Sonnabend, der 11. Februar 2006.
6.42 Uhr:
[Kinderwohnung. Filterkaffee. Klägliche Versuche, mir Zigaretten zu drehen.]
„Ich kann Dir sagen“, ließe sich ins Tagebuch rufen, „>>>> d a s war vielleicht ein Traum!“ Aber den können Sie nachher in den TRAUMPROTOKOLLEn lesen, wenn ich das sehr kleine, außerdem, was meine Erinnerung anbelangt, inhaltslose Stück notiert und vielleicht etwas umformuliert, es – poetisch gesprochen – ‚erfunden’ haben werde. Denn erst einmal möchte ich ein weniges zu gestern abend, zu >>>> der Lesung, dem 3. Mittenwalder Salon, nachtragen, auch wenn das scheinbar von ARGO wegführt, woran ich heute noch gar nicht saß. Ich glaube ja nicht, daß irgend etwas, das einen beschäftigt, tatsächlich von einem anderen wegführen k a n n, mit dem man eigentlich befaßt ist: Es denkt sich weiter, wechselt aber die innere Konstruktionsplattform, denkt sich nämlich innerlich, im Unbewußten, das nach ganz ähnlich harten Regeln und Gesetzen formt, wie es die bewußte, ‚wache’ Poetologie tut – und vielleicht sogar nach härteren. Unvermittelt setzt man dann dort, wo aufgehört wurde, wieder an – und wirft in die Datei eine völlig ausgefeilte, eine fertige Szene, die aus dem Unbewußten lediglich abzuschreiben, aus ihm herauszuschreiben war. Wobei das s o wahrscheinlich nur funktioniert, ist jemand bereits über Jahre künstlerisch beschäftigt. Was Kafka geschah, mit dem so formvollendeten „Urteil“, das er in einer einzigen Nacht hingeworfen habe, ist n i c h t allgemeiner, schon gar nicht ein normaler Fall.
Die Lesung also gestern abend. Ich werde >>>> diesen Fehler nicht abermals begehen, n i c h t über die Mitvortragenden, also ihre Texte, sprechen; was mir gefiel, was mir nicht gefiel; es gab damals im Nachgang ein zu böses Blut. Nein, ich konzentriere mich auf meinen kleinen Text und vor allem auf seine Wirkung. Er ist im >>>> Schöngeist erschienen; Sie können sich DIE UNHEIL h i e r herunterladen und selber lesen, worum es geht. Ich halte das Textchen für f a s t vollendet; es i s t eines jener Stücke, die mit einem Mal, ohne langes Fackeln, entstehen, die sich schreiben und nachher einiger stilistischer Eingriffe bedürfen, mehr aber nicht. Das Interessante an ihnen ist, daß sie einem selbst, der sie schrieb, sogleich fremd sind, vollendet und fremd, vielleicht verstehen Sie, was ich meine.
Der Text kam nicht rüber, wie man sagt, jedenfalls nicht bei denen, die sich nachher zu Wort meldeten; wer denn „Die Unheil“ s e i, wollte man wissen, wieso „die“, wieso nicht „der“ oder weshalb sowieso nicht „das“? Es sei viel zu ungewiß, war ein anderes Argument, man wolle genau wissen, um was es eigentlich gehe. Pragmatiker suchten nach dem ‚Boden’; eine junge Autorin meinte gar, sie habe sich die ganze Zeit gefragt, wie denn der Vorname von „Frau Unheil“ laute. Usw. Dabei stand ganz offensichtlich im Raum die Geschlossenheit dieses Textchens, auch die Zumutung, die es bedeutet: den Hörern Das Fremde zuzumuten, etwas, das anders ist als sie sind (auch, als ich bin, sicher). Das sich nicht mit realistischen Modi erklären läßt.
Ich reagierte ruhig, wirkte sicherlich arrogant, aber das i s t so, wenn jemand aus der Fülle einer Bildung argumentiert,die die anderen nicht haben – das ist kein Hochmut, sondern s i e wissen a n d e r e s; der Umstand selbst ist aber Fakt. Ich merkte das, als ich mit dem Beispiel der h-moll-Messe kam. Man wußte einfach nicht, was ich meinte, man hatte, was ich meinte, nie gefühlt (man hatte, ich will hier bewußt vorsichtig sein, a n d e r e s gefühlt). So argumentierte ich auch: „Wenn der Text nicht an Sie herangeht, dann kann ich das nicht ändern. Dann möchte ich das auch gar nicht ändern. Ich find das auch nicht schlimm.“ „Weshalb lesen Sie’s dann vor?“ (Darin schwang mit ein „Sie haben die Verpflichtung, mich konsumieren können zu lassen.“) „Weil es möglicherweise Menschen gibt, an d i e es herankommt.“
Es wurde aggressiv im Raum. Ich sprach von dem „metaphysischen Schauer“, um den es gehe. Eine Hörerin wurde deswegen ausgesprochen ärgerlich; sie und ihr rheinisch-dialektaler Begleiter hatten die Diskussion ziemlich bestimmt; jetzt lachte sie ein wenig höhnisch auf: Was das denn sein solle, ein „metaphysicher Schauer“. Ich: „Das fühlen Sie.“ Sie: „Was für einen Unfug Sie da sprechen, was für Worte Sie benutzen!“ Ihr ganzer innerer Pragmatismus, das war gut zu spüren, lehnte sich in ihr auf, dieses „Ich habe die Welt im Griff und lasse mir nicht von einem arroganten Schnösel sagen, sie sei in Wirklichkeit anders“. Es brodelte in ihr, und ich spürte, wie sich das in mir spiegelte. Viele Emotionen, gerade Aggression, sind übertragbar. Ich ließ mich meinerseits aber nicht oder doch nur wenig provozieren, blieb möglichst strikt bei der Sache; Versuchen, sie zu veralbern, setzte ich meinen Ernst entgegen, so glitten die aus. Dabei entstand ein Ungleichgewicht in der, sagen wir einmal, rhetorischen Präsenz. Ich war ja um keine Antwort verlegen, saß da, merkte es selbst, wie ein fremdes unsoziales Ding, das mitten in eine sozialregulativ organisierte Gemeinschaft von lauter einander wohlmeinenden Menschen gefallen ist. Das war aber nicht ich, sondern das war dieses Textchen, für das ich einstand. Ein Begriff (ich meine selbstverständlich den Inhalt) wie „metaphysischer Schauer“, der übrigens nicht von mir ist, sondern von einem meiner Erzverächter, dem Literaturjournalisten Thomas Steinfeld (Süddeutsche Zeitung) - ich übernahm das Wort gestern abend spontan und weiß selber gar nicht, warum, bestehe nun aber drauf - ... ein solcher Begriff m u ß auf Konsum oder bewußtes Begreifen gerichteten Hörern nicht nur fremd, nein, auch skandalös sein; zumindest provoziert er das ‚aufgeklärte’ Bewußtsein. Auch Pop-Sozialisation spielt wohl eine Rolle, also kapitalistische Ideologie, die eine säkularisierte Form von Glaube, von Religion ist. „Ich verstehe diese Reaktion auf den Text nicht“, sagte mir auf dem Stück gemeinsamen Nachhauseweges >>>> Juliette Guttmann, „er ist doch - von der sprachliche Formung einmal ganz abgesehen – völlig klar, alles stimmt. Aber vielleicht liegt es daran: Man sagt Ihnen, Ihr Text kam nicht an. So etwas ist zwar meist freundlich formuliert, aber ja doch ein heftiges Urteil. Und was man nun nicht gewöhnt ist, das ist, daß Sie selbstüberzeugt auf diesem Text beharren und dabei ruhig bleiben und den Text logisch und poeto/logisch zu verteidigen wissen.“ „Ich bin mir ganz sicher“, sagte ich ihr, „daß dieser kleine Text vielen Leuten im Bewußtsein bleiben wird, unbewußt im Bewußtsein, um das paradox auszudrücken.“ Und jener Hörerin, die dem Begriff des metaphysischen Schauers so höhnisch begegnet war, hatte ich lachend entgegnet: „Aber Sie können m i r doch nicht I h r e n Mangel an Kunsterfahrung vorwerfen.“ Da wallte es durchs Publikum. „Ich k e n n e diesen Schauer“, so legte ich nach, „Sie offenbar nicht. Das hat sicherlich Gründe, gar keine Frage, aber was Sie jetzt so ärgerlich stimmt, ist Ihr Gefühl, möglicherweise etwas verpaßt zu haben.“
Die Blicke im langen Flur, wo geraucht werden durfte, waren eisig. Wobei ich das Gefühl hatte, i c h sei das Eis, ein Eisb l o c k, dem man übelnimmt, daß er ästhetische, fast prophezeiende Kälte gebracht hat. Als prophezeiend empfinde ich ja selbst diesen Text, fremd prophezeiend, meine persönliche Sicht auf die Dinge ist ganz anders, ist wohlwollend, angstfrei, weniger mythisch und fast optimistisch. Ist sehr viel spielerischer. Aber ebendie die Kälte, die in die Biergärten und die Büros einbrach, wovon das Textchen erzählt, die Kälte Der Unheil, von der niemals klarwird: hat sie den Erzähler wahnsinnig gemacht, und die Geschichte stellt den Ausbruch einer Geisteskrankheit dar, oder hat recht, der sie erzählt... – eben diese Kälte stand nun in Gestalt meines Körpers im Flur. Wobei der Umstand noch eine kleine rezeptionsironische Volte war, daß ein anderer Text dieses Abends von Heinrich von Kleist erzählte. Er wurde direkt vor dem meinen gelesen und erzählt auf pfiffig-rhtyhmisierte, die Sprache verstellende Weise (Kleist stotterte, das nimmt dieser Text in die Form) das Unglück dieses für mich überaus wichtigen Dichters – und wie ins Herz es ihm dringt, daß er nicht verstanden wird. Dazu war nun die Wirkung, bzw. Wirkungslosigkeit meines eigenen Textchens geradezu eine allegorische Fußnote.
Mein kleiner Junge war auf einem Sofa eingeschlafen, er war schlaff wie eine tote Katze; es war nicht leicht, ihn zu wecken. Enorm tapfer ist er gewesen, in der S-Bahn schlief er sofort wieder ein, und während der kleinen Fußgänge trug ich ihn auf den Schultern durch die kalte Nacht nach Hause. Ich entkleidete ihn im Bett, er lächelte, wir sprachen noch miteinander, bis meine Worte in seinen Traum übergingen, für den er irgendwann und immer noch lächelnd bereitwar.
[Kinderwohnung. Filterkaffee. Klägliche Versuche, mir Zigaretten zu drehen.]
„Ich kann Dir sagen“, ließe sich ins Tagebuch rufen, „>>>> d a s war vielleicht ein Traum!“ Aber den können Sie nachher in den TRAUMPROTOKOLLEn lesen, wenn ich das sehr kleine, außerdem, was meine Erinnerung anbelangt, inhaltslose Stück notiert und vielleicht etwas umformuliert, es – poetisch gesprochen – ‚erfunden’ haben werde. Denn erst einmal möchte ich ein weniges zu gestern abend, zu >>>> der Lesung, dem 3. Mittenwalder Salon, nachtragen, auch wenn das scheinbar von ARGO wegführt, woran ich heute noch gar nicht saß. Ich glaube ja nicht, daß irgend etwas, das einen beschäftigt, tatsächlich von einem anderen wegführen k a n n, mit dem man eigentlich befaßt ist: Es denkt sich weiter, wechselt aber die innere Konstruktionsplattform, denkt sich nämlich innerlich, im Unbewußten, das nach ganz ähnlich harten Regeln und Gesetzen formt, wie es die bewußte, ‚wache’ Poetologie tut – und vielleicht sogar nach härteren. Unvermittelt setzt man dann dort, wo aufgehört wurde, wieder an – und wirft in die Datei eine völlig ausgefeilte, eine fertige Szene, die aus dem Unbewußten lediglich abzuschreiben, aus ihm herauszuschreiben war. Wobei das s o wahrscheinlich nur funktioniert, ist jemand bereits über Jahre künstlerisch beschäftigt. Was Kafka geschah, mit dem so formvollendeten „Urteil“, das er in einer einzigen Nacht hingeworfen habe, ist n i c h t allgemeiner, schon gar nicht ein normaler Fall.
Die Lesung also gestern abend. Ich werde >>>> diesen Fehler nicht abermals begehen, n i c h t über die Mitvortragenden, also ihre Texte, sprechen; was mir gefiel, was mir nicht gefiel; es gab damals im Nachgang ein zu böses Blut. Nein, ich konzentriere mich auf meinen kleinen Text und vor allem auf seine Wirkung. Er ist im >>>> Schöngeist erschienen; Sie können sich DIE UNHEIL h i e r herunterladen und selber lesen, worum es geht. Ich halte das Textchen für f a s t vollendet; es i s t eines jener Stücke, die mit einem Mal, ohne langes Fackeln, entstehen, die sich schreiben und nachher einiger stilistischer Eingriffe bedürfen, mehr aber nicht. Das Interessante an ihnen ist, daß sie einem selbst, der sie schrieb, sogleich fremd sind, vollendet und fremd, vielleicht verstehen Sie, was ich meine.
Der Text kam nicht rüber, wie man sagt, jedenfalls nicht bei denen, die sich nachher zu Wort meldeten; wer denn „Die Unheil“ s e i, wollte man wissen, wieso „die“, wieso nicht „der“ oder weshalb sowieso nicht „das“? Es sei viel zu ungewiß, war ein anderes Argument, man wolle genau wissen, um was es eigentlich gehe. Pragmatiker suchten nach dem ‚Boden’; eine junge Autorin meinte gar, sie habe sich die ganze Zeit gefragt, wie denn der Vorname von „Frau Unheil“ laute. Usw. Dabei stand ganz offensichtlich im Raum die Geschlossenheit dieses Textchens, auch die Zumutung, die es bedeutet: den Hörern Das Fremde zuzumuten, etwas, das anders ist als sie sind (auch, als ich bin, sicher). Das sich nicht mit realistischen Modi erklären läßt.
Ich reagierte ruhig, wirkte sicherlich arrogant, aber das i s t so, wenn jemand aus der Fülle einer Bildung argumentiert,die die anderen nicht haben – das ist kein Hochmut, sondern s i e wissen a n d e r e s; der Umstand selbst ist aber Fakt. Ich merkte das, als ich mit dem Beispiel der h-moll-Messe kam. Man wußte einfach nicht, was ich meinte, man hatte, was ich meinte, nie gefühlt (man hatte, ich will hier bewußt vorsichtig sein, a n d e r e s gefühlt). So argumentierte ich auch: „Wenn der Text nicht an Sie herangeht, dann kann ich das nicht ändern. Dann möchte ich das auch gar nicht ändern. Ich find das auch nicht schlimm.“ „Weshalb lesen Sie’s dann vor?“ (Darin schwang mit ein „Sie haben die Verpflichtung, mich konsumieren können zu lassen.“) „Weil es möglicherweise Menschen gibt, an d i e es herankommt.“
Es wurde aggressiv im Raum. Ich sprach von dem „metaphysischen Schauer“, um den es gehe. Eine Hörerin wurde deswegen ausgesprochen ärgerlich; sie und ihr rheinisch-dialektaler Begleiter hatten die Diskussion ziemlich bestimmt; jetzt lachte sie ein wenig höhnisch auf: Was das denn sein solle, ein „metaphysicher Schauer“. Ich: „Das fühlen Sie.“ Sie: „Was für einen Unfug Sie da sprechen, was für Worte Sie benutzen!“ Ihr ganzer innerer Pragmatismus, das war gut zu spüren, lehnte sich in ihr auf, dieses „Ich habe die Welt im Griff und lasse mir nicht von einem arroganten Schnösel sagen, sie sei in Wirklichkeit anders“. Es brodelte in ihr, und ich spürte, wie sich das in mir spiegelte. Viele Emotionen, gerade Aggression, sind übertragbar. Ich ließ mich meinerseits aber nicht oder doch nur wenig provozieren, blieb möglichst strikt bei der Sache; Versuchen, sie zu veralbern, setzte ich meinen Ernst entgegen, so glitten die aus. Dabei entstand ein Ungleichgewicht in der, sagen wir einmal, rhetorischen Präsenz. Ich war ja um keine Antwort verlegen, saß da, merkte es selbst, wie ein fremdes unsoziales Ding, das mitten in eine sozialregulativ organisierte Gemeinschaft von lauter einander wohlmeinenden Menschen gefallen ist. Das war aber nicht ich, sondern das war dieses Textchen, für das ich einstand. Ein Begriff (ich meine selbstverständlich den Inhalt) wie „metaphysischer Schauer“, der übrigens nicht von mir ist, sondern von einem meiner Erzverächter, dem Literaturjournalisten Thomas Steinfeld (Süddeutsche Zeitung) - ich übernahm das Wort gestern abend spontan und weiß selber gar nicht, warum, bestehe nun aber drauf - ... ein solcher Begriff m u ß auf Konsum oder bewußtes Begreifen gerichteten Hörern nicht nur fremd, nein, auch skandalös sein; zumindest provoziert er das ‚aufgeklärte’ Bewußtsein. Auch Pop-Sozialisation spielt wohl eine Rolle, also kapitalistische Ideologie, die eine säkularisierte Form von Glaube, von Religion ist. „Ich verstehe diese Reaktion auf den Text nicht“, sagte mir auf dem Stück gemeinsamen Nachhauseweges >>>> Juliette Guttmann, „er ist doch - von der sprachliche Formung einmal ganz abgesehen – völlig klar, alles stimmt. Aber vielleicht liegt es daran: Man sagt Ihnen, Ihr Text kam nicht an. So etwas ist zwar meist freundlich formuliert, aber ja doch ein heftiges Urteil. Und was man nun nicht gewöhnt ist, das ist, daß Sie selbstüberzeugt auf diesem Text beharren und dabei ruhig bleiben und den Text logisch und poeto/logisch zu verteidigen wissen.“ „Ich bin mir ganz sicher“, sagte ich ihr, „daß dieser kleine Text vielen Leuten im Bewußtsein bleiben wird, unbewußt im Bewußtsein, um das paradox auszudrücken.“ Und jener Hörerin, die dem Begriff des metaphysischen Schauers so höhnisch begegnet war, hatte ich lachend entgegnet: „Aber Sie können m i r doch nicht I h r e n Mangel an Kunsterfahrung vorwerfen.“ Da wallte es durchs Publikum. „Ich k e n n e diesen Schauer“, so legte ich nach, „Sie offenbar nicht. Das hat sicherlich Gründe, gar keine Frage, aber was Sie jetzt so ärgerlich stimmt, ist Ihr Gefühl, möglicherweise etwas verpaßt zu haben.“
Die Blicke im langen Flur, wo geraucht werden durfte, waren eisig. Wobei ich das Gefühl hatte, i c h sei das Eis, ein Eisb l o c k, dem man übelnimmt, daß er ästhetische, fast prophezeiende Kälte gebracht hat. Als prophezeiend empfinde ich ja selbst diesen Text, fremd prophezeiend, meine persönliche Sicht auf die Dinge ist ganz anders, ist wohlwollend, angstfrei, weniger mythisch und fast optimistisch. Ist sehr viel spielerischer. Aber ebendie die Kälte, die in die Biergärten und die Büros einbrach, wovon das Textchen erzählt, die Kälte Der Unheil, von der niemals klarwird: hat sie den Erzähler wahnsinnig gemacht, und die Geschichte stellt den Ausbruch einer Geisteskrankheit dar, oder hat recht, der sie erzählt... – eben diese Kälte stand nun in Gestalt meines Körpers im Flur. Wobei der Umstand noch eine kleine rezeptionsironische Volte war, daß ein anderer Text dieses Abends von Heinrich von Kleist erzählte. Er wurde direkt vor dem meinen gelesen und erzählt auf pfiffig-rhtyhmisierte, die Sprache verstellende Weise (Kleist stotterte, das nimmt dieser Text in die Form) das Unglück dieses für mich überaus wichtigen Dichters – und wie ins Herz es ihm dringt, daß er nicht verstanden wird. Dazu war nun die Wirkung, bzw. Wirkungslosigkeit meines eigenen Textchens geradezu eine allegorische Fußnote.
Mein kleiner Junge war auf einem Sofa eingeschlafen, er war schlaff wie eine tote Katze; es war nicht leicht, ihn zu wecken. Enorm tapfer ist er gewesen, in der S-Bahn schlief er sofort wieder ein, und während der kleinen Fußgänge trug ich ihn auf den Schultern durch die kalte Nacht nach Hause. Ich entkleidete ihn im Bett, er lächelte, wir sprachen noch miteinander, bis meine Worte in seinen Traum übergingen, für den er irgendwann und immer noch lächelnd bereitwar.
albannikolaiherbst - Samstag, 11. Februar 2006, 08:12- Rubrik: Tagebuch
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