Aus meiner Niemandsbucht von Handke: Ein erstes PP der Jahreswende, nämlich die № 70. Am 29. Dezember 2013, einem Sonntag. (Vielleicht auch das einzige.)
[Schreker: Die Gezeichneten.]
Vom 23. liegt ein begonnenes, durchaus langes, aber nie abgeschlossenes PP hier herum, das ich nun löschen werde – und also auch, darin, den Versuch, mein Rezept für >>>> Heidesand in Verse zu fassen. Was ja auch ein blödsinniger Einfall war, zumal verbunden mit der Idee, ich könne auf diese Weise in den „Gedichtmodus“ finden, dessen ich zur Fertigstellung der noch offenen Zyklen dringend bedarf. Nein, ich werde bis Neapel warten müssen, wohin übermorgen mein Flieger mittags starten wird. Ich will die Silversternacht für mich allein sein, ganz allein, heißt das, muß mich ausrichten oder auszurichten versuchen. Immerhin ist nicht nur mit dem freilich erwartbaren Schweigen des „klassischen“ Feuilletons fertigzuwerden, bei einem Mammut wie der Anderswelt-Trilogie schon eine Aufgabe für sich. Denn das Schweigen macht klar, daß sich nichts mehr ändern wird, für keines meiner noch folgenden Bücher, nicht mehr zu meinen Lebzeiten. So gesehen, bin ich in meinem Beruf gescheitert, für mich selbst gescheitert. Das ist meine Bilanz für dieses Jahr. Die Texte selbst aber werden weiterleben, dessen bin ich gewiß und rufe mit Gustav Mahler aus: „Meine Zeit wird kommen!“ Nur daß es eben meine „eigene“ nicht mehr sein wird. Wiederum muß sich darüber jemand, der ästhetisch so sehr mit dem festen Ich gehadert und es immer wieder zerspalten hat, nicht wundern.
Ich schrieb in dem Gedichtentwurf von „der ersehnten Tochter“. Das ist der andere Abschied. Es wär ja mal eine gewesen. Irgendwie habe ich immer gedacht, ich könne sie zurückholen, allein durch die mit dem Wünschen amalgamierte Kraft des Willens: Magie. Nun erreichte mich eine andere Magie und lehrte mich aufs neue, die ich immer weggeschoben: Vergeblichkeit. So paßt es, daß ich über Weihnachten Handkes >>>> Niemandsbucht zu lesen begonnen habe, eines Erzählers, dessen Temperament und Entfernungs-Sucht mir völlig fremd sind, und doch ist es jetzt, als spräche er aus mir heraus. Ganz nebenbei erfahre ich dabei das, sagt der Jurist, „Urbild“ >>>> Gregor Keuschnigs, den ich ohnehin schon immer sehr geachtet habe und auch ein bißchen bewundere für den Tag, den Tisch und das Tun (Niemandsbucht, 226):Ja, im eigenen Land, so froh ich immer wieder zurückkehre, fühle ich mich über kurz oder lang beengt, ebenso von dem besonderen Volk wie von der eigenen Kleinlichkeit. (…) Endlich war ich, wie es mir entsprach und sich für mich gebührte, allein.
Niemandsbucht, 163/164
Und auch das ist so fernnah:Andrerseits gab es in mir von Kind an eine Bereitschaft, mich zu versöhnen. Und in meinem Gedächtnis bin immer ich es, von dem die Geste zum Wiedergutsein ausging.
Niemandsbucht, 165.
Ich schrieb in dem Gedichtentwurf von „der ersehnten Tochter“. Das ist der andere Abschied. Es wär ja mal eine gewesen. Irgendwie habe ich immer gedacht, ich könne sie zurückholen, allein durch die mit dem Wünschen amalgamierte Kraft des Willens: Magie. Nun erreichte mich eine andere Magie und lehrte mich aufs neue, die ich immer weggeschoben: Vergeblichkeit. So paßt es, daß ich über Weihnachten Handkes >>>> Niemandsbucht zu lesen begonnen habe, eines Erzählers, dessen Temperament und Entfernungs-Sucht mir völlig fremd sind, und doch ist es jetzt, als spräche er aus mir heraus. Ganz nebenbei erfahre ich dabei das, sagt der Jurist, „Urbild“ >>>> Gregor Keuschnigs, den ich ohnehin schon immer sehr geachtet habe und auch ein bißchen bewundere für den Tag, den Tisch und das Tun (Niemandsbucht, 226):
Niemandsbucht, 163/164
Niemandsbucht, 165.
Cigarillo. Und einen Talisker zur herabgesunkenen Dunkelheit:
Wobei mir „dieser“ Keuschnig in die letzten dreißig Seiten >>>> Kjærstad gedrungen ist, über den ich morgen meine Rezension für >>>> Volltext schreiben will, damit der Text zumindest im Entwurf fertig ist, bevor ich nach Neapel fliege. (Von dort aus wird es am 3. Januar >>>> zum Freund weitergehen, für weitere fünf Tage.)
Was ist geschehen?
Weihnachten war. Der Baum war und ist noch. Die Familie. Was vor allem Kinder sind. Die Zwillinge und der Große. Oft saß ich am Baum und sah einfach nur hinein. Den Hasen habe ich quasi allein für mich zubereitet, er fand nur bei mir Begeisterung, dennoch und deshalb erkläre ich ihn hiermit offiziell zu meinem absoluten Lieblingsfleisch, jedenfalls, was die Nahrungsaufnahme anbelangt. Ich aß drei Tage davon, einiges ist jetzt eingefroren. Muß zu „vernünftiger“ Ernährung zurückkehren, einer, die Händchen mit dem Sport hält. Es geht auch um Wiederherstellung von Routinen, die mir momentan wichtiger sein müssen alles vieles andere. Um die Gedichte fertigzustellen. Um das Sterbebuch fortzusetzen. Nebenbei ist mir eine nächste Erzählung eingefallen, und zweidrei Erzählungen liegen ja auch noch abgebrochen herum. Ich hab so eine Tendenz, immer das nichtAbgeschlossene zu sehen; was fertig ist, wird klein. Da eben wär der Ruf von außen wichtig. „Eine Einzelperson“, sagt die Löwin, „kann dir das nicht geben.“ Nein, kann sie nicht. Wer auch immer. Vielleicht liegt das daran, daß man nie für einzelne Personen schreibt. „Das Liebesgedicht spricht nicht zur Geliebten, sondern zur Welt“, heißt es sinngemäß bei Rilke. Aber vielleicht steht das nirgends bei ihm. Ich habe gesucht. Wieder gesucht. Den Satz nie wieder gefunden. So werden Äußerungen wie dieser zu ganz „eigenen“: Man zitiert aus sich selbst. Wie sich unsere Seele gute Texte sowieso einverleibt: Es ist ein innerer Stoffwechsel-Prozeß, und manche Sätze gleichen Genen, die weitergegeben werden. Man kann ja nicht sagen, man sei sein Vater, seine Mutter, und doch ist von denen – und von manchen vorher – so viel in einem, das wirkt und wirkt und weiterwirkt.
Mir gefällt Handkes Erzähler nicht. Mir gefällt die vermittelte Haltung nicht. Diese gleichsam stumme Abwehr, die zugleich eine enorme Näherung an die Erscheinung der Dinge ist. Was es gerade ist, daß mir dann d o c h gefällt, jedenfalls nah ist. Unheimlich nah ist. Es läßt sich von einer entrückten Nähe sprechen. Nichts wallt wirklich mehr auf, bisher nicht, bis S. 250. Ein resignatives Buch, aber auch ein Buch über, ohne Zen, Zen. Klare, fließende, sehr schöne, bisweilen sehr eigen getaktete Sätze. Ohne Geschichte. Also eigentlich kein Roman. Handke nennt das Buch „Ein Märchen aus den neuen Zeiten“, nur daß auch Märchenhaftes nicht daran ist. Ich kann nicht aufhören, es zu lesen. So großartig ist es.
Sehnsucht nach Rückzug. Ins Ausland gehen. Und doch entspricht nichts, zugleich, mir weniger: nach wie vor. Ich bin im Umgang nie wirklich schwierig gewesen, auch wenn anderes behauptet wurde. Immer war ich leicht zu versöhnen, siehe Niemandsbuch oben. Jetzt spüre ich, daß ich es, „schwierig“, tatsächlich werde. Auch das gefällt mir nicht.
Noch einen Talisker.
Verzeihen Sie bitte, daß ich so unzusammenhängend schreibe. Was mich von Handkes Erzähler tiefgreifend trennt, und es ist erlösend, das zu spüren, ist meine vorbehaltlose Öffnung zur Musik: daß ich sie in mich einströmen lasse, auch wenn ich dafür nicht mehr in einen öffentlichen Raum gehen mag, also nach wie vor nicht in die Oper, nicht ins Konzert. Ich bin so tief dankbar für meine Musikanlage und die reiche Sammlung: daß ich hinaus nicht muß und dennoch in einem Draußen bin. Einem nicht sehr konkreten, freilich, sondern einem Raum, Klangraum. Schon aber, wenn ich das jetzt weiterbeschreibe, entsteht etwas anderes als ich bin, entsteht eine Figur, eines Romans, einer Erzählung, die ihr ganz eigene Wendungen gibt, solche, die ich selbst, mein tatsächliches Selbst, nie vollziehen würde, allenfalls andenken, anfühlen. Also Sie lesen hier nicht mich, sondern einen anderen, aber doch mich. Michteile. Nachher werde ich auf einer Party sein, zusammen mit meinem Sohn und seiner Freundin, und dann wird mich ein andermich sein, und das ist mindestens ebenso wahr, wirklich, vor allem: konkret, lächelnd, leidenschaftlich nach wie vor ins Leben vernarrt, beinahe ohne Gebrochenheit, während der Wind das Wasser fiederte (Niemandsbucht, 151). Und auf der Handkeseite 151 habe ich oben notiert: „Mißtrauen gegen Musik“. Das mir in diesem Jahr aber a u c h kam, nämlich >>>> da, bei Wagner. Anderswo nicht. Oder steht auch das noch für mich bereit, es zu trinken? Davor, vor nichts sonst, hätte ich wirklich Angst. Lebensangst. Und werde schon wieder privat. Was ich mir verboten habe. Ich läs jetzt am liebsten im Handke weiter.
Ich will keine lebensskeptische Dichtung. Ich will Ergriffenheit.
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Was ist geschehen?
Weihnachten war. Der Baum war und ist noch. Die Familie. Was vor allem Kinder sind. Die Zwillinge und der Große. Oft saß ich am Baum und sah einfach nur hinein. Den Hasen habe ich quasi allein für mich zubereitet, er fand nur bei mir Begeisterung, dennoch und deshalb erkläre ich ihn hiermit offiziell zu meinem absoluten Lieblingsfleisch, jedenfalls, was die Nahrungsaufnahme anbelangt. Ich aß drei Tage davon, einiges ist jetzt eingefroren. Muß zu „vernünftiger“ Ernährung zurückkehren, einer, die Händchen mit dem Sport hält. Es geht auch um Wiederherstellung von Routinen, die mir momentan wichtiger sein müssen alles vieles andere. Um die Gedichte fertigzustellen. Um das Sterbebuch fortzusetzen. Nebenbei ist mir eine nächste Erzählung eingefallen, und zweidrei Erzählungen liegen ja auch noch abgebrochen herum. Ich hab so eine Tendenz, immer das nichtAbgeschlossene zu sehen; was fertig ist, wird klein. Da eben wär der Ruf von außen wichtig. „Eine Einzelperson“, sagt die Löwin, „kann dir das nicht geben.“ Nein, kann sie nicht. Wer auch immer. Vielleicht liegt das daran, daß man nie für einzelne Personen schreibt. „Das Liebesgedicht spricht nicht zur Geliebten, sondern zur Welt“, heißt es sinngemäß bei Rilke. Aber vielleicht steht das nirgends bei ihm. Ich habe gesucht. Wieder gesucht. Den Satz nie wieder gefunden. So werden Äußerungen wie dieser zu ganz „eigenen“: Man zitiert aus sich selbst. Wie sich unsere Seele gute Texte sowieso einverleibt: Es ist ein innerer Stoffwechsel-Prozeß, und manche Sätze gleichen Genen, die weitergegeben werden. Man kann ja nicht sagen, man sei sein Vater, seine Mutter, und doch ist von denen – und von manchen vorher – so viel in einem, das wirkt und wirkt und weiterwirkt.
Mir gefällt Handkes Erzähler nicht. Mir gefällt die vermittelte Haltung nicht. Diese gleichsam stumme Abwehr, die zugleich eine enorme Näherung an die Erscheinung der Dinge ist. Was es gerade ist, daß mir dann d o c h gefällt, jedenfalls nah ist. Unheimlich nah ist. Es läßt sich von einer entrückten Nähe sprechen. Nichts wallt wirklich mehr auf, bisher nicht, bis S. 250. Ein resignatives Buch, aber auch ein Buch über, ohne Zen, Zen. Klare, fließende, sehr schöne, bisweilen sehr eigen getaktete Sätze. Ohne Geschichte. Also eigentlich kein Roman. Handke nennt das Buch „Ein Märchen aus den neuen Zeiten“, nur daß auch Märchenhaftes nicht daran ist. Ich kann nicht aufhören, es zu lesen. So großartig ist es.
Sehnsucht nach Rückzug. Ins Ausland gehen. Und doch entspricht nichts, zugleich, mir weniger: nach wie vor. Ich bin im Umgang nie wirklich schwierig gewesen, auch wenn anderes behauptet wurde. Immer war ich leicht zu versöhnen, siehe Niemandsbuch oben. Jetzt spüre ich, daß ich es, „schwierig“, tatsächlich werde. Auch das gefällt mir nicht.
Noch einen Talisker.
Verzeihen Sie bitte, daß ich so unzusammenhängend schreibe. Was mich von Handkes Erzähler tiefgreifend trennt, und es ist erlösend, das zu spüren, ist meine vorbehaltlose Öffnung zur Musik: daß ich sie in mich einströmen lasse, auch wenn ich dafür nicht mehr in einen öffentlichen Raum gehen mag, also nach wie vor nicht in die Oper, nicht ins Konzert. Ich bin so tief dankbar für meine Musikanlage und die reiche Sammlung: daß ich hinaus nicht muß und dennoch in einem Draußen bin. Einem nicht sehr konkreten, freilich, sondern einem Raum, Klangraum. Schon aber, wenn ich das jetzt weiterbeschreibe, entsteht etwas anderes als ich bin, entsteht eine Figur, eines Romans, einer Erzählung, die ihr ganz eigene Wendungen gibt, solche, die ich selbst, mein tatsächliches Selbst, nie vollziehen würde, allenfalls andenken, anfühlen. Also Sie lesen hier nicht mich, sondern einen anderen, aber doch mich. Michteile. Nachher werde ich auf einer Party sein, zusammen mit meinem Sohn und seiner Freundin, und dann wird mich ein andermich sein, und das ist mindestens ebenso wahr, wirklich, vor allem: konkret, lächelnd, leidenschaftlich nach wie vor ins Leben vernarrt, beinahe ohne Gebrochenheit, während der Wind das Wasser fiederte (Niemandsbucht, 151). Und auf der Handkeseite 151 habe ich oben notiert: „Mißtrauen gegen Musik“. Das mir in diesem Jahr aber a u c h kam, nämlich >>>> da, bei Wagner. Anderswo nicht. Oder steht auch das noch für mich bereit, es zu trinken? Davor, vor nichts sonst, hätte ich wirklich Angst. Lebensangst. Und werde schon wieder privat. Was ich mir verboten habe. Ich läs jetzt am liebsten im Handke weiter.
Ich will keine lebensskeptische Dichtung. Ich will Ergriffenheit.
Heidesand.
Vier Stück Butter auf je ein Kilo Zucker und Mehl. Der Trick besteht darin, die Butter langsam bis knapp vors Verbrennen zu bräunen, es ist am Ende eine Gratwanderung. Die wieder erkaltete Masse mit dem Zucker, etwas Salz und sehr wenig Milch schaumig rühren. Die dunklen Teilchen müssen sich gleichmäßig verteilen, also die Rührerei ruhig übertreiben. Dann erst das Mehl hinzugeben, durchgesiebt selbstverständlich. Und kneten, kneten, kneten. Der Teig ist sehr fettig, darf aber nicht kleben. Weiterkneten also. Bis man das Gefühl hat, einen großen Klops Marshmallow zu bearbeiten. Rollen formen, mit Pergament umschlagen, im Kühlschrank ruhen lassen, mindestens über eine Nacht, am besten einen ganzen Tag lang.
Die Rollen auswickeln und in halbfingerdicke Scheiben schneiden. Die aufs mit Backpapier belegte Blech geben, in jede Scheibe einen großen Salzkristall drücken und alles bei etwa 180 Grad hell ausbacken. Die fertigen Kekse etwas auskühlen lassen, sonst zerfallen sie. Danach vorsichtig in eine verschließbare Dose tun. Wenn Sie tags drauf kosten, werden Sie süchtig werden.
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Vier Stück Butter auf je ein Kilo Zucker und Mehl. Der Trick besteht darin, die Butter langsam bis knapp vors Verbrennen zu bräunen, es ist am Ende eine Gratwanderung. Die wieder erkaltete Masse mit dem Zucker, etwas Salz und sehr wenig Milch schaumig rühren. Die dunklen Teilchen müssen sich gleichmäßig verteilen, also die Rührerei ruhig übertreiben. Dann erst das Mehl hinzugeben, durchgesiebt selbstverständlich. Und kneten, kneten, kneten. Der Teig ist sehr fettig, darf aber nicht kleben. Weiterkneten also. Bis man das Gefühl hat, einen großen Klops Marshmallow zu bearbeiten. Rollen formen, mit Pergament umschlagen, im Kühlschrank ruhen lassen, mindestens über eine Nacht, am besten einen ganzen Tag lang.
Die Rollen auswickeln und in halbfingerdicke Scheiben schneiden. Die aufs mit Backpapier belegte Blech geben, in jede Scheibe einen großen Salzkristall drücken und alles bei etwa 180 Grad hell ausbacken. Die fertigen Kekse etwas auskühlen lassen, sonst zerfallen sie. Danach vorsichtig in eine verschließbare Dose tun. Wenn Sie tags drauf kosten, werden Sie süchtig werden.
albannikolaiherbst - Sonntag, 29. Dezember 2013, 18:37- Rubrik: Arbeitsjournal
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