Ventilieren. Das Arbeitsjournal des 18. Januars 2011. Mit Triskele jetzt und Wellesz.
6.15 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchatio, Morgencigarillo.
Mein Junge lag dann bis nachmittags hier, bis er wiederhergestellt war. Die Arbeit ging dennoch voran, wenn auch nicht so entscheidend, wie ich noch am Sonnabend gedacht habe. Die üblichen 5 TS-Seiten sind's meiner allerdings stets sehr gefüllten Seiten, dann setzt der Kopf aus und wird etwas zäh, so daß Ablenkungsbedürfnisse aufsteigen, Dekozentrationen. Das kann ich mir eigentlich nicht leisten. Aber es ist auch ein fortwährendes immer-Neues: „Seit ich dich kenne”, sagte die Löwin am Telefon, „folgt auf eine große Arbeit gleich die nächste, da ist ein permanenter Druck. Daß du dich wirklich mal ausruhst, gibt es nicht.” „Doch”, sagte ich, „wenn ich mit meinem Sohn nach Italien fahre oder allein oder mit dem Freund.” „Ah!” rief sie und schnurrte fast im Baß. „Wenn ich an das Foto denke, auf dem du da im Liegestuhl liegst, und kein Internet ist in der Nähe... nur ein Buch...” - Das muß aber auch reichen. Denn, je nun... ich bin kein Erfolgsautor, der Bedürfnissen, auch meinen eigenen, dient und 100.000 Euro pro Buch kriegt. Dennoch kann ich von meinen Arbeiten leben und sogar ein Kind ökonomisch betreuen. Und in diesem Druck liegt eine Chance, de imgrunde die gleiche ist wie die, daß ich gegen Widerstände angehen muß und k e i n geschmeidiger Mitspieler des Betriebs bin - irgend eines Betriebs: es ist ja ganz wurscht, ob man sich in den Kunstbetrieben oder der Automobilwirtschaft aufhält. Überall geht es nach Lobbies, und Lobbies bezahlt man. Man besticht sie entweder oder man paßt sich ihnen an, sei es in Mitläufermentalität, sei es intrigant - oder in Mischungen von beidem. Ich aber habe mir das Privileg bewahrt, genau das zu tun, was ich will. Dafür bezahle ich mit Arbeit. Ich bin mir klar darüber, daß dies auch eine Form der Arroganz ist und in gewisser Weise auch jenes aristokratische Vergnügen, von dem einmal Baudelaire schrieb: zu mißfallen.
Entsprechend lehnte gestern >>>> die Literaturwerkstatt Berlin, die mich stilvollerweise immer zu ihren Veranstaltungen >>>>facelädt, die Präsentation der Bamberger Elegien ab. Sollten sie eine große und gute Rezension in der, sagen wir, ZEIT erhalten, wird man die Ablehnung vergessen machen wollen; Mainstreamler beugen sich dem Mainstream; sie haben keinen Stolz. Ein bißchen warf mich das aber trotzdem zurück. Um so wichtiger, genau den künstlerischen Weg entschieden weiterzugehen, den ich ich nun schon ganz gut befestigt habe. Für Diplomatie sind meine Impresaria >>>> Stang zuständig und jeweils die Verleger. Denen rede ich auch nicht ins Wort; immerhin darin hab ich mich ge‚bessert’. Menschen gegenüber bin und war ich immer konziliant, in der künstlerischen Sache aber nie; Menschen verzeihe ich, und zwar von Herzen, Schwäche, nicht aber der Kunst.
Heute morgen, während ich den Latte macchiato zubereitete, wieder ein starker Impuls zu einem Gedicht. Es liegen viele Gedichte begonnen in den Dateien herum, auf dem Desktop usw. Ich darf dem aber momentan nicht nachgeben, weil erst die Fristen einzuhalten sind. Auch das gehört zu dem Druck, unter dem ich stehe. „Ventilieren” kommt von „Ventil”; deshalb: ich ventiliere ihn sexuell. Halbreal, geformte Netz-Projektionen in einigen Türen zur Wirklichkeit. Ich knete sie, bevor ich sie brenne. Projektionen erst, also Fiktionen einer Macht, die ich im Literaturbetrieb nicht habe; ich habe sie aber gegenüber Frauen. Noch bin ich mir nicht sicher, ob da nicht ein ursächlicher Zusammenhang wirkt, der meine frühen Erlebnisse von Hilflosigkeit, namentlich gegenüber meiner Mutter, aufs Erwachsenenleben transponiert hat, und zwar in varianten Formen, die hochambivalent aufeinander bezogen sind und sich wechselweise pushen. Das hat etwas von einer Wippe. - Das Buch, das d e m gilt, liegt auch noch unabgeschlossen herum. In >>>> MEERE habe ich das Prozessuale daran allerdings schon angedeutet.
Arbeiten.
10.55 Uhr:
[Egon Wellesz, Violinkonzert (1961).]
Dieses Musikstück kannte ich noch nicht. Aufregend.
Und alles wird immer anders. Meines Jungen Mama ruft an. Er habe so seltsame Flecken im Gesicht, die auch wehtäten. Zumal geht in der Kita seiner Geschwisterchen Scharlach um.
Also die Arbeit unterbrechen, Treffen mit dem Jungen um Viertel vor achte Ecke Stagarder/Schönhauser. Anderthalb Stunden Wartezimmer bei meinem Hausarzt, den ich ja sehr mag, zumal er mich, ohne mit der Wimper zu zucken, ja sogar gerne gegen poetische Bezahlung behandelt hat. Nein, unwahrscheinlich, Scharlach sei das eher nicht. Kein Fieber? Keine besondere Lichtempfindlichkeit? „Zeig mal deine Zunge.” Und ab der Junge wieder zur Schule, während die Apotheke die Salbe anrührt.
Im Wartezimmer am Jungenroman weitergetippt. Ich sag Ihnen: Laptops sind ein solcher Segen! Ich hab ja diese Fähigkeit, überall arbeiten zu können, egal wo; mich stört einfach nichts, weder Maschinenlärm noch Pausenhofsgetummel. Wenn ich mal drin bin und mich nicht grad mein Unterleib ablenkt. Und jetzt >>>> dieses Konzert!
Fürs Mittagessen wieder zwei Steaks besorgt und mit dem Schlachter geplaudert, einer, der sich noch aus DDR-Zeiten gehalten hat und der ein vorzügliches Fleisch verkauft. "Keine Chemie", sagte er, "einfach nur gutes Rindfleisch. Ich kenne den Bauer." Schon, daß er nicht "Landwirt" sagt, ist mir nah.