31.07.17

Klimatisierte Melange

Es ist heute so schwül, dass sich wieder alle bemüßigt fühlen, durch die Gegend zu schreien, um ihre hitzigen Gemüter zu kühlen. „Wo bist Du?“, ist dabei die Frage der Wahl. „Ich bin genau hier, verdammt nochmal. Wo soll ich schon sein?“ Der Bus rauschte klimatisiert durch die Gegend und ich fühlte mich veranlasst, wildfremden Leuten auf meinem Weg zum Nachmittagskaffee freundschaftlich zuzuwinken. Ich war Tourist in der eigenen Stadt. Bestaunte die vorbeigleitenden Häuserzüge in der flimmernden Luft und musterte interessiert die architektonischen Schnörkel der Jugendstilhäuser entlang des Wienkanals. Normalerweise schlendere ich diesen Weg zu Fuß und denke über meine Geschichten nach, aber der Hund und ich bewegen uns momentan lieber mit Air-Conditioner fort.

Überall riecht es heute nach Palmwedel und Kokosöl. Eine klebrige Melange die selbst mir offensichtlich aus allen Poren trieft, obwohl ich mich eigentlich nicht damit identifizieren kann. Was soll´s. Über die Hitze jammern ist mitten im Sommer obsolet. Da gibt es diesbezüglich ohnedies nur eine gangbare Richtung: Augen zu und durch.

Ich widme mich heute dem entzügelten Cover für Alberas „Rote Bastarde“, das ich in meiner Art zuerst an die Leine legen musste, um es anständig striegeln zu können. Später darf es ohnedies frei auf der Wiese laufen, wie es ihm gefällt. Ich dichte dem König in Gelb eine Liebesaffäre an. Ich denke über den Teufel nach. Wie er sich wohl gäbe, wenn er bereits in Frühpension wäre und auf seinem Altenwohnsitz einen neuen Nachbar zu malträtieren bekäme. Wäre er einsam? Lädt er den Neuzugang daher vielleicht sogar zu Kuchen und Kaffee, um ihm freudig von vergangenen Zeiten und seiner verblassten Größe erzählen zu können?

Ein Busfahrtheorem, mittags notiert, nicht weiter darüber nachgedacht: Unbekannterweise kann man für andere Menschen eine Frage, oder die Antwort sein. Aber niemals beides zugleich.

Nymphenbad 26

Die Bibliothek ist in den nächsten Tagen zu trennen, was muss unbedingt in das Arbeitsumfeld "Venusberg", dem ich der Tannhäuser sein werde, anderes kann in Keselground als "Rückgriff-Bibliothek" verbleiben. Von den Schreibmaschinen nehme ich nur die Olympia SG mit, auf der ich dann die "Sandsteinburg" zurechtzimmere. Ich habe durchaus versucht, mit dem angeblich bequemeren Laptop zu arbeiten, aber es gelingt mir nicht, weil es ganz im Gegenteil viel umständlicher ist und zum Schluss für mich auch überhaupt nicht funktioniert. Die abervielen Zettel, die über die letzten zehn Jahre zusammengetragen wurden, sind natürlich ebenfalls neu zu sortieren.

Wo sie früher stand: Keselground
Da pure sweetness einen Schreibtisch anschleppen wird, hört dann auch das Tischeruckeln auf, sobald man ordentlich anschlägt. Die Finger benötigen alle Härte des Widerstands, der Buckel des Schreibgebäudes darf nicht ächzen, nicht bitten, nicht murren. Widerstand ist hier nicht sinnlos.
Ausstehende Bücher: Carlos Fuentes - Chac Mool, Martin Walser - Ehen in Philippsburg, Walter Berg - Grenz-Zeichen Cortázar, Fanny Esterhazy - Arno Schmid, eine Bildbiographie (wobei Letzteres wohl neben Zettels Traum das schwerste Objekt meiner Sammlung werden dürfte).

Unter Huf & Egge

Alle Gewässer fallen zusammen und alle Städte fallen zusammen, am Strom, am großen Knoten, Zeitenkelch; der Brunnen gibt und nimmt das Wasser. Die Tropfen in den Kelchen, Pfannen, Augen, sie kochen hoch und regnen davon. Ich suche dich und finde mich, ich brenne aller Feuer mit. Willst du mich wiedersehen, dann reise in das Gestern Zug um Zug, nur langsam mit den Stunden. Erschüttert von den Jahren, die nicht wiederkehren, die neu geträumte Erde jeder Nacht, die heißen Rätsel ihrer Mitte. Als ich die Schatten sehe, spreche ich sie an: »Was tut ihr dort im Morgenrot?«
»Wir ernten«, sagen sie. »Wie weit willst du noch wandern?«
Die tausend Wege haben tausend Köpfe, nichts habe ich für mich getan. Ich will den Blick nach innen wagen, wie viele das schon vor mir taten, wie so viele, die sich ins Feld gesetzt und san­gen für den Mais. Die große Schlange ist Ernährer und fordert ihre Opfer ein. Wenn der Sänger das Symbol erforscht, wird er hinter den Verstand geführt, hinter die Spiegel und Pfützen.
»Hier erschaffen wir neues Ackerland«, sagen sie. »Unsere Erde ist unter Huf und Egge.«

30.07.17

Eos

Gestern Abend mit meinem Artikel für die IF-Horrorausgabe fertig geworden. Jetziger Zeichenstand ohne Rotmarker: 24653. Ich freue mich, sie irgendwann in den Händen zu halten. Erlebe das als eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit von Vielen. Wobei ich vor Tobias Reckermann meinen Hut ziehen muss, der, neben eigenen Beiträgen, das Ganze setzt, lektoriert.

Heute Kokkos Kamera eingeweiht, die sie uns vermacht hat. In Schale geworfen und rein in die Brennnesseln. Autorenbilder von dir erstellt. Zuvor aber noch Bilder von dir beim Frühstück gemacht, auf denen du so herzlich lachst. Mit Schokocreme im Mundwinkel. Die lege ich ganz gern neben deine Autorenbilder. :) Da lacht die Koralle. Danach dann Bilder von mir geschossen. Eines für Tobias. Restliche waren Spielereien wie diese:


Gerade eben lange mit dir über die Menschen, die wir geprägt haben, die uns geprägt haben, gesprochen, und wie uns das verändert hat. Wie wir einmal waren und wie wir heute sind.

Krimskrams in der Einöde

Ich habe heute von dem Zaun geträumt, den ich als Kind immer streichen musste. Das ausgetrocknete, harte Wildgras stand mir dabei bis zur Brust, und ich wurde den ganzen Tag von Bremsenbissen geplagt, die wie verrückt auf den Schweiß flogen, den es mir aus allen Poren trieb. Es war ein Horror. Jeden Juni bis 1990 wurde ich am Samstag vormittag in die Einöde gefahren, mit nichts als einem Kübel Farbe und mehreren Pinseln ausgerüstet, und erst am Nachmittag wieder geholt. Je nachdem, wieviel ich geschafft hatte, wurde ich für meinen Einsatz gelobt oder wegen meiner Faulenzerei gescholten. Aber meistens fielen wohlwollende Worte. Ich setzte auch wirklich alles daran, so selten als möglich zu diesem Zaun aufs Land zu müssen, während meine Freunde derweilen im Strandbad ohne mich weißgottwas trieben. Das war die wahre Tortur. Schuften zu müssen, während ich die anderen ins Vergnügen im großen, azurblauen Pool vertieft wusste

Dieser Traum kommt nicht überraschend. Ich habe ihn in regelmäßigen Abständen einmal. Ich weiß ganz genau, was er zu bedeuten hat. Manche Angelegenheiten muss man schnell erledigen, ohne Zögern und ohne Zaudern, sonst gehen sie niemals vorbei. Ich stand heute früh morgens auf und habe die unliebsamen Sachen, die ich schon wieder seit Wochen vor mir herschiebe, endlich angepackt. Viel im Haushalt aufgearbeitet, zwei unangenehme Emails geschrieben, einige Sachen aus meinen Krimskramsladen aussortiert, ein nervtötendes Telefonat geführt und den Arbeitstisch neu organisiert. Man kann sagen was man will. Das Erledigen von ewig vor sich hergeschobenen Aufgaben hat etwas zutiefst kathartisches an sich. Vielleicht verschleppe ich manche Sachen genau deswegen so gern. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen, forderte schon Albert Camus. Der Mann wusste ja vielleicht sogar, wovon er da sprach.

Nymphentag 25

Obwohl ich dem Geschmack der lesenden Masse streng zuwider laufe, habe ich mich dazu durchgerungen, die Sammlung "Gespenstersuite" als eBook herauszugeben. Das ist immerhin besser, als wenn die Stories in meinen zahllosen Kisten Staub ansetzen. Hauptgrund ist also nicht die Idee möglichst vieler Leser (die kann ich mir in meiner Eigenheit kaum vorstellen, um es gelinde auszudrücken), sondern dass ich die fertigen Texte in irgend einer Form aus dem Sinn bekomme. Ihr Bestehen und ihre Häufung hinderten mich daran, konsequent an der "Sandsteinburg" weiterzuschreiben. Das traf auch auf die Chimären zu, die ich aber hier im Weblog ablege. Wichtig ist mir nur, keine Kompromisse zu machen. Da ich Tag und Nacht arbeiten kann, wie es mir beliebt, gilt es, dem Wahnsinn wieder mehr anheim zu fallen. Ich bin da in einer günstigen Position, weil ich mich um gesellschaftliches Leben keinen Deut schere und keine andere Verpflichtung habe als zu schreiben. Da mich die grandiose Albera in meinem Wahnsinn nicht nur unterstützt, sondern ihn auch regelrecht fordert, wird auch mein gezieltes Eintauchen in die Sprache keine Stürze ergeben, wie ich sie in der Vergangenheit oft erleben musste. Ich muss einfach nur schreiben; die Welt ist mir dabei herzlich egal.

Auf gute Nachbarschaft

Wie ein überraschendes Paket hatte sie Platz auf einem Sofa genommen, das aus einer geknickten Matratze bestand, über die eine Wolldecke kaschiert für eine optische Täuschung sorgte, als du durch die Tür mit der profilierten Friese tratst.

Der Umbau von einem romantischen Loch zu einer Schüssel; gepriesen sei der Fortschritt vom Erdloch über die Kastenkloake zur gemauerten Grube. (Wer Unrat vor seine Tür oder auf die Straße wirft oder schüt­tet, also nicht in den Bach trägt, gleichgültig, ob es bei Tag oder Nacht geschieht, der zahlt in jedem einzelnen Übertretungsfall dem Richter 24 Pfennig, der Stadt 1 Pfund und den Schergen 8 Pfen­nig.)

Er hinterlässt Zeichen wo er geht und steht, glaubt, niemand folge ihm : das ist wirkliche Isolation, niemand ist ihm nachgegangen, alle Momente waren Momente seines Wollens, er führte sie her­bei, begattete sie, erinnerte sich daran; als er eines Sommers den Zurückgekehrten spielte, Kerben in den Bäumen, den Bänken, ver­grabene Zigarrenkisten, ähnlich den Spuren im Schnee, die nur noch in der Erinnerung existieren: ihre verrätselten Augen glim­merten, der Maibaum hing voller Monate.

29.07.17

Topfengolatschen und Auflaufunfälle

Ein aufdringlicher Tag, der mir heute die ganze Zeit über die Schulter glotzt und ins Ohr hauchen will, wie nicht alles viel besser ginge. Dann soll er es doch selber versuchen, lautet meine pauschale Antwort darauf. Das macht ihn meistens mundtot. Aber leider niemals für lang.

Am Wochenmarkt hat der Bäckermeister heute mittags seelenruhig hinter seinem Stand geratzt. Derweilen haben ihm die Spatzen, Stückchen für Stückchen, seine Mehlspeisen gestohlen. Ich habe selten so glückliche Vögelchen gesehen. Der Käsewagen daneben stank unvorstellbar penetrant gen Himmel. Dort flogen auch keine Spatzen umher.

Die Menschen scheinen glücklich, dass der Sommer zurückgekehrt ist. Man merkt das an ihrem beschwingten Gang. Unterdessen habe ich Enden zu lesen und Enden zu schreiben. Alles, während mich der penetrante Tag ständig von hinten schubst und offensichtlich Streit anfangen will. Aber so leicht lasse ich mich nicht provozieren. Ich tue es den anderen Passanten gleich und wandere leichtfüßig vor mich hin. Ab und an bleibe ich einfach stehen und genieße den Anblick des Tags, der nicht mehr rechtzeitig abbremsen kann und über seine eigenen Füße fällt. Es sind die kleinen Freuden die man sich öfter ins Gedächtnis rufen soll. 

Während ich das schreibe, denke ich an die Spatzen mit ihren Nestern voller Cremeschnitten und Topfengolatschen. Die wissen halt, wie man lebt. Von allen Ästen der Bäume im Bezirk hört man sie feiern und lachen.

Steganographia & Pneumatologische Schriften

Die Erinnerung ist der Kern der Muschel, der zur Perle wird, durch Verletzung des tiefen Mantelgewebes verursacht, als gäbe es ein Seelen-Aragonit, aus dem die spitzpyramiden Kristalle ihre Form dem häufigsten Traum angleichen, an den man sich gerade aufgrund seiner Häufigkeit nicht erinnern wird. So verwoben ist nämlich dieser Traum mit dem ehemals gespeicherten Eindrücken, dass bald nicht mehr klar erscheint, wer da ins Becken griff, um das darin sichtbare Bild zu fassen. Oder ob nicht umgekehrt aus dem Teich eine Hand sich streckte, sein Ebenbild zu berühren, das dann unter der Berührung Wellen warf, und ob es sich nicht auch bei dem Wasserwesen nur um den Traum des Wasserwesens handelte, an den es sich, weil häufig geträumt, nicht erinnert.

Die Erinnerung ist also nur (mag sein) die Komposition verschiedener Inhalte, die man auch zu denken fähig ist. Denn so wie die Klänge der Musik aus dem Nirgendwo zu kommen scheinen - was wiederum nicht sein kann, da das Nichts kein Musik-Molekül besitzt - sind es die schönen Schattierungen jener Episoden, die man sich wünscht, die sich zu einem Reigen auf die Gedankenäste setzen, um von dort gepflückt und neu angeordnet zu werden. Und ich frage mich, wie man sich an Dinge erinnern kann, die nie geschehen sind, und ob man das Innere der Erinnerung je wirklich wahrgenommen hat, als man die Empfindung speicherte, oder ob das Geschehen sich nicht durch meine Erinnerung überhaupt ereignete. Und ich beantworte mir die Frage mit: Ja, so ähnlich, aber anders.

Die Geröllhalden von Herculaneum

Ich greife vor und sehe bereits die ganze Erzählmaschine anrumpeln und abraspeln, was dann in diesen ledernen Teig fällt. Ich sehe dich gehen, ich sehe dich gegangen, ich weiß nicht wann, noch weiß ich wo. So suche ich, ohne mich augenscheinlich zu be­wegen, vor (der) mir, hinter mir – gilt nicht – ich komme! Die ver­trunkene Löblichkeit des Scheiterns, fern von Sternen angereist, namenlos. Forscher Hemdentausch. Gartentanz Regenbalz. Küm­mergrund im Regen, abfallwärts auf Stelzen gehen, Born-Ritter wachen nahe der geliebten Stadt, und brennende Vehikel rudern abwärts zu den Lagern. Die Geröllhalden von Herculaneum, Lava und Bimsstein in antiker Trockenheit, die Gefangenen erbauen hohe Gerüste mit ihrer Brust, ihren Schenkeln, den Armen. Mit den Fingern im Blut fremder Namen klingen die Jahrtausende an. Wer den Staub rieseln sieht, bekennt seine Torheit, spricht in Lumpen vor, erhofft das Getränk so weiter fremder Welten, die still im Nichts sich regen.

28.07.17

Echolot

Die Häuser stehen heute am Grund des Meeres. Sie sind driftende Bausteine unter glasblauem Himmel, aus denen sich die Stadt willkürlich zusammensetzt. Wenn ich noch jünger wäre, hätte ich mich meiner Socken und Schuhe entledigt, die hohe Silberlinde am Straßenende erklommen und meine Füße in den sanft wogenden Äther gesteckt. Stattdessen wanderte ich stundenlang den Boden entlang, den Kopf ständig im Nacken und meinen Blick eifersüchtig auf die hoch schwebenden Vögel gehaftet. Selbst das Piepen der Supermarktkasse klang heute wie das Echolot eines U-Boots, das freundlich grüßt. Es ist der Tag zwischen gestern und morgen. Ich bedecke mich mit dem Sand am Meeresboden und lasse die Schatten der vorbeisegelnden Schiffsrümpfe über mich drüberziehen. 

Täterä!


Die Kabeltrommel ist storniert. Kein teurer Elektriker notwendig. WonderWoman hat´s hinbekommen. Der Saft fließt wieder. Fehlerquelle war der Ventilator.


Nymphentag 23

Zuerst turnte der Mann in einem gelben Regenmantel mit einem Hochdruckreiniger über das Geländer des Balkons, um das Haus in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Wir zogen die schweren Vorhänge zu und das Geräusch, als führen wir in eine Autowaschanlage, war aushaltbar. Als wir so schön im schummrigen Dunkel saßen und Herbie Hancock hörten, brach plötzlich die Stromversorgung zusammen. Bis jetzt lässt sich der Hauptschalter auch nicht wieder nach oben arretieren. So musste ich sämtliche Dreifachsteckdosen zusammenstecken, um von der Steckdose im Flur Saft zu bekommen, denn Flur und Bad sind nicht betroffen. Selbstverständlich bekommen wir den zuständigen Elektriker am Freitag nicht mehr an die Muschel. Um später auch noch die Anlage und die Stehlampe zu versorgen, muss ich wohl auf die Schnelle eine Kabeltrommel organisieren. Es wird die Zeit kommen, da werden wir hier auf dem Boden ein Feuerchen machen müssen. Zumindest der Wasserkocher steht dort schon mal.

Das Schuhwerk seiner Frau

Manche Stadt ist zwar ohne Dichter, aber kein Dichter ohne Stadt (oder vergleichsweise ähnlicher Häuserflut). Nun weilt hier einer seit Sex ganzen Jahrn, kauft Nutteln und Schrimpen und Tom Harten und wird ganz irr in seiner Brust. "Legt Zeugnis ab, Ihr Möpse, die von den Bergen schallen!" Ja, der Tag sinkt Leise dem Sanktnimmerlein zu - wolln wir also hinausstürzen, unbeschürzt, der Schürzen lose, uns Frost und Sonne vom Haupt puhlen, furchtlos begegnen dem, was man "Mitmensch" nennt (und Stadt und Mauer und Werk). Ja, Kempten, du altes Ding! Hier kommt Dein Chronist! --


Ein Männlein sitzt im Bauern fast still und stumm,
es hat auf seinem Bänklein zwei Tüten um.
Was mag in den Tüten sein,
das der Mann putzt ganz allein
auf dem Kempt'ner Bä-hä-hä-hä-hänkelein ...?


In unserem ersten Beitrag wollen wir uns der fiktiven (und mächtigen) Klodhilde zuwenden, deren wirklicher (und fleißiger) Mann auf ein Bänkel auf dem Rathausplatz, kurz vor der Bäckerei Wipper) ausweicht, um sich seinen ehelichten Pflichten, die mancher gar nicht auf dem Schirm hat, zu widmen. Stellen wir uns die (fiktive) Klodhilde barbefußt und schwach bestrumpft vor, wie sie auf dem Balkon (der Herbst ziept schon an ihren Gliedern) nach ihrem Männe Ausschau hält, der ihr gesammeltes Schuhwerk in einer Plastiktüte gen Stadtzentrum führt, um es in Ruhe von Ihrem Wanderstaub und Auf-und Abs zu reinigen. Folgendes (ebenfalls fiktives) Gespräch wäre im Vorfeld des Kümmernisses denkbar:

"Es ist kalt, Klodde (er nennt sie halt so), darf ich heute nicht, nur einmal ..." "Nixnix, Ferdl (sie nennt ihn halt so), den Gestank und die Unbilden der Wildnis wirst du schön brav in aller Öffentlichkeit von meinen gespenstischen Tretern wienern! So alle Welt soll sehen, was du mir bist und ich dir bin! Sapperlot!"

Und so trottet er heiteren (weil liebenden) Gesichtes gen Rathausplatz zu Kempten, um sein Tüchlein zu lüften und die Bürsten sprechen zu lassen. Doch: was ist das? Kommt da nicht der Dichter Putte ums Eck, um ihn dabei zu beobachten? Freilich, jaja, er ist's. Schon richtet sich sein menschenferner Blick auf den einzigen Menschen, den er jetzt gerade sehen kann: einen Gebuckelten! einen Gebeugten! einen Unterfuchtelten!

Frühlings Erwachen

Frühlingserwachen mit entferntem Honiggeruch, Kaffee weht schillernd durch den Flur, Schafscheiße ganz sanft im Rachen, prägnante Wolle, Pulloverpollen, der blühende Garten, tempus fugit. Aber er kann das Jetzt riechen, zumindest eine Femtosekunde, sogar die Linzer Torte von letzter Woche, deren Krumen im wasserblauen Kunstfaser-Flokati keimen. Und wer weiß: eines Ta­ges hängen vielleicht Kuchen-Nüsse an den jungen Trieben, die Sonne Österreichs.

27.07.17

Von Kuhtrittmuscheln und einem Mondmilchloch

Vor zwei Tagen mit B. unter anderem im Alpinmuseum gewesen. Wollte sie ein wenig mit Kunst und Kultur locken. Kulturgeschichte von Mensch, Tier und Natur ist hier freilich machbar. Neben dem Alpinmuseum hätte sich der noch der Besuch in einer Sennerei angeboten, oder eine Wanderung auf eine der hiesigen Berghütten. Doch der anhaltende Regen, der die Iller schon seit Tagen in einen wilden Ockerstrom verwandelt hat, der Nachts, wenn es ruhig ist, in unseren Schlaf hinein an das Innere unserer Ohrmuscheln brandet, hat uns einen Strich durch die Milchrechnung gemacht. Mit der Kunst jedoch sieht es anders aus. Ich suche sie hier vergeblich. Wenn überhaupt etwas angeboten wird, ist es für mein Empfinden doch eher Dürftiges. Was daran liegen mag - wir beide unterhalten uns darüber sehr oft - dass es den Menschen hier nicht wirklich an etwas mangelt. Die Stadt hat Geld. Die politische Ausrichtung ist Schwarz. Rote Linksabzweigungen gibt es nicht wirklich. Wozu auch?! Es wird tagtäglich fleißig geshoppt, der Menschenstrom, auf den ich treffe, pflegt seine Lifestyle-Kultur. Lungerten Jugendliche früher auf Bahn- und Friedhöfen herum, sind es heute die Einkaufszentren. In Räumlichkeiten habe ich mich als Kind, war ich draußen, nur aufgehalten, wenn es Baustellen waren, offene Häuser, in denen ich herumturnen konnte. Das Stadtbild ist stets instand. Maroditäten gibt es andernorts. Oft ist es mir, durch die umliegende Natur und ihre Erzeugnisse, als lebte ich nun in einem Schlaraffenland. Nur, dass ich auch immer mal wieder das Gefühl habe unter einer Glocke zu leben. Zur einen Seite ist das schön, es hat etwas Heiles, eröffnet mir Müßiggänge. Zum andern aber fehlt uns beiden das progressive Gespräch der Künste, der Menschen. Und seien einfach nur streitbare Schnäbel, aus Stammtischen geschnitzte, die fordern, dass ihre Stimme gehört wird. Sicher, die Verkäuferin an der Käsetheke hört meine, wenn ich einen halben Baldauf fordere. Aber wo bitte geht's zur kosmischen Hardcore-Theke, an der ich dich und mich im Kreise aller durch dieses Multiversum per Anhalter Reisender mit Hilfe eines Babelfischs aufwerfen kann? Sich in Erinnerung rufen. Einen Total Recall wie ich ihn im Schlaf, meinen Träumen oft erlebe. Das Projekt Hypnos, in dem du meine Träume, die ich dir erzählte, zu Geschichten verwobst, erzählt auf eine wunderbare Weise davon. Sich zusammenwerfen. Ich und du. Das ist eine ganze Welt. Kollidieren und Fusionieren. Mann und Frau. Mutter und Sohn. Vater und Tochter. Junge und Mädchen. Frau und Junge. Mann und Mädchen. Wir spielen es durch, seit der Vertreibung aus dem Paradiese. Seit wir uns gewahr wurden, dass wir Nackte sind. Nackt im Sinne eines Geworfenseins. Geworfen in Nacht, ins Leben, in eine Welt, in die somit auch der Horror entflitschte. Wir haben Ängste. Ein aus der Erkenntnis kommendes Vermögen, das unserer Fähigkeit entstammt uns im Anderen zu spiegeln. Der Du-und-Ich-Annahme, die uns alle in einem frühen Stadium unseres Lebens ereilt und mir nichts anderes bedeutet, als dass wir diesen Zustand, in dem wir kurze Zeit als Neugeborene noch waren, in dem es kein Außen und Innen gab, in dem wir noch mit der Welt untrennbar verwoben alles waren: die Mutter, der Vater, das Kind, der Raum, das Geräusch des Baumes vor dem Fenster, der Windzug, der Duft der frisch gewaschenen Kleidung, das Kleidchen selbst..., wieder versuchen. Aber tun wir es, spielen wir uns duverantwortlich wirklich noch durch? Wir sollten. Wir sollten auch verstehen, warum. Um dann nicht mehr mit der Wimper zu zucken, weil man uns die Augen auswäscht, bis wir uns nicht mehr sehen, zu blinden Spiegeln werden, da uns die Sinne versiegelt wurden. Und natürlich ist dies kein Plädoyer für die Erfüllung von Straftatbeständen, die von der Verantwortung Schutzbefohlenen gegenüber ausgehen.

Der Sexus bestimmt unser Handeln. Ist das, was ich annehme. Ebenso nehme ich an: Auch Ängste tun das. Notwendigerweise! Politisch geschürte Ängste, die nichts anders zur Grundlage haben als ein wirtschaftliches Interesse, wiederum martern unser Geschlecht.


Weswegen ich an einen Text von mir denken muss, den ich im August 2015 in Rage verfasste:

Auch ich

Was glaubst du, Mensch, ist dein Menschenleben, dein Geschlecht, noch wert, wenn du nicht wagst zu leben, Leben nicht wahrnimmst, wenn es ist?

Ich verrate es dir: Nichts. 

Ich weiß, dass ich es nicht mehr schützen wollen würde. Ich würde nicht mehr plädieren für dich, wenn man dich vor die Hunde gehen ließe. Ich würde zuschauen und denken: die Hunde immerhin wissen noch, was sie wollen, und erschrecke doch sehr darüber, dass das so für mich geworden ist.

Du tötest mich. Daher.
Keinen warmen Gedanken. Keinen einzigen Wortfunken habe ich noch für deine Gewalt. Man hat dich mir völlig aus meinem Blut gewaschen. Hat mich angefasst, auch ohne Hände. Denn ohne ist jede Gewalt noch gewaltiger. Niemals aber habe ich dir erlaubt mich so anzufassen. Denn Menschsein heißt nicht: Ich nehme mir.
Zu dürfen.
Einem Menschen begegnen dürfen, das ist das Einzige, was ich dir anbieten kann.
Die letzte Bastion ist tatsächlich mein Geist. Dir, deinen Hunden, entzogen.
Ich wünschte, ich könnte über diesen Gedanken hinauskommen. Aber ich kann es nicht. Weiß auch nicht, ob ich es noch werde.
So wittern sie auch mich.
Und so denke ich ebenso an die Kuhtrittmuscheln, die ich im Alpinmuseum bestaunen durfte. Wie auch ihr Alter. Und finde es faszinierend zu wissen, dass diese auch als Fundamentsteine für Almhütten dienten. Versteinerte Tierfüße, die Waldgeistern und Alben gehören könnten. Ein Abwehrzauber gegen das Böse. Besonders aber freue ich mich erfahren zu haben, dass es in den Schweizer Bergen ein Mondmilchloch gibt.

Fantasieuniformen in der Zwischenwelt

Heute ist bereits früh morgens ein Kran vorgefahren und hat einen gelben Container unter meinem Fenster abgestellt. Es stellte sich als mobile Zentrale für Rohrreperaturen heraus. Die mitgelieferte Arbeiterschar hatte flugs und mit viel Trara einen großen Teil der Straße aufgerissen. Gar nicht weit unter der asphaltierten Oberfläche trat schon bald ein unüberschaubares Leitungssystem zutage. Das Nervensystem einer modernen Stadt. Ich beobachtete Techniker in bunten Fantasieuniformen dabei, wie sie sich daraufhin mit gerunzelter Stirn über die frisch gehauene Bresche lehnten und dabei unheilvoll den Kopf schüttelten. Als wollten sie damit zum Ausdruck bringen, für den Patienten käme jede Hilfe zu spät. Er wäre schon vor Stunden seinen Gebrechen erlegen. Ich hätte beinahe hinuntergerufen, sie sollten die Hoffnung nicht fahren lassen. Wien ist eine alte Stadt, die so schnell nichts erschüttern kann. Aber es wurde mir vorher noch klar, dass das Ganze höchstwahrscheinlich einfach nur Inszenierung für die anwesenden Zuschauer war. Also schwieg ich klugerweise. Gleich darauf sind sie behelmt und mit einer unüberschaubaren Batterie an Technikfirlefanz in den Untergrund gestiegen, um  sich dort ihrer geheimnisvollen Aufgabe zu widmen. Da wurde es dann irgendwie unspektakulär. Das befanden offenbar auch die Arbeiter, die mit ihren Kaffeebechern um das ausgehobene Loch standen und schweigsam dem undurchsichtigen Treiben der Techniker folgten. Ich könnte schwören, den einen oder anderen von ihnen bei einem kurzen Nickerchen im Stehen ertappt zu haben.

Ich tauchte zwischenzeitlich immer wieder in meine Wohnung ab, schrieb Rechnungen und Sigillen, öffnete ein Tor in die Zwischenwelt (welche weiß ich noch nicht genau, ich muss später noch nachschauen gehen) und las meinen Furcht-Artikel Korrektur. Alles in allem ein gemächlicher Tag. Das Unangenehmste war, dass ich zwischenzeitlich kein Wasser hatte und daher keine Wäsche machen konnte. Aber die erledige ich einfach morgen.

Vor etwa einer Stunde wurde der Container dann wieder abgeholt. Die Grube wurde zugeschüttet und neu asphaltiert. Dort wo sie war, ist der Gehweg nun dunkel. Beinahe Schwarz. Es regnet jetzt leicht. Das wird den neuen Straßenbelag rasch auskühlen lassen. Sonst hat sich heute eigentlich nichts getan.

Nymphentag 22

Auffällig ist, wie sehr unsere Gesellschaft daran gewöhnt wurde, dass nichts mehr in Ordnung ist, und dass sie das, bis auf kleine Ausrutscher, hinnehmen kann. Da ich das nicht kann, bin ich ein natürlicher Außenseiter. Es ist leicht, in dieser Zeit seine Paranoia zu pflegen, die nie persönliche Züge annimmt, die ganz im Gegenteil dadurch ausgelöst wird, dass die Maschine unpersönlich und willkürlich arbeitet, eine Maschine, die - da sie weit entfernt von Vollkommenheit arbeitet - unberechenbar ist durch ihre Fehlerhaftigkeit. Ich habe ein ziemlich angespanntes Jahr hinter mir, ich stellte meine literarische Produktion ein und nahm sie wieder auf, wissend, dass ich mich kaum in die Welt des Kommerzes begeben kann, nicht mit und auch nicht ohne poetische Extravaganzen. Die Schwierigkeit besteht für mich daran, mich an Zustände gewöhnen zu müssen, wenn ich überleben will. Dabei ist mir völlig bewusst, dass ich ein unmögliches Leben führe.

Kaffeekultur

Die Kaffeekultur, die wir in den 50er und 60er Jahren pflegten, hat sich heute mehr und mehr verloren. Die Jugend trinkt nur noch das verbrannte italienische Zeug, das wie eine abgeleckte Teerstraße schmeckt. Nach dem Krieg war das natürlich nicht besser, da knirschte noch der Kaffeesatz zwischen den Zähnen, so dass man mit ihm nicht einmal mehr vernünftig wahrsagen konnte. War's die Zukunft, die man sich da mit reichlich Spucke in die Magengrube schaufelte - eine Botschaft aus dem Jenseits? Man wusste es nicht; bis Melitta Bentz auf die Idee kam, Löcher in einen Kochtopf zu stanzen und durch das Löschpapier aus den Schulheften ihrer Söhne ihr Gebräu filterte. Das hatte zwei Vorzüge: endlich konnte sie die geheimen Machenschaften ihrer Nachbarn wieder im vollendet daliegenden Satz erkennen - bevor sie geschahen; und zum zweiten schmeckte der Kaffee endlich nach einem rühmlich geführten Hausaufgabenheft. Ich beneide die Schwester im Geiste noch heute. Da ich selbst eine Frau bin, die bekanntermaßen nicht nur praktisch, sondern auch modern denkt - insofern es sich lohnt - und meinen Vorbildern in nichts nachstehen will, kam ich also gestern auf die Idee, den Hausaufgabenkaffee der Melitta, der Generationen von Frauen aus den anrüchigen Hexenvereinigungen, bei denen sie sich mit brauner Brühe übergossen, in den gut bürgerlichen Vorgarten zum Kaffeekränzchen lockten, zu modifizieren. Ich leitete den Kaffee mitsamt dem aufgequollenem Pulver durch das Laptop meines Mannes. Und siehe da: der Muff der 50er verschwand augenblicklich, der Kaffee schmeckte nach digitaler Revolution. Natürlich ging bereits eine technische Beschreibung meiner Idee an das Patentamt. Vielleicht ist durch den Erlös eine Sauna im Keller drin.

26.07.17

Ein Ende plündern

Ich habe heute jemanden getroffen, der nicht mehr mit mir sprechen will. Das hört sich jetzt schlimmer an, als es ist. Wir begrüßen uns mit einem kurzen Nicken, wenn wir uns sehen. Soviel Höflichkeit muss sein. Ansonsten gib es wahrscheinlich sowieso einfach nichts mehr zu sagen. Das passiert einfach hin und wieder. Dann ist es auch gut, wenn man es dabei belässt. Diesen Abgrund nur mit Worten aufschütten zu wollen, wäre vergebene Liebesmüh, und ein brüchiges Fundament für alles, was man danach draufzustellen gedenkt. Dinge haben ein Ende, damit anderes einen Anfang haben kann. Je eher man das versteht, desto besser.

Weil wir gerade bei problembeladenen Worten sind: eines meiner Englisch-Deutsch Probleme verfolgt mich schon einige Tage. Scavenger – was wäre das eleganteste deutsche Gegenstück? Sich brauchbare Stücke aus Hinterlassenschaften zu besorgen. Aber nichts, was einem einfach zufällt. To scavenge bedeutet schon auch, dass man dafür arbeiten muss. Sogar hart mitunter. Man wühlt sich mühevoll durch die übriggebliebenen Dinge und sondiert sie nach brauchbarem Material. Gibt es das im Deutschen nicht als kompaktes Verb? Im ersten Hauruck wollte ich plündern verwenden. Aber das trifft es nicht. To scavenge trägt für mich auch den Beigeschmack von Verlorenem. Von etwas, das einmal war, das man sich vielleicht sogar wieder zurückwünscht. Aber alles, was man tun kann, ist über die letzten Dinge vergangener Zeiten zu kriechen, um sich mit deren Überresten in seinem neuen, beschwerlichen Leben zu arrangieren. Das hat auch nichts mit Aasfresserei zu tun. To scavenge – das ist ist eher ein Gebet im Schrein jener verlorenen Dinge, die man schmerzlich vermisst. Von denen man, weiß dass sie für immer vorbeigezogen sind.

Aber wie ich bereits sagte. Dinge haben ein Ende, damit anderes einen Anfang haben kann. Ich schreibe stattdessen einen anderen Satz. Benutze ein anderes Bild. Eines, das mit scavenging nichts zu tun hat. Ich organisiere mir brauchbares Material aus übriggebliebenen Gegenständen. Und Wunder, oh Wunder – schon ist er da, der Neubeginn. Mit geplündertem Ende.

Lass uns schön zueinander sein

Für Albera


Zum Text

Titanomachia

Alle Mütter stehen Spalier, senden ihre Töchter aus, ihre Hände wedeln dich nach unten, zart wie Tulpenpastellblüten. Halten werden sie dich nicht, aber mildern den Sturz, Titanomachia.
Das Thema ist natürlich die Zeit, es gibt kein anderes. Sie steckt tief in Adams Splancha. Der stellt sich vor, wie es wohl wäre, wirk­lich in einen anderen Körper einzudringen, so wie er in das Schloss gedrungen ist, in das Zeitloch, das 2007 von der High Acti­ve Auroral Frequency (HAARP) in Ramfjorden generiert wur­de, das über einem zusammenschwappt wie die Fänge der Dio­naea. Der Same trägt aus, trägt die Laster vorne auf dem Bug. Da sitzt er, begrüßt jeden neuen Morgen mit einem Glückskeks des Zufalls, auf dem steht: »Zeit existiert nur, um zu verhindern, dass alles gleichzeitig geschieht.«
Es gibt nur Irrenhaus oder Tod, schon still, die Sprache nur ein Rudiment dessen, was er sieht. Der Traum switcht nahtlos in den Tag, oft hält er noch für ein paar Minuten die Lampe in der Hand. Der Dschinn könnte ihm sagen, wo er sich befindet, was er getrie­ben hat im Nachtfrost, im unwegsamen, schwarzen Unterholz, Grashalme im Geäst. Vor anrückender Dunkelheit in die weg­rückende Dunkelheit hasten. Kaum reibt er das Messing der Lam­pe, bemerkt er, dass er sich einen runterholt, aber kein Geist er­scheint.

25.07.17

Die machtvolle Magie des rotgeränderten Blicks

Ereignislos und ereignisreich sind für einen Autor sehr wandelbare Begriffe. Sie hören sich außerdem sehr ähnlich an, wenn sie auch vermeintlich unterschiedliche Zustände beschreiben. Bei dem einen tut sich nicht viel, bei dem anderen schon, möchte man vermuten. Wenn man den ganzen Tag tippend auf einem Stuhl verbringt, und dabei unbewegt in das flimmernde Kästchen vor sich stiert, dann wird das am besten durch das Wort mit dem -los am Schluss beschrieben. So zumindest in der Theorie. Ich habe mich heute seit frühmorgens nicht von hier wegbewegt – eine kurze Rekapitulation: einen Lottobetrug aufgedeckt, einen Schicksalsrat betrogen, bis zum Hals im Schnee versunken und trotz Schummelversuchs bei einer wichtigen Universitätsprüfung durchgerasselt, inklusive Predigt über studentische Ethik – vom Professor gehalten, der sich dadurch schamlos betrogen fühlt. Man sieht also, obwohl eigentlich nur meine Finger über die Tastatur marschiert sind, habe ich viel erlebt und viel gesehen. War er also doch ereignisreich, mein Tag? Wenn ich meine Webcam mitlaufen ließe, die mich dabei aufzeichnet, wie ich ihr stets bloß mit starrem, rotgerändertem Blick entgegenblinzle, dann könnte man das sicher als Beweis dagegen anführen. Sehr widersprüchliches Material, das ich hier aufliste. Von einem der sich bewegt, obwohl in der handfeste Beweis fest an einem Ort verankert. Es sei denn, in Geschichten steckt eine machtvolle Form der Magie. Binden Sie mich fest. Beobachten Sie mich ohne Unterlass. Sie können sich sicher sein, dass ich trotzdem an Plätze reise, an die Sie kein Flugzeug, kein Boot und keine Rakete dieser Welt bringen kann. Magie ist gleich Wille mal Vorstellung minus Zweifel. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren. Oder auch auf ein Blatt Papier. Beginnen Sie am besten Ihre eigene Geschichte damit.

Rumor X

Ein Straßenkünstler,
an jener Ecke, wo solche gerne stehen,
trug einen flachen Hut
und dazu weites Hemd und Hose,
hampelte entsetzlich fuchtelnd
und griff sich in den aufgesperrten Mund,
zog etwas, das sich zunächst wehrte,
mit viel Kraft daraus hervor
und es war, mit sieben Beinen,
voll von schwarzem Haar und spitzen Dornen,
eher ein Insekt als eine Katze,
die selbst jetzt furchtbar zappelte.
Er zeigte sie im Triumph umher
und verschlang sie dann am Stück
mit Haut und Haaren.

Rumor IX

Klopf, Opfer, doch
an die Kellertür aus Eiche.
Wenn tatsächlich irgendwer
dich hört und öffnet,
bist du bleich wie ein Gespenst
und er erschrickt und schließt zu,
noch bevor du entweichst.
Das war dann für dich das Ende
deiner armseligen Geschichte.

Tal hinter Wildnis

Wir schossen auf das, was sich in den Wänden bewegte, Tapeten verdeckten die Löcher, teures Papier; und dann wieder auf die Löcher, ob wir sie zweidreimal treffen könnten. Nichts ist vor der Inversion sicher, nicht die Mathematik, in der sich in Form der Qua­dratwurzel minus 1 das Imaginäre einschleicht. Während ich den Schlaf schon berühre, taucht die Zeit aus dem Fluss, von dem sie sich nun zu trennen weiß.

Von diesen Erlebnissen habe ich mir Skizzen gemacht. In einem Gewirr stecken Säfte fest, Disteln durchreißen nadelstichig die nahe Umgebung, Trampelpfad, Trampelerschütterung, Schritte offener Sohlen, behuft weiterziehen. Nirgend Ziel. Nirgend Beginn. Tal hinter Wildnis. Alle Gleichzeitigkeiten in Glockenblumen schwenken. Die Welt eine Theorie aus Zufall, der schöne Tod ein Gebein im Kleid, Humor ein Rauschen der Silben; die Sprache er­stickt: Teerkotze haftet an den Lippen, Zungen vergeudet. Ein letztes Atom, ein letzter Blick über die ausgerenkte Schulter. Der Nebel folgt. Meine Haut strafft sich Tag und Nacht wie der Klee, die Weichheit, die Form, vergessen ist nicht ein Jota. Vergessen ist nicht ein Fenster: was draußen war, was drinnen ist: anderswo, zu jeder Zeit: das Ticken der Ur-Uhr.

24.07.17

Rumor VIII

Was ich sehe ist ein kumulus. Albera wabert wallend wogend willend kraftvoll schlagend mit ihren Flügeln, Michael sucht und findet zwischen tausend stücken tausend sätze die tausend totempfahle auf die felder der kunst stellen und martert kritiker daran bis ins kleinhirn ihrer echsenschädel, Erik taucht holt luft taucht findet sich am strand und sandumtost kommt und geht mit einfällen aus seiner westentasche, Markus lässt über das meer hin die wellen für sich sprechen, Rumor läuft amok und findet wenig zeit und geduld für den digitalen griffel aber hinterlässt wild hingepeitschte pinselstriche. Ein peristaltisch strömendes Wolkengebilde. Blitze und donner in der ferne. Waagerechter regen auf der scheibe, weil ich mich immernoch sehr schnell bewege

Mähmähmäh...Kaffeestück!...

Bei angenehmer Luftfeuchte heute morgen um kurz nach Acht den Weg zu dir nach Hause genommen. Geduscht. Mich kniehoch ringelbesockt. Schwarzgraue vom Typus: Hexe des Westens ist unter ein Haus gekommen.

Komme aus den Nächten ... 

..., schrieb ich dir irgendwann 2015 einmal.

Gar nicht erst in Versuchung geraten, mich ab- und zu dir zu legen, wir hatten einiges zu besorgen. In meiner Bank, bei meinem Arbeitgeber, im Lebensmittelmarkt, beim Bäcker.

In der Bank hast du mir zugehört wie ich der Frau am Schalter was von Adam und Eva erzählte, nachdem du meine Überweisungen ausgefüllt hattest, da sich meine Finger vor Müdigkeit dann doch erst einmal verabschiedeten, weil sie die Nacht hindurch in den frühen Morgen hinein flachsfleißig durch das Haus jener geflogen sind, deren Schlaf ich bewachte.
 
Der Hände Schlaf

Durch den grauen
Schlaf der Welt
flattern deine Hände,
kehren zurück
im Sonnenaufgang,
zwei Vögel,
die sich niederlegen.


Nächste Haltestelle war meine liebe, wirklich herzliche Sachbearbeiterin im Hause meines Arbeitgebers. Noch bevor ich dich vorstellen konnte, hast du dich im Flur über ihre Zimmerlilie hergemacht. Ihr alle verdorrten Blätter genommen. Die neuen Triebe gepflückt. Sie gegossen und ihr die Ausbeute überreicht. Ich glaube, sie fand das in jedem Fall ungewöhnlich. Hat dich aber gleich gefragt, da sie noch eigener Auskunft keinen Grünen Daumen besitze, was sie denn für ihr Alpenveilchen tun könne, es blühe nicht so recht. Beim Verlassen des Hauses musste ich dich wiederum von der nächsten Pflanze pflücken, an der du bereits klebtest, um ihr Gutes zu tun. Vielleicht willst du ja hin und wieder dort vorbei gehen, um ab und an als Pflanzenboy in deinem Element zu walten. Du bist im Herzen auch ein Gärtner. Wahrlich. Ich höre sie schon flüstern:  

Hast du ihn auch wieder gesehen, den Mann mit der Gießkanne? 

Ja, das ist der Mann von der Frau Anders. Seitdem er hier aufgetaucht ist, komme ich nicht mehr in mein Büro, wilder Wein, Farne und Papageien strömen zu den Türen hinaus die Flure entlang.

Du Faun. Du Kind der Liebe. Du schöner Watz mit irrem Haar.

Mit einem roten Rollkörbchen zogen wir dann durch den Feneberg. Wichtigste Beute, nebst Kaffee, Obst und Knoblauch, waren die beiden Lammsalamis und eine Flasche frische Vorzugsmilch. Meine erste, die du mich unbedingt einmal probieren lassen wolltest. Das war die leckerste Milch, die ich jemals getrunken habe. H-Milch alias Benzinmilch alias Armageddonmilch kommt gar nicht erst ins Körbchen.

Danach gings zum Bäcker. Ein Brot kaufen. Doch es war noch jemand vor uns. Ich wartete bis wir an der Reihe waren und hörte:

Mähmähmäh...Kaffeestück!...mähmähmä...Kaffeestück!...mähmä...mäh...

und das war alles, was ich tatsächlich verstand. Meine Ohren übersetzen dich stets, wenn du dich zum Meckerbock wandelst! Das haben die Beiden hinter uns sicher nicht gehört und auch nicht gesehen, sie haben dir aber, wie du mir im Nachhinein erzählt hast, wohlmeinende Blicke zugeworfen, weil sie das, was da so vor uns passierte, auch nicht ganz verstanden haben. Ein Mann tätigte offenbar eine EC-Kartenzahlung für ein 60Cent-Nusshörnchen. Nuja, so etwas dauert ...

und ist mir zudem völlig entgangen. Und so hatte ich Zeit dich zu beobachten ...:

Mähmähmäh...Kaffeestück!...mähmäh...Kaffeestück!...

Nymphentag 19

In den letzten zwei Tagen habe ich mit der Story "Wood" verbracht. Selbstverständlich ist es nicht das, was man gemeinhin unter "Story" versteht. Ich möchte mich von dem, was - nach Alberas Begriff - bisher Chimären waren, eigenartige Prosastücke also, noch weiter in den abstrakten Erzählbereich hineinarbeiten, wie ich das auch schon mit "Die Straße Malheur" gemacht habe. Neben den in diesem Blog erscheinenden Stücken, setze ich gerade das Chimären-Manuskript, wobei mir auffiel, dass rudimentäre Ansätze zu dem, was ich in Zukunft schreiben will, bereits vorhanden sind, immer dann nämlich, wenn ich nicht direkt auf die Sprache abziele (zumindest nicht in aller Deutlichkeit), sondern auf etwas, das hinter einem Schleier liegt. Und so mögen die Chimären zwar sprachlich hybrid und zweigeschlechtlich sein, die künftigen Stücke sind es nicht minder, sie weisen über die Chimären hinaus, bedienen sich allerdings ihrer Basis. Ich könnte auch behaupten, sie bewegen sich vom engsten Raum in einen größeren Saal. Auch die Gespenstersuite gehört da schon dazu. Und das jüngst entstandene "Die ihr eintretet". Dabei ist es mir wichtig, dass es "herausgerissene" Erzählungen sind, die ihre Gegnerschaft zur herkömmlichen Erzählung oder Kurzgeschichte deutlich machen. Es war mir ja stets ein Kampf zwischen Erzählverweigerung und Erzählung zu wechseln. Ich fand keine Übereinkunft. Das könnte sich jetzt tatsächlich für mich ändern.

Uferlos

Schwappende Wellen
lecken an meinen Fingern.
Hinterlassen funkelnde Salzränder.
Wußtest du, dass man verdurstet
wenn man zuviel Meerwasser trinkt?
Ich denke seit Stunden
an nichts anderes.
Wolken ziehen ins Land 

Mündung (Ansuz)

Ich schlage unermüdlich Worte aufs Papier und das Gefüge lauscht meinem Flehen. Letztlich hat es sich sogar entschlossen zu antworten. Es legt mir nun beinahe täglich eine Spur aus Zeichen auf den Weg. So als wolle es sagen: "Du hast es mit großer Mühe bis ans Tor geschafft, für die letzten Meter wird dir die Hand gereicht."

Ich fand heute die Boten-Rune auf dem Weg nach Hause. Als öffne ich meinen Geist, meine Ohren und Augen, bevor ich nach Worten suche. Ich schreibe heute über die Macht, die im Flüstern liegt. Wenn es die richtige Erklärung ist, so muss sie nicht geschrien werden. Sie findet unweigerlich ihren Weg.

Im Murmeln der bewölkten Stadt liegt derzeit ebenfalls Klarheit. Die Ruhe findet uns dort, wo wir nach ihr suchen. Aber nicht die Hartnäckigkeit bringt uns schließlich so weit, sondern nur die Konzentration auf uns selbst. Ich arbeite emsig und lasse dabei die Fenster offen, um das aufziehende Wispern des Regens besser zu hören.

Animula Vagula Blandula

10. August 2015

Es ist heute kein guter Tag, um frohlockend durch die Spatzenmenge, die sich vor dem KZ für alte Menschen tummeln, zu gehen. Rauchwaren das Ziel. Wie sehr ich doch ein Gespenst bin, eines aber, das bei Stimme ist (man bemerkte mich lange nicht und ich konnte die Verkäuferin bei der Lektüre ihrer tagesaktuellen Zeitschrift eine Weile beobachten). Dann weiter zu einem Laden für Backwaren, wo jene aus dem Kabuff gestürmt kommen wollte, um mich zu bedienen. Das ist mir ein Grauen, wenn man rennt und eilig tut; in der Regel löst so ein Verhalten wiederum in mir Fluchtverhalten aus und nicht selten drehe ich mich dann um und gehe ohne ein weiteres Wort. Ich sagte ihr, sie dürfe nicht rennen, mir schmecke sonst das, was sie mir einpacke, nicht mehr.

"Sie sind dann wohl der Einzige, der Zeit hat", sagte sie.

"Jedermann hat Zeit", erwiderte ich. "Es wird nur so getan, als habe man keine. Bitte unterwerfen Sie sich nicht so bedingungslos dem modernen Gehabe, ich kann sonst unmöglich wiederkommen."

Nun, da es sich um eine Landbäckerei handelt, würde ich natürlich gerne wiederkommen wollen; die Läden, in denen mir das ein oder andere nicht passt, sind mittlerweile sehr zahlreich. Aber heute liegt ein Schatten auf meinem Gemüt, ich lese "Rayuela" wieder, das ja ausgerechnet mein Lieblingsbuch ist, wenn man so etwas sagen darf, und das erfordert die Nacht, weshalb ich recht unausgeschlafen und sogar unrasiert durch die nach dem Sommergewitter endlich wieder angenehme Morgenluft tappe. Gewitter: mein Kater hat Angst vor heftigem Regen und Donner, ich musste ihn mit in meine Kamára nehmen. Ich las ihm vor:
"Es ist ein Irrtum, eine absolute historische Zeit zu postulieren: es gibt verschiedene, obschon parallel verlaufende Zeiten. In diesem Sinne kann eine Zeit des sogenannten Mittelalters mit einer Zeit der sogenannten Moderne zusammenfallen. Und diese Zeit wird aufgefasst und bewohnt von Malern und Schriftstellern, die sich weigern, die Umstände für sich zu nutzen und 'modern' zu sein in dem Sinn, wie die Zeitgenossen es verstehen, was nicht bedeutet, dass sie sich dafür entscheiden, anachronistisch zu sein; sie bewegen sich nur einfach am Rande der oberflächlichen Zeit ihrer Epoche, und aus dieser anderen Zeit, wo alles die Beschaffenheit einer Figur erreicht, wo alles als Zeichen gilt und nichts als Thema eine Beschreibung, versuchen sie ein Werk zu schaffen, das in Bezug auf ihre Zeit und deren Geschichte fremd oder antagonistisch wirken kann, das aber dessenungeachtet beides einschließt und erklärt und letzten Endes auf eine Transzendenz hin orientiert, an deren Ende der Mensch wartet."
"Das sind wir, liebes Katerchen." Aber er war schon eingeschlafen.

23.07.17

Puzzleteile

Manche Ideen möchte man einfach nur in die Welt hinausschreien. Egal, ob sie bereits reif dafür sind. Das ist wohl auch der unbeschwerteste Teil des Kreativen Prozesses. Die Puzzlestücke mit der bebilderten Seite nach oben zurechtzulegen, bevor man sie zu verwenden gedenkt.

In dieser Erkenntnis liegt aber auch ein anderer Überlegung verborgen – der Schöpfer, der sein Werk beendet, würde er wirklich zurückkehren um nachzusehen, wie sich die Farben darauf so tun? Oder würde er freudig einfach zum nächsten Objekt schreiten, weil darin seine wahre Natur liegt? Also in der Schaffung? Nicht in der Pflege. Würde man Gott als Künstler sehen, wäre er dann einer, der sich darum kümmert, was die einzelnen Komponenten auf seinem Ouevre so treiben, wenn es erst einmal fertiggestellt ist? Würde es ihn interessieren, ob der Zahn der Zeit daran nagt? Wäre das nicht eher die Aufgabe eines metaphorischen Galeristen oder Museumsmitarbeiters? Würde dieser nicht eher einen Handwerker mit der Restaurierung beauftragen, als den Künstler, der dieses Werk schuf? Seltsamer Gedankengang, ich weiß. Auch noch nicht wirklich zu Ende gedacht. Kein fertiges Bild eines umgedrehten Puzzlestücks. Eher ein Farbklecks, der mir vom Pinsel fiel und auf dem zurechtgelegten Skizzenpapier landete. Momentan ist das noch ziemlich unausgegoren. Aber ich hebe ihn erst einmal auf. Wer weiß, wozu ich ihn noch gebrauchen kann. 

Der Sonntag ist müßig. Ein säumiger Tag, der noch länger dauern könnte. Sogar meine Finger legen sich heute schwerer als sonst auf die Tastatur. Ich habe mich heute hauptsächlich mit Formalitäten herumgeschlagen, obwohl ich es kaum erwarten kann, diese Geschichte zu beginnen, die mir derzeit im Kopf herumspukt. Aber immer schön eins nach dem anderen. 

Rumor VII

Ephedrin, Benzedrin, Coffein, selenotropes Metalin
ich renn mal um den Block ...

Bomben, Beat und Benzin
sind alles was wir brauchen
wenn wir um die Häuser ziehn

Blue Brid, Black Train, White Train, Blue Train, Black Bird
Coltrane - Trane!!!

Miles ahead, styles for miles, miles with boots on, made for rocking
am Ende der Straße umdrehn oder im Kreis weitergehn
komme immer wieder zurück wie eine Hookline
auf der Basslinie mit dem weißen Zug angefahren

ein Panzerzug, stahlgepanzert, raketentragend, abgefahren
durch das Sonnensystem, bis zum Kuiper Gürtel, umgedreht
und in die Sonne gestürzt mit einem BANG

weißer Lichtblitz
rote Augen
schwarzes Loch inmitten der Iris

unendliche Schwerkraft
tiefgeistig
bis zum letzten Grund

abstoßen, auftauchen, nach Luft schnappen, Schnaps trinken, von einem Bernhardiner geliehen
der mit einem Fässchen um den Hals ...
und wie der sabbert, bu ha!

Schnee schieben, bis zur Mitte der Straße, ein Iglu bauen
drin sitzen, Wasser auf den heißen Stein gießen, Schwitzhütte machen
mit Kräutern einreiben

abheben, losleben, den Vögeln im Vorbeiflug an den Flügeln zupfen
mit den Krähen krächzen

and I rattle with the snakes
and I howl with the wolves

like a dead man talking
riding on his coffin

I'm back again

aujourdhuimonsieurmonamie - la vida loca esta bieno
Wäsche muss aber auch noch gewaschen werden ...

IM HAUSE DES

NACHTTEUFEL FILMT TIER MIT ROTEN SCHUPPEN IM HAUS DES VERSTORBENEN SCHNEIDERLEINS ZOG DER HERR DIE GRETE AM HAAR SO SCHÖN BISS SIE IHM SEIN BLUT SAUGTE DAS STICKDECKCHEN AUF SEINEM RECHTEN STIEFEL HINTERLIESS EINE SCHNECKENFROUWE DIE SCHILLERNDSTEN FARBSPUREN DIE ICH JEMALS GESEHEN OHNE MEINE AUGEN ZU ÖFFNEN SAH ICH WIE DAS WEISSE FLAGGSCHIFF IM ROTWEIN DER WANNE VERSANK DAS BLUTJUNGE MÄDCHEN MIT EINEM CYBORG DER HIERONYMUS HIESS ZU LEBZEITEN EINER ANDERS ALS HANS CHRISTIAN HAT MAN IHM DAS SCHAFOTT MIT AIRBRUSH VERSCHÖNERT BEVOR MAN IHN WIEDER UNHELDENHAFT NACH HAUSE SCHICKTE SIE SICH NACHDEM SIE DEN TÜRSTEHER BEI DEN HÖRNERN PACKTE SIND VERABREDUNGEN EINZUHALTEN MIT DEM NACHTTEUFEL IM HAUS DES VERSTORBENEN HERRN FILMT EIN TIER MIT ROTEN SCHUPPEN DIE STIEFEL DES SCHNEIDERLEINS POLIERTE SIE NACKT DAS SILBER UND DECKTE DEN TISCH AUF IHRE WEISE SEHR FESTLICH FÜR DIE GELADENE GESELLSCHAFT DIE SIE AUF EINER FREMDEN HOCHZEIT KENNENGELERNT HATTE ER SIE AUF EINER BDSM MESSE SANG MAN DAS AVE MARIA FÜR DIE TAUBEN GURRTEN WAS VON DER LIEBE VERSTEHST DU MICH DENN NICHT ICH WEISS NICHT WIE MAN DIE LIEBE MACHT UNICA LIEBTE DEN HANS BELLMERS STUDY FOR GEORGES BATAILLES AUFNAHMEN DER TAUSEND SCHNITTE SAH ICH AN EINER FRAU DIE SICH AUSPEITSCHEN LIESS SIE SICH MAGNOLIEN AUF DIE HAUT MALEN KATHOLIKEN DEN EROTOMANEN ALS TEUFEL AN DIE WAND ZU STELLEN WÜRDE IHR GEFALLEN FINDEN AM BRUNNENPLÄTSCHERN IM ZENGARTEN DES HEXENBÜRGERMEISTERHAUSES STEHEN PRÄPARIERT ZWEI JAPANISCHE RIESENKRABBEN JEWEILS EIN MÄNNCHEN UND EIN WEIBCHEN VERSCHLINGEN IHRE SEXUALPARTNER DOCH NUR WENN ES DIE NATUR AUS GRÜNDEN DES ÜBERLEBENS VERLANGT HATTE ER VON IHR NACH SEINEM TAKT UND NUR NACH SEINEM TAKT NACKT ZU MASTURBIEREN WÄHREND ER ERHÖHT AUF EINEM STUHL SASS DER MANN MIT DEM ROTEN ZIEGENBART NIE WENN ER KLEIDER FÜR DIE PUPPE SCHNEIDERTE DIE ER ZÄRTLICH GRETCHEN NANNTE MIR DEN NAMEN EINES MANNES DEM ARIADNE DEN RICHTIGEN GRUNDRISS DES LABYRINTHS DES MINOTAURUS AUF DEN OBERKÖRPER TÄTOWIERT HABEN SOLL ER NUR WENN ER SEINE BLOSSEN FÜSSE IN EINE SCHALE VOLL WASSER EINTAUCHEN KONNTE IN DEM SIE SICH ZUVOR DIE HÄNDE GEWASCHEN HATTE …

Odeur einer waldgewordenen Stiefelvilla

Starten will ich heute das, was mir zu Ruhm und Ehre gereicht: Das real gesprochene Wort. Beginnen möchte ich mit dem ersten Stück zu den drei (noch) vorhandenen Gemälden, die Albera in Mischtechnik hergestellt - und nicht vernichtet hat.
 

Masten reckten sich über die Mauern ohne Zahl, ihre Augen harrten dem Licht, widersetzten sich den Antworten, die aus den tosenden Schläuchen auf der anderen Seite drängten. Die Schatten produzierten Längen, die nicht weiter trieben, als es die Hitzeschollen zuließen.

Wo blieben die Keimzellen? Wo bleibt der gestrige Blick?

Die Masten fahren fort, ihre Augen ins Unermessliche zu vergrößern. Der Blick, der ihnen gehört, deckt sich mit der Zahl all dessen, was sie sehen. Das Wasser bricht sich an Ausschnitten. Die Fertigkeiten in Laternen. Licht soll es werden, doch Licht im Innern einer Schliere.

Blicke sollen es werden, doch Blicke reichen nicht weiter als die Begrenzung der Schliere es zulässt.

Odeur einer waldgewordenen Stiefelvilla, oder:

Knaben rutschen von den Masseleibern,

fallen, dort wo es dräut, über Rückenbänke und Widerhaken, fahren jenseitigen Blickes fort, sich Gegenseitigkeiten anzutun ohne Zahl.

Der Forstherr aus Deinem Hause des erstiefelt sich gute Launen, bepeitscht, verpeitscht die Sohlen der Mooskuhlenüberläufer vor den Masten, die noch immer Licht geblieben sind, die noch immer über Hütten ranken, die zahllosen Mauern, die Knaben davor, bereits untergegangen wie der Dustermond, der die Streifen der Pechhörnchen anlockt.

Licht soll es werden, aber Licht nicht mehr. Blicke sollen es werden, aber (but) die Scheiben sind finster.

Albera Anders, Mischtechnik, Acryl und Öl, 2009

Pentagruel im Wasser

Das leichte Gewand eines quälenden Schattens umzürnt meine Haut, als ich das Wasser verlasse, um halbiert im Zwielicht zu schaukeln, die Grenzfälle beim Rauschen störe, den Fluss am fortschnellen hindere. Ungeahnt die Nähe nichtanwesender Personen, unverstanden vom Tageslicht, geblendet vom Reflex bonbonfarbener Quellgeister; Symbole, konturlose Skulpturen, einer Firnis der Berührungslosigkeit entlaufen.

Technicolor der anderen Welt. Ein großes Gemälde unterworfener Momente, ein geiferndes Trugbild. Beschlagen von Zweifeln wabern die Sinne darin. Duktus der Augen, die dieses Bild entstehen lassen. Die Nacht mit ihrem Schlund, am Mark sonnenverbrannter Gedanken saugend, durch Tagpartikel aufgeladen.

An der Wand Blutspuren, ein zufälliges Gemälde, streng in Ocker lasiert. Den Hintergrund stellt ein dreckiges Weiß, einen Hügel, deine Scham. Ich befahre dich mit einer motorisierten Zunge. Ein Niemandsland bist du, in meiner Vision ein Landstrich eklektischer Provinzen. Doch du bist nicht da. Da sein bedeutet mehr als die Phantasterei zwischen Halbschlaf und Kontrollprogramm. Kalter Schaum webt dein Bildnis (die Kähne, das Papier Bazooka-Joe) in den Ausguss, durchdrungen vom Abfall meines Gesichts. Die Zunge liegt wie ein Rebus in meinem Mund, wie ein angekettetes Tier am Gaumen, Sprache nicht möglich.

Diese Zunge steckte schon überall in dir, gut aufgehoben, warm umschlossen. Dein Körper ist Gestalt, dein Körper ist Gericht in seiner Abwesenheit. Die Klänge deiner Vergangenheit vibrieren im Spalt unserer Lagerstatt, meiner Lagerstatt, deiner Lagerstatt. Ich spreche mit deinem Schaum, den du mir hinterlassen hast, spreche die Worte ohne sie zu berühren. Jetzt sage ich sie wie unter dem Zwang zu erbrechen. Ich sibiliere sie. Ich spreche und ich sage nichts dabei, sage nicht: Ich liebe; nicht, dass ich dich liebe, nicht, dass ich dich lieben könnte, sage nicht, dass ich mir wünsche, dich zu lieben, nicht, dass ich dich gern geliebt hätte. Ich sage deshalb nichts, spüre deinen Schaum aus nächster Nähe in die unbekannte Schlucht hinabtropfen. Ein zusammengefalteter Himmel liegt vor dem Fenster, ein Himmel voller Reklame für einen beginnenden Tag.

Die Erdachse hält auch heute dieser irrsinnigen Geschwindigkeit stand. Du lächelst. Zumindest deute ich, du könntest lächeln, wenn du jetzt hier wärst. Wir benutzen das gleiche Herz, sind das Ganze, sind nicht du, nicht ich. Ich hänge über dem Weltenrand, baumle an meinen langen Tagen, den Nächten im Sumpf, erkenne mich wieder in den nackten Träumen, den geschnitzten Masken zwischen der Sonne und mir, durch hölzerner Augen Licht, durch hölzerner Nasen Staub. Meine Leidenschaft ist ein Fluch der Götter. Wo frevelte ich sie, Göttin, dich?

Herausfallend sich wieder finden auf den Straßen, die nicht darüber entscheiden, wo ich ankommen werde, dennoch den Enthusiasmus wecken, in die Ferne zu ziehen, und sei es nur, um dort gewesen zu sein, um sich einmal fremd gefühlt zu haben. Dem Horizont entgegen schlängeln. Die Straße selbst kommt nie an. Ich bin es, der Einzug hält. Aber wo? An welchem Ort? Es sind nur Agglomerationen. Die Wege halten stets eine Stadt bereit, die wie ein Organismus funktionieren. Ihre Gesetzmäßigkeiten unterliegen dem Chaos.

Die Figuren umkreisen das Zentrum ihres Universums, in dem die Zeit aufgehoben ist; vordem hatten die Zeiger eines Weckers die Ränder aufgebracht, scharfklingig, mit erstaunlicher Lust, ein Gemetzel anzurichten, das jetzt noch nicht wahrzunehmen ist, ein Meer, Ebbe und biegsame Flut, ein Universum, randgefüllt mit Wasser. Aus einer unsagbaren Ferne wehen die Klänge dickbreiiger Musik heran, die Sprache eines Pentagruel im Wasser auf der Suche nach der Flasche, das Rätsel des Raumes. Ich könnte mich erinnern, aber ich erinnere mich nicht an den Tag, der aus einem fortschreitenden Abend bestand. Das Gras roch wie nächtliche Haut, Dosen schepperten gegen Steine und Hausbeine. Wir sind aufgeklappte Schilder, tugendhafte Gespenster, beanspruchen Sichtbarkeit nur für den mitternächtlichen Moment, wiederholen das Spiel der Jahrhunderte (die Taschen gefüllt mit Froschskeletten) mit Händen, die in eine Richtung deuten, die es längst nicht mehr gibt, entschwunden im Geröll unzähliger Geschichten, die alle dasselbe meinen, die Grenze möglicher Wanderschaft.

22.07.17

Rumor VI

Nachtangst Es ist nur ein böser Traum, sagen sie. Nichts wovor man sich fürchten muss. Ich ging an einem Sonnentag Durch die Straßen meiner Stadt Ging auf den Plätzen über Kopfstein, Zwischen Menschen und in Parks, Unter Bäumen voll mit Laub Und überall war weißes Licht, Doch auch noch etwas anderes. Ich erinnere mich wie ich als Kind in einem Wald in der alten Heimat an einen tief gelegenen Ort geriet. Tief in Wäldern ist ein dunkler Ort, Eng umstanden von uralten Bäumen, Ein Ort den jeder Träumer kennt, Das Herz der ersten Finsternis, Durch dessen Tor wir niemals treten, Bis wir letzten Endes davor stehen Und in des Todes kalte Leere gehen. Nur ein Ort des Traums. Hier gibt es keine Realität. Und doch war ich dort, so tief in diesem Wald, dass kein Licht mehr mit mir ging. Einst waren alle Wälder tief genug, um diesen Ort zu bergen. Heute nicht mehr. Die Gesichter glänzten hell, Die Worte um mich ließen hoffen, Dass alles heil und lebend sei, Die Gespinste aus den Träumen Nur Nebel aus dem Geiste seien, Dass Leben wirklich Leben sei Und stark wie grüne Triebe. Doch der Schein der Sonne trügt. Die Stadt verrottet unter dem Putz, ihre Menschen verfaulen unter der Haut und das Blau des Himmels ist nur … Ich kann jetzt die Maske sehen, Nacht hat sich in den Tag gekleidet, Wie ein Wolf im Schafspelz steckt. Nur ist der Tag der Nacht zu klein, Die im Innern ungebunden wächst, Darum bricht sie aus den Nähten, Du kannst sie in den Schatten sehen. Sie bricht heraus wie schwarze Tiger aus Karton mit Schwefelaugen. Die Nacht kleidet sich in alle Dinge, Wenn auch form- und lichtlos schwarz, So hat sie doch Gestalt und Macht Im blauen Lichtgewand des Tages, Das nur ein Tuch aus Träumen ist, Vor Schatten und bösen Gesichtern, Aus nichts als trügerischem Licht. Wie kam ich aus dem Wald? Wie aus der Stadt heraus? Auch Städte haben tiefe Orte. Städte sind die großen Wälder geworden. Noch einmal wiederhole ich: In allen Dingen steckt die Nacht, Aus allem Hellen bricht die Macht, Die auch zwischen Sternen kauert, Zum Sprung bereit wie Panther Schwarz und schwarz und schwarz, So tief und schwarz wie der Tod. Es ist der Tod. Er ist es wirklich, jener Ort, der so finster in den Träumen liegt und wacht. Drohung sickert durch die Ritzen, Wie dunkles Blut aus toten Körpern, Reichert meine kalten Träume an Und bei Licht mein wildes Denken. Hier ein Gesicht voll dunkler Gruben, Dort ein Dickicht voll von Pein, Ein hässlicher Gedanke am Himmel. Die Stadt, der Wald, mein Traum, der Tag. Alles nur in meinem Kopf. Ein Hier in dem es keine Realität gibt. Es gibt nichts Schlimmeres als das!

Rumor V

Drei türen Du kommst da an einen punkt, wo es nicht weitergeht. Du musst zwischen zwei türen wählen, die eine ist der versuch, dein altes weltverständnis beizubehalten, die andere ist wahnsinn. Und dann, wenn du nicht einfach kopflos losgerannt bist, bemerkst du die dritte tür, die in den hyperwahnsinn führt, oder in eine geistige gesundheit höherer art  

esomania Eine universität der besonderen art Alle professoren sind wahnsinnig Die universität ist also ein irrenhaus Und um hier zu studieren Muss man erst mal eingewiesen werden

am anfang sagte ich ein wort und dieses wort war werde am anfang schuf ich gott dann den himmel und die erde und die erde machte ich zur wüste und fegte sie leer und mein schatten lag finster auf der tiefe und mein geist schwebte auf dem wasser und gott sagte „es werde licht“ ich aber sagte „tu das besser nicht“ und gott sah ein, dass das gut war  

Herr meiner selbst der ich bin am leben ich spreche meinen namen auf das ich zu mir komme mein wille geschehe wie im geiste so auch auf erden mein tägliches brot verdiene ich heute und vergebe mir meine schuld auf das ich auch anderen vergeben kann und ergebe mich nicht der versuchung sondern erlöse mich von meinem übel denn mein ist das leben und die kraft und die verantwortung in wirklichkeit so soll es sein  

Im heim des grünen drachen Zu asche zerfallen Das gute leben Hinterm horizont Dem heim des grünen drachen Erwachen erwachen Die augen gelichtet Lege hand an stab und schwert Und Richte den blick Leere die schale Nimm sicheren stand Und Tue den flammenschritt  

Kehraus Der Rückbau der Weltbühne schreitet voran. Die Wälder und die Tiere sind längst heimgekehrt, Jetzt verschwinden die Meere, Lassen uns an sinnlosen Stränden zurück. Die Städte und Häuser, Straßen und Lichter, Die Menschen schließlich gehen zuletzt Und hinterlassen nur Wind und Leere und Stein, Bis dann am Ende noch der letzte Fels zu Sand zermahlen, Mit dem Wind sich aufmacht und verfliegt.  

dédié à C.baudelaire der dichter sagt’s – schon lange her und ich der tropf so lange suche sehr nach worten die dies sagen in meinen sinnlosen tagen sollt ich lesen anstatt schreiben nur um zu folgen meiner seele dunklen spur was licht aus andrer worten auf mein leben fällt mich fortweg im verwundern hält

Sturmwarnung

Blaulichtgewitter heute in allen Gassen. Der Sommer bricht, und die gellenden Sirenen der Einsatzfahrzeuge blasen unablässig Warnungen vor dem anrollenden Sturm. Die Straßen sind leerer als zuletzt. Ich vermute, die Menschen sitzen in ihren aufgeheizten Häusern und schwelgen in der süßen Melancholie vergangener Sommerabende, die einem von der unerträglichen Schwüle vorgegaukelt werden. Mein Hund und ich schleichen unterdessen bei unseren kurzen Wanderungen im kargen Schatten an den Mauern entlang und kämpfen uns tapfer von Klimagebläse zu Klimagebläse. Die Intervalle zwischen den Straßenbahnen sind enorm und kaum abzuwarten. Wir gehen erst später wieder raus, wenn hoffentlich der Orkan die Straßen der Stadt völlig leergefegt hat und die Menschen damit beschäftigt sind, sich trotz des infernalen Heulens vor der Haustür lächelnd an ihre atemlosen Leben zu klammern, und dabei ihre verbissene Hoffnung verschweigen, dass der Sturm ihnen nicht die Dächer direkt über den Köpfen abträgt. Diese Zeilen sind zuversichtlicher gemeint, als sie sich eventuell anhören mögen. Ich freue mich auf den Regen auch dann, wenn er erst morgen kommen sollte.

Rumor IV

Rumor ist eine Bassline

und so ritze ich
mit einer Feder aus Stahl
mit scharfer Spitze
dir Worte hinter die Stirn
und mit Saiten aus Stahl
Basslinien in dein Gebein

Die Unterwäsche der Vergangenheit

Ich weiß, ich soll hier in erster Linie Ratschläge verteilen, aus dem unerschöpflichen Fundus meiner apostolischen Berufung das Praktische herauskehren; aber ich denke, dort kommen wir hin, wenn ich Folgendes erzähle.

Dass wir unsere Körper alle sieben Jahre vollständig erneuern, hat sich ja längst herumgesprochen. Während ich heute am frühen Morgen so vor meinem Blumenfenster saß und in mein Milchhörnchen biss, um mich an seinem Geschmack zu erfreuen, den ich seit Kindheitstagen kenne, da überkam mich die Frage, mir zu überlegen, wer ich denn überhaupt bin, wenn ich alle sieben Jahre verdunste - und ob ich mit diesem Geschmack in der Frühe nicht einen Irrtum begehe. Kopiere ich hier nicht eine Person, die ich ja längst nicht mehr bin? Vielleicht - und ich hörte redlich in mich hinein - hätte ich viel lieber nach dem Aufstehen eine dampfende Schweinehaxe und einen Humpen Bier? Aus Trauer aber, weil ich mich ja einst kannte und gut mit mir auskam, als ich noch lebte, könnte ich doch etwas übernommen haben, das mich an die Freundin (wie sollte ich mein früheres Wesen sonst nennen?), die ich mir war, erinnert. So wie man Mais frisst, um seiner indianischen Vorfahren zu gedenken, nicht?

Nun, ich werde wohl keine große Philosophin mehr werden, aber ich sprang gleich auf und packte meine Unterwäsche und sonstige Kleidung, die sich länger als sieben Jahre in meinem Besitz befindet, in einen Müllsack, und in noch einen. Ach, und dann in noch einen. Ich würde ja nicht einmal die Wäsche meiner Schwester ohne Vorbehalt anziehen, so viel Not leide ich ja nun nicht.

Dabei stellte ich fest, dass ich mit dieser Aktion weit über die Hälfte meines Kleiderschranks eliminierte. Wir Mütterchen im besten Alter rutschen nicht mehr so kribbelig auf dem Hosenboden herum - uns hält der Zwirn deshalb ein wenig länger.

"Kurt!" sag' ich; "Kurt, willst du mich nicht endlich zu deiner Frau nehmen?"

Er sieht mich, ratlos neben den Wäschebergen stehend, verdutzt und auch etwas besorgt an. Und ich erkläre ihm, dass wir natürlich gar nicht verheiratet seien, weil ich ja die, die er geehelicht hat, gar nicht mehr bin, und ich unmöglich mit jemand in wilder Ehe zusammenleben könne. "Außerdem plädiere ich dafür, dass wir uns mal so richtig gut kennen lernen, und dass du die Klamotten, die dir nicht gehören nach meinem Vorbild entsorgst!"

"Renate", sagt er, "Renate, geht's dir gut?"

Urlust des Scheinens

Vor einem Jahr

Manchmal reicht der Tag für eine einzige Strophe, die man getrost auch Absatz nennen darf. Wie bei Schuhen. Urlust des Scheinens. Die Säfte wallen auf, jede Begegnung ist total, damit sie einen Abdruck hinterlässt. Sprachlosigkeit hingegen ist nicht der Tag, an dem man keine Worte mehr findet, sondern der Tag, an dem die Sprache nichts mehr nützt.

21.07.17

Frontbericht

In aller Kürze mein Frontbericht: die Stimmen sprachen, es gäbe einen Krieg zu verhindern und ich glaubte ihnen. Sie haben mir den ganzen Nachmittag lang zugeflüstert, während ich ansonsten nur unter einem säuselnden Blätterdach saß und die Zukunft der Stadt entworfen habe. Kleine Roboter und große Gespräche über Politik. Die Geschichte über den vergessenen Spion in der Fremde ist jetzt, wo es Abend wird, tatsächlich schon beinahe fertig. Sie muss nur noch geschrieben werden. Dann darf er endlich heim.

Rumor III

hatte ein Springmesser aufgeschnappt im Bauch mitgetragen, dass sich jetzt schließen darf.
Scharfe Gedanken, die sich doch an der Spitze abstumpfen.
Müsste jetzt mal aus dem Kratzen ein Rollen machen, um heil über den Kanal zu segeln, nicht an der Kontrolle davor zu scheitern, weil Benzin im Gepäck vergessen und Feuer in der Hosentasche, was in Verbindung mit Flasche und Handtuch zum Stirnabtrocknen aussieht, wie ...
Da ist eine Tiefe dazwischen, wo es zweihundert Meter weit unter das Wasser geht. Ich bin schon einmal mit dem Schiff darüber gewesen. Und auf der anderen Seite, kurz vor Hy Brazil, auf Grund getreten, wo sich nichts als Steine aus dem Grün nach oben drängt und man so notgedrungen Mäuerchen baut in den Torf.
An der Westgrenze zum Graurunzel, dem alten Ozean und seinen Sharkwaves, die am Land herumbeißen, liegt eine Stadt. Da sind damals fast verhungerte Menschen gen Amerika ausgewandert, als das mit den Kartoffeln war.
So weit an der Oberfläche liegt die Steinzeit sonst nur im Odenwald. Danaans Völker kamen hier etwas nödlich an und setzten ihre Schiffe in Brand, hauten sich erst mit den Fir Bolg und dann mit Fomoren. Man kann davon Spuren sehen und eine Menge Hügel- und Hünengräber, wo die Wolken ganz niedrig drüberziehen und die Seeluft so nach Salz schmeckt, dass man den Fisch ungewürzt genießen kann. Torf, Steine, Grün - mehr gibt es nicht und das ist genau die Menge, die ich jetzt brauche, nämlich weniger, weniger, weniger und das Springmesser sich mal hinlegen lassen, von mir aus wegrosten, sich zu dem alten KRam gesellen.
Ein kleines Boot besteigen, zur noch kleineren Insel fahren, Wind blasen lassen.
In dem Buchladen am Hafen nach - natürlich - Büchern schauen und euch durch diese hindurch aus der lieben Ferne zuwinken.

Bis jetzt nur ein Rumoren, aber bald ...

Von elementaren Boten

Die letzten Tage bis zum Erhalt des Schlüssels für die neue Wohnung empfinde ich als zähe. Das mag daran liegen, dass ich noch einiges erledigen muss. Und eigentlich schon erledigt hätte, würden sich gewisse Dinge, und wie wir sie uns eingerichtet haben in dieser Welt, einfacher erledigen lassen. So vermute ich mittlerweile, dass es leichter ist ein Klavier mit Dick & Doof umzuziehen, als mit dem eigenen Geld. Was ja doch nur eine Zahl auf einem Konto meint. Fiktional, entmaterialisiert, algorithmisch. Habe auch nie ganz verstanden wie es zu der Redewendung flüssig / liquide sein kommen konnte.

Elementares trifft auf monetäres Denken. Oder auf meine Telefonstimme und linke Ohrmuschel. Orales Netz. Zerflossene Tat. Und alle Nymphen lachen sich scheckig. Lachflecken sind mindestens so schön wie Arschbackengrübchen. Mein Abgeschwiffen-und-Wusch-Impuls rettet mich auch hier wieder.

Auf einem Dach aus einer Rinne voll Blut trinken Herr Fittich und Frau Gurre, wäre eine, vor meinem inneren Auge entstandene, visuelle Übersetzung davon. Eine, die den Ernst beibehält. Ihn einfach nur auf anderer Ebene verstoffwechselt.

Dieses Bild wiederum mag daher kommen, dass Carl heute Morgen um halb Fünf, da er nicht mehr in den Schlaf finden konnte, sich in meinen hineinschmuste, und mir besorgt mitteilte, dass er noch überhaupt keine einzige Vogelstimme vernommen habe, was für diese Uhrzeit, wie er betonte, sehr ungewöhnlich ist. Tatsächlich! Es war nichts zu hören, nur hin und wieder ein Auto, das den Berg hinauf, in den Tagesschlund der Betriebsamkeit hinein fuhr. Doch dann hörten wir sie. Raben und Krähen. Die hiesigen Künder der noch steigenden Eos. Unser Gold im Mund war der frühe Kaffee, den wir uns gönnten, während wir uns angeregt über die Krähen- und Rabenpopulation hier in Kempten unterhielten. Wir fanden sogar heraus, dass Kempten die Stadt in Deutschland ist, die die größte Population zählt. Mich würde sehr interessieren, nach welchen Bedürfnissen solche Tiere ihr Habitat wählen. Welche Attraktivitäten dafür ganz generell gegeben sein müssen. Außerdem ist uns aufgefallen, dass sie sich in den letzten Tagen, wie wir vom Balkon aus beobachten konnten, häufig auf dem Dach der alten Spinnerei einfinden und tagen. Kleinere Bünde wiederum wählen umliegende Bäume, in der Nähe von dieser. Das ist wahnsinnig spannend zu verfolgen, besonders wenn sie sich aus allen Richtungen kommend versammeln. Hitchcock hätte seine Freude gehabt. Und ich kann nicht leugnen, dass sie mir durchaus, besonders in dieser auftretenden Masse, auch wie Endzeitboten erscheinen, die von Untergang und Aufgang künden, den Wettern und den Wettermachern. Das Parlament der Rabenvögel. Boten zwischen Himmel und Erde.


Jedoch zu solchen Vertreibungsversuchen von uns Menschen, wie sie die Stadt Kempten unternommen hat, würde John Marzluff, ein US-amerikanischer Ornithologe und Ökologe, wohl sagen: Menschen und ihre seltsamen Verhaltensweisen haben die Krähe schon immer fasziniert. 

Sehr feinsinnig. Echt witzig der Mann.

18:15 Es hagelt.

Nymphentag 16

Dass ausgerechnet heute um 4 Uhr in der Früh nicht etwa der Wecker anbimmelte, sondern die Blase, und ich danach nicht mehr in den Schlaf finden konnte, weil die Helligkeit schon spürbar in den Raum drang und noch immer keine Vogelstimmen zu hören waren, veranlasste auch die erwachte Albera, mit mir zusammen nach dem frühen Wurm zu suchen. Die Krähen tauchten dann doch auf, und in Kempten gibt es davon die größte Population ganz Deutschlands.

Die geschützten Vögel verunreinigen nicht nur Wege und Bänke, sondern auch geparkte Fahrzeuge. Doch die Stadt ist machtlos. Alle Vergrämungsversuche waren bisher erfolglos.
war in der Allgäuer Zeitung zu lesen.

Vor allem die vollgeschissenen Blechkarren freuen mich besonders.


Nun hielt unser neu erwachtes Früherwachen nicht lange stand und gen 5 Uhr verwickelten wir uns wieder in die eigentliche Realität des Schlafes, die dann bis halbzehn anhielt.

In Kürze wird Michael Liberatore bei uns mitschreiben, seines Zeichens Illustrator, wie ja jeder weiß, der hier liest.

Turmzimmer zu Karstenfels

Ich muss erneut eingeschlafen sein. So viele Schlafe, da mag ein Schlaf getrost kein Schlaf sein. Schlaff natürlich wird der Körper, daher kommt’s; aufstehen, erschlaffen und so fort. Ich stecke im Hotelzimmer meiner Chimären fest, das vorzeitige Erwachen betrifft nur meine doppelte Existenz. Jede der beiden will die Oberhand gewinnen. Das könnte sich als wichtig erweisen, wenn es einmal darum geht, wer ich bin, wer ich heute bin, wer ich gestern war. Der Ausschluss anderer Existenzen ist der konsequente Wegfall vieler alternativer Möglichkeiten, aber die Existenz selbst ist so schwammig, dass jedes Philosophieren darüber nur ein weiteres Spiel bleibt, ein Zeitvertreib; jeder Gedanke an ein anderes Leben ein Schatten, der nie wirklich da ist, aber auch niemals ganz verschwunden; mauvaise foi.

Unter verklebten Lidern befindet sich noch ein Rest der wirklichen Umgebung, eine dampfende Laterne, von Faltern umschwärmt. Da ist keine Erinnerung, nur eine trockene Kehle. Körperfunktionen halten inne, der Puls ist ein kleinwüchsiges Klopfen, die Säfte sind erstarrt, tief ins Gewebe zurückgezogen; die letzten Inseln lauernder Funktionslosigkeit. Bilder kehren mit dem Blut zurück zum Herzen, reisen mit Transferrin im Eisenbahnwaggon, Schubtore geschlossen, damit während der Langsamfahrt niemand aufspringen kann, Rucksack in die Ecke, Guitarre raus (ein Hobo!). Nichts gegen den King Of The Delta Blues Singers oder Seasick Steve, wir aber reden hier von Gedanken, von Geschehnissen. Das ist kein Swamp-Soundtrack, das ist eine Geige, die sich Ritzen sucht. Da fällt durch, was sie ausscheidet, klagende, kratzende Diarrhoe.

Das Licht spielt, wie es von jeher mit der Welt spielte. Planetenstaub, angebumst von koronalen Massenauswürfen, Tiktaalik rosea, der dann Affe wurde. Bettzeug, das nach barocken Liebeslagern muffelt. Die Zunge der Zeit hat hier mit fetten Zotten den frischen Geschmack in den Rachen befördert. Der Eindruck ist nur noch ein finsteres, oxidierendes Relief. Wo bin ich? Ich will nur meine Stimme hören, die mir der Katzenjammer zugesteht. Es gibt Märchen, da antwortet der Teekessel überschwappend der magischen Brühe: »Rauss mitt dirr, bevor man die Prinsessin skalpiert!«

Und ein Pferd tritt ein (Ah! Es ist ein Friesenhengst, mit Hafer in den Ganaschen!), der junge Held von burlesker, ganymed’scher Schönheit tränkt seinen Körper im jetzt golden dahinfunkelnden Sonnenschein, der durch die Risse der garstigen Schwiegermutterscheiben taumelt. Dann ein recht merkwürdiger Name, sagen wir, Behrokh, sagen wir, Behrokh Espenlauba, die zitternd mit noch blonder Mähne im Turmzimmer zu Karstenfels ganz oben unterm Dach dem Einen harrt, der eine sehr, sehr durstige Kehle hat. Das Märchen beschreibt das runde, zugige, und von außen abgeriegelte Zimmer mit ein, zwei romantischen Paradesätzen, verschweigt die Bettpfanne, den stinkenden Essenstrog, erwähnt allerdings die Unmöglichkeit, das Gemäuer zu erklimmen. Viele haben’s schon versucht, hört man da, alle sind sie schauerlich deformiert und zerbreit an ihrem Leib ins Geisterreich gefahren.