Dieses ist (k)ein Liebesroman. (Briefe nach Triest, 18: Überlegungen 2).
[Gebhard Ullmann, Moritat (1994).]
Es wird zunehmend deutlich, daß >>>> die Briefe-selbst der Roman sind, und zwar, weil sie‘s ermöglichen, dem ästhetischen Konzept einer >>>>> „Möglichkeitenpoetik“ weitergehend zu folgen, als dies in einem linear erzählten Buch auch nur denkbar wäre. Linearität meint daber nicht nur das notwendigerweise sukzessive Aufeinanderfolgen der, so weit es ein- und dieselben Subjekte betrifft, Erzählstränge; dieses habe ich bereits in vielen der auf den >>>> Wolpertinger gefolgten Büchern unterlaufen, sondern vor allem die eineindeutige Konsistenz der Personen, d.h. ihre festgelegte Identität (auch sie freilich war in meinen letzten Romanen immer schon vage). Was aber hier möglich wird, ist sogar, einander eigentlich ausschließende Szenen jede mit derselben Wahrhaftigkeit zu entwerfen und zuweilen auch auszuerzählen, als wäre es tatsächlich so und so. Das geht durch die Vermittlung der Briefautor-Person vollkommen widerspruchslos ineinander. Lenz kann sich zur selben Zeit sowohl in Zürich als auch in Triest aufhalten, allein, weil dies an verschiedenen Briefstellen erzählt wird, zwischen denen als Legierung immer die grundlegenden Reflexionen stehen: Stets kommt es im Kopf der Leser:innen zu einem jeweils unmittelbaren Bild. Damit öffnen sich, erzählerisch, genau die Freiheitsräume, die Möglichkeiten eben sind. Strategisch gesehen erlaubt das dem Roman, ganz verschiedene, wenn nicht sämtliche Muster durchzuspielen, die auf die handelnden Personen als bestimmende Determinanten wirken. Mehr noch können an sich völlig verschiedene Romanpersonen direkt auseinander aufscheinen - Spiegelungen schrieb ich zwar, tatsächlich sind es ineinander wechselwirkende >>>> Palimpseste, bei denen sich einmal die „ältere“, scheinbar überschriebene Schicht in den Blick hebt, dann wieder die neue oder eine und/oder mehrere dazwischen. Das verdeutlicht die Nähe nicht nur der fiktiven Personen, sondern auch eine je zu Leserin und Leser. Diese selbst werden mitgeschrieben, schon weil die Zustände von Trennung und Not völlig allgemeine, zugleich aber die allerpersönlichsten sind. (Die Löwin erzählte gestern von ihrer seit Jahren schwer verliebten Freundin Z., die jede Abschlußformel in einer jeden Nachricht ihres - heimlichen und fast jugendlich-zart - Geliebten auf geheime Botschaften untersucht, ganz so, wie wir die Tendenz haben, uns an einer Stelle nicht mehr zu waschen, auf die jemand Begehrtes geküßt hat. Jede und jeder kennt das.)
Ich habe ein paarmal überlegt, ob es für die spätere Buchform des Romans nicht geraten sei, den Briefautor von meiner eigenen, der „tatsächlichen“ Person zu entfernen, also einen „Kunst-Briefautor“ zu erfinden, der an seine Sìdhe schreibt, und später dafür alles aus dem Text herauszunehmen, was quasi-autobiografisch an mich selbst angelagert ist. Mit dem späten Nabokov („Ich habe diese Fiktionsscheiße satt“) hielte ich das aber für einen Fehler, auch aus einem politischen, mithin „kritischen“ Grund: Es würde sich dem Gebot des Uneigentlichen beugen, von dem die westlichen Gesellschaften durchdrungen sind, und denselben Scheincharakter füttern, dem meine Arbeiten stets feindlich gegenüberstanden. Für jemanden, die und der mich nicht kennt, spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob dieses und jenes „wahr“ ist. Eine Rolle spielt es allenfalls für Vertraute; die durchschauen aber auch die Verfremdungen und führen sie stets auf das real vorgängig Gewesene zurück (oder auf das, was sie dafür halten). Dasselbe gilt für die künstlerischen Verfremdungen sogenannter Urbilder. „Wer war die Sìdhe tatsächlich?“ ist eine für den Roman ebenso unmaßgebliche Frage wie „Hat es sie gegeben?“ Das interessiert allenfalls spätere Literaturhistoriker, bzw. in der direkten Gegenwart den Klatsch oder ein paar Juristen, die mit Persönlichkeitsrechtsprozessen Geld verdienen wollen. Für ästhetische Überlegungen hat so etwas keine Rolle zu spielen, allenfalls persönlich; doch Risiken waren der Kunst seit je immanent: Auf Ovid habe ich in den Briefen schon d i r e k t hingewiesen. Worum es vielmehr geht, ist, das unmittelbare Empfinden so lange wie möglich heißzuhalten, um den Text aus dieser Glut heraus zu schreiben und eben n i c h t in Distanz zu gehen oder nur, wie hier, zeitweise - damit künstlerisch kalkuliert werden kann und ich mir vor allem stets darüber klar bin, was ich eigentlich tue und welches Ziel ich künstlerisch verfolge.
Im Traumschiff habe ich – bevor ich es schreiben konnte – versucht, mich in einen alte Mann hineinzuversetzen, der den Tod vor Augen hat; das war ein fast drei Jahre währender sehr schwieriger Prozeß. Hier nun unternehme ich quasi das Gegenteil: radikale Gegenwärtighaltung eines unmittelbar erlebten Geschehens. (Gestern fand ich im Duschbecken ein paar Haare der Sìdhe; einzeln und dünn klebten und kleben sie auf dem Rand. Der Briefautor wird in einem nächsten Brief auf sie eingehen. Und noch immer steht der längst verdorrte Blumenstrauß auf dem Mitteltisch: Das konkrete Hemdchen ist unterdessen ebenso Leitmotiv wie die imaginierte Achselkapelle und das Thema von Zeugung & Empfängnis.)
Der Roman ist ein Liebesroman, weil er von zwei und in den „Spiegelungen“ sogar mehreren Personen erzählt, die auf zumindest anfangs nicht sanktionierbare Weise zu- und aufeinandergezogen werden und deren eingefahrene Lebenssituationen dadurch ins Taumeln gerate. Er ist aber auch k e i n Liebesroman, insofern die möglichen wirkenden Kräfte „untersucht“ werden, auch die, die eine dauernde Verbindung der Beteiligten schließlich unmöglich werden lassen. Daran wirkt besonders die jeweilige Sozialität mit, aber auch je Herkunft und Prägung, bzw. traumatische Dispositionen bestimmen die Ereignisse mit. Es geht also insgesamt (wieder) um das Menschenbild-allgemein: Was ist er. Dabei bin selbstverständlich auch ich selbst ein Experimentat.
Er ist vor allem aber deshalb kein Liebesroman, weil er „allgemein“ das Movens von Kunst in den Blick nimmt und die Frage stellt, inwieweit tatsächlich Schmerz, ein vorausgegangener oder währender, die - ausschließliche - Bedingung ihrer Möglichkeit sei – sofern es um eine Kunst geht, die ich >>>> an anderer Stelle die intensive genannt habe. (Unter Kunst verstehe ich quasi n i e informelle Spielereien). - Und er ist eben d o c h ein Liebesroman, als der ihm zugrundeliegende Schmerz aus dem Liebesverhältnis zu einem anderen Menschen gemacht ist. Roman aber ist er, weil er ab einem bestimmten Moment nicht nur vom Scheitern sprechen, sondern diese Liebesgeschichte auch als eine völlig erfüllte erzählen wird. Da steht die Sìdhe dann unvermittelt in der Tür und sagt „Da bin ich wieder“, was vorher in einem der Briefe schon als ein Motiv anerwogen worden ist. Und dann wird – während zugleich weiter von der Getrennheit gesprochen werden wird – vom WiederBeisammensein gesprochen werden, und beides steht als Möglichkeiten gleichbrechtigt nebeneinander. Schon „rein“ formal wird dann niemand sagen können, dieses und jenes ist richtig, bzw. „wahr“ - einmal abgesehen davon, daß es tatsächlich so kommen könnte (oder vielleicht gekommen schon ist?) -
Wahr ist, in jedem Fall, was wirkt, und wirken tut hier beides. Spätestens von dieser projektierten Stelle an wird der Briefautor-selbst in die Imagination gehoben, auch wenn er „meine“ biografischen Bestimmungen behält, vom ersten frühmorgendlichen Latte macchiato über Begebnisse mit meinem Sohn bis zu gerichtlichen Mahnschreiben, die ich erhalte (oder hoffentlich nicht). Begleitend dazu stetig die Gespräche vor allem >>>> mit der Löwin, aber auch mit weiterhin Amélie und anderen Personen meines direkten, das heißt konkret recherchierbaren Umfelds.
Als besonders schwierig hat sich, besonders in den letzten Tagen, erwiesen, daß gewisse Drohungen, aber auch Unterstellungen und Beschimpfungen den Ton gefährden, der die Triestbriefe trägt. Es kostet mich eine gewaltige Kraft, ihn immer wieder neu zu finden, neu aufzunehmen. Deshalb halte ich mir, wogegen ich normalerweise sofort in den Kampf ziehen würde, so gut es geht vom Leib. Imgrunde ist, es eben n i c h t zu tun, ein ganz ähnlicher psychischer Aufwand, wie die Erinnerung an die konkrete Sìdhe (sofern es sie gab) in meiner gefühlten Gegenwart zu bewahren und/oder unsere Liebesgesten, die Geschmäcker, Gerüche usw. in mir zu reaktivieren. Das ist auch deshalb schwierig, weil sich zwischen mich und die „tatsächliche“ Frau zunehmend die imaginierte schiebt, nach der ich mich aber gar nicht sehne. Nur daß, wonach ich mich sehne, zunehmend eine Leerstelle wird – nicht zuletzt durch den nun schon zum zweiten Mal erlebten radikalen Wegbruch jeder direkten Kommunikation, was sich schon für sich, bei so viel gewesener Nähe, nicht leicht verkraften läßt. Auch deshalb sind für mich die Lydierin und Lenz unterdessen fast schon konkreter als die „reale“ Sìdhe – ein Umstand, der sie erst recht zu einer mythischen Figur macht. Dem läßt sich nur begegnen, indem der Briefautor immer wieder von der Lydierin auf die Sìdhe zurückprojeziert, und zwar stets unversehens – als sozusagen Flashbacks, zugleich aber aufgrund der sich in den Briefen objektivierenden ästhetischen Bewegung. Wohl in demselben Sinn bemerkte die Löwin gestern am Telefon, womit sie auf eine Stelle im >>>> vierzehnten Brief, dort unter 14.35 Uhr, reagierte: „Du darfst dich jetzt gar nicht neu verlieben. Andernfalls wäre der Roman tot.“
Die poetische Konstruktion ist jedenfalls die notwendige F o r m des Erzählten, das heißt, sie wird es. Insofern ist auch sie prozeßhaft, nicht starr, ist nicht nur Gerüst, sondern greift viel weiter: Leben und Roman werden als identisch verstanden, nur als je in andersperspektivischer Drauf- bzw. Hin- und Hinaussicht. Dabei erdet sich sogar der ins Auge genommene Buchumfang symbolisch in die Geschehen, aus denen er eben auch abgezogen und hinaustransponiert worden ist: 3 x 13 Briefe.
So nah ich mich auch, wenn ich die Briefe schreibe, an die Entstehungsgegenwart halte, also täglich einen Brief schreiben usw., eine Ablösung läßt sich, wenn ich im Fluß bleiben will, nicht vermeiden. Das bedeutet, daß die Entstehungsbedingungen-selbst eine Bewegung ins Imaginäre bedeuten. Etwa ist es vorgekommen, daß ich einen neuen Brief direkt schon, am selben Tag, nach dem vorhergegangenen zumindest anfing; da ich aber täglich nicht mehr als einen Brief in Die Dschungel einstellen will, wurde er auf den folgenden Tag, an dem er dann erschien, schlichtweg umdatiert. Etwa werde ich auch heute schon den Brief von morgen schreiben, jedenfalls beginnen und ihn schließlich „falsch“ ausweisen müssen. Mir gefällt das nicht, doch ist es nicht zu vermeiden. (Diese seit langem von mir angestrebte Nähe zur Realität ist gerade der für glaubhafte Fiktionen nötige Boden: nicht e i n beschriebener Ort in der >>>> Sizilischen Reise, den es nicht gibt, wenigstens gegeben h a t, damals. Dasselbe gilt für den >>>> New-York-Roman, aber auch für die >>>> Andersweltbücher, also einen Zyklus, der sich der Phantastik und teils auch der Science Fiction zurechnen läßt. Insofern folgt dem der „autobiografische“ Ansatz der Triestbriefe, ja radikalisiert meine Poetik noch, s c h ä r f t sie - aber in einem der sogenannten realistischen Literatur rigoros gegenläufigen Sinn, zu einer nämlich Schneide, auf der die handelnden Personen keinen für Plot-Literaturen wesentlichen Identitäten entsprechen: Es geht hier auch um Unverfilmbarkeit, um etwas, das n u r in der Literatur möglich und nicht bloß „verstecktes“ Drehbuch ist.)
ANH,
5. Dezember 2014.
*
Nachtrag,
14.40 Uhr:
Ich habe ein paarmal überlegt, ob es für die spätere Buchform des Romans nicht geraten sei, den Briefautor von meiner eigenen, der „tatsächlichen“ Person zu entfernen, also einen „Kunst-Briefautor“ zu erfinden, der an seine Sìdhe schreibt, und später dafür alles aus dem Text herauszunehmen, was quasi-autobiografisch an mich selbst angelagert ist. Mit dem späten Nabokov („Ich habe diese Fiktionsscheiße satt“) hielte ich das aber für einen Fehler, auch aus einem politischen, mithin „kritischen“ Grund: Es würde sich dem Gebot des Uneigentlichen beugen, von dem die westlichen Gesellschaften durchdrungen sind, und denselben Scheincharakter füttern, dem meine Arbeiten stets feindlich gegenüberstanden. Für jemanden, die und der mich nicht kennt, spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob dieses und jenes „wahr“ ist. Eine Rolle spielt es allenfalls für Vertraute; die durchschauen aber auch die Verfremdungen und führen sie stets auf das real vorgängig Gewesene zurück (oder auf das, was sie dafür halten). Dasselbe gilt für die künstlerischen Verfremdungen sogenannter Urbilder. „Wer war die Sìdhe tatsächlich?“ ist eine für den Roman ebenso unmaßgebliche Frage wie „Hat es sie gegeben?“ Das interessiert allenfalls spätere Literaturhistoriker, bzw. in der direkten Gegenwart den Klatsch oder ein paar Juristen, die mit Persönlichkeitsrechtsprozessen Geld verdienen wollen. Für ästhetische Überlegungen hat so etwas keine Rolle zu spielen, allenfalls persönlich; doch Risiken waren der Kunst seit je immanent: Auf Ovid habe ich in den Briefen schon d i r e k t hingewiesen. Worum es vielmehr geht, ist, das unmittelbare Empfinden so lange wie möglich heißzuhalten, um den Text aus dieser Glut heraus zu schreiben und eben n i c h t in Distanz zu gehen oder nur, wie hier, zeitweise - damit künstlerisch kalkuliert werden kann und ich mir vor allem stets darüber klar bin, was ich eigentlich tue und welches Ziel ich künstlerisch verfolge.
Im Traumschiff habe ich – bevor ich es schreiben konnte – versucht, mich in einen alte Mann hineinzuversetzen, der den Tod vor Augen hat; das war ein fast drei Jahre währender sehr schwieriger Prozeß. Hier nun unternehme ich quasi das Gegenteil: radikale Gegenwärtighaltung eines unmittelbar erlebten Geschehens. (Gestern fand ich im Duschbecken ein paar Haare der Sìdhe; einzeln und dünn klebten und kleben sie auf dem Rand. Der Briefautor wird in einem nächsten Brief auf sie eingehen. Und noch immer steht der längst verdorrte Blumenstrauß auf dem Mitteltisch: Das konkrete Hemdchen ist unterdessen ebenso Leitmotiv wie die imaginierte Achselkapelle und das Thema von Zeugung & Empfängnis.)
Der Roman ist ein Liebesroman, weil er von zwei und in den „Spiegelungen“ sogar mehreren Personen erzählt, die auf zumindest anfangs nicht sanktionierbare Weise zu- und aufeinandergezogen werden und deren eingefahrene Lebenssituationen dadurch ins Taumeln gerate. Er ist aber auch k e i n Liebesroman, insofern die möglichen wirkenden Kräfte „untersucht“ werden, auch die, die eine dauernde Verbindung der Beteiligten schließlich unmöglich werden lassen. Daran wirkt besonders die jeweilige Sozialität mit, aber auch je Herkunft und Prägung, bzw. traumatische Dispositionen bestimmen die Ereignisse mit. Es geht also insgesamt (wieder) um das Menschenbild-allgemein: Was ist er. Dabei bin selbstverständlich auch ich selbst ein Experimentat.
Er ist vor allem aber deshalb kein Liebesroman, weil er „allgemein“ das Movens von Kunst in den Blick nimmt und die Frage stellt, inwieweit tatsächlich Schmerz, ein vorausgegangener oder währender, die - ausschließliche - Bedingung ihrer Möglichkeit sei – sofern es um eine Kunst geht, die ich >>>> an anderer Stelle die intensive genannt habe. (Unter Kunst verstehe ich quasi n i e informelle Spielereien). - Und er ist eben d o c h ein Liebesroman, als der ihm zugrundeliegende Schmerz aus dem Liebesverhältnis zu einem anderen Menschen gemacht ist. Roman aber ist er, weil er ab einem bestimmten Moment nicht nur vom Scheitern sprechen, sondern diese Liebesgeschichte auch als eine völlig erfüllte erzählen wird. Da steht die Sìdhe dann unvermittelt in der Tür und sagt „Da bin ich wieder“, was vorher in einem der Briefe schon als ein Motiv anerwogen worden ist. Und dann wird – während zugleich weiter von der Getrennheit gesprochen werden wird – vom WiederBeisammensein gesprochen werden, und beides steht als Möglichkeiten gleichbrechtigt nebeneinander. Schon „rein“ formal wird dann niemand sagen können, dieses und jenes ist richtig, bzw. „wahr“ - einmal abgesehen davon, daß es tatsächlich so kommen könnte (oder vielleicht gekommen schon ist?) -
Wahr ist, in jedem Fall, was wirkt, und wirken tut hier beides. Spätestens von dieser projektierten Stelle an wird der Briefautor-selbst in die Imagination gehoben, auch wenn er „meine“ biografischen Bestimmungen behält, vom ersten frühmorgendlichen Latte macchiato über Begebnisse mit meinem Sohn bis zu gerichtlichen Mahnschreiben, die ich erhalte (oder hoffentlich nicht). Begleitend dazu stetig die Gespräche vor allem >>>> mit der Löwin, aber auch mit weiterhin Amélie und anderen Personen meines direkten, das heißt konkret recherchierbaren Umfelds.
Als besonders schwierig hat sich, besonders in den letzten Tagen, erwiesen, daß gewisse Drohungen, aber auch Unterstellungen und Beschimpfungen den Ton gefährden, der die Triestbriefe trägt. Es kostet mich eine gewaltige Kraft, ihn immer wieder neu zu finden, neu aufzunehmen. Deshalb halte ich mir, wogegen ich normalerweise sofort in den Kampf ziehen würde, so gut es geht vom Leib. Imgrunde ist, es eben n i c h t zu tun, ein ganz ähnlicher psychischer Aufwand, wie die Erinnerung an die konkrete Sìdhe (sofern es sie gab) in meiner gefühlten Gegenwart zu bewahren und/oder unsere Liebesgesten, die Geschmäcker, Gerüche usw. in mir zu reaktivieren. Das ist auch deshalb schwierig, weil sich zwischen mich und die „tatsächliche“ Frau zunehmend die imaginierte schiebt, nach der ich mich aber gar nicht sehne. Nur daß, wonach ich mich sehne, zunehmend eine Leerstelle wird – nicht zuletzt durch den nun schon zum zweiten Mal erlebten radikalen Wegbruch jeder direkten Kommunikation, was sich schon für sich, bei so viel gewesener Nähe, nicht leicht verkraften läßt. Auch deshalb sind für mich die Lydierin und Lenz unterdessen fast schon konkreter als die „reale“ Sìdhe – ein Umstand, der sie erst recht zu einer mythischen Figur macht. Dem läßt sich nur begegnen, indem der Briefautor immer wieder von der Lydierin auf die Sìdhe zurückprojeziert, und zwar stets unversehens – als sozusagen Flashbacks, zugleich aber aufgrund der sich in den Briefen objektivierenden ästhetischen Bewegung. Wohl in demselben Sinn bemerkte die Löwin gestern am Telefon, womit sie auf eine Stelle im >>>> vierzehnten Brief, dort unter 14.35 Uhr, reagierte: „Du darfst dich jetzt gar nicht neu verlieben. Andernfalls wäre der Roman tot.“
Die poetische Konstruktion ist jedenfalls die notwendige F o r m des Erzählten, das heißt, sie wird es. Insofern ist auch sie prozeßhaft, nicht starr, ist nicht nur Gerüst, sondern greift viel weiter: Leben und Roman werden als identisch verstanden, nur als je in andersperspektivischer Drauf- bzw. Hin- und Hinaussicht. Dabei erdet sich sogar der ins Auge genommene Buchumfang symbolisch in die Geschehen, aus denen er eben auch abgezogen und hinaustransponiert worden ist: 3 x 13 Briefe.
So nah ich mich auch, wenn ich die Briefe schreibe, an die Entstehungsgegenwart halte, also täglich einen Brief schreiben usw., eine Ablösung läßt sich, wenn ich im Fluß bleiben will, nicht vermeiden. Das bedeutet, daß die Entstehungsbedingungen-selbst eine Bewegung ins Imaginäre bedeuten. Etwa ist es vorgekommen, daß ich einen neuen Brief direkt schon, am selben Tag, nach dem vorhergegangenen zumindest anfing; da ich aber täglich nicht mehr als einen Brief in Die Dschungel einstellen will, wurde er auf den folgenden Tag, an dem er dann erschien, schlichtweg umdatiert. Etwa werde ich auch heute schon den Brief von morgen schreiben, jedenfalls beginnen und ihn schließlich „falsch“ ausweisen müssen. Mir gefällt das nicht, doch ist es nicht zu vermeiden. (Diese seit langem von mir angestrebte Nähe zur Realität ist gerade der für glaubhafte Fiktionen nötige Boden: nicht e i n beschriebener Ort in der >>>> Sizilischen Reise, den es nicht gibt, wenigstens gegeben h a t, damals. Dasselbe gilt für den >>>> New-York-Roman, aber auch für die >>>> Andersweltbücher, also einen Zyklus, der sich der Phantastik und teils auch der Science Fiction zurechnen läßt. Insofern folgt dem der „autobiografische“ Ansatz der Triestbriefe, ja radikalisiert meine Poetik noch, s c h ä r f t sie - aber in einem der sogenannten realistischen Literatur rigoros gegenläufigen Sinn, zu einer nämlich Schneide, auf der die handelnden Personen keinen für Plot-Literaturen wesentlichen Identitäten entsprechen: Es geht hier auch um Unverfilmbarkeit, um etwas, das n u r in der Literatur möglich und nicht bloß „verstecktes“ Drehbuch ist.)
ANH,
5. Dezember 2014.
[Elvira Plenar, I was just... (1991).]
Nachtrag,
14.40 Uhr:
Weshalb nicht dem Roman E r f ü l l u n g geben, weshalb denn n i c h t, also insgesamt? Weshalb die Wirklichkeit verdoppeln? Wieso die permanente Scheu vor einem Happyend? - Der Gedanke tauchte beim Schwimmen aus mir auf und tauchte einfach mehr unter. So wog ich ihn die fast ganzen anderthalb Stunden hin und her, und bei jeder Bahn gewann er an Kontur, etwa: wie man dennoch die Briefform halten könne. Aber dazu will ich hier nichts verraten, sondern eine eigene Romandatei anlegen, nur bei mir, „Briefe nach Triest“, und darin, wie ich bei allen anderen Büchern tat, eine Notatdatei in den „Materialien“. - Plötzlich sehe ich das Ende des Buches, das, worauf es hinaus will, vielleicht sogar von Anfang an wollte. Was ich bloß noch nicht wußte. - Bin jetzt wirklich aufgeregt, schreibe von nun an nicht mehr ins Leere, sondern sehe ein Ziel.
[Wolfgang Rihm, Inschrift 2 für Orchester (2013).]
*
albannikolaiherbst - Freitag, 5. Dezember 2014, 14:51- Rubrik: Arbeitsjournal
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