scheues Reh meinte am 2005/01/03 20:49:
damit
bleibt die Aufgabe etwas zu beschreiben ohne es zu sagen-jemanden anzuklagen ohne ihn zu nennen und etwas mitzuteilen ohne es zu sagen, in der Hoffnung es würde vom richtigen bemerkt und erkannt
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459597
albannikolaiherbst antwortete am 2005/01/03 20:53:
Dichtung klagt nicht an. Sie klagt.
Das ist ein Unterschied. Und etwas zu beschreiben, ohne es zu nennen, halte ich für feige. Aber ich habe den männlichen Blick, der ist i m m e r gerichtet. (Frauen haben die andere Form, die etwas Diplomatisches hat, über die Jahrhunderte ihrer Unterdrückung gelernt, und zwar nicht freiwillig. Die andere Form ist stets Notwehr, in mehr oder minder sublimierter Form. Sie sagt immer: Das Andere ist stärker, ich muß mich schützen. Ich hingegen - und meine Dichtung - w i l l sich nicht schützen. Weil, sich zu schützen, stets uneigentlich ist.)
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459606
scheues Reh antwortete am 2005/01/03 20:56:
vielleicht ist es feige
aber es ist eine Form der Entäuschung Herr/Frau zu werden ohne völlig das Gesicht zu verlieren und dennoch nicht am Schmerz zu vergehen.<edit> somit ist ihre Aussage in allen Punkten bestätigt, wenngleich ich über das immer gerichtete Männliche durchaus streiten würde
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459612
albannikolaiherbst antwortete am 2005/01/03 21:02:
Man verliert das Gesicht nicht.
Man verliert es nie. Die Angst davor, es zu verlieren, macht einen klein. Das ist alles. Aber es gibt keinen Grund, es sei denn, man hätte etwas getan, für das sich zu schämen wäre. Außer Kinds- und Völkermord unähnliche Gewalttaten fällt mir da auf Anhieb nichts ein. Und selbst die sind kein Grun für Scham, sondern für Schuld. Was etwas anderes ist.Schämen tut sich, wer Schuld nicht eingestehen will. Dichtung hingegen, dafür steht besonders Dostojewski, eingesteht sie. Davon lebt sie.
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459622
scheues Reh antwortete am 2005/01/03 21:05:
Dichtung
lebt von Schicksalen, die auf großherzigen Motiven basieren, die normal nur als besonders empfunden werden und entstanden sind aus Liebe vor anderen unmögliches zu erdulden
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459626
albannikolaiherbst antwortete am 2005/01/03 21:08:
Allenfalls auf die christliche Dichtung trifft das zu.
Die bekanntlich zur verlogensten gehört.Wenn stimmte, was Sie schreiben, wäre Genet kein Dichter gewesen. Mir fallen da noch viele andere ein. Dichtung ist n i c h t gleich Humanismus. Sie kann sogar das Gegenteil sein. Es gibt dummerweise große inhumane Dichter. - Dichtung ist eine Form der Erkenntnisbildung und geht insofern aller Moral voraus; bingt sie die nämlich schon mit, ist immer bereits die Perspektive des "poetischen Versuches" präformier..
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459629
scheues Reh antwortete am 2005/01/03 21:12:
nun gut
ich gebe zu das ich den Humanisten zugetan bin aber für wen sollten sonst Dichtungen erschaffen werden - geht es nicht darum die Welt ein wenig besser zu machen, ein glückliches Lächeln beim Leser zu erzeugen einen Anstoß zum Nachdenken? einen Stütze in der Not - ich spreche nicht vom Opium ans Volk- es liegt mir fern zu beschönigen und zu vertrösten auf das nächste Leben. Vielleicht geht es nur um ein wenig mehr Mut Lust und Gefühl im Diesseits<edit> ich bin heute ein wenig sentimental
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459638
albannikolaiherbst antwortete am 2005/01/03 21:19:
Lächelt.
Ich habe gar nichts gegen Sentimentalität. Sie gehört nur nicht in die Kunst. Darin ist sie - prinzipiell - falsch, nämlich ein Verrat. Kunst, nach meiner Auffassung, läßt erkennen, darüber hinaus schafft sie realisierbare Träume. Kraft gibt sie aber nur dann, wenn sie nicht lügt... sie darf nicht einmal schwindeln. Aller Kitsch n i m m t Kraft. Kitsch ist ein Vampir, der aussieht wie ein Schokolade-Bonbon. Ein gutes Beispiel sind die antiken Tragödien: Ihre Katharsis bewirkte sich über das L e i d und den Schrecken, denen der Zuschauer/Zuhörer sich aussetzte. Ich habe darüber am Beispiel des Horror-Romanes und -Filmes geschrieben; in denen findet sich davon noch einiger Rest. Im selben Sinn der von mir damit häufig zitierte Borges (der seinerseits Homer hinterträgt): "Die Götter wirken Ungemach, damit die Menschen etwas zu singen haben."
Kunst ist also, um es auf eine Formel zu bringen, das Gegenteil von Harry Potter.
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459647
scheues Reh antwortete am 2005/01/03 21:23:
wischt ein Träne weg
Kunst entsteht auch unter Beobachtung und Zensur und zeigt gerade dann die kühnsten Spitzen, wenn sie sich tarnt hinter weissen Elefanten und umschreibt, was nur der Leser erkennt.
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459654
albannikolaiherbst antwortete am 2005/01/03 21:30:
Das ist - unter solchen Umständen - wahr.
Sie braucht Begrenzungen. Werden die aber nicht von außen - inhaltlich - gesetzt, dann wählt sie dafür die F o r m. Selbst ein "umschriebener" Roman ist in Zensurzeiten gefährlich für den Autor und bleibt es. Aus der Gefährdung entsteht die Kraft. Ist diese Gefährdung - inhaltlich - aber nicht da, muß sie anderswo herkommen. Wie gefährlich es ist, o f f e n zu schreiben (obwohl durchaus nicht rein autobiografisch und schon gar nicht allgemein kenntlich), das erlebe ich zur Zeit selbst. Der Prozeß geht an meine ökonomische Existenz, ja hat sie imgrunde zerschmettert. Deshalb ist dieses Buch so... - nein, das darf ich ja nicht schreiben. Und selbstverständlich meine ich den New-York-Roman.
http://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/459551/#459660