Argo. Anderswelt. (70).
„Gute Nacht, Hans. Und wegen der Diskette: Ich guck sie mir an.“
J u d i t h war das gewesen, Judith Hediger, die da angerufen hatte; erst jetzt wurde mir das klar, und erst jetzt erinnerte ich mich an sie, als - ich muß das so ausdrücken - die beiden wie um eine Insel im Fluß herumlaufenden Deters-Arme sich in mir wieder vereinten. - Um zu
verdeutlichen, was Cordes meint, sei mit dem nun folgenden Kapitel Achtzehn b ein ganz sicher auch Ihnen nicht unbekanntes Gedankenspiel eingeschoben. Es tut zur Aufdeckung möglicher Realitäten einiges hinzu:
Sie fahren von Berlin nach Hamburg, um - sagen wir - Desideria zu besuchen, die Sie bislang nie gesehen haben, aber aus einer Internet-Korrespondenz kennen. Sie haben einige Male mit ihr schriftlich geflirtet, aber kennen sonst nichts, kein Gesicht, keine Stimme. (Ich könnte auch Lilith nennen, bevorzuge indessen für dieses Beispiel den unverbindlichen Tanzschritt). Nun war es zwar fast schon einmal zur Begegnung gekommen, doch zog Ihnen die Dame einen Tennislehrer vor. Na gut. Rechnungen sind irgendwann immer zu begleichen; einer wie Sie tut sich schwer, sie auszubuchen. Des Spaßes halber nennen wir Sie... Moment... ja, prima, so bekomme ich ihn ganz elegant bereits h i e r in den Text, obwohl der junge Mann erst im Vierten Teil dieses Romans wieder aufgenommen werden soll... allora!: Jason Herzfeld. Es sind ein paar Jahre vergangen, Jason hat sich prächtig entwickelt und jederlei Tennislehrer einiges Pari zu bieten. Deshalb ist er höchst zuversichtlich, ja ein wenig übermütig, als er in den Audi eines Freundes steigt und auf die A 24 braust. Bereits in Höhe Neuruppin beginnt der Wagen auszubrechen, irgend eine Unwucht in den Reifen, schon platzt hinten links der Mantel, und der Audi bricht aus. Jason fährt gerne schnell, er rast auf der Überholspur, das Steuer blockiert, und mit 220 Sachen scheuert das Autochassis an der linken Leitplanke entlang, sie schneidet geradezu hinein, dann verhakt sich etwas derart fest mit dem hinteren Kotflügel, daß es dem Wagen den halben Kofferraum aufreißt. Dadurch bekommt das Fahrzeug einen Drall, dem Jason nicht mehr gegensteuern kann. Obendrein war hinter ihm ein 7er BMW zu dicht aufgefahren. Wie auch immer, da ist nichts mehr zu machen. Der ganze Unfall braucht vielleicht drei Sekunden, Jason erlebt sie wie Minuten. Dann erlebt er nichts mehr.
In einer anderen Version fährt er allerdings weiter und reagiert auf die Unwucht, indem er das Fahrzeug langsam abbremst. Das kann er, denn hinter ihm fährt kein BMW. Er schert rechts ein, steuert allerdings nicht, was vernünftig wäre, die nächste Werkstatt an; vielmehr setzt er den Rest der kleinen Reise mit knapp 100 km/h fort und erreicht Hamburg und Desideria insgesamt wohlbehalten. Dennoch hat er nach dem Vorfall das Gefühl, in einer anderen Dimension umgekommen zu sein. Sozusagen ist seine Seele im Moment ihres Erlöschens rechtzeitig in die nächste mögliche Welt gesprungen und setzt dort das bisherige Leben fort, als wäre eigentlich gar nichts geschehen.
Diese zweite Wirklichkeit läßt sich abermals verzweigen. In einer nunmehr dritten fährt Jason nämlich d o c h die nächste Werkstatt an, benachrichtigt Desideria übers Mobilchen, das aus ihrem Treffen nichts werde, jedenfalls nicht mehr heute; danach informiert er, ebenfalls übers Mobilchen, den Freund. In einer vierten Wirklichkeit überschätzt Jason selbst bei 100 km/h die Fahrtüchtigkeit des Autos und springt diesmal in Höhe Ludwigslust dem Tod auf dieselbe Klinge, unter der er sich bei Neuruppin gerade noch so hinwegducken konnte. In einer fünften wiederum...
Wer sagt uns, daß sich all diese möglichen Wirklichkeiten nicht tatsächlich begeben? Daß sie sich nicht nebeneinanderher anschichten? Eine jede hätte Folgen, die das gesamte System
modifizieren. Und h a t sie Kapitel Achtzehn c vielleicht. Wäre also Judith erschienen, hätte nicht die vermaledeite Suche nach der Dunckerstraße eingesetzt, dann hätte Goltz Hans Deters auch nicht im SILBERSTEIN aufspüren können. Was er aber tat. So daß Deters dieselbe Diskette Niam Goldenhaar gab, die er in der anderen, in J u d i t h s Möglichkeit, bei d e r ließ. Da nun aber beides g e s c h a h, laufen mit einem Mal zwei Wirklichkeiten parallel. Und beide sind zu erzählen. (Bis sie in mir als wieder e i n e m "Deters"-Arm mit dem ominösen Telefonat neuerlich zusammenlaufen.)
„Ähm, träumen Sie?“ fragte sie.
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J u d i t h war das gewesen, Judith Hediger, die da angerufen hatte; erst jetzt wurde mir das klar, und erst jetzt erinnerte ich mich an sie, als - ich muß das so ausdrücken - die beiden wie um eine Insel im Fluß herumlaufenden Deters-Arme sich in mir wieder vereinten. - Um zu
verdeutlichen, was Cordes meint, sei mit dem nun folgenden Kapitel Achtzehn b ein ganz sicher auch Ihnen nicht unbekanntes Gedankenspiel eingeschoben. Es tut zur Aufdeckung möglicher Realitäten einiges hinzu:
Sie fahren von Berlin nach Hamburg, um - sagen wir - Desideria zu besuchen, die Sie bislang nie gesehen haben, aber aus einer Internet-Korrespondenz kennen. Sie haben einige Male mit ihr schriftlich geflirtet, aber kennen sonst nichts, kein Gesicht, keine Stimme. (Ich könnte auch Lilith nennen, bevorzuge indessen für dieses Beispiel den unverbindlichen Tanzschritt). Nun war es zwar fast schon einmal zur Begegnung gekommen, doch zog Ihnen die Dame einen Tennislehrer vor. Na gut. Rechnungen sind irgendwann immer zu begleichen; einer wie Sie tut sich schwer, sie auszubuchen. Des Spaßes halber nennen wir Sie... Moment... ja, prima, so bekomme ich ihn ganz elegant bereits h i e r in den Text, obwohl der junge Mann erst im Vierten Teil dieses Romans wieder aufgenommen werden soll... allora!: Jason Herzfeld. Es sind ein paar Jahre vergangen, Jason hat sich prächtig entwickelt und jederlei Tennislehrer einiges Pari zu bieten. Deshalb ist er höchst zuversichtlich, ja ein wenig übermütig, als er in den Audi eines Freundes steigt und auf die A 24 braust. Bereits in Höhe Neuruppin beginnt der Wagen auszubrechen, irgend eine Unwucht in den Reifen, schon platzt hinten links der Mantel, und der Audi bricht aus. Jason fährt gerne schnell, er rast auf der Überholspur, das Steuer blockiert, und mit 220 Sachen scheuert das Autochassis an der linken Leitplanke entlang, sie schneidet geradezu hinein, dann verhakt sich etwas derart fest mit dem hinteren Kotflügel, daß es dem Wagen den halben Kofferraum aufreißt. Dadurch bekommt das Fahrzeug einen Drall, dem Jason nicht mehr gegensteuern kann. Obendrein war hinter ihm ein 7er BMW zu dicht aufgefahren. Wie auch immer, da ist nichts mehr zu machen. Der ganze Unfall braucht vielleicht drei Sekunden, Jason erlebt sie wie Minuten. Dann erlebt er nichts mehr.
In einer anderen Version fährt er allerdings weiter und reagiert auf die Unwucht, indem er das Fahrzeug langsam abbremst. Das kann er, denn hinter ihm fährt kein BMW. Er schert rechts ein, steuert allerdings nicht, was vernünftig wäre, die nächste Werkstatt an; vielmehr setzt er den Rest der kleinen Reise mit knapp 100 km/h fort und erreicht Hamburg und Desideria insgesamt wohlbehalten. Dennoch hat er nach dem Vorfall das Gefühl, in einer anderen Dimension umgekommen zu sein. Sozusagen ist seine Seele im Moment ihres Erlöschens rechtzeitig in die nächste mögliche Welt gesprungen und setzt dort das bisherige Leben fort, als wäre eigentlich gar nichts geschehen.
Diese zweite Wirklichkeit läßt sich abermals verzweigen. In einer nunmehr dritten fährt Jason nämlich d o c h die nächste Werkstatt an, benachrichtigt Desideria übers Mobilchen, das aus ihrem Treffen nichts werde, jedenfalls nicht mehr heute; danach informiert er, ebenfalls übers Mobilchen, den Freund. In einer vierten Wirklichkeit überschätzt Jason selbst bei 100 km/h die Fahrtüchtigkeit des Autos und springt diesmal in Höhe Ludwigslust dem Tod auf dieselbe Klinge, unter der er sich bei Neuruppin gerade noch so hinwegducken konnte. In einer fünften wiederum...
Wer sagt uns, daß sich all diese möglichen Wirklichkeiten nicht tatsächlich begeben? Daß sie sich nicht nebeneinanderher anschichten? Eine jede hätte Folgen, die das gesamte System
modifizieren. Und h a t sie Kapitel Achtzehn c vielleicht. Wäre also Judith erschienen, hätte nicht die vermaledeite Suche nach der Dunckerstraße eingesetzt, dann hätte Goltz Hans Deters auch nicht im SILBERSTEIN aufspüren können. Was er aber tat. So daß Deters dieselbe Diskette Niam Goldenhaar gab, die er in der anderen, in J u d i t h s Möglichkeit, bei d e r ließ. Da nun aber beides g e s c h a h, laufen mit einem Mal zwei Wirklichkeiten parallel. Und beide sind zu erzählen. (Bis sie in mir als wieder e i n e m "Deters"-Arm mit dem ominösen Telefonat neuerlich zusammenlaufen.)
„Ähm, träumen Sie?“ fragte sie.
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albannikolaiherbst - Sonntag, 12. Dezember 2004, 10:57- Rubrik: ARGO-ANDERSWELT
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