Alban Nikolai Herbst / Alexander v. Ribbentrop

e   Marlboro. Prosastücke, Postskriptum Hannover 1981   Die Verwirrung des Gemüts. Roman, List München 1983    Die blutige Trauer des Buchhalters Michael Dolfinger. Lamento/Roman, Herodot Göttingen 1986; Ausgabe Zweiter Hand: Dielmann 2000   Die Orgelpfeifen von Flandern, Novelle, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2001   Wolpertinger oder Das Blau. Roman, Dielmann Frankfurtmain 1993, dtv München 2000   Eine Sizilische Reise, Fantastischer Bericht, Diemann Frankfurtmain 1995, dtv München 1997   Der Arndt-Komplex. Novellen, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1997   Thetis. Anderswelt. Fantastischer Roman, Rowohlt Reinbek b. Hamburg 1998 (Erster Band der Anderswelt-Trilogie)   In New York. Manhattan Roman, Schöffling Frankfurtmain 2000   Buenos Aires. Anderswelt. Kybernetischer Roman, Berlin Verlag Berlin 2001 (Zweiter Band der Anderswelt-Trilogie)   Inzest oder Die Entstehung der Welt. Der Anfang eines Romanes in Briefen, zus. mit Barbara Bongartz, Schreibheft Essen 2002   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Bis Okt. 2017 verboten)   Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen. Poetische Features, Elfenbein Berlin 2004   Die Niedertracht der Musik. Dreizehn Erzählungen, tisch7 Köln 2005   Dem Nahsten Orient/Très Proche Orient. Liebesgedichte, deutsch und französisch, Dielmann Frankfurtmain 2007    Meere. Roman, Letzte Fassung. Gesamtabdruck bei Volltext, Wien 2007.

Meere. Roman, „Persische Fassung“, Dielmann Frankfurtmain 2007    Aeolia.Gesang. Gedichtzyklus, mit den Stromboli-Bildern von Harald R. Gratz. Limitierte Auflage ohne ISBN, Galerie Jesse Bielefeld 2008   Kybernetischer Realismus. Heidelberger Vorlesungen, Manutius Heidelberg 2008   Der Engel Ordnungen. Gedichte. Dielmann Frankfurtmain 2009   Selzers Singen. Phantastische Geschichten, Kulturmaschinen Berlin 2010   Azreds Buch. Geschichten und Fiktionen, Kulturmaschinen Berlin 2010   Das bleibende Thier. Bamberger Elegien, Elfenbein Verlag Berlin 2011   Die Fenster von Sainte Chapelle. Reiseerzählung, Kulturmaschinen Berlin 2011   Kleine Theorie des Literarischen Bloggens. ETKBooks Bern 2011   Schöne Literatur muß grausam sein. Aufsätze und Reden I, Kulturmaschinen Berlin 2012   Isabella Maria Vergana. Erzählung. Verlag Die Dschungel in der Kindle-Edition Berlin 2013   Der Gräfenberg-Club. Sonderausgabe. Literaturquickie Hamburg 2013   Argo.Anderswelt. Epischer Roman, Elfenbein Berlin 2013 (Dritter Band der Anderswelt-Trilogie)   James Joyce: Giacomo Joyce. Mit den Übertragungen von Helmut Schulze und Alban Nikolai Herbst, etkBooks Bern 2013    Alban Nikolai Herbst: Traumschiff. Roman. mare 2015.   Meere. Roman, Marebuch Hamburg 2003 (Seit Okt. 2017 wieder frei)
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Dritter Brief nach Triest. (Briefe nach Triest, 3).

Sag, Geliebte,
Arbeitswohnung, den 21. November 2014
9. 21 Uhr,

kann man das sagen, daß wir niemals den Tristan bekommen hätten, hätten Wesendonck und Wagner ihre Liebe ausleben können? Daß also das Kunstwerk, ein höchstes, von der Versagung ausgehen muß, notwendigerweise, weil die gesamte Energie, die es schafft und dann ausströmt, sich andernfalls in der Wirklichkeit verströmt hätte, eben verströmt wurde, sich entropisch für jede spätere Zeit verlierend? Vielleicht werden ja deshalb die auf Dauer gerichteten Institutionen, etwa der Ehe, aber auch jede andere Art intensiver Beziehung, irgendwann schal, uns, unter unsren doch immer noch greifenden, wohl auch greifen wollenden Händen. Schließlich befriedet es sich zu einem, sagen wir, sentimentalen, sagen wir, beruhigten Einverständnis? Ich habe keine Ahnung.
„Greifen wollenden“, „wollenden“ - Du hast das Wollen „kindlich“ genannt, dachtest, glaube ich, an aufgestampfte Füßchen, nicht an das Eiserne, das sich durchsetzt; es setzt sich schließlich auch die Befriedung durch, eine Art Aussöhnung, die an Höhen und Tiefen so lange geschmirgelt hat, bis sie zu Handschmeichlern geworden sind, an denen die altgewordenen Seelen der Paare sich wärmen. Und stirbt der eine Partner, stirbt ihm der andre sofort hinterher. Alleine dann kann ich sie glauben.
Oh, Du Elbin, was habe ich gestern wieder getrunken! offenbar; ich weiß nicht einmal mehr, wann ich vor lauter Trinken ins Bett ging, und verfehle nun dauernd die Tasten: Schriebe ich mit dem Füller oder dem von mir bevorzugten Bleistift, entstünden sich schlängelnde Zeile. Man kann aber meine Schrift ja ohnedies nicht lesen, oder nur wenige können es; interessanterweise kann es mein Sohn, kann‘s fast auf Anhieb immer („Anhieb“, schon wieder: was für ein Wort! auf etwas schlagen.) Auch das aber war ich stets geneigt, für ein Symbolisches zu nehmen.- Oh, der Raki! Auf den lief es gestern beim Maghrebiner hinaus, spät und immer später abends, bis Amélie mehrmals wiederholte, sie wolle ein Kind von mir. Und ich verneinte, schon fast grausam. Woraufhin sie bat, „aber wenigstens bei der Geburt sind Sie dabei“. Dazu sagte ich Ja, aber auch: Nur wenn der Vater es nicht will. „Wer soll dieser Vater schon sein?“ fragte sie, so daß wir abermals über mythische Kinder sprachen, die ich, Geliebte, als jene verstehe, die gewollt sind, ohne daß irgendwer nach Grund und Zeit gefragt hat. Wie wir uns ansahn und wußten. Im bürgerlichen Sinn „paßt“ dann gar nichts, keinerlei Planung ist im Spiel. „Merkt das später ein Kind?“ „Es sind die“, sagte ich, „die zeitlebens einen Weihnachtsbaum über dem Kopf haben. Daran merken sie es, an ihrer inneren Sicherheit. Die anderen merken es nicht, nicht, was ihnen fehlt. Sie haben ja keinen Vergleich, und die Lust, daß sie leben, ist immer noch sehr viel größer, als das Leid wäre, lebten sie nicht. Glücklich, sehr glücklich können deshalb auch sie sein und werden, selbstverständlich.“ - Mythische Kinder: Wenn beide Eltern, ohne auf die „richtigen“ Umstände zu sehen, wollten und konnten und taten. Es gibt nie ein „richtig“ und „falsch“, nur den Moment. Er liegt bereits im ersten Ansehn. Wir wissen und folgen. Alles übrige ist Abwehr.
Ich sei ein, hat mir die Freundin geschrieben, Verunglückter; schon vor mehr als zwei Jahrzehnten, da sie mir zum ersten Mal begegnet, sei das zu sehen gewesen; da war mir ein eigenes Kind noch nicht auf dem Schirm. Und sie legte, in einem zweiten Brief, nach: „Du aber warst, als ich Dich kennenlernte, schon ein Gezeichneter.“ Nein, ich selbst bin keines, nicht ein mythisches Kind. Doch wurde, indem ich Dich ansah, zu einem, nicht wirklich Kind, nein, - aber die fehlende Seite, des mythischen Vaters, hatte sich um es ergänzt. Nun ist es wieder abgeschlagen, abgeschält, wie man Schichten von etwas, mit einem Messer, von einer Fläche schneidet. Es fehlt nicht ein Arm, nicht ein Bein, das ließe sich verschmerzen, sondern es fehlt ein Teil dieses Arms, dieses Beines, des Bauches, von fast jedem Organ fehlen mehrere Streifen, doch eben nur so viel, daß der Körper weiterhin gut funktioniert. Nun schreib ich die fehlenden Streifen wieder hinzu: die Fleischlappen der Selbsterfindung. Ich war und bin ein Meister darin. Ohne das ist all meine Dichtung nicht zu verstehen.
Gibst mir Dein Ohr? - Welches? - Das linke.
Zart mit der Zunge den Dämmchen nachfahren, langsam, aber so tief es hineingeht. Chakras.
Dies sind die Möglichkeiten, die Lenz zum ersten Mal erlebt. Symbolische Berührungen, die zugleich völlig konkret sind. Ich schrieb Dir von >>>> Don Juan de Marco, seine Zungengeste zwischen dem Zeige- und dem Mittelfinger der Frau bis zur Wurzel. Erinnerst Du Dich? Nein, ich habe den Brief noch immer nicht wiedergelesen, keinen der Briefe. Wenn er, der junge wahnhafte Mensch, sie erreicht, zuckt sie, die Frau, wie bei intimster Berührung, doch o h n e das „wie“ - ich weiß ja, weiß, Du hast eine Aversion gegen die, in der Sprache, Vergleiche. Denn tatsächlich, es ist. Er, der Vergleich, abstrahiert. Was bedeutet, daß er diskriminiert. Jeder. Vielmehr hat Don Juan in vollkommener Öffentlichkeit, doch ohne, daß irgend jemand verpeint war, die Clitoris liebkost. Wie, sag mir, Du meine Sehnsucht, soll ich Lenz dies beibringen? Wie kann es kommen, daß er‘s plötzlich weiß? Was hat da in ihm so viele Jahre geschlafen? Denn als eine Knospe muß es in ihm schon gewartet haben. Der Blick als ein Kuß auf die Lippen Schneewittchens – was um so seltsamer ist, weil er ja Mann ist, sich jedenfalls für einen hält: mit all dem nach außen entfalteten Protz. Und nun, unter diesem Blick, nicht so klein, nein, falsches Wort, sondern gewordener Wer. Und welch ein Rauschgift, d a ß es Rauschgift! wenn der Entzug folgt. Denn das tut er, er folgt, er beschließt unausweichlich, und am Ende bleibt Lenz umfassend allein. Er hätte sich vorher nicht vorstellen können, daß es solch eine Einsamkeit g i b t. Daß ein Mensch halbiert sein kann und dennoch weiterlebt. Ich schrieb es schon gestern: ein Freitod schließt sich aus. „Nicht entsagen, sondern sich ergeben“, schrieb mir die Freundin. Ich lese die beiden Briefe wieder und wieder. Vielleicht wird Lenz es dann können, sich ergeben. Das wird uns unterscheiden, ich kann es n i c h t. Will es auch nicht. Lieber „fallen“ - ehrenhaft (verzeih das militärisch-krieghafte, konservative Wort; es paßt). Lenz ist eine Figur: an ihm also kann ich es zulassen lassen, vielleicht auch einfach nur „ausprobieren“. Vieles, das ich niederschrieb, wurde später wahr. Das ist, Du Schöne, ein bißchen unheimlich; Positivisten würden von self-fulfilling prophecies sprechen. Wir norden uns ein, vielleicht, wir Dichter.
Ach, gib‘s mir noch einmal, das andere aber. - Bitte? - Dein Ohr.

Noch duftet das Hemdchen, aber der Duft wird schon schwach. Ich weiß nicht, wie ihn halten, bewahren. Jetzt muß ich das Leben verraten, indem ich ihn schaffe als eine Idee, Dich als die meine. Woraus die Lydierin wird, nicht aber Du wirst. Der große Liebesroman als Bezeugung der Verunglücktheit – schon >>>> Meere ist das gewesen. (Gib es mir, gib‘s mir. Irene hat Zärtlichkeiten dort nie gemocht.) Ist es so, also, daß aus der Erfüllung Romane nie kommen, nur aus der Versagung? Weil die gelebte, durchgelebte Freude und Lust die Energien v e r s t r ö m e n, die, so, gespeichert werden gar nicht mehr können? Weil für ein anderes kein Raum ist als für das Nu? So daß wir, lesen wir ihn, den Liebesroman, i m m e r verunglückten Boden betreten? Und wenn >>>> ein solches Gedicht gelingt, bedeutet das schon in Wahrheit das Ende? Schrieb ich, indem ich Verse auf Dich schrieb, selbst unser Ende herbei? Weil ich – gelästert habe, entweiht? Denn sind es nicht eben diese Gedichte gewesen, derethalber, unversehens für uns beide, Du vor die Wahl gestellt wurdest, die gegen mich ausfiel? Abermals: Struktur der Tragödie. Nicht ohne Komik, wenn man es aus der Distanz betrachtet. „Du minnst um mich – ein einziges Lied“: Ich höre den Ton Deiner, als sie das aussprach, Stimme. Und zuckte schon da. Du weißt, wie sofort ich versuchte, die in der Minne schwingende Entsagung hinwegzuargumentieren. Indem Du es sagtest, war sie indes schon gesetzt. Wir mögen ahnen, spüren, ja, doch wissen tun wir so etwas immer erst nachher.
Genau dieser Bruch wird eine Schlüsselstelle im Roman sein, sein Scharnier geradezu, an dem er sich zuklappt. Umgekehrtes SichErkennen, erinner Dich, >>>> Ἀναγνώρισις: das Erkennen nun wieder verlieren

--- noch aber flüstr‘ ich Dein Ohr in Dein Ohr, hauche: der Lydierin unterstes Offen, darüber der leicht gespaltene, feuchte, hellrot pulsierende Kern.

Alban
(Ich werd‘ jetzt schwimmen gehen.)

*

(14.45 Uhr,
Tippett, A Midsummer Marriage.)

So bin ich Minnesänger nun geworden. Wurde es mit dem Verzicht, erst da wohl. Ich sing der Welt meine Lieb‘ - ihr, nicht Dir, die Du vielleicht den Klang nimmst, den meine Liebkosungen haben, nicht aber sie länger selbst. Nun werden sie Preisen: Ich preise Dein Ohr, um das ich mich, so klein denn doch geworden, lege; preise unter Deinen Lidern die feinen Fältchen, in die sich, ungewöhnlich zart für sie, zärtlich, ja, die Zeit schon eingezeichnet hat; preise die je halbe Pfeilform Deiner Zehenbögen und die Kehre, in die sich leicht ihre äußeren Nagelflachs biegen. Ich preise Deine Schlüsselbeine und ihre Mulde inmitten, preise Deinen schmalen Bauch und links und rechts die Beckenschaufeln, die der Haut ihre federnde Spannung verleihen, und die Ballhalbs Deiner Hinterbacken, zu denen sich Arsch gar nicht sagen läßt, so gerundet sind sie, derart Skulptur, so gar nicht weiblich eigentlich, jungenhaft eher, ohne den je waagrechten Einschnitt nämlich zwischen ihnen und den Schenkeln. Wie ich in Dein Ohr versinke, sinke ich auch ins sich verengende Gesäßtal – und wieder reichen die Wörter nicht hin.
So schwamm ich meine anderthalb Stunden, beileibe nicht der schnellste Schwimmer, aber der, der es am längsten blieb. Es war angenehm, nicht nur, weil ich unentwegt formulierte, sondern zugleich spüren konnte und dieses Spüren sehr genoß, wie meine Bewegungen die an den harten Trainingstagen oft unnatürlich vereinzelt beanspruchten Muskeln entspannten, gleichsam ihre Fasern zurechtmodellierten, ganz so, wie jemand ein Bettzeug glattstreicht, nachdem es ausgeschüttelt und wieder gelegt worden ist. Schwimmen ist, um doch einmal einen der von mir gemiedenen US-Amerikanismen zu verwenden, Bodyshaping. Es paßt, dieses Wort, weil es auf eine feine, dabei nicht ungrausame Weise auf das Messer anspielt, von dem ich oben schrieb. Der Körper wird geschält, das Wasser schnitzt ihn zurecht. Man kann das spüren, ähnlich einer Übung in Selbsthypnosetechnik: konzentriere dich auf das Fließen deines Bluts, beginnend beim Herzen bis zu den Füßen hinunter und auf der anderen Körperseite wieder herauf. Darin Geübte, Geliebte, empfinden in beinah jeder Ader tatsächlich das Fließen, in beinah jeder Vene.
Ich störte die Schnellschwimmer, einer drängte mich dauernd weg, meine Melancholie weg, von der sich seine Sprints gebremst fühlten. Später sah ich ihn mir unter der Dusche an, dachte, wozu mag der Bauch ihm dienen? aus seinem völlig überwachsenen, buschigen dunklen Schamhaar hing lang, wie ein Zipfelmützenschlauch, die Vorhaut heraus. Unübereingestimmt die ganze Erscheinung. Ein sehr leichter Ekel überkam mich, der zudem von sich selbst und von mir distanziert war.
Beobachtungen also wieder, anstelle daß ich weiterpreise. „Glaubst du vielleicht, glaubt ein Verstecktes in dir nicht doch, in irgend einem Winkel“, hat mich die Löwin gefragt, „mit diesen Briefen sie wiederzugewinnen?“ „Nein“, habe ich geantwortet, „eher wird das Gegenteil geschehen: immer noch weitere Entfernung. Wobei ich nicht einmal weiß, ob sie sie liest. Doch so benutzt zu werden, wird sie als Übergriff erleben, auch wenn niemand weiß oder nur die ohnedies Eingeweihten wissen, wer sie ist. Zum anderen, indem ich sie umerfinde, erhöhe ich sie dermaßen, daß kein lebender Mensch ihr, der nun zur Lydierin werdenden, entsprechen kann, selbst wenn er wollte. Dies ist nicht einzuholen, auch von ihr nicht.“
Es sei denn.
Es sei denn, was?
Ich umkreise, Herz, den Begriff „Erleuchtung“. Immer und immer wieder, in unserem UnsAngesehenHaben. Da ist für gar nichts andres Raum, weil er derart weit ist, daß ich mich winzig fühle. Also stell ihn Dir vor, den vor allem der Repräsentation dienenden, kalte Macht atmenden Geschäftssaal, in dem die beiden, Lenz und die Lydierin, einander erstmals begegnen. Die eine Wandseite ist durchgezogenes hohes Fenster, das in die Wüste blicken läßt. Denn Lydien (ich bestehe auf dem „d“) hat eine solche. (Sitara Lenz? die Lydierin Sitara?) Wälder hat Lydien aber auch, und Gebirge mit Schnee. Wir wollten, Innigste, doch bald schon in den Berg steigen, gemeinsam, ich muß das wieder möglich machen. Ich wollte uns das Brot am Gipfel brechen, hatte mir das ausbedungen: als weitere Liebkosung, die sich an die Nährung lehnt. Deshalb wird Lydien ein genau so wenig mögliches Land sein, wie wir Wir geworden sind, das Wir uns bleiben konnte.
Unter unseren Füße ist ein leidlich blauer Teppichboden ausgelegt. Inmitten darauf, viele silberne Messingbeine, die geschwungene Doppelbank des Konferenztischs aus hellem lasierten Holz. Einander gegenüber die Parteien, die Vertrag schließen wollen. Auf Messingstühlen mit schwarzen Sitz- und Rückenpolstern. Vor den Parteien sind die Verträge ausgelegt, je in schwarzen, nun aufgeklappten Ledermappen. Selbstverständlich wird auf Englisch verhandelt, in diesem orientalischen Englisch, das die Wachsamkeit müde machen kann wie Weihrauch.
Lenz ist nervös, aber darf das nicht zeigen, weiß es, lächelt in gespielter, nicht unüberheblicher Laxheit. Da tritt die Lydierin herein, ihm im Rücken. Dennoch spürt er sie, sofort. Sie geht um den Tisch herum, setzt sich ihm genau gegenüber. Er hebt den Blick, sie den ihren in seinen. Der Konferenzsaal fällt von ihnen beiden weg, die hohen langen Scheiben fallen, selbst der Tisch fällt. Es fallen die Stühle. Der Boden versinkt. Daß die beiden nicht mit versinken, liegt an ihrem Blicken, es hält sie ineinander fest. Die Verhandlung wird nun automatisch geführt; imgrunde weiß er nicht, was er sagt. Es sagt aus ihm, wie man auf Fragen Antwort gibt, die man nicht gehört hat; man antwortet aus Konvention.
So der Beginn. Nachher konnte Lenz sich nicht erinnern, ob sie blondes oder dunkles Haar gehabt hat. Schon eine Stunde später nicht mehr, als er allein in sein Hotel zurückgekehrt war. Er nahm sich vor, darauf zu achten, ganz besonders zu achten, wenn sie einander zum zweiten Mal begegnen würden. Am Abend, auf dem Empfang in der Botschaft. (Kurz nach der Verhandlung, als sie auf den Abschluß alle angestoßen hatten, war ihr ein Glas zu Boden gefallen und zersprungen. Er hatte die Scherben aufgesammelt. Es gibt davon ein Bild. Ich lege es Dir bei. Die Lydierin selbst, ausgerechnet, hat es - mit seinem iPhone! - aufgenommen. Wie ging das? Hat er es ihr gegeben? Weshalb? Doch deshalb scheint es mir nun, im nachhinein, so, als wäre unsere ganze Geschichte, Ersehnte, darin schon enthalten:

)
albannikolaiherbst meinte am 2014/11/21 11:55:
(Idee ist aber auch, vielleicht,
daß bereits diese Briefe der Roman sind. Nicht schwer, sich ein Buch vorzustellen, daß "Briefe nach Triest" heißt: ins Antwortlos hineingeschrieben und selbst schon immer die Antwort. Braucht es denn Handlung? Und wenn, muß sie narrativen Regeln folgen?) 
diadorim antwortete am 2014/11/21 12:18:
nö brauchts nicht. es müsste für mich halt etwas mehr geschwommen werden oder mal ne pavoni explodieren oder so. 
albannikolaiherbst antwortete am 2014/11/21 14:37:
Siehst Du, diadorim,
so >>>> verschieden lesen Menschen und lassen Menschen sich ein oder nicht. Deshalb können wir immer nur bei uns bleiben, dem, was wir für wahrhaftig glauben. (Der explodierenden Pavoni entsprechen, würde ich es, ein wenig bitter, ausdrücken, die vielen US-Amerikanismen >>>> in Deinen Gedichten: Prägungen, Geprägtheiten. So, wie Du meinen Hohen Ton scheut, haut wiederum mich eine jede solche Anbiederung aus Deinen ansonsten wunderschönen Texten raus, komplett.) 
diadorim antwortete am 2014/11/21 15:59:
die mischung machts, ich hab aber doch auch portugiesisch drin, ne ganze strophe. und ich liebe frank, strand, evans, levitt, eggleston, friedlander, shore, soth, mcbride etc mein neuer lieblingsort: das c/o am zoo. ich weiß nicht, ob man das als anbiederung verstehen muss bei meinen texten. wenn du es nicht magst, ist es ok, ich kann mir berlin ohne den "amerikanischen sektor" auch gar nicht so richtig gut vorstellen. aber kann auch sein, dass durchaus was dran ist, an deiner kritik. muss ich aber erst mal einweichen und gucken, ob was draus wächst, worum ich mich mal kümmere :). 
albannikolaiherbst antwortete am 2014/11/21 16:17:
"Anbiederung", diadorim,
nehme ich wieder zurück; war eine unfaire Bemerkung, die ich auch nicht glaube. Ich hab einfach automatisch reagiert, meine trauernde Arbeit durch Zuschlagen schützend. Sie fällt mir schwer genug, auch, weil ich momentan gar nichts andres mehr tun kann, jede Faser Ich in sie eingewoben ist. 
diadorim antwortete am 2014/11/21 16:31:
versteh ich wohl. so ist es nicht. ich hau aber hier immer nur mitm straußenstaubwedel zu, das ist mehr kitzeln, und soll dich eigentlich eher aufmuntern. falsche strategie, ick weeß. klingt halt nach ordentlich aua. wenn ich mich aber jetzt dazu hocke und sage, ja, aua aua, obs dann besser wird. oder obs was hilft, dass sich sage, ich kenne gerade noch einen kosmos aus autschen, der sich zwischen hh und b aufspannt, ich glaub eher nicht.
ich depp hab dann auch heut komplett in gedanken gleich die kohle, die ich ziehen wollte, nicht ausm automaten genommen. nerv. 
thomas kunst (Gast) meinte am 2014/11/21 12:10:
liebe alban: deine briefe nach triest wären als buch schon jetzt eines meiner lieblingsbücher: das ist reine und große poesie: klug bis in die äußerste schmerzbahn: liebe grüße ! thomas 

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