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Gartenlokal
Wir sitzen in Städten im Osten.
Man macht Poesie
Und während die Schreibfedern rosten,
erklärt sich der Krug zum Genie.
Ich liebe die Herbstzeitlose.
Das tut ihr so gut.
Ich trag den April in der Hose,
den September unter dem Hut.
Mein Auge kullert im Winde,
die Wimper fällt um.
Ich rede für Taube und Blinde
so um die Dinge herum.
Rolf Bossert
Die Banater „ Aktionsgruppe“, statt ihre Angelegenheiten unter sich zu klären, was mehr der Wahrheitsfindung dienen würde als es jede Äußerung in der Öffentlichkeit jemals kann, meldet sich heute in Gestalt Richard Wagners in der FAZ. Thema ist wieder Werner Söllner. Ich will hier nicht urteilen, ob Wagners Äußerungen über das Verhalten des IM Walther angemessen sind. Möglicherweise haben Wagner und seine Freunde Grund zu ihrer puristischen, „calvinistischen“ Haltung. Ich kann gut verstehen, dass man schwer betroffen und tief getroffen ist, wenn sich plötzlich ein guter Freund und Verbündeter per Aktenlage als „Verräter“ entpuppt. Was ich nicht verstehen kann ist, dass man dieser Betroffenheit unbedingt öffentlich Ausdruck verleihen muss. Mir ist kein Fall aus Widerstandsgruppen der NS-Zeit bekannt, wo diese nach dem Krieg, über das Versagen von Mitgliedern vor der Gestapo öffentlich diskutiert hätten. Einfach weil den Widerstandskämpfern klar war, dass manche „Starke“ schwach geworden sind, während vermeintlich Schwache unerwartet Stärke bewiesen.
Offensichtlich ist Werner Söllner, und das nicht erst seit seiner „Enttarnung“, ein gebrochner Mann. Wer ihn kennt, spürt, ich habe ihn ein oder zweimal im >>>>>Mousonturm getroffen, er kennt mich nicht, dass ihm da jemand gegenüber steht, dessen Haltung von Ängstlichkeit bestimmt wird. Weich, sensibel, höflich und kompetent habe ich ihn bisher erlebt.Und weiß eigentlich nur, dass ohne ihn die deutschsprachige Welt wenig von Mircea Dinescu erfahren hätte. Wer sich da zum Jäger berufen fühlt, will abdrücken, muss ohne Mitleid für das Wild sein. Wer aber ohne Mitleid ist, zerstört sich selbst.
Aber wenn zum Halali geblasen wird, verschwinden bei Jägern eigene Alltagsschwächen und Erinnerungen. Der Zuwachs an Kraft, den die Waffe schenkt, fördert Gedächtnisverlust. Mich interessiert zum Beispiel das Verhalten gegenüber Rolf Bossert. Der einsam, depressiv sich aus dem Fenster gestürzt hat. Angenommen, was ich nicht glaube, Bossert wäre IM bei der Securitate gewesen. Wie hätte er sich denn seinen selbstgerechten „Mitstreitern“, die literarisch vom „Heldentum“ leben, erklären sollen? Das ist kein Vorwurf. Ich habe Verständnis dafür, dass man seine Identität in der neuen, fremden, westlichen Welt verteidigen will. Ging es mir doch ähnlich. Wie hätte der Dichter Bossert, ein von der Securitate zerprügelter Mensch, diesen „starken Leuten“ aus seiner Heimat ein mögliches Versagen eingestehen sollen? Aber wie gesagt, das ist nur eine Annahme. Eine andere, Realistischere ist, dass er nicht in den Stiebel der Leute passte, die auch mit ihrem Mentor Paul Schuster oder mit Schlesak Probleme hatten. Ein wenig mehr Aufmerksamkeit, etwas weniger Selbstgerechtigkeit, viel Mitgefühl und weniger Oberflächlichkeit hätte Bossert vielleicht retten können. Darum geht es.
Auf etwas weniger Selbstgerechtigkeit seiner "Opfer", was für ein gräßlicher Begriff, ich weiß, das verlangt viel, hat auch Söllner Anspruch.
Wenn schon gejagt werden soll, meine ich, dann sollen die gejagt werden, die hauptamtlich für ein solches Spitzelsystem gesorgt haben.
montgelas - Mittwoch, 16. Dezember 2009, 10:57- Rubrik: Tagebuch
Sie führen hier ein sehr zweischneidiges Schwert. Es ist menschlich durchaus nachvollziehbar, daß Sie Söllner als Person bedauern. Die Starken, die schwach werden, verdienen unser (d.h.: öffentliches) Mitgefühl.
Soso.
Aber was ist mit den Schwachen, die durch dieses Schwachwerden der Starken noch stärker geschwächt wurden? Die "sollen ihre Angelegenheiten unter sich klären", entnehme ich Ihren Reflexionen.
"Auf etwas weniger Selbstgerechtigkeit seiner "Opfer"", auch das lese ich bei Ihnen, "hat auch Söllner Anspruch." Also haben jene, denen niemals die Gerechtigkeit anderer zuteil wurde, nun auch ihre Selbst-Gerechtigkeit gefälligst dranzugeben und hinunterzuschlucken? Ich sähre gern, wie sie solche Forderung der Familie Schädlich persönlich überbringen, und zwar ohne dabei ihrerseits selbstgerecht zu werden.
Der "Fall Bossert" ist nicht der "Fall Söllner" ist nicht der "Fall Schädlich" ist nicht etc. etc.
Woher (das wundert mich an allen Teilnehmern dieser Debatte) diese allgemein Neigung zum allgemeinen Urteil? Woher dies Begehr, Scherer wie Geschorene der Vergangenheit nun abermals über einen Kamm zu scheren? Sie stellen oftmals Täter als Opfer des Systems dar. Nun nun, "Opfer des Systems" gibt es nicht, es sind stets "Opfer von Menschen". Seit den 1960er Jahren leuchtet das jedem ein, der einen Blick auf die zwölf Jahre des tausendjährigen Reiches wirft: Hier wird jeder und jede persönlich verantwortlich gemacht, alles gewuß0t und niemandem widerstanden zu haben. Wer non Nazis als "Opfern des Systems" spricht, muß (in der öffentlichen, aber auch in mancher privaten Diskussion) damit rechnen, in den Topf der Holocaust-Leugner geworfen und kärftig umgerührt zu werden. Darum muß seit jener Zeit nicht mehr über das Versagen der Gestapo diskutiert werden, weil hier Täter und Opfer unmissverständlich feststehen.
Eine merkwürdige Myopie, finden Sie nicht, Monsieur? Eine Myopie, deren Nachhall ich irgendwie auch in Ihrer Reflexion schwingen zu spüren meine.
Sehr geehrter Herr v. Wrede
natürlich haben wir das Buch von Susanne Schädlich gelesen. Die Darstellung der Vorgänge durch Frau Schädlich hat uns tief erschüttert. Hier im Haus gab es lange Diskussionen darüber, wie wir einem solchen Fall, reagiert hätten. Das unheilsame Wirken des Onkels, so meine Meinung, ist aber tatsächlich nicht mit ähnlich gelagerten Fällen gleichzusetzen. In unserem Fall zum Beispiel hat sich eine junge Frau aus Scham das Leben genommen, weil sie ihre Enttarnung fürchtete. Diese junge Frau, da sind wir sicher, war keine Zuträgerin aus Leidenschaft, sondern Opfer von Erpressung. Ich bedauere noch heute, dass wir ihr nicht genügend Gelegenheit gegeben haben, ihre Ängste und Motive privat zu offenbaren. Sie könnte noch leben, wenn die allgemeine Stimmung mehr an Aufklärung, statt an Jagd interessiert gewesen wäre und wir ein wenig aufmerksamer und sensibler gewesen wären. Mea culpa.
Zwischen dem Wirken des Onkels von Susanne Schädlich und Werner Söllner liegen Welten. Eine Gleichsetzung ist da unzulässig. Eine gedankliche Verbindung von Susanne Schädlichs Onkel zu Söllner, der sich aus seiner selbstverschuldeten Lage herauspaddelte, es gibt ja eine Opferakte Söllner, halten wir schlicht für falsch.
Was Sie Herr von Wrede mit Myopie, Kurzsichtigkeit meinen, ist eher Vorsicht. Mein oben genanntes Beispiel ist eine der Ursachen für unsere Art und Weise zu argumentieren. Ich bin der Ansicht, dass die Dinge nicht wirklich erhellend aufzuklären sind und das allzu schnelle Vorverurteilungen kein Klima von Offenheit schaffen. Was aber mit Sicherheit aufzuklären ist, sind Verantwortlichkeiten von Führungsoffizieren. Die gehören zur Rechenschaft gezogen. Ihre in der Mehrzahl von ihnen genötigten oder vielleicht auch bestochenen „Spitzel“ werden deshalb der Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen, um von den wirklich Verantwortlichen abzulenken. Ich halte das für schlimm und brauche keine Brille um zu erkennen, dass das Methode hat.
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albannikolaiherbst - 2018/01/17 07:43
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und...
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