichtung des Kataloges bekomme. Nun sei sie, drei Jahrzehnte lang von der literarischen Öffentlichkeit nahezu unbeachtet, entstanden. Denn in der Tat, Böhmer zählt auf, das Nahste, das Fernste, den Geist und den Leib, die Mikroben, den Stoffwechsel: nichts ist profan; alles, seltsam!, wird heilig. Man muß das hören, wie das geht. Wie das konzertiert wird, wie das im Tanz dreht, wie die Verzweiflungen schreien, aber die Zartheiten legen sich drüber, das Zarte-an-sich, das nicht lügt. Wie Inseln der allerkleinsten Traurigkeiten entstehen, aber der Küsse auch, und wie sich wieder die ganze Welt darüberwälzt, Liedhaftes drin, das schon verklingt, wenn es anklingt, und nur bisweilen ein Reim hält es im Gedächtnis. Aber diese Reime sind oft falsch, falsch indes aus Nähe, falsch, um nicht zu lügen, nicht vor die Hunde zu werfen, die Schweine, die in die Perlen nicht fahren sollen. Im Wechselsang trugen die beiden das vor, der Dichter und der Sprecher, dieser ein Tenor, jener im Baß. Ach, wie muß Böhmer gelitten haben gestern abend, als ihm zu Ehren, dem die sogenannte klassische Musik ein Greuel ist, zwei Vertonungen von Hölty-Gedichten schlecht gesungen wurden, peinlich, dieses Outrieren der Sängerin, die ich nicht nenne, peinlich dieses hehre Gesichtsverziehen einer ältlich gewordenen Höheren Tochter, dieses Bedeutungsgeschnulze, peinlich besonders auch mir, der ich die sogenannte klassische Musik so sehr liebe, daß man dieses Fanny-Hensel-Zeug ausgerechnet diesem Dichter vorgesetzt. Daß er nicht platzte! Daß er nicht höhnte! Daß er nicht wütend den Saal verließ! Hat sich denn keiner darum geschert, w a s wohl des Böhmers Musik sei? M u ß denn der bürgerliche Musenbegehr derart amusisch sich in die Brüste werfen, noch immer? Schon peinlich sowieso, einen auf große Säle getrimmten Sopran, der zumal unsauber an den Tonrändern ist, in einen Kleinkinoraum hineinzutölen. Welch eine Brutalität!
Die wirkliche Musik sangen Böhmer und Heusch. Das, von dem Abend, wird uns, die dabeiwaren, bleiben. Ighino ruft: „Nun sollst du wieder leben - wieder lachen - / Du bist so still - sag, freust du dich denn nicht?” Und Palestrina antwortet: „Doch, doch, mein Kind - nur, sieh - / Ich freu mich nicht so laut.” Und er schickt den Bub auf die feiernden Straßen.
 

albannikolaiherbst - Freitag, 17. September 2010, 14:00- Rubrik: VERANSTALTUNGEN
Zwischen der Métrostation und der Gare fand ich ein Internetcafé, worin ich meine Post erledigte. Vor allem mußte Prunier kontaktet werden, da der Zeitpunkt unseres Treffens zwar stand, noch aber nicht - nicht mehr - der Ort. Ich schrieb ihm also, ich riefe ihn an, sowie ich ihn wisse. Dann fiel mir auf, welch ein Unfug das war, daß ich hier schrieb. Ich hatte doch noch immer die SIM-Card des Gräfin. Wieso hatte ich sie nicht zu den Schlüsseln auf den Küchentisch gelegt? Mir war nicht einmal der Gedanke gekommen. Weshalb ich, für mich ganz unpassend schuldhaft, die schon nächste Mail formulierte, worin ich mich bei dem Gräfin entschuldigte: er bekomme die Card übermorgen, am Montag, zurück; es sei denn, schrieb ich, daß er mir die Auszeit für meine Geliebte nicht verüble und mich, wenn ich wieder allein sei, in seine Dienste zurücknehme. Mit war nicht wohl, als ich das schrieb. Aber ich wollte nicht unhöflich wirken. Von der Nacht mit Jenny schwieg ich. Sie geht ihn auch nichts an, dachte ich. Aber ich spürte, daß ich mich irrte. Freilich hätte er mir, um einen zweiten solchen Vorfall zu verhindern, einen anderen Chauffeur zuteilen können. Doch selbst das war nicht wahr, spürte ich. Jedenfalls hätte ich mich für dieses Wochenende umentschieden. Daß ich es vorausgeplant hatte, darüber schrieb ich ebenfalls nicht. Falls er nun aber zu ärgerlich sei, möge er mir eine Adresse schicken: dort schickte ich die SIM-Card dann hin. Mit dem Ausdruck meiner tiefsten Ergebenheit usw.: Ihr ANH
Der Brief war eine einzige Eierei. Imgrunde versuchte ich, auch vor mir selbst, zu verschleiern, welch eine Panik mich bei dem Abendessen im Tour d’argent erfaßt hatte und daß ich eigentlich versuchte, mich aus der ganzen Sache wieder herauszuziehen. Es ging hier um etwas nicht Geheures, der „Roman” war nichts als ein Vorwand. Ich sollte in etwas eingesponnen werden, in das sogar die Nacht mit Jenny plötzlich paßte: als wäre sie ein Kalkül der gräflichen Planung gewesen. Erstreckte sich Jennys Aufgabenkreis auf eine solche „Dienstleistung” auch? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Dennoch, als ich auf Senden klickte, war mir schon weniger unwohl. Nur der Löwin war noch Rede zu stehen.
Ich zahlte und begab mich zur Gare.
>>>> Les secrets de Paris 13
Les secrets de Paris 11 <<<<

albannikolaiherbst - Samstag, 25. September 2010, 08:13- Rubrik: Texte
Und später der vergessene Abgang in einem ganz anderen Arrondissement, der riesige Metallrost dort, durch den man in die Tiefe sah, ohne daß wir ihren Grund erkennen konnten. Schließlich Minh Chau, das, behauptete Jenny, „kleinste Lokal von Paris”. Zu Nachmittag aßen wir dort frische, in einen transparenten Teig aus Reis involtierte Frühlingsrollen. Mit solchem Genuß biß Jenny hinein! ich konnte gar nicht anders, als zu denken: sinnlich i s t sie ja. Wahrscheinlich stellte sich da schon die Weiche. In der Tat fassen sich die Dinger wie ein ziemlich großer, allerdings schlaffer Männerschwanz an; die verdicken Adernstränge unter der Haut werden von der eingerollten Minze gegeben, als Drüsen fungieren die rötlichen Leiber von Krabben.
Schließlich noch, alldies an einem einzigen Tag, besuchten wir eine niedrige Kapelle, die einen gedrungenen und so niedrigen Turm hatte, daß ich den Eindruck eines stumpfen, weil geschleiften Bergfrieds hatte. Der Turm war mit dem eigentlichen Gebäude auch gar nicht verbunden. Wenn es stimmt, daß Kirchentürme den Blick über das irdische Dasein erheben sollen, blieb dieser auf das wuchtigste mit der Erde verbunden, ja auf sie gepreßt
Die Kapelle ließ sich nur durch den Keller betreten. Vor ihr war in eine schräge, nicht sehr hohe Rampe eine Tür eingefügt, die aus zwei Klappen bestand, welche man zur Seite je umlegen mußte. Versperrt war sie mit einer von einem Sicherheitsschloß zusammengehaltenen Eisenkette. Jenny hatte den Schlüssel bei sich. Ein Gang führte mit Stufen hinab, gleich links gab es einen Lichtschalter. Wir folgten den seitlich angebrachten Neonröhren, deren Licht nicht deshalb so funzlig war, weil es flackerte, sondern es lagen fette Staubschlieren auf den Glaskörpern.
Der Weg führte drei Meter nach unten, dann kamen zehn horizontale Meter und der Aufgang. Jetzt die Tür, aus einem unangenehm ergrauten, ja vergilbten Holz, war nicht verschlossen. Daß sie nicht quietschte, als Jenny sie aufzog! Nein, sie glitt um die Angeln wie durch Öl. So traten wir ein.
Die Kapelle bestand aus einem einzigen, ziemlich hohen Schiff. Es war aber nicht, daß sie quasi leer war, daß es weder einen Altar gab noch Bänke. Die Wände waren völlig nackt, nur hier und da ließen sich Reste farbiger Fresken erkennen, die auf glatte, überm Rohputz erhabene Reliquien eines vergangenen Steins gemalt worden waren. Sondern was mich sprachlos machte, was mich erschreckte, was mich schwindelig machte, ja mir wurde fast übel, das war -: daß es riesige Fensterflächen gab, die sich viel höher hinaufstreckten, als man von außen sehen, als man von außen nur ahnen konnte. Aber all dieses Glas war blind. Wäre nicht von draußen ein ebenso graues Licht durch sie gefallen, wie es im Gang die Neonfunzeln aussendeten, ich hätte glauben müssen, man habe die Fenster vermauert. Allerdings war anzunehmen, daß man sie auf der Tagesseite zugeklebt hatte, vielleicht um ihnen eine letzte, aber doch sterbende Stabilität zu verleihen. Es konnte sein, daß die Scheiben so tief in den romanischen Bögen lagen, daß sich das von draußen nicht sehen ließ. Da nahm Jenny meine Hand.
„Eigentlich”, sagte sie, als sie meine Blicke gewahrte, „ist alles anders. Das leuchtet alles vor Farbe. Das Licht ist ein Wasser, ein Meer.”
Ich war so bedrückt, daß mir ihr schwärmerischer Ton nicht nur nicht auffiel; er paßte gar nicht zu ihr. Sondern erst drei Tage später begriff ich. Es war nicht an Jenny, sondern Melusine Barbys, meiner Leserin, Teil, daß das geschah.
>>>> Les secrets de Paris 14
Les secrets de Paris 12 <<<< 
albannikolaiherbst - Sonntag, 26. September 2010, 07:47- Rubrik: Texte
albannikolaiherbst - Mittwoch, 29. September 2010, 18:27- Rubrik: LexikonDerPoetik
Die Algerierin stand schon im Gang, wie wenn sie mich erwartet hätte.
„Du lait?” fragte sie und lachte. Immer noch hatte sie diese gräßlichen Schuhe an. Man konnte sie keimfrei nennen. Strümpfe trug die Algerierin nicht.
„Volontiers. Mais seulement, si vous allez pieds nus.”
Sie stutzte keinen Moment, sah mich auf eine halb ironische, halb schelmische Weise herausfordernd an. Dann streifte sie, ohne sich zu bücken, ihre Schuhe ab, nämlich indem sie je die Ferse zur Hand hob, wobei sie mich ohne Unterlaß ansah. Sie trug keine Strümpfe. Die Schuhe bumsten hohl auf den Läufer.
„Mieux ainsi?”
Und bückte sich, nein, ging kurz in die Hocke, nahm ihre beiden Schuhe auf, streckte sich wieder, öffnete eines der Fenster, die den Zimmertüren gegenüber den schmalen Gang hinaufspalieren.
„Est-ce que je dois?” Damit warf sie die Schuhe hinaus, lachte auf und rief, wobei sie unvermittelt davonlief: „Point de vue ici!”
Da war ich sprachlos. Aber das war noch nicht alles. Keine fünf Minuten später war die junge Frau zurück. Auf dem Tablettchen reichte sie mir die heiße Milch, die aus der silberblitzenen Kanne dampfte, und lächelte. Die Beine waren bis übers Knie vom Kleid bespielt, die schmalen Unterschenkel des Geschöpfs aus Bronze. Es hatte wunderschöne Füße. Ihre Zimmermädchenschürze hatte die Algerierin unten abgestreift und dortgelassen. Ich weiß aber nicht eigentlich, was ich mit „unten” meine.
Wie sie heiße, fragte ich endlich.
„Raffaela.”
Lachte abermals keck. Flog durch das Fenster davon.
Ich stehe da, das Tablett in der Hand, die Blechkanne mit der dampfenden Milch darauf. Geschäumte Milch und ein Engel. Durchs offene Fenster hörte man Kinder und den Verkehr.
Erst allmählich machte ich kehrt. Es warn nur zweidrei Schritte ins Zimmer. Doch ich war wie betäubt. Auf den Dielen lag eine Löwinnenhelix aus Nylons und Slip. Die Geliebte war wieder eingeschlafen. Ich werde ihr dennoch den Kaffee bereiten. Dann aber Ihnen schreiben,
WAS AM FREITAG ABEND GESCHAH
>>>> Les secrets de Paris 15
Les secrets de Paris 13 <<<< 
albannikolaiherbst - Donnerstag, 30. September 2010, 17:58- Rubrik: Texte
|
|
Für Adrian Ranjit Singh v. Ribbentrop,
meinen Sohn.
Herbst & Deters Fiktionäre:
Achtung Archive!
DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT wird im Rahmen eines Projektes der Universität Innsbruck beforscht und über >>>> DILIMAG, sowie durch das >>>> deutsche literatur archiv Marbach archiviert und der Öffentlichkeit auch andernorts zugänglich gemacht. Mitschreiber Der Dschungel erklären, indem sie sie mitschreiben, ihr Einverständnis.
Kontakt ANH:
fiktionaere AT gmx DOT de
E R E I G N I S S E :
# IN DER DINGLICHEN REALITÄT:
Mittwoch, den 5. April 2017
Bremen
Studie in Erdbraun
Mit Artur Becker und ANH
Moderation: Jutta Sauer
>>>> Buchhandlung Leuwer
Am Wall 171
D-28195 Bremen
19 Uhr
Sonnabend, 23. September 2017
Beethovenfest Bonn
Uraufführung
Robert HP Platz
VIERTES STREICHQUARTETT
mit zwei Gedichten von Alban Nikolai Herbst
>>>> Beethovenhaus Bonn
Bonngasse 24-26
D-53111 Bonn
16 Uhr
NEUES
Bruno Lampe - 2017/03/29 19:48
III, 280 - Bei Äskulap
Gegen zwei löste ich mich kurzentschlossen vom Schreibtisch. Es war nichts mehr abzuliefern. Aber die ... Die in einem ...
... Deckenlabyrinth sich mäandernde Inschrift...
Bruno Lampe - 2017/03/28 21:42
Vielhard, Leichtgaard:
albannikolaiherbst - 2017/03/28 07:53
Bruno Lampe - 2017/03/27 20:43
III, 279 - Oder auch nicht
Kühler Nordwind. Die Sicht ging bis zu Sant’Angelo Romano weit unten im Latium. Jedenfalls vermute ich ... Bruno Lampe - 2017/03/24 19:55
III, 278 - Einäugigkeiten und Niemande
Ein Auge fiel heraus, abends beim Zähneputzen. Es machte ‘klack’, und der Zyklop sah nur noch verschwommen. ... Danke, gesondert, an...
bei der sich in diesem Fall von einer "Übersetzerin"...
albannikolaiherbst - 2017/03/24 08:48
albannikolaiherbst - 2017/03/24 08:28
Schönheit. (Gefunden eine Zaubernacht). ...
Es juckt sie unter der Haut. Es juckt bis in die
Knochen. Nur, wie kratzt man seine Knochen?
Sein ... Bruno Lampe - 2017/03/22 19:39
III, 277 - Die Hühner picken
Irgendwas ist schiefgelaufen seit dem 9. März. Man könnte es so formulieren: die Verweigerung der Worte ... ich hör' ein heer...
ich hör’ ein heer anstürmen gegens...
parallalie - 2017/03/21 06:51
Ich höre berittene...
Ich höre berittene Landsknecht sich ballen vorm...
albannikolaiherbst - 2017/03/21 06:18
albannikolaiherbst - 2017/03/21 06:12
James Joyce, Chamber Music. In neuen ...
XXXVI.I hear an army charging upon the land,
And the thunder of horses plunging, foam about their knees: ... den ganzen tag lärmen...
den ganzen tag lärmen die wasser
ächzen schon
trist...
parallalie - 2017/03/18 09:55
Den ganzen Tag hör...
Den ganzen Tag hör ich des brandenden Meeres
Klagenden.. .
albannikolaiherbst - 2017/03/18 08:23
JPC

DIE DSCHUNGEL.ANDERSWELT ist seit 4675 Tagen online.
Zuletzt aktualisiert am 2017/04/01 07:33
IMPRESSUM
Die Dschungel. Anderswelt
Das literarische Weblog
Seit 2003/2004
Redaktion:
Herbst & Deters Fiktionäre
Dunckerstraße 68, Q3
10437 Berlin
ViSdP: Alban Nikolai Herbst
HAFTUNGSAUSSCHLUSS
Der Autor diese Weblogs erklärt hiermit
ausdrücklich, dass zum Zeitpunkt der Linksetzung keine illegalen
Inhalte auf den zu verlinkenden Seiten erkennbar waren. Auf die aktuelle
und zukünftige Gestaltung, die Inhalte oder die Urheberschaft
der gelinkten/verknüpften Seiten hat der Autor keinerlei Einfluss.
Deshalb distanziert er sich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten
aller gelinkten /verknüpften Seiten, die nach der Linksetzung
verändert wurden. Diese Feststellung gilt für alle innerhalb
des eigenen Internetangebotes gesetzten Links und Verweise sowie für
Fremdeinträge in vom Autor eingerichteten Gästebüchern,
Diskussionsforen und Mailinglisten, insbesondere für Fremdeinträge
innerhalb dieses Weblogs. Für illegale, fehlerhafte oder unvollständige Inhalte und insbesondere für Schäden, die aus der Nutzung oder Nichtnutzung solcherart dargebotener Informationen entstehen,
haftet allein der Anbieter der Seite, auf welche verwiesen wurde,
nicht derjenige, der über Links auf die jeweilige Veröffentlichung
lediglich verweist.
|