Überstürztes Denken
„Jeder, der schreibt oder künstlerisch aktiv ist, weiß, dass die Produktion zuletzt blind ist. Man bewegt sich in Richtung dessen, was man nicht kennt. Das gilt auch für die Philosophie: dass sie ihr Wissen überschreiten muss, um die Inkonsistenz ihrer Wissensbestände zu erfahren und dieser Erfahrung eine Form oder Sprache zu geben. Das Subjekt der Kunst und der Philosophie ist Subjekt einer Selbstüberstürzung und Hals-über-Kopf-Dynamik, die es über sich hinaus beschleunigen lässt. Wohin? Dorthin, wo es noch nicht war.“ – Marcus Steinweg
Der Philosoph Marcus Steinweg, von dem unlängst bei merve das Buch „Philosophie der Überstürzung“ erschienen ist, lebt und arbeitet in Berlin und hat auf der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin eine neue Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Überstürztes Denken“ etabliert.
Am Dienstag, den 10.12. sind dort um 20 Uhr deufert&plischke zu Gast und stellen ihre choreografische Arbeit unter dem Titel „Vom Spinnen“ vor: Arachne die Spinnerin. Sie ist die erste Bilderstürmerin, denn sie macht ihre Kunst zur Waffe. Sie ist Realistin, sie zeigt nichts durch ihre Kunst, aber sie entblößt, sie spinnt. Wirkliche KünstlerInnen spinnen. Die hegemoniale Macht (Athene) zeigt ihr wahres Gesicht, demonstriert nicht nur Macht, sondern zeigt vor allem deren Missbrauch. Spinnen heißt, diesem Missbrauch Fallen zu stellen, Blickfallen. Damit Öffnungen entstehen können für wirkliche Erfahrungen. Öffnungen stricken, Löcher mit Löchern zu verbinden, Textur, Text. Arachnophobie ist die Angst vor der Spinne, die Angst vor der Textur, die Angst vor dem Text.
Der Januar-Termin dann gehört der Philosophie und dem Initiator Marcus Steinweg selbst: am 14.01. stellt er seine „Philosophie der Überstürzung vor“:
Zum Denken gehört Selbstbeschleunigung und Präzision. Das gilt für jedes Denken: das Risiko einzugehen, ebenso präzise wie kopflos zu sein. Es gibt keine Wissenschaft, keinen Tanz, keine Politik, keine Kunst, keine Musik, keine Ökonomie – um nur sechs Denkformen zu nennen – jenseits des Wagnisses, übertrieben und exakt zu sein! Die Wissenschaft übertreibt sich auf die Grenze des Wißbaren. Im Tanz skandiert das Subjekt seinen Kontakt zum Boden, der brüchiger Grund seines Weltaufenthalts bleibt. Um mehr als entpolitisierte Administration zu sein, muss die Politik Ideen riskieren, die sie an die Grenze ihrer Handlungsfähigkeit führen. Kunst öffnet sich der Dimension der Nicht-Kunst, um Kunst statt Ästhetik zu sein. In der Musik rührt das Subjekt an die jeden Laut durchziehende Stille. Die Wahrheit der Ökonomie ist ihre Tendenz ins Anökonomische. In allen Fällen geht es darum, die Kompossibilität von Präzision und Exzess zu artikulieren.
Konkordanzen – Notiz zum Körper – Die Schönheit Antigones – Was ist Kritik? – Notiz zur Blindheit – Subjekt der Geste – Wittgensteins Tier – Infinitesimalphilosophie – Was ist ein Diagramm? – Museum als Exzess – Was ist ein Objekt? – Das maritime Subjekt – Notiz zur Bühne – Was ist Spekulation?
Steinweg zum Thema PHILOSOPHIE DER ÜBERSTÜRZUNG: "Es gibt Philosophie nur als Überstürzung, als Hals-über-Kopf-Dynamik und Selbstbeschleunigung des denkenden Subjekts. Statt sich in etablierten Gewissheiten einzuschließen, um sich der Stabilität der instituierten Realitäten zu versichern, ist das Subjekt der Philosophie ein Selbstbeschleunigungssubjekt, das sich der elementaren Inkonsistenz der Tatsachenwelt öffnet, um in dieser Öffnung seine eigene Inkonsistenz zu erfahren, die elementare Unruhe (das ontologische Fieber), die es in Atem hält. Philosophie ist atemlose Selbstüberstürzung auf die Inkonsistenz aller Realitäten hin."
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