Ein Werk haben. Darinnen: Vortragserinnerungen. Im, nämlich, Arbeitsjournal des Montags, dem 21. September 2015.
[Arbeitswohnung, 6.29 Uhr
Stockhausen, Michaels Reise um die Erde]

Fotografie (©): Gaga Nielsen
Um 5.30 Uhr auf, nach langer Zeit mal
wieder | kam gestern ans Arbeitsjournal nicht
Lexikonartikel fertig entworfen nun | noch Quellen präzisieren dann
an den neuen kleinen Film | dauerte „ewig“fünf Stunden, ihn zu speichern
Lädt nun zu Youtube hoch ver|spätet
Dennoch zähl ich die Tage | weiterhin durch
werden‘s heut halt z w e i Clips wer-
den fraglich, wie | ich‘s während der Buchmesse halte
oder vorpro|duzieren| doch versprach ich
>>>> Gaga Nielsen vor|gestern ein paar Worte
noch zu diesem da:
wieder | kam gestern ans Arbeitsjournal nicht
Lexikonartikel fertig entworfen nun | noch Quellen präzisieren dann
an den neuen kleinen Film | dauerte „ewig“fünf Stunden, ihn zu speichern
Lädt nun zu Youtube hoch ver|spätet
Dennoch zähl ich die Tage | weiterhin durch
werden‘s heut halt z w e i Clips wer-
den fraglich, wie | ich‘s während der Buchmesse halte
oder vorpro|duzieren| doch versprach ich
>>>> Gaga Nielsen vor|gestern ein paar Worte
noch zu diesem da:
Noch lebte ich in Bremen, stand kurz vor dem Abendabitur, hatte schon zwei Romane geschrieben, deren einer eine ziemlich abgefahrene Jugend- und Widerstandsabenteurergeschichte ist und ganz sicher nie veröffentlicht werden wird – es sei denn, ich wechselte mein Genre zu schwarzem Umhang und Zorro – und deren andrer, der damals noch „Die Erschießung des Ministers“ hieß, würde sieben weitere Jahre warten müssen, bevor er >>>> zum Buch werden konnte. Und kurze Geschichten hatte ich geschrieben, zahllose, wie >>>> Lanmeister in Kladden, mit einer immer kleineren, zunehmend unlesbaren Handschrift; außerdem die kurzen >>>> Marlboro-Stücke; dazu erste Gedichte (die ich dreivier Jahre später auf eine spöttische Bemerkung >>>> Paulus Böhmers hin fast alle in die Tonne warf). An einen Verlag jedenfalls war noch gar nicht zu denken damals; ich erhoffte mir zwar einen, hatte es schon zigmal probiert, doch die Absagen waren wie tote Vögel vom Himmel gestürzt.
Ich ließ mich nicht entmutigen. Wurde im Gegenteil zunehmend trotzig und dachte: Gut, wenn die Verlage mit meinen Sachen nicht ans Publikum gehen, muß das Publikum mit meinen Sachen an die Verlage gehen. Also schrieb ich Texte direkt für den Vortrag; ein Jahr lang lebte ich tatsächlich von Auftritten, in Kneipen, kleinen Theatern, dem, was man heute Off-Bühnen nennt.
Dabei erwarb ich mir meinen Vortragsstil. Man muß in Kneipen hochpräsent sein, ständig torkelt ein Betrunkener durch die Tür und lallt in die Stimmung. So etwas muß man auffangen können.
Auch die Marlborostücke sind für den Vortrag konzipiert; von zweidrei Ausnahmen abgesehen, würde ich das Buch auch heute noch so veröffentlichen, wie ich‘s schließlich tat – ein knappes Jahr nach der Wäscheleinen-Aufnahme. Ich las damals viel Arno Schmidt, was man dem Schriftbild ansieht; tatsächlich übernahm ich von ihm aber nur die, sozusagen, Wortnotation: wie etwas laut zu sprechen sei. >>>> Etyme interessieren mich noch heute nicht, jedenfalls nicht sonderlich. Aber der Klangcharakter der Sprache, den wollte ich einfangen. Ich denke, ich werde in den nächsten Tagen einmal ein Marlborostück für >>>> die Videoreihe einsprechen. Übrigens lade ich die Clips nach und nach auch >>>> zu Vimeo hoch; die Qualität ist erheblich besser dort, auch wenn der eingeräumte Platz wöchentlich begrenzt ist. Allerdings hat mir abermals Gaga Nielsen einen hübschen Trick verraten, für den ich mich hier öffentlich bedanke. (Wem | erzähl ich das eigentlich all|es? ‘s ist meine dauernde Frage -)
Jedenfalls 1980: ein halbes Jahr vorm AbendAbi, ein halbes Jahr vorm Namenwechsel. Noch trat ich als Alexander Ribbentrop auf. Dann kam Martin Korols Studienfreund >>>> Arno Münster: „Unter deinem furchtbaren Namen wirst du n i e ein Buch...“ undsoweiter (daß ich mich in „furchtbar“ so oft zu „fruchtbar“ vertippe!), zigfach erzählt. Und >>>> Gerd-Peter Eigner, mein literarisches Vorbild damals, den indes mein expressiver Vortragsstil so sehr nervte, daß er mich vor knapp 500 Leuten nach einer gemeinsamen Lesung rigoros abwatschte. Muß man a u c h aushalten können. „Ein Autor hat hinter seinem Text zu verschwinden, darf nicht so präsent sein. Das gehört sich nicht und zeigt nur schlechte Literatur... daß man dem eigenen Wort nicht vertraut.“ Alte Diskussion, immer wieder aufgelegt, übrigens nur in Deutschland. Ich halte auch das für eine Hitlerfolge. In Rußland, in Italien, in Frankreich, in Spanien wird völlig anders auf Theatralik reagiert; dort ist sie Spielform. Und ich war durch Kinskis Rimbaud- und Nietzsche-Lesungen geprägt, auch wenn ich sie nie live erlebt habe, sondern nur von Aufnahmen kannte. Tatsächlich hatte sich mir seine „Erdbeermund“-Rezitation in die Haut, nein - unter sie! - eintätowiert.
Dazu kamen meine Themen, die ewig-alten, nicht tagespolitisch orientierten; bis heute sind sie es nicht. Paßte nicht. Obendrein das diskriminierte, dennoch von mir sehr bald gewählte Medium der Phantastik. Die kleinbürgerlichen Marlboro-Monologe hakte ich schnell ab. Aragon war in mein Leseleben getreten; ihm und den frühen Büchern Johnsons verdanke ich die formale Ausrichtung meiner späteren Romane, aber auch die meines zweiten Romans, >>>> Die Verwirrung des Gemüts, der vor dem ersten erschien und die Inititionszündung der „Konstruktion des Widersinns“ ist: Verwirrung – Wolpertinger – Anderswelt; in ihm wird Hans Deters geboren (synthetisisert), >>>> der mich fortan, das ganze weitre Leben lang, begleitet hat.
Meine Damen und Herren, ich habe ein W e r k!
Es mag der Welt nicht gefallen.
Aber es steht da.
Von einem Ribbentrop geschrieben, was ihr erst recht nicht gefällt.
Gegen jede Welle geschrieben.
Manchmal auf ihnen, den Wellen, gesurft, meist unter ihnen durchgetaucht oder als ihr Brecher aufge|richtet mich, wie Ihr wollt! Gegen die Brecher.
Weder gibt es, wie Anderswelt, ein zweites Mal, noch Die Dschungel.
Ich habe die Ästhetik am Schwanz gepackt, und an der Möse (es gibt da einen Griff, den Frauen ausgesprochen lieben: in manchen Büchern wurde er Text [eine Maskierung]).
Kopf runter, weiterschreiben. Und den Vortrag genau so präsentieren, das heißt: selbst iund jedesmal neu durchleben, wie i c h und nicht, wie der „Geschmack“ will. Es ist der Geschmack von Eunuchen.
‘s wird Zeit für mal wieder erotische Spiele. (Mein armer Schwanz: den trifft die Depri genauso wie mich.)
((Es gab immer wieder einzelne Förderer, das muß man a u c h sehen. Schmidtke, Pross, Betz, Zenke, Kühlmann, Wallefeld, Schnell. Und es gab und gibt immer wieder Lektoren und Verleger. Dielmann, Schmidt, Držečnik, Gross, Gelpke. Und Kollegen, die wissen und wagen. Und Literaturwissenschaftler, die begriffen und begreifen. - Zu pathetisch? Ach ja?))
Melusine Walser.
Die Brüste der Béart.
Briefe nach Triest.
Alle Menschen schlafen.
ANH spricht Tag für Tag.
Das füllt die nächsten Jahre.
(Böhmer wurde gestern 79. Mindestens, also, neun Bücher noch, schreib ich alle zwei Jahre eines. Danach dann sehen wir weiter.)
Peltzer und Witzel auf der Shortlist, das ist gut, das entschädigt mich sogar, wenn auch psychisch nur ein bißchen, so dafür doch ästhetisch sehr.
(Ein Gutes an der Videoserie, so sehr sie mich auch unter Druck setzt – steht das Neue drin, geh ich sofort ans nächste, um die Tagesfolge zu wahren; is‘ zwar ein bißchen geschummelt, aber kein Hahn, noch eine Hähnin werden danach krähen –; das Gute also an ihr ist – Selbstvergegenwärtigung: was ich tatsächlich alles geschafft hab. Nur wenige haben dem rechtens etwas gleichzusetzen: für diesen Satz wieder wird man mich hassen. - Es gibt eine Stelle bei Conan Doyle, ich muß sie mal gelegentlich heraussuchen, wo Watson Holmes vorwirf, er sei überheblich; man nenne nicht die eigenen Stärken selbst; das sei schlechter Stil. Worauf der Detektiv – ein Soziopath, keine Frage, doch ein genialer – antwortet (im Wortsinn): „Weshalb darf man nicht sagen, was ist, sondern soll es verstecken?“ Er sei kein Freund der gesellschaftlichen Täuschung. - Sò.)
Und abermals sò: >>>> Steht drin.
ANH
8.47 Uhr
*
Ich ließ mich nicht entmutigen. Wurde im Gegenteil zunehmend trotzig und dachte: Gut, wenn die Verlage mit meinen Sachen nicht ans Publikum gehen, muß das Publikum mit meinen Sachen an die Verlage gehen. Also schrieb ich Texte direkt für den Vortrag; ein Jahr lang lebte ich tatsächlich von Auftritten, in Kneipen, kleinen Theatern, dem, was man heute Off-Bühnen nennt.
Dabei erwarb ich mir meinen Vortragsstil. Man muß in Kneipen hochpräsent sein, ständig torkelt ein Betrunkener durch die Tür und lallt in die Stimmung. So etwas muß man auffangen können.
Auch die Marlborostücke sind für den Vortrag konzipiert; von zweidrei Ausnahmen abgesehen, würde ich das Buch auch heute noch so veröffentlichen, wie ich‘s schließlich tat – ein knappes Jahr nach der Wäscheleinen-Aufnahme. Ich las damals viel Arno Schmidt, was man dem Schriftbild ansieht; tatsächlich übernahm ich von ihm aber nur die, sozusagen, Wortnotation: wie etwas laut zu sprechen sei. >>>> Etyme interessieren mich noch heute nicht, jedenfalls nicht sonderlich. Aber der Klangcharakter der Sprache, den wollte ich einfangen. Ich denke, ich werde in den nächsten Tagen einmal ein Marlborostück für >>>> die Videoreihe einsprechen. Übrigens lade ich die Clips nach und nach auch >>>> zu Vimeo hoch; die Qualität ist erheblich besser dort, auch wenn der eingeräumte Platz wöchentlich begrenzt ist. Allerdings hat mir abermals Gaga Nielsen einen hübschen Trick verraten, für den ich mich hier öffentlich bedanke. (Wem | erzähl ich das eigentlich all|es? ‘s ist meine dauernde Frage -)
Jedenfalls 1980: ein halbes Jahr vorm AbendAbi, ein halbes Jahr vorm Namenwechsel. Noch trat ich als Alexander Ribbentrop auf. Dann kam Martin Korols Studienfreund >>>> Arno Münster: „Unter deinem furchtbaren Namen wirst du n i e ein Buch...“ undsoweiter (daß ich mich in „furchtbar“ so oft zu „fruchtbar“ vertippe!), zigfach erzählt. Und >>>> Gerd-Peter Eigner, mein literarisches Vorbild damals, den indes mein expressiver Vortragsstil so sehr nervte, daß er mich vor knapp 500 Leuten nach einer gemeinsamen Lesung rigoros abwatschte. Muß man a u c h aushalten können. „Ein Autor hat hinter seinem Text zu verschwinden, darf nicht so präsent sein. Das gehört sich nicht und zeigt nur schlechte Literatur... daß man dem eigenen Wort nicht vertraut.“ Alte Diskussion, immer wieder aufgelegt, übrigens nur in Deutschland. Ich halte auch das für eine Hitlerfolge. In Rußland, in Italien, in Frankreich, in Spanien wird völlig anders auf Theatralik reagiert; dort ist sie Spielform. Und ich war durch Kinskis Rimbaud- und Nietzsche-Lesungen geprägt, auch wenn ich sie nie live erlebt habe, sondern nur von Aufnahmen kannte. Tatsächlich hatte sich mir seine „Erdbeermund“-Rezitation in die Haut, nein - unter sie! - eintätowiert.
Dazu kamen meine Themen, die ewig-alten, nicht tagespolitisch orientierten; bis heute sind sie es nicht. Paßte nicht. Obendrein das diskriminierte, dennoch von mir sehr bald gewählte Medium der Phantastik. Die kleinbürgerlichen Marlboro-Monologe hakte ich schnell ab. Aragon war in mein Leseleben getreten; ihm und den frühen Büchern Johnsons verdanke ich die formale Ausrichtung meiner späteren Romane, aber auch die meines zweiten Romans, >>>> Die Verwirrung des Gemüts, der vor dem ersten erschien und die Inititionszündung der „Konstruktion des Widersinns“ ist: Verwirrung – Wolpertinger – Anderswelt; in ihm wird Hans Deters geboren (synthetisisert), >>>> der mich fortan, das ganze weitre Leben lang, begleitet hat.
Meine Damen und Herren, ich habe ein W e r k!
Es mag der Welt nicht gefallen.
Aber es steht da.
Von einem Ribbentrop geschrieben, was ihr erst recht nicht gefällt.
Gegen jede Welle geschrieben.
Manchmal auf ihnen, den Wellen, gesurft, meist unter ihnen durchgetaucht oder als ihr Brecher aufge|richtet mich, wie Ihr wollt! Gegen die Brecher.
Weder gibt es, wie Anderswelt, ein zweites Mal, noch Die Dschungel.
Ich habe die Ästhetik am Schwanz gepackt, und an der Möse (es gibt da einen Griff, den Frauen ausgesprochen lieben: in manchen Büchern wurde er Text [eine Maskierung]).
Kopf runter, weiterschreiben. Und den Vortrag genau so präsentieren, das heißt: selbst iund jedesmal neu durchleben, wie i c h und nicht, wie der „Geschmack“ will. Es ist der Geschmack von Eunuchen.
‘s wird Zeit für mal wieder erotische Spiele. (Mein armer Schwanz: den trifft die Depri genauso wie mich.)
((Es gab immer wieder einzelne Förderer, das muß man a u c h sehen. Schmidtke, Pross, Betz, Zenke, Kühlmann, Wallefeld, Schnell. Und es gab und gibt immer wieder Lektoren und Verleger. Dielmann, Schmidt, Držečnik, Gross, Gelpke. Und Kollegen, die wissen und wagen. Und Literaturwissenschaftler, die begriffen und begreifen. - Zu pathetisch? Ach ja?))
Melusine Walser.
Die Brüste der Béart.
Briefe nach Triest.
Alle Menschen schlafen.
ANH spricht Tag für Tag.
Das füllt die nächsten Jahre.
(Böhmer wurde gestern 79. Mindestens, also, neun Bücher noch, schreib ich alle zwei Jahre eines. Danach dann sehen wir weiter.)
Peltzer und Witzel auf der Shortlist, das ist gut, das entschädigt mich sogar, wenn auch psychisch nur ein bißchen, so dafür doch ästhetisch sehr.
(Ein Gutes an der Videoserie, so sehr sie mich auch unter Druck setzt – steht das Neue drin, geh ich sofort ans nächste, um die Tagesfolge zu wahren; is‘ zwar ein bißchen geschummelt, aber kein Hahn, noch eine Hähnin werden danach krähen –; das Gute also an ihr ist – Selbstvergegenwärtigung: was ich tatsächlich alles geschafft hab. Nur wenige haben dem rechtens etwas gleichzusetzen: für diesen Satz wieder wird man mich hassen. - Es gibt eine Stelle bei Conan Doyle, ich muß sie mal gelegentlich heraussuchen, wo Watson Holmes vorwirf, er sei überheblich; man nenne nicht die eigenen Stärken selbst; das sei schlechter Stil. Worauf der Detektiv – ein Soziopath, keine Frage, doch ein genialer – antwortet (im Wortsinn): „Weshalb darf man nicht sagen, was ist, sondern soll es verstecken?“ Er sei kein Freund der gesellschaftlichen Täuschung. - Sò.)
Und abermals sò: >>>> Steht drin.
ANH
8.47 Uhr
albannikolaiherbst - Montag, 21. September 2015, 09:17- Rubrik: Arbeitsjournal
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