Haltungen. Erwartungen & Rezeptionsmentalitäten. Im Arbeitsjournal des Sonntags, dem 10. Januar 2015. - Nachmittags darinnen auch Corinna Antelmanns Hinter die Zeit.
[Arbeitswohnung, 0.12 Uhr
Allan Pettersson, Fünfte]
Madame LaPutz wirbelt, rumpelt, nippt bisweilen von ihrem Tee. Ich selbst war bereits im Waschsalon und muß auch gleich wieder hin, die dann saubere, aber noch nasse Wäsche schleudern, trocknen, legen. Um sechs beugte ich mich über ein altes Gedicht, faßte dann den Anfang des ersten Ehrhardtentwurfs neu, versorgte den Ofen, las >>>> chSchlesingers Kommentar.
Seine, Schlesingers, Einwürfe reichen bis 2010 zurück; seitdem ist >>>> sein sehr schönes Weblog offenbar verwaist. Anfangs war er neugierig, durchaus offen, dann kippte es: seine Kritik wurde zunehmend ressentimentgeladen. Es kann sein, daß sich unsere Differenzen an meiner >>> schroffen Abwehr des Pops entzündet haben, darüber hinaus an dem alten, und nicht falschen, Urteil, daß ich eitel sei. Der Pop jedenfalls, als Ästhetik des Kapitalismus, wird für mich ein ewiges Thema bleiben; für viele ist es nicht virulent, weil sie von ihm geprägt worden sind, auch und vielleicht gerade in der rebellischen Negation, die aber eben Grundlage multinationaler Labelfinanzierung ist. Ich bin prinzipiell anders geprägt worden, gehörte ja auch nie in irgend eine Gruppe. Außerdem spielt für den Pop Idolbildung eine extreme Rolle – also säkulare Heldenverehrung, der ich sowieso ablehnend gegenüberstehe, jeder.
Ich schreibe jetzt über den Kommentar eigens, weil sich in ihm eine Haltung ausdrückt: Sie nagelt Kunst auf objektive Wahrheit fest, wischt Aragons Konzept des mentirvraie vom Tisch oder versucht es, wenn auch, wie Schlesinger gut eingesteht („gut“ im Sinn von „wahrhaftig“), nur für sich selbst. Erfindungen, also Fiktionen, nennt er „ausgedacht“ - als wäre das ein Makel und nicht überhaupt erst Ausdruck wirklicher künstlerischer Schöpferkraft. Es stellt sich die Frage, ob er „nur ausgedacht“ auch bei Pynchon, Nabokov, Gaddis, García Marquez schreiben würde. Nicht zum ersten Mal wirft er mir, hier indirekt, Vermessenheit vor: Was weiß denn der von zerbombten Körpern?
Ich will es hart sagen: Sie sind Gegenstand der ästhetischen Verarbeitung, so gesehen Material. So nemen wir sie auch in den Medien wahr, die einen großen Teil unseres Empfanges von Wirklichkeit bestimmen. - Darin, in der materialen Aneignung, liegt ein Unmoralisches, das ist wahr; aber genau dieses Unmoralische ist ein Teil von Kunst, nahezu aller, die sich so nennen läßt. Man auch selbst ist Material; ich schrieb es schon verschiedenorts; die eigenen Lieben sind Material.
(Muß wieder los. Nachher mehr.)
***
Seine, Schlesingers, Einwürfe reichen bis 2010 zurück; seitdem ist >>>> sein sehr schönes Weblog offenbar verwaist. Anfangs war er neugierig, durchaus offen, dann kippte es: seine Kritik wurde zunehmend ressentimentgeladen. Es kann sein, daß sich unsere Differenzen an meiner >>> schroffen Abwehr des Pops entzündet haben, darüber hinaus an dem alten, und nicht falschen, Urteil, daß ich eitel sei. Der Pop jedenfalls, als Ästhetik des Kapitalismus, wird für mich ein ewiges Thema bleiben; für viele ist es nicht virulent, weil sie von ihm geprägt worden sind, auch und vielleicht gerade in der rebellischen Negation, die aber eben Grundlage multinationaler Labelfinanzierung ist. Ich bin prinzipiell anders geprägt worden, gehörte ja auch nie in irgend eine Gruppe. Außerdem spielt für den Pop Idolbildung eine extreme Rolle – also säkulare Heldenverehrung, der ich sowieso ablehnend gegenüberstehe, jeder.
Ich schreibe jetzt über den Kommentar eigens, weil sich in ihm eine Haltung ausdrückt: Sie nagelt Kunst auf objektive Wahrheit fest, wischt Aragons Konzept des mentirvraie vom Tisch oder versucht es, wenn auch, wie Schlesinger gut eingesteht („gut“ im Sinn von „wahrhaftig“), nur für sich selbst. Erfindungen, also Fiktionen, nennt er „ausgedacht“ - als wäre das ein Makel und nicht überhaupt erst Ausdruck wirklicher künstlerischer Schöpferkraft. Es stellt sich die Frage, ob er „nur ausgedacht“ auch bei Pynchon, Nabokov, Gaddis, García Marquez schreiben würde. Nicht zum ersten Mal wirft er mir, hier indirekt, Vermessenheit vor: Was weiß denn der von zerbombten Körpern?
Ich will es hart sagen: Sie sind Gegenstand der ästhetischen Verarbeitung, so gesehen Material. So nemen wir sie auch in den Medien wahr, die einen großen Teil unseres Empfanges von Wirklichkeit bestimmen. - Darin, in der materialen Aneignung, liegt ein Unmoralisches, das ist wahr; aber genau dieses Unmoralische ist ein Teil von Kunst, nahezu aller, die sich so nennen läßt. Man auch selbst ist Material; ich schrieb es schon verschiedenorts; die eigenen Lieben sind Material.
(Muß wieder los. Nachher mehr.)
[14.36 Uhr]
Also weiter:
(Wäsche & Wohnung sind sauber, die Wäsche ist gelegt und eingeordnet, und zu mittag wurde geschlafen.)
[Pettersson, Sechste
Espresso (ital.: Caffè), Cigarillo
Denkkäppchen auf dem Schädel: blaues Satin]
Zu lesen, >>>> wie Gogolin Ähnliches hörte. Es müßte Herrn Schlesinger also gefallen, daß ich nicht nur Bücher, sondern auch Die Dschungel schreibe; er müßte es zumindest weniger schlimm als jene finden.
Das Problem ist, daß wir, wenn wir auf Fiktionalisierung verzichten, jede Utopie aufgeben – und sei es die, uns hineinversetzen, also über die faktischen Erlebnisse hinaus Aussagen treffen zu können. Menschen wie er tendieren ins Dunkle der Welt-allgemein; sie können letztlich keine Hoffnung mehr haben, vielleicht gar nicht haben wollen, weil dies ein großer Schutz vor Enttäuschungen ist. Ihnen ist Welt prinzipiell schlimm, als, deshalb die heutige Überschrift, Haltung nämlich. Das von den einen empfundene und/oder tatsächlich erlebte Glück ist ihnen Teil des Unglücks anderer, woran tatsächlich oft etwas ist, aber eben nicht-prinzipiell, zumal, wären auch diese einen unglücklich, es das Glück der anderen noch gar nicht garantierte, sondern die Welt wäre a l l ein Trauertal. Hinzu käme, daß es keine Geschichten mehr gäbe, keine Märchen, keine Phantasie. Ich lese grad solch ein Buch, das mich fesselt, auch wenn mich seine Sprache nicht immer überzeugt, weil zwar die Imagination ins Innere geht, nicht aber der Ausdruck: Corinna Antelmann, >>>> Hinter die Zeit, erschienen bei Septime, einem jungen Wiener Verlag, dessen und auf dessen Programm unbedingt zu achten ist:
Also weiter:
(Wäsche & Wohnung sind sauber, die Wäsche ist gelegt und eingeordnet, und zu mittag wurde geschlafen.)
[Pettersson, Sechste
Espresso (ital.: Caffè), Cigarillo
Denkkäppchen auf dem Schädel: blaues Satin]
Zu lesen, >>>> wie Gogolin Ähnliches hörte. Es müßte Herrn Schlesinger also gefallen, daß ich nicht nur Bücher, sondern auch Die Dschungel schreibe; er müßte es zumindest weniger schlimm als jene finden.
Das Problem ist, daß wir, wenn wir auf Fiktionalisierung verzichten, jede Utopie aufgeben – und sei es die, uns hineinversetzen, also über die faktischen Erlebnisse hinaus Aussagen treffen zu können. Menschen wie er tendieren ins Dunkle der Welt-allgemein; sie können letztlich keine Hoffnung mehr haben, vielleicht gar nicht haben wollen, weil dies ein großer Schutz vor Enttäuschungen ist. Ihnen ist Welt prinzipiell schlimm, als, deshalb die heutige Überschrift, Haltung nämlich. Das von den einen empfundene und/oder tatsächlich erlebte Glück ist ihnen Teil des Unglücks anderer, woran tatsächlich oft etwas ist, aber eben nicht-prinzipiell, zumal, wären auch diese einen unglücklich, es das Glück der anderen noch gar nicht garantierte, sondern die Welt wäre a l l ein Trauertal. Hinzu käme, daß es keine Geschichten mehr gäbe, keine Märchen, keine Phantasie. Ich lese grad solch ein Buch, das mich fesselt, auch wenn mich seine Sprache nicht immer überzeugt, weil zwar die Imagination ins Innere geht, nicht aber der Ausdruck: Corinna Antelmann, >>>> Hinter die Zeit, erschienen bei Septime, einem jungen Wiener Verlag, dessen und auf dessen Programm unbedingt zu achten ist:
Abgesehen von kleineren Inkorrektheiten (an den nur nachlässig gehandhabten Irrealis sind wir unterdessen ja gewöhnt) und stilistisch bisweilen etwas Stelz („Um eben diese Zeit nutzen zu können“/unnötige „Und“-Folgen in den Satzreihen/) und Beziehungsfehlern („Irina lehnt sich an den Torpfosten, er hält ihrem Gewicht stand, und redet sich ein“ - imgrunde alles Flüchtigskeits- und damit Lektoratssachen) baut der Roman eine ruhige Fremdwelt voll unmerklich einsetzender Ver-Rückungen auf, in die man schnell hineingezogen wird – für meinen Geschmack etwas zu ungefährdet, was aber den Vorteil hat, daß – anders als bei meinen Texten – keine vorsorgliche Abwehr erzeugt wird. Wenn ich von Ausdruck schreibe, meine ich ästhetische Expression, die wiederum, notwendigerweise, Manier ist, nicht aufgesetzt, sondern vielmehr sprachinnerlich. Wir überschauen nicht mehr, der Sog zieht uns selbst mit – sofern wir uns einlassen. Bei Antelmann kann man sich ohne solche Gefährdung einlassen, man bleibt unangefochtene Leserin, unangefochtener Leser, geht also mit dem Buch bei allem Mitfühlen distanziert um, bewahrt sich sein/ihr Ich, bleibt, um es anders auszudrücken, autonom.
Meine Bücher wollen diese Autonomie immer brechen – was daran liegt, daß ich an Autonomie noch nie richtig glauben konnte, sie für einen, und zwar in mehrfachem Sinn grundlegenden (Gründe legenden) Irrtum der Empfindung halte. Gerade darum suche ich nach Freiheit und stelle sie, hoffe ich, über das utopische Potential meiner Fiktionen her, l ü g e sie wahr. So müssen aber Bücher nicht geschrieben sein, gar keine Frage. Nur interessieren mich anders geschriebene in einer Regel nicht, die nun aber Antelmann bei mir durchbricht. Auch das spricht für ihren Roman, wie gerne ich ihm folge. Ich bin mir sicher, Schlesinger täte es ebenso gerne. Lesen Sie also meine Empfehlung einzig als für ihn und entscheiden sich, ob Sie ihm folgen möchten. Wo aber Antelmann bei meiner Ästhetik ist, ist eben die Geschichte, daß überhaupt eine erzählt und nicht nur betrachtet wird, was ist bzw. sei. Blieben wir bei dem, wären wir (was wir vielleicht auch so, aber eben nicht unbedingt sind) in den Determinismus hinreichender und notwendiger Ursachen gefangen; Nietzsches Gedanke ist ja vollkommen richtig, daß, ob wir uns wie freie oder wie unfreie Menschen benehmen (für frei also halten oder nicht), selbst ein Ergebnis von Prägungen, mithin determiniert sei. Aus dieser Mühle gilt‘s, sich auszuzwicken.
Das andere Argument Schlesingers ist bedeutsamer: Wer nicht im Krieg war, kann und soll nicht drüber schreiben, jedenfalls nicht emphatisch, also nicht fiktional. Es ist dies eine Spielart des ohnedies doktrinären „Realismus“; wichtiger aber ist, daß es etwas übersieht: nämlich wir haben z.B. 9/11 ja gesehen, so, wie wir auch Afghanistan sahen und Syrien sehen, den Sudan gesehen haben. Auch wenn wir ihn nur medienvermittelt gesehen haben, prägt dies doch unsere Welt(sicht) und wird dadurch unbedingterweise zum künstlerischen Material. Es müßte dies g e r a d e die Forderung eines Realismus sein, der auf die Bedeutung seines Namens auch wertlegt. Auch politisch wird auf das reagiert, was man „nur“ medial sieht, und die Bevölkerung reagiert auf das, was sie medial sieht, physisch-direkt. So dreht sich die Schraube. Eine Kunst, die das ignorierte, wäre tatsächlich l‘art pour l‘art.
Nebenbei bemerkt, halte ich Nullgrund, also das „Vorspiel“ von >>>> Argo, für die derzeit einzig angemessene poetische Verarbeitung 9/11s, die es in deutscher Sprache bislang überhaupt gibt. (Selbstverständlich kann es aber sein, daß ich manches schlichtweg nicht kenne). Die Expression der Mittel entspricht dem Katastrophalen der Geschehen – daß sie „nur“ aufgrund medialer „Dokumente“ zustandekam, ist eh Teilmotiv dieses Vorspiels-selbst. Die „menschlichen“, sagen wir: humanistischen Seiten des Romans sind späteren Seiten vorbehalten; zudem scheint Schlesinger vergessen zu haben, daß Argo der abschließende Teil einer Trilogie ist, deren ersten beiden Teile er schon längst zur Kenntnis hätte nehmen können, als er in Der Dschungel erstmals kommentierte; dann hätte er jetzt schon, vor dem Kauf von Argo, gewußt, was nachher auf ihn zukommen würde.
Er schreibt, er habe sich von der Kategorie „episch“ anlocken lassen. Dem mag so sein; die Frage ist, was ihn nun enttäuschte, also was er für nicht-episch hält. (Welche Rolle Homer in der Romanserie spielt, war schon in >>>> Thetis klar). Er gibt uns darüber keine Auskunft, wir können nur vermuten.
Ich vermute. Selbstverständlich.
Ich spekuliere.
Und sehen Sie, auch dies gehört zu meiner nichtbeliebten Art, auf Kritiken zu reagieren: Es ist mir immer wieder Grund, poetische Positionen zu durchdenken und zu verdeutlichen, läßt mich meine Ästhetik weiterschreiben. Um ein Mehr geht es, ein Immermehr und -weiter: eine poetische, zumindest, Evolution, die auskosten will, was ist, auch wenn es wehtut. Ich lebe auch so, wie sollte meine Kunst im Rückzug sein, gar sich regredieren lassen, und sei es nur formal?
Ich glaube nicht, daß Frau Antelmann sich solche Fragen stellt. Aber das muß sie auch nicht. Ihr Buch lebt auch ohne das, ich empfehle es hier nachdrücklich >>>> noch einmal. Nur daß ich weiter will, immer wollte: der Sprache selbst geschehen lassen, was geschieht. Ein Satz Adornos, >>>> in seiner Mahler-„Physiognomik“, war der Anlaß:
Meine Bücher wollen diese Autonomie immer brechen – was daran liegt, daß ich an Autonomie noch nie richtig glauben konnte, sie für einen, und zwar in mehrfachem Sinn grundlegenden (Gründe legenden) Irrtum der Empfindung halte. Gerade darum suche ich nach Freiheit und stelle sie, hoffe ich, über das utopische Potential meiner Fiktionen her, l ü g e sie wahr. So müssen aber Bücher nicht geschrieben sein, gar keine Frage. Nur interessieren mich anders geschriebene in einer Regel nicht, die nun aber Antelmann bei mir durchbricht. Auch das spricht für ihren Roman, wie gerne ich ihm folge. Ich bin mir sicher, Schlesinger täte es ebenso gerne. Lesen Sie also meine Empfehlung einzig als für ihn und entscheiden sich, ob Sie ihm folgen möchten. Wo aber Antelmann bei meiner Ästhetik ist, ist eben die Geschichte, daß überhaupt eine erzählt und nicht nur betrachtet wird, was ist bzw. sei. Blieben wir bei dem, wären wir (was wir vielleicht auch so, aber eben nicht unbedingt sind) in den Determinismus hinreichender und notwendiger Ursachen gefangen; Nietzsches Gedanke ist ja vollkommen richtig, daß, ob wir uns wie freie oder wie unfreie Menschen benehmen (für frei also halten oder nicht), selbst ein Ergebnis von Prägungen, mithin determiniert sei. Aus dieser Mühle gilt‘s, sich auszuzwicken.
Das andere Argument Schlesingers ist bedeutsamer: Wer nicht im Krieg war, kann und soll nicht drüber schreiben, jedenfalls nicht emphatisch, also nicht fiktional. Es ist dies eine Spielart des ohnedies doktrinären „Realismus“; wichtiger aber ist, daß es etwas übersieht: nämlich wir haben z.B. 9/11 ja gesehen, so, wie wir auch Afghanistan sahen und Syrien sehen, den Sudan gesehen haben. Auch wenn wir ihn nur medienvermittelt gesehen haben, prägt dies doch unsere Welt(sicht) und wird dadurch unbedingterweise zum künstlerischen Material. Es müßte dies g e r a d e die Forderung eines Realismus sein, der auf die Bedeutung seines Namens auch wertlegt. Auch politisch wird auf das reagiert, was man „nur“ medial sieht, und die Bevölkerung reagiert auf das, was sie medial sieht, physisch-direkt. So dreht sich die Schraube. Eine Kunst, die das ignorierte, wäre tatsächlich l‘art pour l‘art.
Nebenbei bemerkt, halte ich Nullgrund, also das „Vorspiel“ von >>>> Argo, für die derzeit einzig angemessene poetische Verarbeitung 9/11s, die es in deutscher Sprache bislang überhaupt gibt. (Selbstverständlich kann es aber sein, daß ich manches schlichtweg nicht kenne). Die Expression der Mittel entspricht dem Katastrophalen der Geschehen – daß sie „nur“ aufgrund medialer „Dokumente“ zustandekam, ist eh Teilmotiv dieses Vorspiels-selbst. Die „menschlichen“, sagen wir: humanistischen Seiten des Romans sind späteren Seiten vorbehalten; zudem scheint Schlesinger vergessen zu haben, daß Argo der abschließende Teil einer Trilogie ist, deren ersten beiden Teile er schon längst zur Kenntnis hätte nehmen können, als er in Der Dschungel erstmals kommentierte; dann hätte er jetzt schon, vor dem Kauf von Argo, gewußt, was nachher auf ihn zukommen würde.
Er schreibt, er habe sich von der Kategorie „episch“ anlocken lassen. Dem mag so sein; die Frage ist, was ihn nun enttäuschte, also was er für nicht-episch hält. (Welche Rolle Homer in der Romanserie spielt, war schon in >>>> Thetis klar). Er gibt uns darüber keine Auskunft, wir können nur vermuten.
Ich vermute. Selbstverständlich.
Ich spekuliere.
Und sehen Sie, auch dies gehört zu meiner nichtbeliebten Art, auf Kritiken zu reagieren: Es ist mir immer wieder Grund, poetische Positionen zu durchdenken und zu verdeutlichen, läßt mich meine Ästhetik weiterschreiben. Um ein Mehr geht es, ein Immermehr und -weiter: eine poetische, zumindest, Evolution, die auskosten will, was ist, auch wenn es wehtut. Ich lebe auch so, wie sollte meine Kunst im Rückzug sein, gar sich regredieren lassen, und sei es nur formal?
Ich glaube nicht, daß Frau Antelmann sich solche Fragen stellt. Aber das muß sie auch nicht. Ihr Buch lebt auch ohne das, ich empfehle es hier nachdrücklich >>>> noch einmal. Nur daß ich weiter will, immer wollte: der Sprache selbst geschehen lassen, was geschieht. Ein Satz Adornos, >>>> in seiner Mahler-„Physiognomik“, war der Anlaß:
Hier, im vierten Satz der Sechsten, werde die Musik-selbst katastrophisch. Kompositorisch hat das Pettersson beerbt, literarisch war es m i r Leitsatz. Im deutschen Sprachraum kenne ich – in dieser Hinsicht – keinen zweiten wie mich. Nein, das ist keine Hybris; ich liebe es, auch andere Autor:inn:en zu ehren und zu verehren, die teils ganz anderen Prioritäten folgen. Dschungelleser:innen wissen das.
Es ist Herrn Schlesinger also, und wirklich freundschaftlich, zu raten, sich anzusehen - statt daß er nur auf den Inhalt starrt und ob ich ihn persönlich erlebt haben könne -, was mit dem Material geschieht, auch formal, das in dem Vorspiel in Bewegung gesetzt wurde, und weshalb es eben so und nicht anders in Bewegung gesetzt wurde; die ganze Diskussion über die erreichte Ikonographie des Anschlags ist in diesen Text mit eingegangen und bewegt ihn teils mit. Dabei ist die Ungeheuerlichkeit des Verfahrens nicht größer als die des Penthesilea-Schlusses bei Kleist – auch er, übrigens, hat keine Liebe erlebt, die ihre Zähne leibhaftig in ihn schlug. Man muß (oder sollte) „einfach“ sehen, aus welchen Linien sich eine Dichtung entwickelt hat und was es ist, das sie fortschreibt.
Daß ich mit >>>> Traumschiff all dies verlassen zu haben scheine, und weshalb, und, hätte der Alte gesagt, „kommensurabel" wurde, steht dann auf einem weiteren Blatt.
Um in ein Buch hineinzufallen, muß man bereit sein; die Bereitschaft ist vorgängig. Fehlt sie, werden Kunstwerke immer verschlossen bleiben – bis hin zur Abwehr. Wie solche Bereitschaft aussieht, hat der mir, bzw. meinem Werk gegenüber durchaus skeptische Bücherblogger in drei fulminanten Teilen >>>> gezeigt. Gestern fand ich diese Rezension zufällig wieder und las sie noch einmal, dankbar. So sehen Einlassungen jenseits der Ressentiments aus und jenseits ästhetischer Vorprägungen. Walter Benjamin schrieb einmal von der „unendlichen Nähe“ und bestimmte sie zur conditio sine qua non jedes kritischen Schreibens; er übernahm den Gedanken von Schlegel. Vielleicht, daß Herr Schlesinger dort einmal nachliest. Aber vielleicht ist seine Sichtweise längst gefestigt und mag sich auch nicht mehr verflüssigen lassen.
Ich würde es bedauern.
Irina, Corinna Antelmanns Heldin, übrigens, betritt in unversehenen Erscheinungen eine andere Welt ebenfalls, eine, die seltsam blieb. Doch bin ich erst auf der Seite 111, aber auf ihrer, Irinas, Seite – und doch nicht. Daß ich in diese Spannung gerate, ist zweifelsohne eine Leistung des Romans. Hingegen habe ich auf Knausgard nicht die allergeringste Lust – was meinerseits ungerecht(fertigt) sein könnte, aber auch damit zusammenhängt, daß ich eine Übersetzung lesen müßte, also gar nie wissen würde, was denn nun „wirklich“ die poetische Leistung ist, die sprachliche also. Ich bin und bleibe ins Deutsche gefangen und vom Deutschen aber gewärmt und bedeckt und - gebeten.
Es ist Herrn Schlesinger also, und wirklich freundschaftlich, zu raten, sich anzusehen - statt daß er nur auf den Inhalt starrt und ob ich ihn persönlich erlebt haben könne -, was mit dem Material geschieht, auch formal, das in dem Vorspiel in Bewegung gesetzt wurde, und weshalb es eben so und nicht anders in Bewegung gesetzt wurde; die ganze Diskussion über die erreichte Ikonographie des Anschlags ist in diesen Text mit eingegangen und bewegt ihn teils mit. Dabei ist die Ungeheuerlichkeit des Verfahrens nicht größer als die des Penthesilea-Schlusses bei Kleist – auch er, übrigens, hat keine Liebe erlebt, die ihre Zähne leibhaftig in ihn schlug. Man muß (oder sollte) „einfach“ sehen, aus welchen Linien sich eine Dichtung entwickelt hat und was es ist, das sie fortschreibt.
Daß ich mit >>>> Traumschiff all dies verlassen zu haben scheine, und weshalb, und, hätte der Alte gesagt, „kommensurabel" wurde, steht dann auf einem weiteren Blatt.
Um in ein Buch hineinzufallen, muß man bereit sein; die Bereitschaft ist vorgängig. Fehlt sie, werden Kunstwerke immer verschlossen bleiben – bis hin zur Abwehr. Wie solche Bereitschaft aussieht, hat der mir, bzw. meinem Werk gegenüber durchaus skeptische Bücherblogger in drei fulminanten Teilen >>>> gezeigt. Gestern fand ich diese Rezension zufällig wieder und las sie noch einmal, dankbar. So sehen Einlassungen jenseits der Ressentiments aus und jenseits ästhetischer Vorprägungen. Walter Benjamin schrieb einmal von der „unendlichen Nähe“ und bestimmte sie zur conditio sine qua non jedes kritischen Schreibens; er übernahm den Gedanken von Schlegel. Vielleicht, daß Herr Schlesinger dort einmal nachliest. Aber vielleicht ist seine Sichtweise längst gefestigt und mag sich auch nicht mehr verflüssigen lassen.
Ich würde es bedauern.
Irina, Corinna Antelmanns Heldin, übrigens, betritt in unversehenen Erscheinungen eine andere Welt ebenfalls, eine, die seltsam blieb. Doch bin ich erst auf der Seite 111, aber auf ihrer, Irinas, Seite – und doch nicht. Daß ich in diese Spannung gerate, ist zweifelsohne eine Leistung des Romans. Hingegen habe ich auf Knausgard nicht die allergeringste Lust – was meinerseits ungerecht(fertigt) sein könnte, aber auch damit zusammenhängt, daß ich eine Übersetzung lesen müßte, also gar nie wissen würde, was denn nun „wirklich“ die poetische Leistung ist, die sprachliche also. Ich bin und bleibe ins Deutsche gefangen und vom Deutschen aber gewärmt und bedeckt und - gebeten.
[Pettersson, Achte]
albannikolaiherbst - Sonntag, 10. Januar 2016, 15:59- Rubrik: Arbeitsjournal
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