"Jeansväter". Im Arbeits- und Krisenjournal des Donnerstags, dem 8. März 2012. Dazu ein erstes Fettberg. Sowie Aléa Torik.
6.55 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Seit fünf auf und gleich an den zweiten Lektoratsgang des Jungenromans II gesetzt; gestern nacht schickte UF die gegenkorrigierte zweite Fassung per Mail. Es sind jetzt kaum noch stilistische Fragen, sondern ist eher Fisselkram: „aber“-Wiederholungen, manchmal ein stehengebliebener Stelz usw., - immerhin genug Zeug, um damit den Tag zu verbringen. Ich wäre gerne am Abend durch. Aber spätnachmittags steht eine Krisensitzung an, zu zweit. Von dem Ergebnis werden Sie lesen – oder auch nicht. (Manchmal bekommt Die Dschungel wirklich Hörner zu sehen - „seinSe doch mal diplomatisch!“ hieß es schon oft, wozu sich nun ein menschlich! addiert hat, bei dem mir wieder >>>> Stavrogin einfällt, der seiner Mutter, die auf dem Totenbett liegt, das Gebet verweigert – wobei mir jetzt erst klar wird, daß >>>> James Joyce hat Stephen Dedalus offenbar genau davon beeinflussen lassen; auch der verweigert der Sterbenden das Gebet; diese Beeinflussung durch Dostojewski könnte bereits durch Stav/Steph(v) von Joyce zugegeben worden sein, ganz nach Art seiner Vorliebe für phonetische Anspielungen; beide, Nikolai Stavrogin wie Steven Dedalus, waren für mich bereits sehr früh Leitfiguren, deren Konsequenz ich bewunderte. Muß ich davon jetzt, mit 57, Abschied nehmen? Die gleiche Radikalität, übrigens, besaß André Breton, der sich als Kirchengegner nicht nur weigerte, Einladungen zu Hochzeiten seiner Freunde anzunehmen, sondern die Freundschaften dann rigoros beendete.)
Eine Einladung zu Lesung und Gespräch nach Jena kam per Mail. Der Termin liegt in den Sommerferien meines Jungen, was unsere Reiseplanung komplizieren könnte, jedenfalls dann, wenn es noch zu einem Urlaub der ganzen Familie kommen sollte, was zumindest noch als Idee im Raum steht. Aber sowieso muß diesbezüglich schnell entschieden werden, damit es nicht zu teuer wird, was schließlich alles ins Wasser fallen ließe. Ich hab zur Zeit überhaupt nicht den Kopf, mich darum zu kümmern.
Erst mal weiter mit dem Text.
10.34 Uhr:
Na, das ging schneller, als ich vermutet habe; es ist ein wirklich gutes und schnelles Arbeiten mit dem Korrekturprogramm von Word. Nun ist die durchlektorierte nunmehr Dritte Fassung an UF bereits wieder hinaus, der noch ein letztes Mal lesen möchte, bevor das Typoskript des Jungenromans II an den Verlag geht. Ich solle schon mal mit dem dritten Buch anfangen, mailte UF. Spaßvogel. Wie viele Romane soll ich wohl schreiben im Jahr? Drei? Möglich wären vier, neben den Hörstücken und der sonstigen Arbeit. Vielleicht drei weitere Pseudonyme?
Erstmal eß ich jetzt was, dann setz ich mich ans Cello.
Ah ja, was sind Jeansväter?
Aufklärung schenkte mir gestern mein Sohn. Irgend etwas hatte er zu kritisieren, ich weiß nicht mehr was. Jedenfalls: „Wenn man ein so eleganter Herr ist“, sagte er, „wie du, dann tut man das und das nicht.“ Ich: „Wieso elegant?“ Er: „Weil du immer Anzüge trägst.“ - „Wäre es dir lieber, wenn ich Jeans trüge?“ - „Auf keinen Fall! Du bist doch kein Jeansvater!“ Ich: „Was ist denn ein Jeansvater?“ - „Also paß auf: Wenn wir zum Beispiel cool sagen, wie ihr früher zum Beispiel ‚knorke‘ oder sowas gesagt habt, dann sagt ein Jeansvater immer a u c h gleich ‚cool‘, so daß wir das Wort nicht mehr verwenden können. Sondern wir sagen dann zum Beispiel ‚Cool is out‘, wenn so ein Jeansvater das sagt.“
13.05 Uhr:
Zu den Jeansvätern vielleicht später mehr. Eigentlich wollte ich jetzt, nach anderthalb Stunden am Instrument, mittagsschlafen – aber da sehe ich >>>> das da.
[Arbeitswohnung.]
Seit fünf auf und gleich an den zweiten Lektoratsgang des Jungenromans II gesetzt; gestern nacht schickte UF die gegenkorrigierte zweite Fassung per Mail. Es sind jetzt kaum noch stilistische Fragen, sondern ist eher Fisselkram: „aber“-Wiederholungen, manchmal ein stehengebliebener Stelz usw., - immerhin genug Zeug, um damit den Tag zu verbringen. Ich wäre gerne am Abend durch. Aber spätnachmittags steht eine Krisensitzung an, zu zweit. Von dem Ergebnis werden Sie lesen – oder auch nicht. (Manchmal bekommt Die Dschungel wirklich Hörner zu sehen - „seinSe doch mal diplomatisch!“ hieß es schon oft, wozu sich nun ein menschlich! addiert hat, bei dem mir wieder >>>> Stavrogin einfällt, der seiner Mutter, die auf dem Totenbett liegt, das Gebet verweigert – wobei mir jetzt erst klar wird, daß >>>> James Joyce hat Stephen Dedalus offenbar genau davon beeinflussen lassen; auch der verweigert der Sterbenden das Gebet; diese Beeinflussung durch Dostojewski könnte bereits durch Stav/Steph(v) von Joyce zugegeben worden sein, ganz nach Art seiner Vorliebe für phonetische Anspielungen; beide, Nikolai Stavrogin wie Steven Dedalus, waren für mich bereits sehr früh Leitfiguren, deren Konsequenz ich bewunderte. Muß ich davon jetzt, mit 57, Abschied nehmen? Die gleiche Radikalität, übrigens, besaß André Breton, der sich als Kirchengegner nicht nur weigerte, Einladungen zu Hochzeiten seiner Freunde anzunehmen, sondern die Freundschaften dann rigoros beendete.)
Eine Einladung zu Lesung und Gespräch nach Jena kam per Mail. Der Termin liegt in den Sommerferien meines Jungen, was unsere Reiseplanung komplizieren könnte, jedenfalls dann, wenn es noch zu einem Urlaub der ganzen Familie kommen sollte, was zumindest noch als Idee im Raum steht. Aber sowieso muß diesbezüglich schnell entschieden werden, damit es nicht zu teuer wird, was schließlich alles ins Wasser fallen ließe. Ich hab zur Zeit überhaupt nicht den Kopf, mich darum zu kümmern.
Erst mal weiter mit dem Text.
10.34 Uhr:
Na, das ging schneller, als ich vermutet habe; es ist ein wirklich gutes und schnelles Arbeiten mit dem Korrekturprogramm von Word. Nun ist die durchlektorierte nunmehr Dritte Fassung an UF bereits wieder hinaus, der noch ein letztes Mal lesen möchte, bevor das Typoskript des Jungenromans II an den Verlag geht. Ich solle schon mal mit dem dritten Buch anfangen, mailte UF. Spaßvogel. Wie viele Romane soll ich wohl schreiben im Jahr? Drei? Möglich wären vier, neben den Hörstücken und der sonstigen Arbeit. Vielleicht drei weitere Pseudonyme?
Erstmal eß ich jetzt was, dann setz ich mich ans Cello.
Ah ja, was sind Jeansväter?
Aufklärung schenkte mir gestern mein Sohn. Irgend etwas hatte er zu kritisieren, ich weiß nicht mehr was. Jedenfalls: „Wenn man ein so eleganter Herr ist“, sagte er, „wie du, dann tut man das und das nicht.“ Ich: „Wieso elegant?“ Er: „Weil du immer Anzüge trägst.“ - „Wäre es dir lieber, wenn ich Jeans trüge?“ - „Auf keinen Fall! Du bist doch kein Jeansvater!“ Ich: „Was ist denn ein Jeansvater?“ - „Also paß auf: Wenn wir zum Beispiel cool sagen, wie ihr früher zum Beispiel ‚knorke‘ oder sowas gesagt habt, dann sagt ein Jeansvater immer a u c h gleich ‚cool‘, so daß wir das Wort nicht mehr verwenden können. Sondern wir sagen dann zum Beispiel ‚Cool is out‘, wenn so ein Jeansvater das sagt.“
13.05 Uhr:
Zu den Jeansvätern vielleicht später mehr. Eigentlich wollte ich jetzt, nach anderthalb Stunden am Instrument, mittagsschlafen – aber da sehe ich >>>> das da.
Deshalb auch von hier aus: Ich freu mich mit Ihnen, Frau Kiehl.
Jetzt aber wird geschlafen.
20.01 Uhr:
Zurück. Das Gespräch lief gut. Wir haben uns freundlich zusammengerauft. Mehr müssen Sie nicht wissen.
Etwas anderes, noch einmal zu Aléa Torik. Ich habe soeben beim >>>> Bücherblogger folgenden Kommentar eingestellt, der aber noch „moderiert“ werden muß (eine Vorzensur, die ich hasse; deshalb hier mein Text:Lieber Bücherblogger, wie immer auch meiner persönliche Haltung zu Aléa Torik sei: Ich denke, daß Sie einen Fehler begehen. Zum einen kommt es tatsächlich nur darauf an, ob der Roman gut ist – etwas, das ich auch für mich selbst weder entscheiden kann noch will; das hat indes tatsächlich rein persönliche Gründe. Wenn er gut ist, finde ich, bei aller verständlichen Mißstimmung, es einen schlechten Dienst an guter Literatur, solch ein Outing vorzunehmen. Und zwar, weil Sie damit dem Roman die Chance nehmen, angemessen betrachtet und besprochen zu werden. Wir haben nicht sehr viele mutige Leute unter den großen Kritiker:innen, alle sichern sich irgendwie ab, und Ihre Intervention, bzw. – sofern, was Sie meinen, stimmt – Enthüllung wird eher dazu führen, daß man sich vorsichtig abkehrt. Das hat selbstverständlich damit zu tun, daß Aléa Toriks Präsenz geradezu ideal für unseren Buchmarkt wirkt: eine Rumäniendeutsche, die zudem jung und ganz offenbar sehr gutaussehend ist und außerdem, u.a., noch über Körper schreibt, also das Sexbedürfnis bedient, ohne dabei zotig oder pornographisch zu werden – auf was denn mehr wartet dieser Markt und warten, seien wir doch ehrlich, die Leser? Selbst dann, wenn Sie also recht hätten, nähme Ihre Invektive diesem Projekt die Chance, die tatsächlich wirkenden Markstrukturen zu entblößen.
Ich bedaure das.
Zum anderen sind literarische Maskenspiele auch in der Realität voller Beispiele, von denen man ebenfalls sagen könnte, die Dichter hätten ihre Leser angeschmiert. Denken Sie etwa an D‘Annunzio, dessen angeblicher Tod erst ihn berühmt gemacht hat – da war er noch etwa so jung, wie zu sein Aléa Torik angibt. Sprich: sie stünde in einer Traditionslinie auch sehr großer Literatur, zu der zweifelsfrei D‘Annunzios Lyrik gehört. Oder denken Sie an B. Traven, der erst sehr spät als Ret Marut erkannt wurde.
Des weiteren sind wir alle, soweit wir unter Pseudonymen auftraten, im Netz Avatare, ja das Netz selbst ist ein Stück Literatur, und zwar nachpostmodern realistischer. Es gehört darüber hinaus sehr viel Geschick dazu, etwas glaubhaft vorzustellen, was man vielleicht nicht ist, und das vor allem in einer Sphäre zu tun, die einem überhaupt nicht vertraut ist. Wenn Sie recht haben sollten mit Ihrer Enthüllung, dann haben wir es mit einer täuschenden Meisterleistung zu tun, von der sich jeder, der darauf hereingefallen wäre, fragen müßte, inweit nicht er oder sie selbst mit an der Täuschung schuld habe: Wollten wir getäuscht vielleicht werden, eben, weil jemand etwas von unseren innersten Wünschen bedient hat?
Wie geschrieben, ich kann und will nicht entscheiden, ob es sich um einen guten Roman handelt. Das ist aber sehr gut möglich. Ich selbst halte mich wegen einer persönlichen Enttäuschung von ihm fern. Wiederum, daß es mit einer solchen möglichen Maske auch moralische Probleme gibt, etwa was die Glaubwürdigkeit von politischen Aussagen anbelangt, ist mir bewußt. Es ist aber nicht Sache der Dichter, moralisch einwandfrei zu sein. Die größten unter denen waren das nie, nicht einmal der politisch so engagierte wie Brecht. Und vielleicht ist die eigentliche Literatur Aléa Toriks gar nicht das Buch, sondern eben die Aktion. Daß sie Kitsch sei, kann ich bei allem nicht sehen; Kitsch entsteht nicht, indem man die Perspektive wechselt, sondern er ist allein eine Frage des Formniveaus. Bei dem, worüber Sie so klagen, müssen Sie sich statt dessen fragen, das ist meine Meinung, ob nicht Sie selbst ihn hergestellt haben. Denn wenn Ihre Enthüllung wahr ist, dann hat Aléa Torik auf einen Knopf bei Ihnen und vielen anderen gedrückt, und alle sind angesprungen, wie bei Pavlovschen Hunden Speichel fließt.
Daß solch eine Form der (Selbst)Erkenntnis schmerzhaft ist, allerdings, das verstehe ich. Das war Aufklärung indessen stets.
Ihr
ANH)
Jetzt aber wird geschlafen.
20.01 Uhr:
Zurück. Das Gespräch lief gut. Wir haben uns freundlich zusammengerauft. Mehr müssen Sie nicht wissen.
Etwas anderes, noch einmal zu Aléa Torik. Ich habe soeben beim >>>> Bücherblogger folgenden Kommentar eingestellt, der aber noch „moderiert“ werden muß (eine Vorzensur, die ich hasse; deshalb hier mein Text:
Ich bedaure das.
Zum anderen sind literarische Maskenspiele auch in der Realität voller Beispiele, von denen man ebenfalls sagen könnte, die Dichter hätten ihre Leser angeschmiert. Denken Sie etwa an D‘Annunzio, dessen angeblicher Tod erst ihn berühmt gemacht hat – da war er noch etwa so jung, wie zu sein Aléa Torik angibt. Sprich: sie stünde in einer Traditionslinie auch sehr großer Literatur, zu der zweifelsfrei D‘Annunzios Lyrik gehört. Oder denken Sie an B. Traven, der erst sehr spät als Ret Marut erkannt wurde.
Des weiteren sind wir alle, soweit wir unter Pseudonymen auftraten, im Netz Avatare, ja das Netz selbst ist ein Stück Literatur, und zwar nachpostmodern realistischer. Es gehört darüber hinaus sehr viel Geschick dazu, etwas glaubhaft vorzustellen, was man vielleicht nicht ist, und das vor allem in einer Sphäre zu tun, die einem überhaupt nicht vertraut ist. Wenn Sie recht haben sollten mit Ihrer Enthüllung, dann haben wir es mit einer täuschenden Meisterleistung zu tun, von der sich jeder, der darauf hereingefallen wäre, fragen müßte, inweit nicht er oder sie selbst mit an der Täuschung schuld habe: Wollten wir getäuscht vielleicht werden, eben, weil jemand etwas von unseren innersten Wünschen bedient hat?
Wie geschrieben, ich kann und will nicht entscheiden, ob es sich um einen guten Roman handelt. Das ist aber sehr gut möglich. Ich selbst halte mich wegen einer persönlichen Enttäuschung von ihm fern. Wiederum, daß es mit einer solchen möglichen Maske auch moralische Probleme gibt, etwa was die Glaubwürdigkeit von politischen Aussagen anbelangt, ist mir bewußt. Es ist aber nicht Sache der Dichter, moralisch einwandfrei zu sein. Die größten unter denen waren das nie, nicht einmal der politisch so engagierte wie Brecht. Und vielleicht ist die eigentliche Literatur Aléa Toriks gar nicht das Buch, sondern eben die Aktion. Daß sie Kitsch sei, kann ich bei allem nicht sehen; Kitsch entsteht nicht, indem man die Perspektive wechselt, sondern er ist allein eine Frage des Formniveaus. Bei dem, worüber Sie so klagen, müssen Sie sich statt dessen fragen, das ist meine Meinung, ob nicht Sie selbst ihn hergestellt haben. Denn wenn Ihre Enthüllung wahr ist, dann hat Aléa Torik auf einen Knopf bei Ihnen und vielen anderen gedrückt, und alle sind angesprungen, wie bei Pavlovschen Hunden Speichel fließt.
Daß solch eine Form der (Selbst)Erkenntnis schmerzhaft ist, allerdings, das verstehe ich. Das war Aufklärung indessen stets.
Ihr
ANH)
Wenn mein Text als Kommentar beim Bücherblogger erschienen sein sollte, werde ich noch einmal gesondert darauf verlinken.

albannikolaiherbst - Donnerstag, 8. März 2012, 20:06- Rubrik: Arbeitsjournal
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