Zum Schluß bleibt nur Mitleid. Die Feldmarschallin, profaniert.Der Rosenkavalier. Andreas Homokis Inszenierung an der Komischen Oper Berlin. (Marschallin, 2).
Woran liegt es, daß diese Marschallin keine Strahlkraft, auch letztlich so wenig Haltung mehr hat, die es doch immer gewesen war, deretwegen man viel mehr diese Frau als diese Oper bewunderte? Geraldine McGreevy singt sehr schön, sie m a g auch die Partie, und zwar sieht sie aus, als wäre sie in dem Alter, diesen Character zu verkörpern, auch ihre Stimme kommt ihm zumindest nah – aber da sind diese Mädchenhaftigkeiten, schon eingangs des Ersten Akts, die zu einer Adoleszenten passen mögen, vielleicht auch zu einem bereits älteren Bürgermädchen, ganz gewiß aber nicht zur Erotik einer reifen Person, die Niebelschütz’ Begriff der Anciennität für sich in Anspruch nimmt. Als solche stellt Homoki Frau v. Werdenberg aber dar: nach der Schlafzimmer- und Ankleideszene völlig ge-, ja verschlossen in ihrer Garderobe und darüber einer getürmten Allonge, was beides ihr nahezu keine Bewegungsfreiheit mehr erlaubt: die menschliche, reife Haltung der Figur wird auf einen äußeren Halt übertragen und auf ihn reduziert, der Haltung nicht nur erdrückt, sondern unmöglich macht. Damit stirbt aber dieser Character als solcher,- man kann ihn, wie Homoki es tut, dann nur noch ‚retten’, den M e n s c h e n darin retten, indem man ihn aus dem Korsett wieder herausschält. Nur was bleibt dann zurück? Bei Homoki ein furchtsames, vereinsamtes Mädchen, eines, als das es diese Inszenierung in der ziemlich kindlichen Liebesszene zu Anfang schon angelegt hat. Damit ist nicht nur das Geheimnis einer Person, nein, die Oper selbst dahin, die doch, wie das Programmheft sehr zu recht schreibt, sich letztlich um die Marschallin dreht.
Homoki mag seine - mehr als statthafte, keine Frage - Inszenierung als einen Befreiungsakt gemeint haben, und zwar auch als eine Befreiung der Marschallin; was er dabei übersieht, ist die Differenz, die zwischen den handelnden Personen wirkt und die eine der Reife ist. Reif nämlich ist bei Hofmannsthal nur Frau v. Werdenberg, niemand sonst. Und das wird ihr genommen. - Abgemildert gilt etwas Ähnliches für den Ochs, über den Goetz Friedrich sehr zu recht einmal geschrieben hat, er sei zwar ein Rüpel, letztlich aber eben doch Aristokrat: die Schwierigkeit, in ihm zugleich den ungehobelten Lüstling zu inszenieren, wie ihm die Möglichkeit zu lassen, doch noch einen Nachklang jener Haltung zu entwickeln, für die so eindrucksvoll die Marschallin steht - dieser Aufgabe hat sich ein jeder Regisseur zu stellen, der sich an dieses Meisterstück wagt.
Etwas Zweites reduziert die Liebesgeschichte, etwas allerdings mehr als Diskutables, das auf nahezu ungeheure Weise zu Straussens Musik paßt – zu den Verwandlungs- und Einbruchsmusiken nämlich des dritten Aktes: hier fügt der Regisseur heftige Gewitterausbrüche vom Tonband hinzu, die an Bombenangriffe nicht nur erinnern, sondern es tatsächlich sind. Schon gegen Ende des Zweiten Aktes geht das los, beim Krawall der Lerchenauer, Chaos, kurze Panik – und das gesamte Bühnenbild der Bürgerwohnung legt sich schief. Ganz konkret, qua Bühnentechnik. Eine Zeit geht ihrem Ende zu, will das erzählen, der Erste Weltkrieg steht vor der Tür (der Rosenkavalier wurde 1911 uraufgefürt), und mit ihm die Monarchie, das Adelswesen usw. Es ist nachvollziehbar und sogar hochspannend, daß Homokis Inszenierung das darzustellen wagt und die Figuren einer kompletten tabula rasa aussetzt, - ich gehe in alledem mit; nur muß man sich bewußt sein, daß angesichts von Verdun das Liebesleben und -leiden eines kindhaften Paares gänzlich ohne Interesse ist – jedenfalls in einer solchen, vom Früher sich nährenden Oper. Die Figuren werden zu klein. Denn in den Geschützfeuern der Mordgräben ist vor lauter Krach Schreien abgerissenen Beinen aus dem Bauch quellendem zerfetzten Menschengedärm für Zwischentöne objektiv kein Platz. Dennoch hätte die Marschallin wie eine liebende, milde Ortud - gleichsam aus dem Matriarchat herüberbeharrt - stehenbleiben können, letzte Repräsentantin einer Zeit, die etwas vertrat, das der folgenden, der Regierungsform des Kapitalismus, unbequem war, die nämlich Anciennität nicht mehr kennt und damit auch nicht eine ganz spezielle charactervolle Form der Menschenbildung, die grundsätzlich nicht käuflich ist und sich dem Willen des Markes entzieht – aber selbst das nimmt, sagen wir, Homokis-Blick-von-unten dieser Frau letztlich weg. Ohne es zu wollen, erniedrigt er sie noch, nachdem sie bereits den Verlust erlitt, den, auf dem Boden ihres nahenden Älterwerdens, die nun vergangene Liebe ihr bedeutet - man möchte dem Farinal einen Handschuhe ums Gesicht hauen für seine Bemerkung „So sind sie halt, die jungen Leut’“: ihn fordern für soviel mangelndes Gespür, wem gegenüber man was und wann etwas sagt. Er ist ja viel schlimmer als der Ochs. Doch die Marschallin - nicht nur Gesellschafts- sondern Characterklassen über ihm - sehr gefaßt: „Jaja“. Zwei Silben, denen wir uns bei Hofmannsthal/Strauss immer entgegensehnten: Wie intoniert das d i e s e Sängerin, j e n e? - in dem Jaja ist eine ganze so melancholische wie allgemeinmenschliche Tragödie beschlossen. Nun n i m m t Homoki der Frau die Möglichkeit, dieses Jaja zu sagen oder doch in dem Jaja stolz zu b l e i b e n. Folgerichtig läßt er ein kleines Mädchen auf der Bühne zurück. Darin mag Wahrheit sein, Schönheit aber und auch die Utopie des Stücks gehen verloren. Die Frage ist, ob man das will: Aufklärung und gar Individualpsychologie für den Verlust der Schönheit tauschen, die nicht zuletzt ein Licht ist, das von der Haltung rührt - ob man also einem Wunder das profanierte Sein vorzieht.
Ein letztes Wort noch, nämlich zur Musik. Daß die Sänger großartig waren, bedarf keines gesonderten Wortes; besonders Octavian (Stella Doufexis) und Sophie (Brigitte Geller) stechen hervor, auch Jens Larsens Ochs, der das Zeug gehabt hätte, ein ganz neuer Ochs zu werden, schon weil dieser Sänger körperlich so riesig ist; er sah ja immer auf alle hinab. Aber Homoki ließ ihn agieren wie in einem dörflichen Volkstheater. Der Mime genoß das sichtlich. Zumal er über eine durchaus schwere Halskrankheit hinwegsingen mußte und ihm das auch eindrücklich gelang.
Erstaunlich aber war für mich das Orchester: Nachdem die ersten vierfünf Takte des bei Strauss bereits, absichtsvoll, sehr aus dem Gefüge geratenen Klangs noch hinzu versehentlich durcheinandergerieten und ich für Augenblicke dachte: Meine Güte, denen entgleitet schon jetzt der Zusammenhang!, nahm Kiril Petrenko die Zügel und dirigierte dann insgesamt eine Partie, die, wenngleich gelegentlich etwas scharf, auch schon mal seltsam ‚russisch’ klingend (Vorspiel zu III), geradezu erregend farbenprächtig war und dennoch genau; außerdem war’s oft ein preschender Galopp. Petrenko dirigierte, wie eine Sinfonie, ein w e i t e s, ein tiefes Geniestück der Musikliteratur, er gab dem Orchester ganz enormen Raum, ohne daß die Sänger beeinträchtigt wurden... h i n r e i ß e n d, sag ich Ihnen ---
--- N U R: Homoki hat für seine Kammerspielsicht die ohnedies schon eher kleine Bühne des Hauses n o c h m a l verkleinert, alle Räume verengt: er macht eben keinen Unterschied zwischen der Hofhaltung Frau v. Werdenbergs und der Haushaltung Farinals; er leugnet auch hier Differenz, will illustrieren vielleicht, was zwar gutgemeint, aber furchtbar falsch ist: es seien alle Menschen eigentlich gleich. Deshalb vermittelte das Orchesterspiel nun manchmal den Eindruck, es habe in einem Zimmer jemand eine Anlage, die für die paar Quadratmeter über eine sowieso viel zu hohe Wattzahl verfügt, bis zum Anschlag aufgedreht: Deshalb wär es inszenierungsästhetisch plausibler gewesen, wäre Farinals Haus geplatzt, von innen nach außen, und nicht in einem Bombensturm von außen nach innen zusammengekracht.
Um die Marschallin indes, die in diesen Trümmern nun stehenbleibt, trauern wir. Und haben vor Mitleid kaum mehr Achtung.
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Homoki mag seine - mehr als statthafte, keine Frage - Inszenierung als einen Befreiungsakt gemeint haben, und zwar auch als eine Befreiung der Marschallin; was er dabei übersieht, ist die Differenz, die zwischen den handelnden Personen wirkt und die eine der Reife ist. Reif nämlich ist bei Hofmannsthal nur Frau v. Werdenberg, niemand sonst. Und das wird ihr genommen. - Abgemildert gilt etwas Ähnliches für den Ochs, über den Goetz Friedrich sehr zu recht einmal geschrieben hat, er sei zwar ein Rüpel, letztlich aber eben doch Aristokrat: die Schwierigkeit, in ihm zugleich den ungehobelten Lüstling zu inszenieren, wie ihm die Möglichkeit zu lassen, doch noch einen Nachklang jener Haltung zu entwickeln, für die so eindrucksvoll die Marschallin steht - dieser Aufgabe hat sich ein jeder Regisseur zu stellen, der sich an dieses Meisterstück wagt.
Etwas Zweites reduziert die Liebesgeschichte, etwas allerdings mehr als Diskutables, das auf nahezu ungeheure Weise zu Straussens Musik paßt – zu den Verwandlungs- und Einbruchsmusiken nämlich des dritten Aktes: hier fügt der Regisseur heftige Gewitterausbrüche vom Tonband hinzu, die an Bombenangriffe nicht nur erinnern, sondern es tatsächlich sind. Schon gegen Ende des Zweiten Aktes geht das los, beim Krawall der Lerchenauer, Chaos, kurze Panik – und das gesamte Bühnenbild der Bürgerwohnung legt sich schief. Ganz konkret, qua Bühnentechnik. Eine Zeit geht ihrem Ende zu, will das erzählen, der Erste Weltkrieg steht vor der Tür (der Rosenkavalier wurde 1911 uraufgefürt), und mit ihm die Monarchie, das Adelswesen usw. Es ist nachvollziehbar und sogar hochspannend, daß Homokis Inszenierung das darzustellen wagt und die Figuren einer kompletten tabula rasa aussetzt, - ich gehe in alledem mit; nur muß man sich bewußt sein, daß angesichts von Verdun das Liebesleben und -leiden eines kindhaften Paares gänzlich ohne Interesse ist – jedenfalls in einer solchen, vom Früher sich nährenden Oper. Die Figuren werden zu klein. Denn in den Geschützfeuern der Mordgräben ist vor lauter Krach Schreien abgerissenen Beinen aus dem Bauch quellendem zerfetzten Menschengedärm für Zwischentöne objektiv kein Platz. Dennoch hätte die Marschallin wie eine liebende, milde Ortud - gleichsam aus dem Matriarchat herüberbeharrt - stehenbleiben können, letzte Repräsentantin einer Zeit, die etwas vertrat, das der folgenden, der Regierungsform des Kapitalismus, unbequem war, die nämlich Anciennität nicht mehr kennt und damit auch nicht eine ganz spezielle charactervolle Form der Menschenbildung, die grundsätzlich nicht käuflich ist und sich dem Willen des Markes entzieht – aber selbst das nimmt, sagen wir, Homokis-Blick-von-unten dieser Frau letztlich weg. Ohne es zu wollen, erniedrigt er sie noch, nachdem sie bereits den Verlust erlitt, den, auf dem Boden ihres nahenden Älterwerdens, die nun vergangene Liebe ihr bedeutet - man möchte dem Farinal einen Handschuhe ums Gesicht hauen für seine Bemerkung „So sind sie halt, die jungen Leut’“: ihn fordern für soviel mangelndes Gespür, wem gegenüber man was und wann etwas sagt. Er ist ja viel schlimmer als der Ochs. Doch die Marschallin - nicht nur Gesellschafts- sondern Characterklassen über ihm - sehr gefaßt: „Jaja“. Zwei Silben, denen wir uns bei Hofmannsthal/Strauss immer entgegensehnten: Wie intoniert das d i e s e Sängerin, j e n e? - in dem Jaja ist eine ganze so melancholische wie allgemeinmenschliche Tragödie beschlossen. Nun n i m m t Homoki der Frau die Möglichkeit, dieses Jaja zu sagen oder doch in dem Jaja stolz zu b l e i b e n. Folgerichtig läßt er ein kleines Mädchen auf der Bühne zurück. Darin mag Wahrheit sein, Schönheit aber und auch die Utopie des Stücks gehen verloren. Die Frage ist, ob man das will: Aufklärung und gar Individualpsychologie für den Verlust der Schönheit tauschen, die nicht zuletzt ein Licht ist, das von der Haltung rührt - ob man also einem Wunder das profanierte Sein vorzieht.
Ein letztes Wort noch, nämlich zur Musik. Daß die Sänger großartig waren, bedarf keines gesonderten Wortes; besonders Octavian (Stella Doufexis) und Sophie (Brigitte Geller) stechen hervor, auch Jens Larsens Ochs, der das Zeug gehabt hätte, ein ganz neuer Ochs zu werden, schon weil dieser Sänger körperlich so riesig ist; er sah ja immer auf alle hinab. Aber Homoki ließ ihn agieren wie in einem dörflichen Volkstheater. Der Mime genoß das sichtlich. Zumal er über eine durchaus schwere Halskrankheit hinwegsingen mußte und ihm das auch eindrücklich gelang.
Erstaunlich aber war für mich das Orchester: Nachdem die ersten vierfünf Takte des bei Strauss bereits, absichtsvoll, sehr aus dem Gefüge geratenen Klangs noch hinzu versehentlich durcheinandergerieten und ich für Augenblicke dachte: Meine Güte, denen entgleitet schon jetzt der Zusammenhang!, nahm Kiril Petrenko die Zügel und dirigierte dann insgesamt eine Partie, die, wenngleich gelegentlich etwas scharf, auch schon mal seltsam ‚russisch’ klingend (Vorspiel zu III), geradezu erregend farbenprächtig war und dennoch genau; außerdem war’s oft ein preschender Galopp. Petrenko dirigierte, wie eine Sinfonie, ein w e i t e s, ein tiefes Geniestück der Musikliteratur, er gab dem Orchester ganz enormen Raum, ohne daß die Sänger beeinträchtigt wurden... h i n r e i ß e n d, sag ich Ihnen ---
--- N U R: Homoki hat für seine Kammerspielsicht die ohnedies schon eher kleine Bühne des Hauses n o c h m a l verkleinert, alle Räume verengt: er macht eben keinen Unterschied zwischen der Hofhaltung Frau v. Werdenbergs und der Haushaltung Farinals; er leugnet auch hier Differenz, will illustrieren vielleicht, was zwar gutgemeint, aber furchtbar falsch ist: es seien alle Menschen eigentlich gleich. Deshalb vermittelte das Orchesterspiel nun manchmal den Eindruck, es habe in einem Zimmer jemand eine Anlage, die für die paar Quadratmeter über eine sowieso viel zu hohe Wattzahl verfügt, bis zum Anschlag aufgedreht: Deshalb wär es inszenierungsästhetisch plausibler gewesen, wäre Farinals Haus geplatzt, von innen nach außen, und nicht in einem Bombensturm von außen nach innen zusammengekracht.
Um die Marschallin indes, die in diesen Trümmern nun stehenbleibt, trauern wir. Und haben vor Mitleid kaum mehr Achtung.
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albannikolaiherbst - Montag, 3. April 2006, 10:52- Rubrik: Oper
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