Sport und Depression. Im PP31, des 2. Novembers 2013 nämlich: eines Sonnabends. Mit Dank an die Musik.
[Luigi Dallapiccola, Cinque frammenti di Saffo.]
Sowas Blödes! Ich wache wie üblich, denk ich, früh auf, steh auch auf, wenn auch – nur: weshalb? - etwas benommen, lasse die Pavoni das Wasser für meinen ersten Espresso erhitzen, mahle ihm das Mehl, geb es in das Sieb, kurz: alles, denk ich, wie immer, zieh mich an, nehme das Schwimmzeug, verlasse die Wohnung, trepp das Treppenhaus hinab, tret auf den Hof, auf den es regnet – wieder ist es wärmer geworden, abermals wär's Unfug, bereits den Kachelofen einzuheizen, die Frauen, derzeit, sind mir ohnedies fern: entweder seelisch oder sie wohnen von hier zu weit weg –, schwing mich aufs Rad, die Straßen sind fast noch unbelebt, weshalb ich noch immer nicht irritiert bin; nur irritierend hell ist es bereits, aber ich merk nichts, merk nichts. Erst bei der Schwimmhalle angekommen, vor der schon einige Räder stehen, und als ich dann durch die große Scheibe auf die Uhr gucke, begreife ich allmählich, daß es bereits sieben Uhr ist und daß ein Sonnabend ist, was die Verkehrsruhe selbst auf der Prenzlauer erklärt. Und dann erinnere ich mich, als sähe ich einen Film, wie ich gestern nacht den Wecker des Ifönchen auf sechs Uhr dreißig statt auf fünf Uhr dreißig gestellt habe. Wie konnte ich! Was dachte ich?
Fürs Frühschwimmen also war es zu spät, eine dreiviertel Stunde lohnt sich nicht. Ich brauche anderthalb. - Stoisch wieder aufs Rad und zurück. Jetzt hoff ich, daß der Regen bis mittags aufhört, so daß ich wenigstens laufen kann: im Park. Denn anderthalb Stunden Laufband ist einfach nur öde. Trotzdem, wenn es mit dem Regen so weitergeht, komm ich mittags nicht drumrum; ein Spätschwimmen entfällt, weil heute abend die Zwillingskindlein herkommen wetrden, sie baten darum, einmal wieder bei mir übernachten zu dürfen. Also das Training umkrempeln und erst m o r g e n früh schwimmen. Ich will nicht pausieren, weil ich am Dienstag und wahrscheinlich auch noch am Mittwoch nicht zum Sport kommen werde: wegen der >>>> Heidelberger Lesungen.
„Sport ist auch Sucht“, sagte Jürgensen am vergangenen Dienstag, als wir im Zug >>>> nach Oldenburg saßen. Und daß ich am Tag dreimal auf die Waage steige, hat was Anorektisches, da hat die Löwin eigentlich recht. Klärung, Reinigung: für mich ist der Schlüssel immer der Körper. E r muß „klar“ sein, dann ist es auch der Geist; „klar“ bedeutet: definiert, proportioniert im, sagen wir, Goldenen Schnitt und in der natürlichen ständigen Spannung eines sei es Flucht-, sei es „Raub“tieres; gegen Anorexie spricht aber, daß es sich nicht um Askese, sondern um ebenfalls etwas Suchthaftes handelt, das sehr wohl mit gutem Appetit einhergeht, und sehr wohl geht es mir nicht darum, weiter abzunehmen, eher im Gegenteil, aber ich will kein unnötiges Fett am Leib. Jedes unnötige Gramm ist mir regelrecht zuwider. Ausrichtung, denke ich immer, Selbstfokussierung. Es gibt auch keinen Grund zur Ruhe, zum Ausruhen; es ist kein Zwischenplateau erreicht, auf dem ich vorübergehend mein Zelt aufschlagen könnte, um, sagen wir, den Sonnenunter- und am morgen darauf den -aufgang meditativ zu besinnen. Ich stelle mich darauf ein, daß selbst >>>> Argo jetzt ins Leere publiziert worden ist, daß auch die siebzehn Jahre Arbeit an der ganzen Anderswelt-Trilogie ohne öffentlichen Reflex bleiben werden, jedenfalls ohne einen nennenswerten. Es gibt Leute, die wissen, was ich da gemacht habe, und die es anerkennen, aber sie haben keinerlei Marktmacht. „Jeder Held braucht einen Sänger“, schreibt Homer, aber es muß auch einer sein, der gehört wird. Um da jetzt nicht in eine Depression abzusacken oder gar insgesamt zu resignieren, brauche ich meine körperliche uneingeschränkte Gegenwart, und die gibt mir der Sport. „Der Wille in dir“: so lautet der Slogan meines Kraftstudios und: „Zwischen dir und deinem Erfolg stehst nur du selbst“.Für nichts gilt das so wenig wie für den Literaturbetrieb. Also hol ich es mir anderswo, ersatzhaft, können Sie sagen. Auch das ist mir bewußt. Aber ich bekomme übers Training eben die Portion Erfolg, die ich zum Weiterarbeiten brauche, und zwar täglich. Es ist meine Weise, mich am eigenen Haar, das ich zudem nicht habe, aus dem Sumpf zu ziehen. Wahrscheinlich handelt es sich auch hier um einen chemischen Prozeß: hartes Training läßt den Körper Glücksstoffe ausschütten. „Bis zum Dezember gibt es keinen Grund zur Klage“, sagte ich gestern meinem Verleger am Telefon. „Erst danach, wenn zu Argo bis zum Januar nicht eine Kritik im bürgerlichen Feuilleton erschienen ist, wissen wir: Es ist abermals ein Buch für eine nennenswerte Leserschaft verloren.“ Erst dann werd ich mich auch für Anderswelt auf eine Nachwelt einstellen müssen, die ich selbst nicht mehr erleben werde. Seh ich mir freilich meine Küche an, so weiß ich dennoch, wie es um mich bestellt ist zur Zeit - wie wenig Hoffnung ich tatsächlich habe:
Sowas Blödes! Ich wache wie üblich, denk ich, früh auf, steh auch auf, wenn auch – nur: weshalb? - etwas benommen, lasse die Pavoni das Wasser für meinen ersten Espresso erhitzen, mahle ihm das Mehl, geb es in das Sieb, kurz: alles, denk ich, wie immer, zieh mich an, nehme das Schwimmzeug, verlasse die Wohnung, trepp das Treppenhaus hinab, tret auf den Hof, auf den es regnet – wieder ist es wärmer geworden, abermals wär's Unfug, bereits den Kachelofen einzuheizen, die Frauen, derzeit, sind mir ohnedies fern: entweder seelisch oder sie wohnen von hier zu weit weg –, schwing mich aufs Rad, die Straßen sind fast noch unbelebt, weshalb ich noch immer nicht irritiert bin; nur irritierend hell ist es bereits, aber ich merk nichts, merk nichts. Erst bei der Schwimmhalle angekommen, vor der schon einige Räder stehen, und als ich dann durch die große Scheibe auf die Uhr gucke, begreife ich allmählich, daß es bereits sieben Uhr ist und daß ein Sonnabend ist, was die Verkehrsruhe selbst auf der Prenzlauer erklärt. Und dann erinnere ich mich, als sähe ich einen Film, wie ich gestern nacht den Wecker des Ifönchen auf sechs Uhr dreißig statt auf fünf Uhr dreißig gestellt habe. Wie konnte ich! Was dachte ich?
Fürs Frühschwimmen also war es zu spät, eine dreiviertel Stunde lohnt sich nicht. Ich brauche anderthalb. - Stoisch wieder aufs Rad und zurück. Jetzt hoff ich, daß der Regen bis mittags aufhört, so daß ich wenigstens laufen kann: im Park. Denn anderthalb Stunden Laufband ist einfach nur öde. Trotzdem, wenn es mit dem Regen so weitergeht, komm ich mittags nicht drumrum; ein Spätschwimmen entfällt, weil heute abend die Zwillingskindlein herkommen wetrden, sie baten darum, einmal wieder bei mir übernachten zu dürfen. Also das Training umkrempeln und erst m o r g e n früh schwimmen. Ich will nicht pausieren, weil ich am Dienstag und wahrscheinlich auch noch am Mittwoch nicht zum Sport kommen werde: wegen der >>>> Heidelberger Lesungen.
„Sport ist auch Sucht“, sagte Jürgensen am vergangenen Dienstag, als wir im Zug >>>> nach Oldenburg saßen. Und daß ich am Tag dreimal auf die Waage steige, hat was Anorektisches, da hat die Löwin eigentlich recht. Klärung, Reinigung: für mich ist der Schlüssel immer der Körper. E r muß „klar“ sein, dann ist es auch der Geist; „klar“ bedeutet: definiert, proportioniert im, sagen wir, Goldenen Schnitt und in der natürlichen ständigen Spannung eines sei es Flucht-, sei es „Raub“tieres; gegen Anorexie spricht aber, daß es sich nicht um Askese, sondern um ebenfalls etwas Suchthaftes handelt, das sehr wohl mit gutem Appetit einhergeht, und sehr wohl geht es mir nicht darum, weiter abzunehmen, eher im Gegenteil, aber ich will kein unnötiges Fett am Leib. Jedes unnötige Gramm ist mir regelrecht zuwider. Ausrichtung, denke ich immer, Selbstfokussierung. Es gibt auch keinen Grund zur Ruhe, zum Ausruhen; es ist kein Zwischenplateau erreicht, auf dem ich vorübergehend mein Zelt aufschlagen könnte, um, sagen wir, den Sonnenunter- und am morgen darauf den -aufgang meditativ zu besinnen. Ich stelle mich darauf ein, daß selbst >>>> Argo jetzt ins Leere publiziert worden ist, daß auch die siebzehn Jahre Arbeit an der ganzen Anderswelt-Trilogie ohne öffentlichen Reflex bleiben werden, jedenfalls ohne einen nennenswerten. Es gibt Leute, die wissen, was ich da gemacht habe, und die es anerkennen, aber sie haben keinerlei Marktmacht. „Jeder Held braucht einen Sänger“, schreibt Homer, aber es muß auch einer sein, der gehört wird. Um da jetzt nicht in eine Depression abzusacken oder gar insgesamt zu resignieren, brauche ich meine körperliche uneingeschränkte Gegenwart, und die gibt mir der Sport. „Der Wille in dir“: so lautet der Slogan meines Kraftstudios und: „Zwischen dir und deinem Erfolg stehst nur du selbst“.Für nichts gilt das so wenig wie für den Literaturbetrieb. Also hol ich es mir anderswo, ersatzhaft, können Sie sagen. Auch das ist mir bewußt. Aber ich bekomme übers Training eben die Portion Erfolg, die ich zum Weiterarbeiten brauche, und zwar täglich. Es ist meine Weise, mich am eigenen Haar, das ich zudem nicht habe, aus dem Sumpf zu ziehen. Wahrscheinlich handelt es sich auch hier um einen chemischen Prozeß: hartes Training läßt den Körper Glücksstoffe ausschütten. „Bis zum Dezember gibt es keinen Grund zur Klage“, sagte ich gestern meinem Verleger am Telefon. „Erst danach, wenn zu Argo bis zum Januar nicht eine Kritik im bürgerlichen Feuilleton erschienen ist, wissen wir: Es ist abermals ein Buch für eine nennenswerte Leserschaft verloren.“ Erst dann werd ich mich auch für Anderswelt auf eine Nachwelt einstellen müssen, die ich selbst nicht mehr erleben werde. Seh ich mir freilich meine Küche an, so weiß ich dennoch, wie es um mich bestellt ist zur Zeit - wie wenig Hoffnung ich tatsächlich habe:
Ich bräuchte einen kleinen Triumpf. Daß ich zu spät zum Schwimmbad kam, punktet auf die Niederlagen.
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Hat aber den Vorteil, daß ich für das Neapel-Hörstück die Gema- und VG-Wort-Meldungen fertigbekomme, an denen ich gestern den ganzen Tag lang saß, ohne sie bereits ganz abschließen zu können. Immerhin, es geht nur noch um Recherchen internationaler Bestellnummern usw. Rein formales Zeug, mit dem ich nun auf jeden Fall bis zum Mittag durchsein werde. Dann hoff ich auf den Park, und danach wende ich mich endlich dem >>>> Traumschiff wieder zu. Sehr wahrscheinlich muß ich für diesen Roman eine ganz eigene Schreibroutine entwickeln, weil parallel die Argo-Lesungen weiterlaufen, die mich aus der neuen Imaginationswelt wieder und wieder hinauskatapultieren. Was andererseits auch wichtig ist. Nur so, vermittels dieser Lesungen, werde ich das Buch einigermaßen bekanntmachen können, so daß es leben kann – und eines Tages, vielleicht, auch ohne mich. Dann erst werde ich loslassen können dieses und die andren alle. Sowie mich.
(Luigi Dallapiccola, Concerto per Muriel Couvreux. {Wer w a r Muriel Couvreux?}
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(Luigi Dallapiccola, Concerto per Muriel Couvreux. {Wer w a r Muriel Couvreux?}
8.30 Uhr.)
P.S.: Musik heilt.
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(14.50 Uhr.)
Ich komm nicht raus aus der Niedergeschlagenheit heute. Immerhin sind die Quellen- und Zeitangaben fertig geworden und auch schon hinausgeschickt, so daß ich das Neapel-Projekt schließen kann. Die Bücher wegstellen (Neapel sollte einen eigenen Regalplatz bekommen – nur: wo?) und den Hefter ordnen, d.h. die Skripte und sonstigen Unterlagen tatsächlich abheften, dann alles zu den fertigen Hörstück-Heftern tun. Und die Küche ist gemacht. Jetzt noch aufsaugen. Mit dem Laufen wird es nichts: Ob ich nicht die Familie, mit den Kleinen und meinem Sohn, um fünf ins Planetarium begleiten möge? fragte die Mama soeben. Wie könnte ich da neinsagen? Und danach werden die Kleinen halt hier sein. Vielleicht bringt mich, so viel Erwartung in vier leuchtenden Augen zu sehen, von diesem Grundgefühl der Vergeblichkeit weg.
Ich werd mich mal umziehen.
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Ich komm nicht raus aus der Niedergeschlagenheit heute. Immerhin sind die Quellen- und Zeitangaben fertig geworden und auch schon hinausgeschickt, so daß ich das Neapel-Projekt schließen kann. Die Bücher wegstellen (Neapel sollte einen eigenen Regalplatz bekommen – nur: wo?) und den Hefter ordnen, d.h. die Skripte und sonstigen Unterlagen tatsächlich abheften, dann alles zu den fertigen Hörstück-Heftern tun. Und die Küche ist gemacht. Jetzt noch aufsaugen. Mit dem Laufen wird es nichts: Ob ich nicht die Familie, mit den Kleinen und meinem Sohn, um fünf ins Planetarium begleiten möge? fragte die Mama soeben. Wie könnte ich da neinsagen? Und danach werden die Kleinen halt hier sein. Vielleicht bringt mich, so viel Erwartung in vier leuchtenden Augen zu sehen, von diesem Grundgefühl der Vergeblichkeit weg.
Ich werd mich mal umziehen.
albannikolaiherbst - Samstag, 2. November 2013, 14:55- Rubrik: Arbeitsjournal
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