Selbsterhöhung & Sühne
am Montag, 16.12.2013, um 17.15 Uhr, findet wieder eine öffentliche Kempowski-Vorlesung im Peter Weiss Haus in Rostock statt. Der Literaturwissenschaftler Kai Sina spricht zum Thema "Gott im Weltall irgendwo - Walter Kempowskis Kunstreligion".
Auf ihm laste ein »verordnetes Lebenswerk«, diesen Satz notiert Walter Kempowski in sein Tagebuch. Er bezieht sich mit diesen bekenntnishaften Worten auf den ungeheuerlichen Anspruch, der sein schriftstellerisches Selbstverständnis seit jeher und grundlegend bestimmt - der Anspruch nämlich, mit dem aus Romanen, Tagebüchern und monumentalen historischen Textcollagen zusammengesetzten Werk die historische Schuld der Deutschen im Nationalsozialismus zu tragen. Diese vom Debütroman »Im Block« (1969) bis in den posthum erschienenen Gedichtband »Langmut« (2009) beharrlich aufrechterhaltene Überzeugung Kempowskis geht einher mit der umfassenden und anhaltenden Überformung seiner Autorschaft, seiner Poetik und nicht zuletzt seines literarischen Werks im Modus moderner Kunstreligion: Durch sein »Opferleben« vollbringt der Autor ein »Sühnewerk«, verbunden mit der Selbsterhöhung zum christusartigen »Vertreter«. Eine bei Wallstein erschienene literaturwissenschaftliche Studie von Kai Sina zeichnet dieses kunstreligiöse Konzept - einschließlich seiner ironischen Brechungen - in seiner fast vierzigjährigen Entwicklung nach.
Im Gespräch mit Prof. Dr. Lutz Hagestedt (Universität Rostock) soll der Frage nachgegangen werden, welche Strategien und welche Werkpolitik der gebürtige Rostocker Kempowski entwickelte, um seinem Anspruch gerecht zu werden.
„Ein schöner Traum: Ich sah ein Buch, zerstörte Städte, auch Rostock, gezeichnet. Die ausgebombten Häuser, weiß. Ich finde unser Haus. Da haben wir gewohnt. Es ist noch heil.“ (20. 6. 1966)
Der gebürtige Rostocker Walter Kempowski (1929–2007) hat seiner Heimatstadt ein einmaliges Zeugnis hinterlassen. Die Deutsche Chronik und das Tagebuchwerk, darunter „Hamit“ (2006). Mit tatkräftiger Unterstützung des Ehepaars Schippmann baute er das Kempowski-Archiv in einem ehemaligen „Professorenhäuschen“ der Universität auf; er wurde 1994 Ehrenbürger der Hansestadt, erhielt 2002 die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät und 2003 schließlich eine Honorar-Professur unserer Alma Mater. 2009 wurde das Kempowski-Ufer am Stadthafen eingeweiht.
„Für sie bin ich natürlich ein Schwein“, schreibt der Autor in seinem Tagebuch, und meint alle jene, die glauben, daß er in seiner Jugend, zu Beginn des Kalten Krieges, für die Amerikaner spioniert und damit sich und seine eigene Mutter ins Gefängnis gebracht habe. Acht Jahre Zuchthaus Bautzen waren die Folge, und in der DDR durften seine Bücher nicht erscheinen: nicht sein Haftbericht „Im Block“ (1969), nicht seine „Deutsche Chronik“ (1971 − 1984), nicht seine Hörspiele, Lesebücher, Fibeln.
Wie steht die Stadt Rostock heute zu ihrem großen Sohn? Wie erlebten ihn Zeitzeugen und wie lesen Zeitgenossen seine Bücher? Was bedeutet uns sein Werk heute, und wie wurde es in der ’alten‛ Bundesrepublik aufgenommen?
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