Das Arbeits- und, ab nachmittags, Löwinnenjournal des Montags, dem 19. November 2012.
4.50 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchiato, erste Morgenpfeife, zehn nach halb fünf aus dem Bett. Mein Junge ist hier, möchte im sechs Uhr geweckt werden, um vor der Schule noch etwas weiterlesen zu können. Dazu b-moll und Kakao. Eine wirkliche Entwicklung, daß er nun dauernd liest. „Das sind noch, ich Papa, elf Seiten...“: gestern um halb zweiundzwanzig Uhr. Ich selbst habe früher, nach dem „Jetzt aber das Licht aus!“ unter der Bettdecke weitergelesen, mit einer Taschenlampe. Da wir hier zusammen in einem einzigen Zimmer sind, hat er diese Möglichkeit nicht, also geb ich die elf Seiten hinzu. „Und morgen“, strahlt er nach ihrem Abschluß, „ist der Ofen warm!“ Es war hier drinnen dauerkalt, ich geb‘s ja zu (für mich allein wäre es aber wirklich nicht nötig zu heizen; ich komme mit meinen Pullovern und Schals sehr gut klar).
Schönes Ritual; der Freund E. war dabei, der mich immer mitumarmt, wenn mein Junge und ich, immer mal zwischendurch, zärtlich werden. Eine schöne Art des Vertrauens von auch diesem anderen Jungen. Auch zu abend aßen wir alle gemeinsam. Er würde gerne, E., das nächste Mal nach Italien mit.
Jetzt weiter die der Abgleichsliste zu Argo - eine Arbeit, die sich länger hinzieht, als ich dachte. Sie ist nicht eigentlich schwierig, aber mühsam, weil über die knappen eintausend Seiten Typoskript laufend Details gesucht und dann auf die Liste hin angeglichen werden müssen, und nicht jede gefundene Stelle paßt, zum Beispiel kann ich nicht an jeder beliebigen Goltz-Erwähnung seinen leichten Überbiß und die braunen Augen einsetzen, sondern die entsprechende Erwähnung muß sich aus dem Fluß ergeben; ebenso, daß Deidameia in Teplice geboren wurde: kompliziert, weil es im Roman Hunderte Deidameia-Stellen gibt. Dann: das Verhältnis Duncker- (Anderswelt) : Waldschmidtstraße (Realwelt) hatte ich in Argo g a r nicht erwähnt; ich muß das aber tun, weil es zwar allein auf Argo betrachtet k e i n hängendes Motiv ist, wohl, aber, andernfalls, in Bezug auf die Trilogie als Ganzes. Und so weiter. Es ist auch nicht immer leicht, ein passendes Suchwort zu finden, zum Beispiel für die fünf Lifts in der Wilhelm-Leuschner-Straße, die in Argo gar nicht mehr erwähnt sind, wohl aber in Thetis.
So arbeite ich, abarbeitend ruhig, vor mich hin. „Profiarbeit“, nannte es die Löwin gestern abend am Telefon, „ich hätte wahrscheinlich schon das gesamte Manuskript in die Ecke gefeuert“, lachte, „na, ich schriebe auch keinen Tausendseiter -“ „Kann man nie wissen“, antwortete ich. - „Stimmt, das kann man nicht.“ Ich werde sie am frühen Nachmittag von Tegel abholen, dann haben wir drei Tage, bevor ich >>>> nach Marburg reisen muß. - Sehr wahrscheinlich, >>>> in der Bar, werden wir heute abend den Profi treffen, der die, wie er zu ihr immer sagt, „Frau Löwin“ ausgesprochen schätzt. Ihr Einfluß auf mich ist ihm deutlich angenehm; sie „normalisierte“ mich, mag er denken, der, um mich, bisweilen ein wenig besorgte Freund. (Meine fast Sucht, Sätze zu rhythmisieren, ich möchte sagen: ihren nahsten Klangrhythmus zu suchen, Rhythmik und Semantik engst verschmolzen; daher die Nutzung von Kommata, die bisweilen die Funktion von Akzenten übernehmen, Aussprache-Akzenten.)
Was die >>>> Diskussion zum pornographischen Film anbelangt, zeigen schon die hohen Zugriffszahlen das Interesse; dennoch bin ich verwundert, wie wenig Leser:innen sich letztlich einbringen, um mitzusprechen; hier hat Anonymität ja durchaus einen Sinn - jedenfalls so lange wir Menschen nicht wirklich frei sagen dürfen, was wir erleben, ob wir daran nun von den Umständen unseres Draußens oder von inneren Instanzen abgehalten werden, mit Grund abgehalten in dem einen und/oder anderen Fall. Nicht jede/r, wie ich, begehrt auf; ob man es tut oder nicht, ist nicht nur eine Frage des persönlichen Muts, sondern vor allem auch des jeweiligen Temperaments, sowie der je verschiedenen Erfahrungen.
An die Arbeit.
12.30 Uhr:
[Bohuslav Martinů, Zweites Klavierkonzert. Spritzig.]
So, die Thetis-Liste ist fast abgearbeitet, jetzt folgt noch BuenosAires. Dennoch, zwischendurch einkaufen gewesen, denn eine Löwin braucht Fleisch. Isso. Es gibt außerdem einen neuen Duschvorhang, was Sie alles brennend interessiert, ich weiß, aber es kommt mir in den Arbeitsjournalen darauf an zu mischen, nämlich Poetik, Musikkritik, „hohe“ Theorie, Privates, Erfundendes, sagen wir: Fiktives - nur dann, wenn wir uns auf solche Mischungen einlassen, bekommen wir einen Zugriff auf Welt... - aber dazu in den nächsten Tagen eine neue Miszelle der >>>> Kleinen Theorie, die mir schon deswegen nötig zu sein scheint, weil die öwin gestern am Telefon sagte: „Es is genau das, was die Leute verstört, daß Sie nicht trennen, sondern möglichst viele Bereiche zusammen und aufeinander bezogen abzubilden versuchen. Das hat für viele Leser:innen etwas Skandalöses, daß es imgrunde keine freien Bereiche gibt, sondern alles in gegenseitigen Abhängigkeiten steht.“ Eben. „Reinheit“ ist - und was es immer - eine gefährliche Kategorie, die letztlich auf Unterdrückung hinausläuft und darauf, Zusammenhänge bewußt oder unbewußt zu leugnen.
Hübsch übrigens, was von „umme Ecke“ der da zur Pornographie >>>> schreibt. Ich hab ihm so nett geantwortet, wie ich halt meistens bin. - Weiter mit Argo bis zum Mittagsschlaf.

[Arbeitswohnung.]
Latte macchiato, erste Morgenpfeife, zehn nach halb fünf aus dem Bett. Mein Junge ist hier, möchte im sechs Uhr geweckt werden, um vor der Schule noch etwas weiterlesen zu können. Dazu b-moll und Kakao. Eine wirkliche Entwicklung, daß er nun dauernd liest. „Das sind noch, ich Papa, elf Seiten...“: gestern um halb zweiundzwanzig Uhr. Ich selbst habe früher, nach dem „Jetzt aber das Licht aus!“ unter der Bettdecke weitergelesen, mit einer Taschenlampe. Da wir hier zusammen in einem einzigen Zimmer sind, hat er diese Möglichkeit nicht, also geb ich die elf Seiten hinzu. „Und morgen“, strahlt er nach ihrem Abschluß, „ist der Ofen warm!“ Es war hier drinnen dauerkalt, ich geb‘s ja zu (für mich allein wäre es aber wirklich nicht nötig zu heizen; ich komme mit meinen Pullovern und Schals sehr gut klar).
Schönes Ritual; der Freund E. war dabei, der mich immer mitumarmt, wenn mein Junge und ich, immer mal zwischendurch, zärtlich werden. Eine schöne Art des Vertrauens von auch diesem anderen Jungen. Auch zu abend aßen wir alle gemeinsam. Er würde gerne, E., das nächste Mal nach Italien mit.
Jetzt weiter die der Abgleichsliste zu Argo - eine Arbeit, die sich länger hinzieht, als ich dachte. Sie ist nicht eigentlich schwierig, aber mühsam, weil über die knappen eintausend Seiten Typoskript laufend Details gesucht und dann auf die Liste hin angeglichen werden müssen, und nicht jede gefundene Stelle paßt, zum Beispiel kann ich nicht an jeder beliebigen Goltz-Erwähnung seinen leichten Überbiß und die braunen Augen einsetzen, sondern die entsprechende Erwähnung muß sich aus dem Fluß ergeben; ebenso, daß Deidameia in Teplice geboren wurde: kompliziert, weil es im Roman Hunderte Deidameia-Stellen gibt. Dann: das Verhältnis Duncker- (Anderswelt) : Waldschmidtstraße (Realwelt) hatte ich in Argo g a r nicht erwähnt; ich muß das aber tun, weil es zwar allein auf Argo betrachtet k e i n hängendes Motiv ist, wohl, aber, andernfalls, in Bezug auf die Trilogie als Ganzes. Und so weiter. Es ist auch nicht immer leicht, ein passendes Suchwort zu finden, zum Beispiel für die fünf Lifts in der Wilhelm-Leuschner-Straße, die in Argo gar nicht mehr erwähnt sind, wohl aber in Thetis.
So arbeite ich, abarbeitend ruhig, vor mich hin. „Profiarbeit“, nannte es die Löwin gestern abend am Telefon, „ich hätte wahrscheinlich schon das gesamte Manuskript in die Ecke gefeuert“, lachte, „na, ich schriebe auch keinen Tausendseiter -“ „Kann man nie wissen“, antwortete ich. - „Stimmt, das kann man nicht.“ Ich werde sie am frühen Nachmittag von Tegel abholen, dann haben wir drei Tage, bevor ich >>>> nach Marburg reisen muß. - Sehr wahrscheinlich, >>>> in der Bar, werden wir heute abend den Profi treffen, der die, wie er zu ihr immer sagt, „Frau Löwin“ ausgesprochen schätzt. Ihr Einfluß auf mich ist ihm deutlich angenehm; sie „normalisierte“ mich, mag er denken, der, um mich, bisweilen ein wenig besorgte Freund. (Meine fast Sucht, Sätze zu rhythmisieren, ich möchte sagen: ihren nahsten Klangrhythmus zu suchen, Rhythmik und Semantik engst verschmolzen; daher die Nutzung von Kommata, die bisweilen die Funktion von Akzenten übernehmen, Aussprache-Akzenten.)
Was die >>>> Diskussion zum pornographischen Film anbelangt, zeigen schon die hohen Zugriffszahlen das Interesse; dennoch bin ich verwundert, wie wenig Leser:innen sich letztlich einbringen, um mitzusprechen; hier hat Anonymität ja durchaus einen Sinn - jedenfalls so lange wir Menschen nicht wirklich frei sagen dürfen, was wir erleben, ob wir daran nun von den Umständen unseres Draußens oder von inneren Instanzen abgehalten werden, mit Grund abgehalten in dem einen und/oder anderen Fall. Nicht jede/r, wie ich, begehrt auf; ob man es tut oder nicht, ist nicht nur eine Frage des persönlichen Muts, sondern vor allem auch des jeweiligen Temperaments, sowie der je verschiedenen Erfahrungen.
An die Arbeit.
12.30 Uhr:
[Bohuslav Martinů, Zweites Klavierkonzert. Spritzig.]
So, die Thetis-Liste ist fast abgearbeitet, jetzt folgt noch BuenosAires. Dennoch, zwischendurch einkaufen gewesen, denn eine Löwin braucht Fleisch. Isso. Es gibt außerdem einen neuen Duschvorhang, was Sie alles brennend interessiert, ich weiß, aber es kommt mir in den Arbeitsjournalen darauf an zu mischen, nämlich Poetik, Musikkritik, „hohe“ Theorie, Privates, Erfundendes, sagen wir: Fiktives - nur dann, wenn wir uns auf solche Mischungen einlassen, bekommen wir einen Zugriff auf Welt... - aber dazu in den nächsten Tagen eine neue Miszelle der >>>> Kleinen Theorie, die mir schon deswegen nötig zu sein scheint, weil die öwin gestern am Telefon sagte: „Es is genau das, was die Leute verstört, daß Sie nicht trennen, sondern möglichst viele Bereiche zusammen und aufeinander bezogen abzubilden versuchen. Das hat für viele Leser:innen etwas Skandalöses, daß es imgrunde keine freien Bereiche gibt, sondern alles in gegenseitigen Abhängigkeiten steht.“ Eben. „Reinheit“ ist - und was es immer - eine gefährliche Kategorie, die letztlich auf Unterdrückung hinausläuft und darauf, Zusammenhänge bewußt oder unbewußt zu leugnen.
Hübsch übrigens, was von „umme Ecke“ der da zur Pornographie >>>> schreibt. Ich hab ihm so nett geantwortet, wie ich halt meistens bin. - Weiter mit Argo bis zum Mittagsschlaf.
albannikolaiherbst - Montag, 19. November 2012, 12:40- Rubrik: Arbeitsjournal
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