Das Irseer Arbeitsjournal (1): Mit Argo und Dahlem ins Kloster Irsee. Sonnabend, der 4. August 2012. Nicht nur vom Katholizismus und seinem schlimmen Konkordat, sondern von Luther auch. Und von den Ratten der Euthanasie.
werden in Vernichtungsanstalten deportiert, sterben nach Verordnung
einer fettlosen Hungerkost (E-Kost) oder werden mittels Spritzen und
Überdosen von Medikamenten direkt umgebracht.
Aber auch das da läßt mich schlucken:
Kein Wort davon, was die Bauernkriege ausgelöst hat, kein Wort von dem Elend, dem das Prassen der „christlichen“ Prieserklasse zynischst Hohn sprach; Luther aber, ausgerechnet: „Schlagt sie nieder wie die Ratten!“
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5.39 Uhr:
[Arbeitswohnung. Händel, Suiten für Klavier solo (Keith Jarrett).]
„Das macht einem dann schon maue Gefühle“, sagte ich gestern nacht zum Freund, „wenn man“ wie ich, >>>> dem Link einer Freundin folgend, „das gelesen hat“, womit ich das heutige Journal beginnen lasse. Ich war noch nach elf Uhr nachts zu einer Bar am Helmholtplatz hinüber, um mit ihm, dem Freund, einen kleinen Absacker zu nehmen, diesmal nicht im Beakers, sondern dort, weil die wirklich schöne N. aus den griechischen Landen, in ihrem Fall einer Insel, zurück ist; ihrer Erzählung zu lauschen, floh sie nach sieben Wochen von dort, weil die schönen Männer, die zu ihr paßten, dies allein in körperlicher Ansicht taten. „Man diskutiert nicht mit Frauen, nur die Männer unter sich.“ Und zwar nähmen sie sich für sich selbst jede Freiheit, die Frau jedoch habe peinlichst Auskunft zu geben, wo sie mit wem denn wann gewesen. Worauf eben, auf ihre Flucht, er, der Freund, mit anstoßen wollte. Wir taten‘s. Es war eine lauschige Sommernacht, die wunderschöne Schultern hatte: sie leuchteten wie ein angebräuntes Elfenbein beidseits der Träger ihres leuchtenden, luftig weißen Kleides. - „Was gibst du?“ fragte sie. „Einen Meisterkurs? Klingt sexy, aber du solltest das anders vermarkten.“ Mir ist das Meister in dem Wort immer ein bißchen peinlich, also hatte ich‘s einmal wieder ironisiert. Ihr war meine Haltung nicht eingegangen. Möglicherweise eine Generationenfrage. Der Begriff stammt aus dem alten Handwerk; kann sein, daß sich mein Gefühl gegen die ihm vielleicht als zu leichtfertig erscheinende Übernahme wehrt. Wie auch immer, so trägt es in jedem Fall etwas Unbehagliches mit sich, wenn man es in Bezug zur Geschichte setzt. Womit ich selbstverständlich ihn, den Meister aus Deutschland, meine. Mit einem stillen Unbehagen, das ich lächelnd überspiele, werde ich in diese Mauern eintreten:
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Um kurz vor halb sechs auf, habe ich jetzt noch gut Zeit bis Viertel vor neun, wenn ich die Arbeitrswohnung verlassen muß, um meinen ICE zu bekommen; kurz nach neun geht die passende SBahn ab. Ich habe einiges zu schleppen, weil ich Bücher dabeihab, die über den „normalen“ Buchhandel nicht mehr zu bekommen sind. So ist der Rucksack recht gefüllt; jetzt muß nur noch der Tabak, müssen die täglichen Hygienedinge, muß wenig sonstiges Zeug noch rein. Dann kann es losgehen. Das >>>> Irseer Weblog, das Teil meines Engagements ist, habe ich gestern abend, wie darin in meinem kleinen Editorial bereits am Mittwoch angekündigt, freigeschaltet. Es wäre schön, wenn auch Sie in den kommenden neun Tagen immer mal wieder hineinschauen und vielleicht auch Texte der Kursteilnehmer kommentieren würden.
Ansonsten kam ich mit dem >>>> Dahlem-Text insofern gut weiter, als ich die nötige Wende der Erzählung hinbekam, noch aber nicht den Schluß. Was auch an meinem rechten Auge liegt: Bei der Voruntersuchung durch meine Augenärztin wurde die Pupille geweitet; das ist noch jetzt nicht völlig zurückgegangen und hat zu einer ziemlichen Unschärfe des rechten Blicks geführt; ich merk das, wenn ich so rumguck, eigentlich kaum, sehr wohl aber bei der Konzentration auf einen Text. Also >>>> Faustkultur um einen Aufschub bis Montag früh gebeten. Ich werde die elend lange Zugfahrt (acht Stunden) nutzen, erstmal für Dahlem, dann, falls noch Zeit bleibt, für Argo, dessen letzte dreißig Seiten ich ebenfalls mithab. Mal sehen, ob ich‘s in Irsee hinbekomme, auch dort so früh aufzustehen, daß ich vor dem gemeinsamen Frühstück zwei Stunden für die eigene Arbeit habe. Dann wäre ich, wenn ich zurückbin, nach dem - meinetwegen: - Meisterkurs mit der Überarbeitung dieses Mammuts durch und könnte die fisseligen Übertragung meiner handschriftlichen Korrekturen zur Dritten Fassung beginnen. Das wird, wie auch geplant, den ganzen September brauchen, weil auch das neue Hörstück anzugehen ist, die Fahnen des Essaybandes zu korrigieren und außerdem die Neue Fröhliche Wissenschaft zu überarbeiten sind, ja, da ist überhaupt die ganze F o r m noch herzustellen. Ein Beschäftigungstherapeut würde an mir verzweifeln.
Guten Morgen, erst einmal. Was mir an Zeit bis zum Aufbruch bleibt, will ich bereits für Dahlem nutzen. Auch Regressionen, erzählt meine Geschichte, springen über. Der formale Einfall, übrigens, kam mir gestern abend beim Abwasch. So denken die Dinge sich weiter, auch wenn man gar nicht glaubt, daß man arbeitet. Ich hab das schon öfter mal geschrieben, daß e s sich denkt. So auch fallen die meisten unserer Entscheidungen. Wenn es um Nähe geht.
7.50 Uhr:
[Bach, Wohltemperiertes Klavier (Glenn Gould am Cembalo).]
Hatte gerade eine sehr böse Idee für die erste Aufgabe, die meinen Teilnehmern angetragen sei: „Gehen Sie durch das Kloster heute abend, auch heute nacht, stellen Sie sich den Wecker, stehen Sie auf, wenn alles schläft, gehen Sie durch die Gänge. Versuchen Sie, die Zeit zwischen 1939 und 1944 zu imaginieren, die Zeit der Euthanasie. Versetzen Sie sich in jemanden, versuchen Sie, die Mauern erzählen zu lassen. Finden Sie mit allen Ihren Sinnen einen Ansatz. Wenn wir schon mal hier sind. Setzen Sie sich aus. Und erzählen Sie dann, als schrieben Sie die Autobiographie einer oder eines anderen.“
>>>> Schwäbischer Kunstsommer 2

[Arbeitswohnung. Händel, Suiten für Klavier solo (Keith Jarrett).]
„Das macht einem dann schon maue Gefühle“, sagte ich gestern nacht zum Freund, „wenn man“ wie ich, >>>> dem Link einer Freundin folgend, „das gelesen hat“, womit ich das heutige Journal beginnen lasse. Ich war noch nach elf Uhr nachts zu einer Bar am Helmholtplatz hinüber, um mit ihm, dem Freund, einen kleinen Absacker zu nehmen, diesmal nicht im Beakers, sondern dort, weil die wirklich schöne N. aus den griechischen Landen, in ihrem Fall einer Insel, zurück ist; ihrer Erzählung zu lauschen, floh sie nach sieben Wochen von dort, weil die schönen Männer, die zu ihr paßten, dies allein in körperlicher Ansicht taten. „Man diskutiert nicht mit Frauen, nur die Männer unter sich.“ Und zwar nähmen sie sich für sich selbst jede Freiheit, die Frau jedoch habe peinlichst Auskunft zu geben, wo sie mit wem denn wann gewesen. Worauf eben, auf ihre Flucht, er, der Freund, mit anstoßen wollte. Wir taten‘s. Es war eine lauschige Sommernacht, die wunderschöne Schultern hatte: sie leuchteten wie ein angebräuntes Elfenbein beidseits der Träger ihres leuchtenden, luftig weißen Kleides. - „Was gibst du?“ fragte sie. „Einen Meisterkurs? Klingt sexy, aber du solltest das anders vermarkten.“ Mir ist das Meister in dem Wort immer ein bißchen peinlich, also hatte ich‘s einmal wieder ironisiert. Ihr war meine Haltung nicht eingegangen. Möglicherweise eine Generationenfrage. Der Begriff stammt aus dem alten Handwerk; kann sein, daß sich mein Gefühl gegen die ihm vielleicht als zu leichtfertig erscheinende Übernahme wehrt. Wie auch immer, so trägt es in jedem Fall etwas Unbehagliches mit sich, wenn man es in Bezug zur Geschichte setzt. Womit ich selbstverständlich ihn, den Meister aus Deutschland, meine. Mit einem stillen Unbehagen, das ich lächelnd überspiele, werde ich in diese Mauern eintreten:
Um kurz vor halb sechs auf, habe ich jetzt noch gut Zeit bis Viertel vor neun, wenn ich die Arbeitrswohnung verlassen muß, um meinen ICE zu bekommen; kurz nach neun geht die passende SBahn ab. Ich habe einiges zu schleppen, weil ich Bücher dabeihab, die über den „normalen“ Buchhandel nicht mehr zu bekommen sind. So ist der Rucksack recht gefüllt; jetzt muß nur noch der Tabak, müssen die täglichen Hygienedinge, muß wenig sonstiges Zeug noch rein. Dann kann es losgehen. Das >>>> Irseer Weblog, das Teil meines Engagements ist, habe ich gestern abend, wie darin in meinem kleinen Editorial bereits am Mittwoch angekündigt, freigeschaltet. Es wäre schön, wenn auch Sie in den kommenden neun Tagen immer mal wieder hineinschauen und vielleicht auch Texte der Kursteilnehmer kommentieren würden.
Ansonsten kam ich mit dem >>>> Dahlem-Text insofern gut weiter, als ich die nötige Wende der Erzählung hinbekam, noch aber nicht den Schluß. Was auch an meinem rechten Auge liegt: Bei der Voruntersuchung durch meine Augenärztin wurde die Pupille geweitet; das ist noch jetzt nicht völlig zurückgegangen und hat zu einer ziemlichen Unschärfe des rechten Blicks geführt; ich merk das, wenn ich so rumguck, eigentlich kaum, sehr wohl aber bei der Konzentration auf einen Text. Also >>>> Faustkultur um einen Aufschub bis Montag früh gebeten. Ich werde die elend lange Zugfahrt (acht Stunden) nutzen, erstmal für Dahlem, dann, falls noch Zeit bleibt, für Argo, dessen letzte dreißig Seiten ich ebenfalls mithab. Mal sehen, ob ich‘s in Irsee hinbekomme, auch dort so früh aufzustehen, daß ich vor dem gemeinsamen Frühstück zwei Stunden für die eigene Arbeit habe. Dann wäre ich, wenn ich zurückbin, nach dem - meinetwegen: - Meisterkurs mit der Überarbeitung dieses Mammuts durch und könnte die fisseligen Übertragung meiner handschriftlichen Korrekturen zur Dritten Fassung beginnen. Das wird, wie auch geplant, den ganzen September brauchen, weil auch das neue Hörstück anzugehen ist, die Fahnen des Essaybandes zu korrigieren und außerdem die Neue Fröhliche Wissenschaft zu überarbeiten sind, ja, da ist überhaupt die ganze F o r m noch herzustellen. Ein Beschäftigungstherapeut würde an mir verzweifeln.
Guten Morgen, erst einmal. Was mir an Zeit bis zum Aufbruch bleibt, will ich bereits für Dahlem nutzen. Auch Regressionen, erzählt meine Geschichte, springen über. Der formale Einfall, übrigens, kam mir gestern abend beim Abwasch. So denken die Dinge sich weiter, auch wenn man gar nicht glaubt, daß man arbeitet. Ich hab das schon öfter mal geschrieben, daß e s sich denkt. So auch fallen die meisten unserer Entscheidungen. Wenn es um Nähe geht.
7.50 Uhr:
[Bach, Wohltemperiertes Klavier (Glenn Gould am Cembalo).]
Hatte gerade eine sehr böse Idee für die erste Aufgabe, die meinen Teilnehmern angetragen sei: „Gehen Sie durch das Kloster heute abend, auch heute nacht, stellen Sie sich den Wecker, stehen Sie auf, wenn alles schläft, gehen Sie durch die Gänge. Versuchen Sie, die Zeit zwischen 1939 und 1944 zu imaginieren, die Zeit der Euthanasie. Versetzen Sie sich in jemanden, versuchen Sie, die Mauern erzählen zu lassen. Finden Sie mit allen Ihren Sinnen einen Ansatz. Wenn wir schon mal hier sind. Setzen Sie sich aus. Und erzählen Sie dann, als schrieben Sie die Autobiographie einer oder eines anderen.“
>>>> Schwäbischer Kunstsommer 2
albannikolaiherbst - Samstag, 4. August 2012, 15:50- Rubrik: Arbeitsjournal
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