„Gewäsch und Gewimmel“
Man spaziert durch diesen Roman wie durch das Gewimmel einer Fußgängerzone. Manche Menschen sieht man öfter, an manche wird man sich kaum erinnern. So auch Elsas Lieblingspatientin Luise Wäns, die verliebt ist in Hans Scheffer, den Leiter eines Renaturierungsprojekts. Sie wünscht sich sehnlichst, mit ihm noch einmal in die Kindheit abzutauchen, ein kleines Arkadien zu schaffen gegen eine angeblich erwachsene Welt. Eine Welt, die großartig oder furchtbar ist wie die täglichen Nachrichten, die einen aber ständig überfordert.
Und dennoch trotzen die Figuren dem Alltag stets aufs neue Bedeutung und Sinn ab. Auch in ihrem neuen Roman erfüllt die große Erzählerin Brigitte Kronauer unser unsterbliches Bedürfnis nach Geschichten und Anekdoten, nach Ernst und Komik.
Brigitte Kronauer: Gewäsch und Gewimmel. Roman. Klett-Cotta.
„Am Schluss der Erzählung steht dann tatsächlich ein Flügelaltar von lebhaftester, ja grandioser Anschaulichkeit, kein Jüngstes Gericht, kein Wimmelbild von Hieronymus Bosch, wie man meinen könnte (obwohl auch auf den "Garten der Lüste" angespielt wird), sondern, ganz weihnachtlich, die Geburt Christi und das Engelskonzert des Isenheimer Altars und der Sog des "höchsten Lichtes", der alle Geschöpfe erfasst. …
Kronauer liebt die biblische Dreizahl und das runde Dutzend, das sie dann als dreizehnte Fee aber auch wieder sprengt. Ihre Sprache schwelgt in der Marotte, da sind die "butterguten Rinder" und die "bitterernsten Arbeits- und Weltmenschen", die Landschaft neben der Autobahn wirkt "verblödet", Wien ist die "hundsbeliebte Habsburgerstadt", und der geschichtenmüde Lover tituliert seine Elsa als "schrullige Bettgenossin".
Es ist eine rhetorische Literatur, eine, die ihre imposanten Mittel ständig ausstellt. Als Enthusiastin des Rufzeichens hält Kronauer stets Zwiesprache mit dem Leser. In ihren Wortprunk, auch in das Feierliche und Feierselige, das an Martin Walser erinnert, schleicht sich etwas Putziges ein, eine fröhliche Abgebrühtheit und tantenhafte Obergescheitheit, die das menschliche Treiben zum Insektengewimmel degradiert. Wenn das Zurechtfinden in "Gewäsch und Gewimmel" doch einige Mühe kostet, dann liegt es an der erzwungenen Distanz zu den Figuren.“ Daniela Strigls kritische Rezension gestern in der WELT
"Die Beliebigkeit, das, was ich das Skizzierte oder Schraffierte genannt habe, ist nicht das Ergebnis mangelnden Könnens oder fehlender Überzeugung, sondern, im Gegenteil, eleganter Meisterschaft und einer ganz bestimmten Überzeugung: Dass das Wesentliche im zunächst vollkommen Irrelevanten steckt und durch eine an dieser Irrelevanz geschulte Ästhetik hervorgelockt werden muss. Alles schwebt irgendwo in der völligen Beliebigkeit, doch dann... erhebt sich der Kinderschänder im Kindergarten! Nein, eben nicht: Die Beliebigkeit wird ernstgenommen und dadurch nicht nur zum zufälligen Anfang, sondern wirklich zum archimedischen Punkt, aus dem der Roman und die Welt gehoben wird. Denn Kronauer stellt sich mit ganzem Gewicht auf diesen Punkt, weicht kein Stück weit von ihm ab, lässt sich nie und auf keiner Ebene aus der Beliebigkeit drängen, und liefert so ein Porträt der Beliebigkeit selbst und im Porträt eine fragmentarische, zufällige eben, Darstellung der Welt. Das ist das einzig Zwingende hier, dass sich die Autorin nicht in den unrealistischen Anspruch "zwingender" literarischer Auswürfe zwingen lässt. Die Beliebigkeit des Beschreibens und Betrachtens der Welt wurde selten so klug und schön vor Augen geführt." Samuel Meister auf seinem Blog larmoyanz.
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