Leere Mitte: Lilith. Briefwechsel mit einem Redakteur.
I.
Lieber Herr Platz,
der SWR macht keine DVD, sondern einige der Mitwirkenden werden es tun... als Dokumentation.
Selbstverständlich muß ich das Projekt im Radio senden, weil SWR Aufträge zugrundeliegen. Ich mache das aber nicht eins zu eins, sondern mit Kommentaren zu jedem Projekt und nicht additiv. Es gibt also einiges Material Ihres Projekts, das ich sendefähig finde.
Über Ihr Stück würde ich bei Gelegenheit mit Ihnen sprechen. Grundsätzlich hat es mir nicht gefallen, weil es "altmodisch" musiktheatralisch Oper sein wollte und weil der an sich famose Text durch diese Art der Inszenierung kaputtgesungen und kaputtgespielt wurde. Mir ist schleierhaft, wie ein solcher Autor solche Texte zu solcher Vertonung freigibt. Da vermute ich Freunschaftsdienst.
Dies also hier nur kurz. Differenzierteres später.
Herzlich grüßt zurück
Ihr Hans-Peter Jahn
II.
Lieber Herr Jahn,
Robert HP Platz hat mir Ihre Mail von gestern weitergeleitet, und ich will dazu Stellung nehmen.
Daß ich bereits Freundschaftsdienste als Korruption erlebe und seit Jahrzehnten gegen Betriebsschiebereien mit aller Heftigkeit anrenne, was nicht zu meiner Beliebtheit beigetagen hat, können Sie wahrscheinlich nicht wissen; dennoch weise ich Ihre Unterstellung eines Freundschaftsdienstes für den Komponisten sehr entschieden und höchst verärgert zurück. Ich stehe zu dieser Komposition und weiß auch sehr genau, weshalb.
Daß das Stück durchgefallen ist, darüber müssen wir nicht sprechen. Aber das ist vielen Opern in der Musikgeschichte widerfahren, später gehörten sie dann – ob mit oder ohne kompositorische Revisionen – oft nachdrücklicher zum Fundus als viele jeweils zeitgenössische Erfolgsstücke. Ich erlebe so etwas derzeit mit meinen Anderswelt-Romanen, die von maßgeblichen Kritikern bei Erscheinen ziemlich verletzend herabgewürdigt wurden, aber heute in den maßgeblichen Lexika stehen und einigen Anlaß für die poetologische Theoriebildung an den Universitäten bieten. Was den Kritikern seinerzeit hingegen en vogue war, ist in den Orkus geplatscht und hat nicht mal Wellchen dabei gemacht. Wer gegen den Zeitgeist, der meist Ungeist ist, anarbeitet, muß also mit Unverständnis rechnen.
Ganz sicher war unser Stück an diesem Abend deplaziert; das hat sehr verschiedene Gründe, über die Platz und ich, aber auch mein Freund Bernd Leukert und ich derzeit diskutieren; und ebenso sicher wird es noch Eingriffe in Partitur und Libretto geben, allerdings in nicht d e m Maß, wie es mir lieb wäre, was an der 10-Minuten-Vorgabe und dem darauf hinkomponierten Zuspielband liegt. Prinzipiell aber kann ich nichts Falsches daran finden, “altmodisch” Oper zu machen. Vielmehr bin ich der Meinung, daß die von Wagner in seiner Schrift “Das Kunstwerk der Zukunft” betrachtete Zukunft durchaus noch nicht am Ende ist. Ganz im Gegenteil liegt erheblich mehr künstlerische Nahrung in Platz’ und meiner Konzeption als in irgend einem anderen Stück Ihres Großstadt-Abends. Sofern dort ü b e r h a u p t Kompositionen zu hören waren, handelte es sich um Collagen; im Fall Michael Beils um eine allerdings perfekte. Dennoch bleibt mir selbst da das Unbehagen, man habe sich auf handwerklich hohem Niveau bloß amüsiert, mehr aber nicht. Musikdramatisch essentiell gab es eben auch da nichts.
Das liegt wahrscheinlich bereits an der Konzeption, die von Tableaus ausgeht. Also wurde vor allem auf visuelle und semantische Oberflächen gesetzt, die sich zudem durch vor allem tonale Musikstrukturen illustrierten, oft vermittels einer an Unterhaltungsmusiken orientierten ich möchte sagen: tänzerischen Rhythmisierung, die ihre Kraft vorwiegend aus der Repetition bezieht – aus Redundanzen also. So etwas kommt erfahrungsgemäß bei einem großen Publikum gut an, bezeichnet aber letztlich sowohl individuell wie kunstgeschichtlich bloß den Regreß. Tatsächlich regrediert Publikum g e r n e, was Gründe hat, die auszuführen hier zu weit gehen würde. Das gehört ins Kapitel Rezeptionsästhetik.
Abschließend ein Wort zur Inszenierung: Gemessen an der Tatsache, daß die Musiker aus bekannten Gründen vom Blatt spielen mußten, war nach knapp drei Tagen Proben, die vor allem der musikalischen Einstudierung dienten, nicht sehr viel Inszenierungsspielraum übrig. Ich finde das auch nicht schlimm, denn es sollte vor allem g e h ör t werden. Dadurch daß weder die Monitore im Container funktionierten, noch war das Zuspielband im Publikumssaal richtig vernehmbar, hat die an sich sehr intensive sängerische und spielerische Gestaltung enorm leiden müssen. Da ich alle Hauptproben, die Generalprobe und die Uraufführung auf Band mitgeschnitten habe und nunmehr am Musikcomputer die Einspielungen verglichen habe, kann ich das ziemlich schlagend beweisen. Auch das ist sicher nicht schlimm, nur etwas traurig; aber Pannen gehören zum Theateralltag. Nur möchte ich daraus keine Sottise gegen “altmodische” Oper abgeleitet wissen. Es wäre selbst als rhetorisches Argument zu substanzlos, um nicht hämisch zu wirken.
Mit den besten Grüßen
Ihr
ANH
Lieber Herr Platz,
der SWR macht keine DVD, sondern einige der Mitwirkenden werden es tun... als Dokumentation.
Selbstverständlich muß ich das Projekt im Radio senden, weil SWR Aufträge zugrundeliegen. Ich mache das aber nicht eins zu eins, sondern mit Kommentaren zu jedem Projekt und nicht additiv. Es gibt also einiges Material Ihres Projekts, das ich sendefähig finde.
Über Ihr Stück würde ich bei Gelegenheit mit Ihnen sprechen. Grundsätzlich hat es mir nicht gefallen, weil es "altmodisch" musiktheatralisch Oper sein wollte und weil der an sich famose Text durch diese Art der Inszenierung kaputtgesungen und kaputtgespielt wurde. Mir ist schleierhaft, wie ein solcher Autor solche Texte zu solcher Vertonung freigibt. Da vermute ich Freunschaftsdienst.
Dies also hier nur kurz. Differenzierteres später.
Herzlich grüßt zurück
Ihr Hans-Peter Jahn
II.
Lieber Herr Jahn,
Robert HP Platz hat mir Ihre Mail von gestern weitergeleitet, und ich will dazu Stellung nehmen.
Daß ich bereits Freundschaftsdienste als Korruption erlebe und seit Jahrzehnten gegen Betriebsschiebereien mit aller Heftigkeit anrenne, was nicht zu meiner Beliebtheit beigetagen hat, können Sie wahrscheinlich nicht wissen; dennoch weise ich Ihre Unterstellung eines Freundschaftsdienstes für den Komponisten sehr entschieden und höchst verärgert zurück. Ich stehe zu dieser Komposition und weiß auch sehr genau, weshalb.
Daß das Stück durchgefallen ist, darüber müssen wir nicht sprechen. Aber das ist vielen Opern in der Musikgeschichte widerfahren, später gehörten sie dann – ob mit oder ohne kompositorische Revisionen – oft nachdrücklicher zum Fundus als viele jeweils zeitgenössische Erfolgsstücke. Ich erlebe so etwas derzeit mit meinen Anderswelt-Romanen, die von maßgeblichen Kritikern bei Erscheinen ziemlich verletzend herabgewürdigt wurden, aber heute in den maßgeblichen Lexika stehen und einigen Anlaß für die poetologische Theoriebildung an den Universitäten bieten. Was den Kritikern seinerzeit hingegen en vogue war, ist in den Orkus geplatscht und hat nicht mal Wellchen dabei gemacht. Wer gegen den Zeitgeist, der meist Ungeist ist, anarbeitet, muß also mit Unverständnis rechnen.
Ganz sicher war unser Stück an diesem Abend deplaziert; das hat sehr verschiedene Gründe, über die Platz und ich, aber auch mein Freund Bernd Leukert und ich derzeit diskutieren; und ebenso sicher wird es noch Eingriffe in Partitur und Libretto geben, allerdings in nicht d e m Maß, wie es mir lieb wäre, was an der 10-Minuten-Vorgabe und dem darauf hinkomponierten Zuspielband liegt. Prinzipiell aber kann ich nichts Falsches daran finden, “altmodisch” Oper zu machen. Vielmehr bin ich der Meinung, daß die von Wagner in seiner Schrift “Das Kunstwerk der Zukunft” betrachtete Zukunft durchaus noch nicht am Ende ist. Ganz im Gegenteil liegt erheblich mehr künstlerische Nahrung in Platz’ und meiner Konzeption als in irgend einem anderen Stück Ihres Großstadt-Abends. Sofern dort ü b e r h a u p t Kompositionen zu hören waren, handelte es sich um Collagen; im Fall Michael Beils um eine allerdings perfekte. Dennoch bleibt mir selbst da das Unbehagen, man habe sich auf handwerklich hohem Niveau bloß amüsiert, mehr aber nicht. Musikdramatisch essentiell gab es eben auch da nichts.
Das liegt wahrscheinlich bereits an der Konzeption, die von Tableaus ausgeht. Also wurde vor allem auf visuelle und semantische Oberflächen gesetzt, die sich zudem durch vor allem tonale Musikstrukturen illustrierten, oft vermittels einer an Unterhaltungsmusiken orientierten ich möchte sagen: tänzerischen Rhythmisierung, die ihre Kraft vorwiegend aus der Repetition bezieht – aus Redundanzen also. So etwas kommt erfahrungsgemäß bei einem großen Publikum gut an, bezeichnet aber letztlich sowohl individuell wie kunstgeschichtlich bloß den Regreß. Tatsächlich regrediert Publikum g e r n e, was Gründe hat, die auszuführen hier zu weit gehen würde. Das gehört ins Kapitel Rezeptionsästhetik.
Abschließend ein Wort zur Inszenierung: Gemessen an der Tatsache, daß die Musiker aus bekannten Gründen vom Blatt spielen mußten, war nach knapp drei Tagen Proben, die vor allem der musikalischen Einstudierung dienten, nicht sehr viel Inszenierungsspielraum übrig. Ich finde das auch nicht schlimm, denn es sollte vor allem g e h ör t werden. Dadurch daß weder die Monitore im Container funktionierten, noch war das Zuspielband im Publikumssaal richtig vernehmbar, hat die an sich sehr intensive sängerische und spielerische Gestaltung enorm leiden müssen. Da ich alle Hauptproben, die Generalprobe und die Uraufführung auf Band mitgeschnitten habe und nunmehr am Musikcomputer die Einspielungen verglichen habe, kann ich das ziemlich schlagend beweisen. Auch das ist sicher nicht schlimm, nur etwas traurig; aber Pannen gehören zum Theateralltag. Nur möchte ich daraus keine Sottise gegen “altmodische” Oper abgeleitet wissen. Es wäre selbst als rhetorisches Argument zu substanzlos, um nicht hämisch zu wirken.
Mit den besten Grüßen
Ihr
ANH
albannikolaiherbst - Donnerstag, 3. Februar 2005, 08:27- Rubrik: Korrespondenzen
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