Nervositäten und Von Friedrich (2)/Schonfriedrich (2). PP266, 5. November 2014.
[Arbeitswohnung, 7.58 Uhr.
Schoeck, Suite As-Dur.
Feuchtherbst, kühle Sonnensprengsel.]
Schoeck, Suite As-Dur.
Feuchtherbst, kühle Sonnensprengsel.]
Jetzt liest sie mein Buch. Was ich mir gewünscht. Was mich jetzt nervös macht. Was, wenn ich nicht halte?
Ich schrieb ihr wieder, heute früh. Es ist der schon vierzigste Brief. Wenn ich speichere, numeriere ich (wahrscheinlich soll „numerieren“ unterdessen mit zwei „m“ geschrieben werden). Daß ich aber numeriere! Ihre auch: Sie ist bei einundzwanzig. Mir fallen Formulierungen schneller aus den Fingerspitzen, der Weg vom Hirn zur Hand ist permanent befahren. Ich bin deskriptiver als sie, deren Sätze, wie um ihren Bauch zu schützen, die Rücken um ihre Wörter herumbeugen. Sie pflanzt sie mit nackten Händen ein, steckt sie und schiebt Erddämmchen um jeden Setzling auf. Und liest jetzt mein Buch.
Ich mußte formal fernerücken, sprach von ihr, wie ich‘s hier wiederhole, in der dritten Person. Nur deshalb darf ich draus zitieren, ohne die Intimität zu verletzen. Es ist eine für meine poetische Überzeugung wichtige, darum „allgemeine“ Stelle:
Nervositäten. Was habe ich zu bieten? Nichts als meinen Geist. Vielleicht bange ich deshalb. Daß er nicht genügt. Daß die toten Katzenkadaver am Dorfweg schwerer wiegen. Denn das tun sie. Daß die herumstehenden, auf jederzeitigen Zugriff wartenden Arbeitsgeräte mehr Welt in sich tragen, und daß die Angst es tut, die sie verströmen. Ich sehe im Blick des unter dem niederen Türstock grobgebeugten Bauern oder Knechts, wenn er morgens heraustritt, indem er aus dem Hals hochrotzt und den fetten Batzen voller Verachtung vor dem frühen Aufstehn ausspeit, und vor der Welt, das fremde, aus ihr gefallene Mädchen stehen, das er ein paar Jahre später mit derselben Verachtung ficken würde, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Das Verhältnis der Menschen wie zu den Tieren: Gegenstände mit nervender Stimme, wenn man ihnen nicht zur rechten Zeit übers Maul schlägt. So wenig Märchen ist in den realen Dingen. Da wird selbst Mutterliebe harm, schneller als wir meinen und sie selbst. Ich sah in Kenia, wie eine Löwin ihren Jungen eine Antilope aufgespannt hatte, die Decke zwischen zwei Bäumen auseinandergeklappt. Blutig quoll das Gedärm, am Boden schon mit Sand vermengt und trocknem Steppengras. So hilflos ist die Aufladung im Angesicht der Welt. Und doch unsere und ihre Errettung. Wir dürfen nur nicht wegsehn. Aufladung ist, wenn man nicht hinsieht, Kitsch. Von einigen nordischen Stämmen wird aus der Vorzeit erzählt, sie hätten sich bei dem Baum entschuldigt, den sie schlagen mußten, und Indianer, heißt es, hätten den Bisons geopfert, die sie, um zu leben, jagten. Aufladung. In jedem Hügel Irlands lebten Ellevölker. Man nannte sie die Sìdhes. *******
Ich schrieb ihr wieder, heute früh. Es ist der schon vierzigste Brief. Wenn ich speichere, numeriere ich (wahrscheinlich soll „numerieren“ unterdessen mit zwei „m“ geschrieben werden). Daß ich aber numeriere! Ihre auch: Sie ist bei einundzwanzig. Mir fallen Formulierungen schneller aus den Fingerspitzen, der Weg vom Hirn zur Hand ist permanent befahren. Ich bin deskriptiver als sie, deren Sätze, wie um ihren Bauch zu schützen, die Rücken um ihre Wörter herumbeugen. Sie pflanzt sie mit nackten Händen ein, steckt sie und schiebt Erddämmchen um jeden Setzling auf. Und liest jetzt mein Buch.
Ich mußte formal fernerücken, sprach von ihr, wie ich‘s hier wiederhole, in der dritten Person. Nur deshalb darf ich draus zitieren, ohne die Intimität zu verletzen. Es ist eine für meine poetische Überzeugung wichtige, darum „allgemeine“ Stelle:
Es sieht so aus, als hätte sich mein finanzieller Engpaß wieder zur Straße verbreitet; allerdings ist es nur eine Brücke, so lang allerdings wie der Ponte 25 de Abril. „Aber ich bitte Sie: Sprechen Sie mit keinem Menschen darüber!“ - Immer, unterm Strich, bekomm ich‘s schließlich hin. Wo andere aufgeben, sich einfinden würden. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß Hilfe, wenn man sie braucht, in der unerwartetsten Richtung steht und winkt einen heran und sagt „Bitte!“, sagt „Nehmen Sie!“ Dann muß man annehmen können; Stolz ist da keine Kategorie mehr.
[Schoeck, Das holde Bescheiden, auf Mörike. Shirai, Fischer-Dieskau, Höll.]
Sterns >>>> Friedrich weitergelesen, zunehmend erstaunt, fast benommen, ‚ausgerechnet Horst Stern!“ denkend, immer wieder. Ab S. 77 findet sich eine der erotisch-literarischsten Liebeserklärungen, an Bianca Lancia, die ich je gelesen habe:Ich liebte sie, wenn sie, die Schamhaftigkeit überwindend, willig meiner Perversion nachgab, wenn es denn eine ist: eine starke animalische Vorliebe für körpereigene Duftstoffe, die sie, kam ich zu ihr, nicht durch die Banalität des Geruchs von Wasser und Seife ersetzte, sie vielmehr von Hand phantasievoll an einen so unschuldigen Ort wie das Hinterohr verbrachte.
Deus ex vagina. Indessen ich weiterhin, ganz noch anders benommen, von >>>> diesen Augen nämlich, torkle. Das Gedicht schrieb ich bereits vorgestern, unschlüssig bis jetzt, ob es wirklich schon aussagt, wird jemals aussagen können. Also der nächste Versuch. Überdies nicht mehr sich verstecken wollen, auch nicht in Triest. Ich bin versteckt genug gewesen für mein Leben. Noch ist es aber nötig, wie ich sehr gut weiß.
Erst einmal geht es ohnedies um anderes, auch literarisch. Ich werde heute damit beginnen, das Kreuzfahrt-Hörstück umzuschreiben, auf zwei Frauenstimmen hin. Und sowie nun endlich der Vertrag vorliegt, für den gestern abermals ein blödes Hin und Her losging, die übrige Besetzung organisieren. Selbstverständlich denke ich für Lanmeister an Otto Mellies, will aber eigentlich eine gebrochenere Stimme. Am besten wäre ein Laie, mit dem ich dann allerdings hart proben müßte. Es sind so wenige wirklich alte Menschen um mich herum. Also Mellies bitten, m a t t zu sprechen, nicht aus seiner ganzen klassischen Brust, etwas Heiserkeit wäre hilfreich. Dazu das fruchtige Leben der beiden hochsinnlichen Frauenstimmen.
Die nächste weiterhin unentschiedene Frage, ob ich selbst den Schriftsteller spreche oder seinen Part sprechen lasse, von Gerald Schaale etwa, der schon im >>>> San-Michele-Stück „meinen“ Part so großartig gestaltet hat, daß ich durchweg ihn höre, wenn ich mir als Stimme mich selbst vorstelle. Aber vielleicht ist selbst das zu nah? Vielleicht wäre Ver/Fremdung nötig. (Immer noch hätte ich gerne Thomas Quasthoff als Sprecher; ich muß unbedingt bei >>>> Stang noch einmal nachhaken; bis heute hat er nach unserer seinerzeitig kurzen Begegnung und meiner Postsendung nicht reagiert).
Jedenfalls macht mich Sterns Friedrichroman einigermaßen konfus. Die Lektüre kann durchaus dazu führen, daß ich meinen Plan aufgebe, dann aber gar nicht wüßte, mit welchem großen Projekt die nächsten Jahre füllen, auch wenn die nächsten drei Romane uneingeschränkt feststehen. Aber: danach?
Gut, Leser:in. In den Tag.
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Deus ex vagina. Indessen ich weiterhin, ganz noch anders benommen, von >>>> diesen Augen nämlich, torkle. Das Gedicht schrieb ich bereits vorgestern, unschlüssig bis jetzt, ob es wirklich schon aussagt, wird jemals aussagen können. Also der nächste Versuch. Überdies nicht mehr sich verstecken wollen, auch nicht in Triest. Ich bin versteckt genug gewesen für mein Leben. Noch ist es aber nötig, wie ich sehr gut weiß.
Erst einmal geht es ohnedies um anderes, auch literarisch. Ich werde heute damit beginnen, das Kreuzfahrt-Hörstück umzuschreiben, auf zwei Frauenstimmen hin. Und sowie nun endlich der Vertrag vorliegt, für den gestern abermals ein blödes Hin und Her losging, die übrige Besetzung organisieren. Selbstverständlich denke ich für Lanmeister an Otto Mellies, will aber eigentlich eine gebrochenere Stimme. Am besten wäre ein Laie, mit dem ich dann allerdings hart proben müßte. Es sind so wenige wirklich alte Menschen um mich herum. Also Mellies bitten, m a t t zu sprechen, nicht aus seiner ganzen klassischen Brust, etwas Heiserkeit wäre hilfreich. Dazu das fruchtige Leben der beiden hochsinnlichen Frauenstimmen.
Die nächste weiterhin unentschiedene Frage, ob ich selbst den Schriftsteller spreche oder seinen Part sprechen lasse, von Gerald Schaale etwa, der schon im >>>> San-Michele-Stück „meinen“ Part so großartig gestaltet hat, daß ich durchweg ihn höre, wenn ich mir als Stimme mich selbst vorstelle. Aber vielleicht ist selbst das zu nah? Vielleicht wäre Ver/Fremdung nötig. (Immer noch hätte ich gerne Thomas Quasthoff als Sprecher; ich muß unbedingt bei >>>> Stang noch einmal nachhaken; bis heute hat er nach unserer seinerzeitig kurzen Begegnung und meiner Postsendung nicht reagiert).
Jedenfalls macht mich Sterns Friedrichroman einigermaßen konfus. Die Lektüre kann durchaus dazu führen, daß ich meinen Plan aufgebe, dann aber gar nicht wüßte, mit welchem großen Projekt die nächsten Jahre füllen, auch wenn die nächsten drei Romane uneingeschränkt feststehen. Aber: danach?
Gut, Leser:in. In den Tag.
albannikolaiherbst - Mittwoch, 5. November 2014, 09:01- Rubrik: Arbeitsjournal
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