25.07.17

Die machtvolle Magie des rotgeränderten Blicks

Ereignislos und ereignisreich sind für einen Autor sehr wandelbare Begriffe. Sie hören sich außerdem sehr ähnlich an, wenn sie auch vermeintlich unterschiedliche Zustände beschreiben. Bei dem einen tut sich nicht viel, bei dem anderen schon, möchte man vermuten. Wenn man den ganzen Tag tippend auf einem Stuhl verbringt, und dabei unbewegt in das flimmernde Kästchen vor sich stiert, dann wird das am besten durch das Wort mit dem -los am Schluss beschrieben. So zumindest in der Theorie. Ich habe mich heute seit frühmorgens nicht von hier wegbewegt – eine kurze Rekapitulation: einen Lottobetrug aufgedeckt, einen Schicksalsrat betrogen, bis zum Hals im Schnee versunken und trotz Schummelversuchs bei einer wichtigen Universitätsprüfung durchgerasselt, inklusive Predigt über studentische Ethik – vom Professor gehalten, der sich dadurch schamlos betrogen fühlt. Man sieht also, obwohl eigentlich nur meine Finger über die Tastatur marschiert sind, habe ich viel erlebt und viel gesehen. War er also doch ereignisreich, mein Tag? Wenn ich meine Webcam mitlaufen ließe, die mich dabei aufzeichnet, wie ich ihr stets bloß mit starrem, rotgerändertem Blick entgegenblinzle, dann könnte man das sicher als Beweis dagegen anführen. Sehr widersprüchliches Material, das ich hier aufliste. Von einem der sich bewegt, obwohl in der handfeste Beweis fest an einem Ort verankert. Es sei denn, in Geschichten steckt eine machtvolle Form der Magie. Binden Sie mich fest. Beobachten Sie mich ohne Unterlass. Sie können sich sicher sein, dass ich trotzdem an Plätze reise, an die Sie kein Flugzeug, kein Boot und keine Rakete dieser Welt bringen kann. Magie ist gleich Wille mal Vorstellung minus Zweifel. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren. Oder auch auf ein Blatt Papier. Beginnen Sie am besten Ihre eigene Geschichte damit.

Kommentare:

  1. Oh, das innere Reich ist stets ereignisreich. Ein Inland Empire wie es phantastischer nicht sein kann. In dem alles aufgehoben ist (so doppeldeutig wie das Wort aufgehoben es meint), seien es physikalische Phänomene oder einfach alles, was mich an- und mit mir rumwest. Es tummelt, es fleucht. Ins Dunkle. Ins Licht. Es überwindet Zeit und Strecke. Es stellt sich vor, wird ansichtig, erhält durch uns und wie wir es sehen und wahrnehmen ein Antlitz:

    Eure Hoheit, vor den heutigen Toren bitten um Einlass: Hirschfalter, Zebraraupen, Nebelstilzchen, Druidenkäfer, Urangsirenen und Rehmänner …

    Es fordert das Gastrecht, was fordert. Und was fordert, das will.

    Daher glaube ich, dass das sich in seinem Wesen uns Zeigende zuerst in uns einen Ort sucht / braucht, um dann in die unsrige vermeintlich "äußere" Welt zu ziehen. Phantastische Infektionen sind das. Wir sind Pforten und Pförtner zugleich. Es ist immer besser anfällig zu sein als versiegelt. Das betrachtet sogar den Tod, nimmt ihn mit ins Leben hinein. Die Radieschen von unten küssen, ist eine im Bild schöne Redewendung, die auch sehr dem Leben zuspricht.

    Wir müssen ganz unbedingt spinnen.

    Orte

    Es gibt einen Zwischenraum, getragen von 8 Spinnenbeinen. Er bewegt sich hinter Zeitlupen. Zu langsam für ein menschliches Auge ihn zu erfassen. Zu schnell der Raum, in den es gewohnt ist zu blicken. Begehbar nur durch einen Steg, an dem er zu bestimmten Zeiten steht und ruht. Dann ist er sichtbar. Zwei nebeneinanderliegende Türen hat er, von gleicher Größe und Art. Beide sind sie weiß, mit einer blauen Raute in einer blauen Ellipse darauf. Sein Inneres ist rosig und warm. Kleine Spinnen sitzen auf den feuchten weiten Gewebswandungen, die, sich hinstreckend zu einer langen Passage, zeitüberwindend in die Welt zu allen Orten führen, die ich mir in Gedanken vorstelle. Städte, Wüsten, Berge, Seen, Wälder. Orte, die hinter immer neuen Spinnennetzen entstehen. Netzen, die den umschließen, der durch sie hindurchgeht. Feiner als ein Taucheranzug, angereichert mit einem stundenausbreitenden Sauerstoff. Es ist ein Raum, verloren im Hier. Zeit, die ich ablege, wenn ich ihn, durch die rechte Tür tretend, verlasse. Weil ich muss. Um mich wieder schlafen zu legen. Nahe meines Netzes. Hinter dem sich im Wind die Welt abspult.

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  2. Du solltest das mal machen, die Webcam dabei laufen lassen und dich dann durch einen Zeitraffer geben.

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  3. Ich habe zu Zeiten meines transzendentalen Substanzengebrauchs viele Videostunden von mir beim Durchschreiten vom kleinen in den großen Raum gesammelt, und alle so entstandenen Dokumente danach gewissenhaft wieder gelöscht. Mitunter sehr erschreckende Aufnahmen, obwohl sich dabei eigentlich die meiste Zeit nicht viel tut, ist mitunter tatsächlich die Hölle los.

    "Weil ich muss. Um mich wieder schlafen zu legen. Nahe meines Netzes. Hinter dem sich im Wind die Welt abspult."...sehr schön!

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  4. Respektable Session, die du da mit dir hingelegt hast. Das muss Eine / Einer erst einmal aushalten können, sich in Zuständen zu beobachten, für die man doch eher die Türe hinter sich schließt und dafür sorgt, dass einem kein ungebetener Besuch ins Haus kommt, vermutlich ...

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  5. Die Beobachtung ist die Mutter der Kunst, man kann nur über Dinge schreiben, die man erfahren hat. Und wer viel liest erfährt schon früh, dass es für alles mehrere Seiten gibt, die es zu beobachten gilt, um sich ein umfassendes Bild schafffen zu können..

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    1. Jawoll! Genau das! Und nichts als die wabernde Wahrheit.

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