„Ein Fuchs, ein Fuchs!“ Ein Fuchs in Berlin...
da war ich frühnachts, plötzlich, ein >>>> James Cole, BRSMA mitnichten Gilliam. Vor dem >>>> Beaker‘s, rauchend, etwas fröstelnd, drinnen lief ein Fußballspiel auf der kleinen Großleinwand, mir im Rücken. Den Mantelkragen schlug ich auf, den Mantel feste zusammen. Denn die plötzliche innere Wärme, die dieses Bild gab, eine Vision, dachte ich... nein, eben nicht! Sondern ich war wegen der Schärfe meiner Erscheinung überzeugt von ihrer Realität. Das aber eben ist das Wesen einer Vision. Jedenfalls ließ mich die innere Wärme, ein Fuchspelz unter der Haut, die Kühle dieser Novembernacht nur um so deutlicher fühlen.
Erst schnürte sie, meine Vision, zwischen Bauzeug und parkenden Autos straßenseits gen Norden. Ich sprang auf, schaute. „Dort! Da!“ Das Tier war schon hundert Meter weiter, in einem einzigen Lidschlag, und überquerte nun den Bürgersteig, verschwand zum Hang der SBahnstrecke.
„Gibt es das?“
Dann war es wieder da, zurückschnürend, dort, wo ich den Fuchs gerade zum ersten Male ausgemacht.
„Da!“ zischte ich.
Auch BRSMA sprang auf.
Die Bierflaschen fielen vom Gekippel, eine zerbarst.
Der Fuchs schnürte weiter, nach Süden jetzt, zur Stargarder. Und was ein s c h ö n e s Tier! Den buschigen Schweif fast waagrecht im Trab, ja Trab, das ist das richtige Wort, die weiße Quaste leicht gehoben. Soweit zu sehen war, ein wirklich gepflegtes Tier, in keiner Weise asphalträudig. War zwischen Autos weg.
„Wovon ernähren sich die Tiere hier?“ Es war mir unvorstellbar, solche Grazie sich über Mülle hermachen zu sehen.
„Von Mäusen und Ratten, die gibt es zur Genüge.“
Was stimmt. Auch Kaninchen, sicher, die ganzen SBahnhänge lang.
„Ich habe schon öfter Füchse gesehen“, erzählte BRSMA, „zuletzt im Tiergarten.“
„Na ja, im Tiergarten, klar, aber hier auf dem Prenzlauer Berg, so weg vom Mauerpark?“
Den Weg hatte sie wahrscheinlich genommen, meine Vision: war vom Mauerpark die SBahnböschung runter und hier dann hinauf; es war durchaus denkbar, daß sie ihr Wild die Böschung weiterjagte, bis sie zum nächsten Volkspark kam, keine fünf Kilometer von hier weg, Unsinn: keine drei. Und der, in der Tat, ist groß. Steht voller Bäume, ist bisweilen waldhaft.
Wald, eben. Es gibt einen Fuchs, den ich schon sah, direkt in der kleinen Parkanlage >>>> vor der Bar. Da schon war das sonderbar gewesen. Hier nun aber, in den Straßen?
BRSMA drückte aus, was ich empfand:
„Ich liebe das“, sagte er, „wenn einem die Codierung derart durcheinandergerät.“
„Ich liebe Berlin“, sagte ich.
5.07 Uhr:
[Monteverdi, Marienvesper ff.]
Um 4.30 Uhr aufgestanden, Latte macchiato, Morgenpfeife. Da ich einer Herunterladerei halber mein Computernetzwerk angelassen hatte, tippte ich bereits um 4.45 Uhr das erste Wort. Ein Schriftsteller, der das auch sei, müsse mindestens einen poetischen Satz, las ich einmal, täglich schreiben. Mit „poetisch“ meine ich, daß Einkaufszettel nicht zählen.
Unterdessen war ich ins Beaker‘s rein, nachdem die gröbsten Scherben eingesammelt und in den schmalen Müllbehälter gegeben waren, der am Eingang steht, und hatte unsrer Mißgeschick mit der zerborstenen Flasche gemeldet. „Da war.... du glaubst es nicht, ein Fuchs.“ Sie lächelte nur und schnappte sich ein Kehrblech.
Wir plauderten.
„Füchse gibt‘s viel“, sagte sie. „Wir haben auch ein Wildschweinproblem.“
„Wildschweine in Berlin, mitten in Berlin?“ Ich erinnerte mich der armen Sau, die vor ein oder zwei Jahren, parallel zu meiner - ich habe da immer einen Zusammenhang gesehen, wenn auch nicht unbedingt einen ursächlichen - Frühmorgensarbeit, verloren auf dem Alex gestanden hatte und nach einiger Treiberei erschossen worden war. Was ein Skandal ist, wie ich, um meine Arbeit zu schützen, immer noch finde.
„Nicht mittendrin, nein, aber in den Vororten.“
Das wieder hatte g a r nichts Visionäres.
„Und Wölfe“, ergänzte BRSMA.
„Mitten in Berlin? Nie! Die sind viel zu scheu!“
Die Bedienung kehrte.
„Kennst du >>>> Wolfen?“ fragte BRSMA.
Selbstverständlich kenne ich Wolfen. Ich bin nur immer wieder erstaunt über seine, BRSMAs, und meine gemeinsamen Vorlieben, über diese fast eine halbe Generation hinüberlangenden Ähnlichkeiten von Weltsicht, Urteil und Geschmack.
Wölfe in Berlin.
Man muß nicht alles überhöhen. Dieser Fuchs war schon genug an Wunder.
Ich sehe ihn immer noch vor mir. Natur holt sich zurück, was man ihr nahm. Indem sie da hineinkriecht. Unbemerkt anfangs, hält sie es auch. Ein langer Marsch durch die Instanzen der Zivilisation.
Andere füttern des Winters die Vögel. Ich aber stellte meinem Fuchs („eine Füchsin“, dachte ich, als ich einschlief, hoffte ich, seltsam) gerne Nahrung hinaus. Ginge gern zum SBahndamm und schaute nach dem Tier. Aber ich weiß ja: was wir sehr suchen, das finden wir nicht. Sondern es kommt als Geschenk.*******
Erst schnürte sie, meine Vision, zwischen Bauzeug und parkenden Autos straßenseits gen Norden. Ich sprang auf, schaute. „Dort! Da!“ Das Tier war schon hundert Meter weiter, in einem einzigen Lidschlag, und überquerte nun den Bürgersteig, verschwand zum Hang der SBahnstrecke.
„Gibt es das?“
Dann war es wieder da, zurückschnürend, dort, wo ich den Fuchs gerade zum ersten Male ausgemacht.
„Da!“ zischte ich.
Auch BRSMA sprang auf.
Die Bierflaschen fielen vom Gekippel, eine zerbarst.
Der Fuchs schnürte weiter, nach Süden jetzt, zur Stargarder. Und was ein s c h ö n e s Tier! Den buschigen Schweif fast waagrecht im Trab, ja Trab, das ist das richtige Wort, die weiße Quaste leicht gehoben. Soweit zu sehen war, ein wirklich gepflegtes Tier, in keiner Weise asphalträudig. War zwischen Autos weg.
„Wovon ernähren sich die Tiere hier?“ Es war mir unvorstellbar, solche Grazie sich über Mülle hermachen zu sehen.
„Von Mäusen und Ratten, die gibt es zur Genüge.“
Was stimmt. Auch Kaninchen, sicher, die ganzen SBahnhänge lang.
„Ich habe schon öfter Füchse gesehen“, erzählte BRSMA, „zuletzt im Tiergarten.“
„Na ja, im Tiergarten, klar, aber hier auf dem Prenzlauer Berg, so weg vom Mauerpark?“
Den Weg hatte sie wahrscheinlich genommen, meine Vision: war vom Mauerpark die SBahnböschung runter und hier dann hinauf; es war durchaus denkbar, daß sie ihr Wild die Böschung weiterjagte, bis sie zum nächsten Volkspark kam, keine fünf Kilometer von hier weg, Unsinn: keine drei. Und der, in der Tat, ist groß. Steht voller Bäume, ist bisweilen waldhaft.
Wald, eben. Es gibt einen Fuchs, den ich schon sah, direkt in der kleinen Parkanlage >>>> vor der Bar. Da schon war das sonderbar gewesen. Hier nun aber, in den Straßen?
BRSMA drückte aus, was ich empfand:
„Ich liebe das“, sagte er, „wenn einem die Codierung derart durcheinandergerät.“
„Ich liebe Berlin“, sagte ich.
5.07 Uhr:
[Monteverdi, Marienvesper ff.]
Um 4.30 Uhr aufgestanden, Latte macchiato, Morgenpfeife. Da ich einer Herunterladerei halber mein Computernetzwerk angelassen hatte, tippte ich bereits um 4.45 Uhr das erste Wort. Ein Schriftsteller, der das auch sei, müsse mindestens einen poetischen Satz, las ich einmal, täglich schreiben. Mit „poetisch“ meine ich, daß Einkaufszettel nicht zählen.
Unterdessen war ich ins Beaker‘s rein, nachdem die gröbsten Scherben eingesammelt und in den schmalen Müllbehälter gegeben waren, der am Eingang steht, und hatte unsrer Mißgeschick mit der zerborstenen Flasche gemeldet. „Da war.... du glaubst es nicht, ein Fuchs.“ Sie lächelte nur und schnappte sich ein Kehrblech.
Wir plauderten.
„Füchse gibt‘s viel“, sagte sie. „Wir haben auch ein Wildschweinproblem.“
„Wildschweine in Berlin, mitten in Berlin?“ Ich erinnerte mich der armen Sau, die vor ein oder zwei Jahren, parallel zu meiner - ich habe da immer einen Zusammenhang gesehen, wenn auch nicht unbedingt einen ursächlichen - Frühmorgensarbeit, verloren auf dem Alex gestanden hatte und nach einiger Treiberei erschossen worden war. Was ein Skandal ist, wie ich, um meine Arbeit zu schützen, immer noch finde.
„Nicht mittendrin, nein, aber in den Vororten.“
Das wieder hatte g a r nichts Visionäres.
„Und Wölfe“, ergänzte BRSMA.
„Mitten in Berlin? Nie! Die sind viel zu scheu!“
Die Bedienung kehrte.
„Kennst du >>>> Wolfen?“ fragte BRSMA.
Selbstverständlich kenne ich Wolfen. Ich bin nur immer wieder erstaunt über seine, BRSMAs, und meine gemeinsamen Vorlieben, über diese fast eine halbe Generation hinüberlangenden Ähnlichkeiten von Weltsicht, Urteil und Geschmack.
Wölfe in Berlin.
Man muß nicht alles überhöhen. Dieser Fuchs war schon genug an Wunder.
Ich sehe ihn immer noch vor mir. Natur holt sich zurück, was man ihr nahm. Indem sie da hineinkriecht. Unbemerkt anfangs, hält sie es auch. Ein langer Marsch durch die Instanzen der Zivilisation.
Andere füttern des Winters die Vögel. Ich aber stellte meinem Fuchs („eine Füchsin“, dachte ich, als ich einschlief, hoffte ich, seltsam) gerne Nahrung hinaus. Ginge gern zum SBahndamm und schaute nach dem Tier. Aber ich weiß ja: was wir sehr suchen, das finden wir nicht. Sondern es kommt als Geschenk.
So beginnt denn dieses
Arbeitsjournal des Donnerstangs, dem 3. November 2011,
mit einem Fuchs. Auch dieses wieder ein Krausserjournal.
mit einem Fuchs. Auch dieses wieder ein Krausserjournal.
Ich fange jetzt mit >>>> den Erzählungen an, einem diesmal nur sehr schmalen Buch. Danach die Tagebücher. Wobei mir einfällt, daß Dumont noch gar nichts geschickt hat. Jemand nannte Krausser gestern einen Maulhelden; es habe ihn, den Jemand, der wegen eines „leichten Verrisses“ verklagen wollen, seitdem halte er, der Jemand, sich den fern. Hätte auch ich sein können, dachte ich, als ich das las, der auf eine Rezension so reagiert, die er für unangemessen hält. Nur hab ich unterdessen, >>>> an Herrn Kritiker Siebeck zu denken, andere Messer; auch bei Herrn >>>> Martin Halter dürfte der Schnitt nach wie vor klaffen. Nun mag ich diesen Jemand gern, der Krausser nicht mag; auch der junge Mann gestern fragte, wobei er sich auf >>>> die bei Dumont erschienene Auswahl aus Kraussers Tagebüchern bezog, ob man das absichtlich so zusammengestellt habe, daß Krausser als ein ziemlicher Unsympathling dastehe. Nicht leicht zu erklären, daß es eines Dichters Aufgabe nicht sei, den Menschen angenehm zu werden. Jedenfalls werde ich versuchen, des Jemandes Urteil sanft zu revidieren - sanft, indem ich seinen Kopf etwas drehe. Vieles ist eine Frage allein der Perspektive.
Guten Morgen, Leser:in. Guten Morgen, Fuchs.
Guten Morgen, Leser:in. Guten Morgen, Fuchs.
: 5.35 Uhr.
6.49 Uhr:
[Mozart, Le nozze di Figaro (Bruno Walter, Salzburg 1937).]
Der gestaltete Klang bleibt so kein Gegenüber, sondern es ist etwas in ihm, das uns die Hand aufs Herz legt, das uns mit uns selber beschwört, umstellt und derart unsere bedürftige, ewig fragende Rezeptivität mit sich selbst, zum mindesten mit ihrer unabgelenkten, rein gewordenen, als sie selbst widerhallenden Frage nach der Heimat beantwortet.
>>>> Ernst Bloch, 1923.
[Mozart, Le nozze di Figaro (Bruno Walter, Salzburg 1937).]
>>>> Ernst Bloch, 1923.
Die als sie selbst widerhallende Frage, Füchsin, nach der Heimat – der deinen wie der meinen. - Erlaubst du mir bitte, aufzustehen, um mir den zweiten Latte macchiato zu bereiten?
Wieder beginnt eine dieser Nächte, von denen man Stillstand erwartet, völlige Statik bis zum Morgen. Das täuscht.
Krausser, Nacht im Dorf.
7.20 Uhr:
>>>> Nachleben.
8.04 Uhr:
Wunderbar, diese alte Bruno-Walter-Nozze-Aufnahme - musikalisch, nicht klanglich (ich war nie wirklich ein Freund historischer Aufnahmen; die gehören irgendwie an den, denk ich immer, >>>> Amazonas:
Wieder beginnt eine dieser Nächte, von denen man Stillstand erwartet, völlige Statik bis zum Morgen. Das täuscht.
Krausser, Nacht im Dorf.
7.20 Uhr:
>>>> Nachleben.
8.04 Uhr:
Wunderbar, diese alte Bruno-Walter-Nozze-Aufnahme - musikalisch, nicht klanglich (ich war nie wirklich ein Freund historischer Aufnahmen; die gehören irgendwie an den, denk ich immer, >>>> Amazonas:
Und wie wunderbar verschlafen die Wiener Löwin heute morgen ist! Sie wollte aber, oder konnte, nicht erzählen, was sie offensichtlich so lange gestern nacht – getrieben? Ei, ich hab gestern am Telefon, als sie eines Halsreifes wegen sich eifersöchtlich bößchen röllte, in ganzer Würde meiner Reife gesagt, um meinerseits noch eifersüchtig zu werden, sei ich durch ein paar zu viele Höllenkreise geschritten; sozusagen schau ich auf die amourösen Fremd-Rollungen allerder mir innigst Liebsten von einem Läuterungshügel hinab, den ich seit dem >>>> Prozeß um MEERE zu erklimmen begann... na gut, ich spaziere, Sie haben völlig recht. - Ich gab der prächtigen Großkatze noch eine halbe Stunde. Dann ruf ich ein zweites Mal nach Wien den Appell.
(Zur Lektüre: Was aber für ein anderer Krausser das jetzt ist!)
8.52 Uhr:
[Mozart, Così fan tutte (Karajan, 1954).]
Oh! schmerzhaft schön! „Soave sia il vento“... Zum Weinen schön.
(Bitte die Bilder wegdenken!)
12.05 Uhr:
[Mozart, Don Giovanni (Furtwängler, 1954).]
Jetzt also die dritte der Mozart-Opern, die ich schätze, ja bewundre (die Zauberflöte find ich grauslich; jedenfalls für Erwachsene). Und: toll, was die EMI da aus der alten Aufnahme herausgeholt hat. „Die EMI“ bedeutet natürlich: ihre Tonmeister, die leider fast nur bei Neuer Musik genannt werden. Oft sind es Künstler-selbst.
Schon ist die Zeit für den Mittagsschlaf gekommen; dabei bin ich mit meiner Lektüre nicht sonderlich weiter. Mails waren zu schreiben, wegen einiger Veranstaltungen; außerdem ein kleiner Wechsel mit der Leipziger Oper, die ich am Sonntag, nach dem Seminar, das paßt >>>> wundervoll, besuchen werde, um >>>> eine der von mir am meisten bewunderten, ja geliebten Opern-überhaupt zu sehen. Aus dem Briefwechsel will ich Ihnen auch was einstellen, aber nicht mehr heute. Denn es war wohl an Futter genug, meine Füchsin, meinst nicht auch du? Aber wie der demokratische Mensch, >>>> der Äquivalenzform anheimgefallen, alles immer >>>> hinunterziehen muß! Es ist traurig geworden, Füchsin, um uns Menschen.
Nein, nicht um alle. So habe ich >>>> diesem Kommentarbaum immerhin zu verdanken, daß ich in einem Anfall von lustgewütetem Trotz die ganze erste Seite des neuen Hörstück-Typoskripts einfach so dahingeworfen habe, und steinern fast schon steht das da.
Deshalb darf ich jetzt auch schlafen. Und laß den Mozert dabei laufen.
16.25 Uhr:
[Stravinsky, Elegie für Violine solo.]
So, die Kraussererzählungen ‚durch‘, frühe Erzählungen von einer enormen Wut und fast alle genialisch. Aber ich verstehe, was der Normalmensch daran nicht mag, es sei denn, er war frühe selbst ein Wilder, in seiner Jugend, und hat sich das in den Instinkten bewahrt. Fantum hört nicht einfach auf, da hat sich Krausser hineingeschrieben: viel radikaler, als je eine der Haßkolumnen Billers war: so tennisschuhig-chic in TEMPO, erinnern Sie sich? Bei Krausser ist dagegen alles mit Lebenswut fundiert.
Bin richtig etwas benommen von diesen Erzählungen, die besonders da gut werden, wenn der damals noch junge Mann das ihm direkt-Vertraute verläßt.
Muß jetzt zweidrei Emails schreiben und ein Telefonat führen, dann noch Vorbereitungen für die morgige Fahrt nach Leipzig treffen (creative writing-Seminar der Stiftung), dann dort fertiggestelltes Lehrmaterial aus dem Kopierladen abholen, dann mal was essen. Bin noch komplett ohne Nahrung heute. Und den Schreibtisch will ich mal säubern, damit ich ihn bei meiner Rückkehr schimmern finde. Danach an Kraussers Tagebücher.
20.01 Uhr:
[Bach, Die Kunst der Fuge (Bearbeitung und Transkriptionen: >>>> David Ramirer).]
Diese sehr schöne, so weit ich weiß: nichtveröffentlichte Bearbeitung habe ich lange nicht mehr gehört. Nun bekommt sie von mir, der ich unerbittlich weiterarchiviere, die Herbstverzeichnis-Nr.. (HVN) CD685a&b.
Spontan war mein Junge hiergeblieben nach seinem CelloÜben, um mit mir von der Linsensuppe zu Abend zu essen. Schön war das. Wie er mir erzählte, wo seine Freundin und er herumzustromern lieben; wir kamen drauf, als ich, Füchsin, von dir und deinem offenbaren Laufweg erzählte. „Da klettern wir auch immer lang!“ Und ich erinnerte mich an meine Braunschweiger Kindheit, das nahezu verlassene Gelände des nahen Franzschen Feldes, der Ruinen, die noch aus Kriegszeiten standen, und wie ich mir all das zum Operationsgebiet machte, nachdem ich es, ein kleiner Livingston, entdeckt und dann erkundet hatte – meist für mich allein.
Nun ist mein Junge wieder fort, zur Mama und den Geschwisterchen hinüber, und ich will noch etwas Krausser lesen, dabei >>>> Ramirers Bach hören. Leider habe ich mit ihm, Ramirer, fast ebenso lange keinen Kontakt mehr gehabt, wie diese faszinierenden CDs auf dem zu archivierenden Stapel lagen, der hüfthoch geworden war. Nun ist‘s nur noch ein Hügelchen, das nicht einmal mehr an meine Waden langen kann.
Üblicherweise führe ich kein Tagebuch. Warum ich ausgerechnet im Mai 92 dazu Lust bekam, als ich dabei war, ein tausendseitiges Manuskript zu beenden, weiß ich nicht -
(Zur Lektüre: Was aber für ein anderer Krausser das jetzt ist!)
8.52 Uhr:
[Mozart, Così fan tutte (Karajan, 1954).]
Oh! schmerzhaft schön! „Soave sia il vento“... Zum Weinen schön.
(Bitte die Bilder wegdenken!)
12.05 Uhr:
[Mozart, Don Giovanni (Furtwängler, 1954).]
Jetzt also die dritte der Mozart-Opern, die ich schätze, ja bewundre (die Zauberflöte find ich grauslich; jedenfalls für Erwachsene). Und: toll, was die EMI da aus der alten Aufnahme herausgeholt hat. „Die EMI“ bedeutet natürlich: ihre Tonmeister, die leider fast nur bei Neuer Musik genannt werden. Oft sind es Künstler-selbst.
Schon ist die Zeit für den Mittagsschlaf gekommen; dabei bin ich mit meiner Lektüre nicht sonderlich weiter. Mails waren zu schreiben, wegen einiger Veranstaltungen; außerdem ein kleiner Wechsel mit der Leipziger Oper, die ich am Sonntag, nach dem Seminar, das paßt >>>> wundervoll, besuchen werde, um >>>> eine der von mir am meisten bewunderten, ja geliebten Opern-überhaupt zu sehen. Aus dem Briefwechsel will ich Ihnen auch was einstellen, aber nicht mehr heute. Denn es war wohl an Futter genug, meine Füchsin, meinst nicht auch du? Aber wie der demokratische Mensch, >>>> der Äquivalenzform anheimgefallen, alles immer >>>> hinunterziehen muß! Es ist traurig geworden, Füchsin, um uns Menschen.
Nein, nicht um alle. So habe ich >>>> diesem Kommentarbaum immerhin zu verdanken, daß ich in einem Anfall von lustgewütetem Trotz die ganze erste Seite des neuen Hörstück-Typoskripts einfach so dahingeworfen habe, und steinern fast schon steht das da.
Deshalb darf ich jetzt auch schlafen. Und laß den Mozert dabei laufen.
16.25 Uhr:
[Stravinsky, Elegie für Violine solo.]
So, die Kraussererzählungen ‚durch‘, frühe Erzählungen von einer enormen Wut und fast alle genialisch. Aber ich verstehe, was der Normalmensch daran nicht mag, es sei denn, er war frühe selbst ein Wilder, in seiner Jugend, und hat sich das in den Instinkten bewahrt. Fantum hört nicht einfach auf, da hat sich Krausser hineingeschrieben: viel radikaler, als je eine der Haßkolumnen Billers war: so tennisschuhig-chic in TEMPO, erinnern Sie sich? Bei Krausser ist dagegen alles mit Lebenswut fundiert.
Bin richtig etwas benommen von diesen Erzählungen, die besonders da gut werden, wenn der damals noch junge Mann das ihm direkt-Vertraute verläßt.
Muß jetzt zweidrei Emails schreiben und ein Telefonat führen, dann noch Vorbereitungen für die morgige Fahrt nach Leipzig treffen (creative writing-Seminar der Stiftung), dann dort fertiggestelltes Lehrmaterial aus dem Kopierladen abholen, dann mal was essen. Bin noch komplett ohne Nahrung heute. Und den Schreibtisch will ich mal säubern, damit ich ihn bei meiner Rückkehr schimmern finde. Danach an Kraussers Tagebücher.
20.01 Uhr:
[Bach, Die Kunst der Fuge (Bearbeitung und Transkriptionen: >>>> David Ramirer).]
Diese sehr schöne, so weit ich weiß: nichtveröffentlichte Bearbeitung habe ich lange nicht mehr gehört. Nun bekommt sie von mir, der ich unerbittlich weiterarchiviere, die Herbstverzeichnis-Nr.. (HVN) CD685a&b.
Spontan war mein Junge hiergeblieben nach seinem CelloÜben, um mit mir von der Linsensuppe zu Abend zu essen. Schön war das. Wie er mir erzählte, wo seine Freundin und er herumzustromern lieben; wir kamen drauf, als ich, Füchsin, von dir und deinem offenbaren Laufweg erzählte. „Da klettern wir auch immer lang!“ Und ich erinnerte mich an meine Braunschweiger Kindheit, das nahezu verlassene Gelände des nahen Franzschen Feldes, der Ruinen, die noch aus Kriegszeiten standen, und wie ich mir all das zum Operationsgebiet machte, nachdem ich es, ein kleiner Livingston, entdeckt und dann erkundet hatte – meist für mich allein.
Nun ist mein Junge wieder fort, zur Mama und den Geschwisterchen hinüber, und ich will noch etwas Krausser lesen, dabei >>>> Ramirers Bach hören. Leider habe ich mit ihm, Ramirer, fast ebenso lange keinen Kontakt mehr gehabt, wie diese faszinierenden CDs auf dem zu archivierenden Stapel lagen, der hüfthoch geworden war. Nun ist‘s nur noch ein Hügelchen, das nicht einmal mehr an meine Waden langen kann.
Üblicherweise führe ich kein Tagebuch. Warum ich ausgerechnet im Mai 92 dazu Lust bekam, als ich dabei war, ein tausendseitiges Manuskript zu beenden, weiß ich nicht -
[ANH liest. ]

albannikolaiherbst - Donnerstag, 3. November 2011, 20:13- Rubrik: Arbeitsjournal
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