Hugo war kein Dummer
Victor Hugo - Schrei in der Nacht
„Victor Hugo ist surrealistisch, wenn er nicht dumm ist.“ So steht es in André Bretons erstem „Manifest des Surrealismus“ von 1924. Das ist zwar etwas herablassend formuliert, doch immerhin: Victor Hugo war schließlich kein Autor, der sich ohne weiteres als Patenfigur der Avantgarde anbot. Er war der Dichter, dessen Begräbnis 1885 zwei Millionen Menschen auf die Pariser Straßen gebracht hatte, der in den Schulbüchern der Republik zu lesen war, die ihm auch die Ehren des Pantheons hatte zuteil werden lassen. Der Kontrast zu den angestammten Heiligenfiguren der Surrealisten, den fast Vergessenen und früh Verstorbenen, konnte größer kaum sein.
Und doch war für Breton und einige seiner Mitstreiter auch klar, dass vor allem der späte Hugo in das Schema des einerseits kanonisierten, andererseits von der akademischen Kritik gern gemaßregelten Nationaldichters nicht passte. Die poetische Naturgewalt, die Hugo verkörperte, schoss über solche Einhegungen hinaus. Ob in schwingenden Versen oder bildhaft wuchtender Prosa – bei ihm wurde das Visionäre und Traumhafte, das den Surrealisten am Herzen lag, nicht bloß beschworen, sondern lebendig zelebriert.“ berichtet Helmut Mayer in der FAZ.
Eine Ausstellung im Maison Hugo in Paris zeigt jetzt die Korrespondenzen von Victor Hugo mit den Surrealisten, nicht nur anhand eigener malerischer Arbeiten des Autors , Blätter auf denen er Spitzenborten als Abdrücke einbaute oder mit Kaffee,Tinte und Kohlestift surreale Landschaften erzeugte.
„Ein besonderes Auge hat der Romantiker Hugo natürlich für »die himmlische Groteske«, die »Grimassen der Wolken«, denn auch hier herrscht »l'informe«, die Nichtform, also das »Informel«, die Ungestalt: »Nirgend ein korrekter Kontur. Groß, jawohl; rein niemals.« Aber »die ganze Natur ist so beschaffen. Alles wirft seinen Widerschein, nach oben ins Vollkommene, nach unten ins Häßliche und Plumpe«. Denn alles ähnelt sich, alles reimt sich, wie später Wols sagen wird. »Die disparatesten Dinge präsentieren sich mir als Verwandte in seltsamer Harmonie, ich weiß nicht, warum«, schreibt Hugo, und so ist es nur natürlich, wenn er sich auch als ein Meister im »Hineinsehen« zeigt. …
Es sind gegen 600 Arbeiten erhalten, davon rund fünfzig rein abstrakte. Es sind Arbeiten darunter, für die er neue, damals schlechterdings unverständliche Techniken erfunden hatte (weshalb sie natürlich auch nicht ernst genommen werden konnten). Hugo benutzte – wir würden gerne sagen als erster, aber wie leicht kann uns ein künftiger ›Fund‹ widerlegen – die Collagetechnik, er malte mit Kaffee, er machte willkürlich Risse in das Papier, er arbeitete mit absichtlich zerbrochenen Federn. Er nutzte das zufällige Fließen der Aquarellfarbe voll aus. An starken Farbkontrasten war er dabei weniger interessiert als an einer tonigen, gestuften Monochromie … „ Otto Stelzer in: Die Vorgeschichte der Abstrakten Kunst, München 1964
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